Sonntag, 9. Oktober 2016

Prag

Die Verliebtheit in Städte ist meine Sache nicht. Am Ende stehen da ikonographische Bauwerke, an denen man sich mit Millionen anderen Touristen vorbeiquetscht. 



Ich bin empfänglich für Stimmungen, für ein bestimmtes Licht, für einzelne Gebäude oder Flüsse an malerischen Ufern oder meinetwegen für in Stein gehauene frühere Top-Models. 


Am liebsten sitze ich in Cafés und lass den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich war mit meinem Wunsch in der Unterzahl, es goss auch ohne Unterlass, also latschten wir geschlagene acht Stunden vom Kloster durch die Altstadt über die Karlsbrücke, hoch zu dieser gigantischen Burg, die in der Hand von Starbucks ist. 

Auf diesen Sims, von dem es tief abwärts ging, kletterten immer wieder Mädchen und machten halsbrecherische Bewerbungsfotos für Heidi Klum.


Wieder runter, zu einer kurzen Verschnaufpause in einem Schiff auf der Moldau, im Hintergrund lief irgendwann auch Smetana, aber erst nachdem in der ersten halben Stunde in fünf Sprachen die Sehenswürdigkeiten am Uferrand abgefrühstückt wurden.

Nachdem wir abends Ente mit Rotkohl und Klößen gegesssen hatten, dauerbeschallt von heimischen Schlagern, lagen wir erschöpft auf dem Bett und sahen Pulp Fiction auf tschechisch. Die anderen drei tranken zur Verdauung Becherovka, den sie eigentlich als Mitbringsel erworben hatten.

Was ist an Prag besonders? Auch Nachts ist es taghell, jedenfalls dort, wo unser Appartment lag, direkt neben dem Kloster Anežsky - die Stadt hat Geld für umfassende Illumination. Der Blick aus meinem Bett war dementsprechend romantisch.



Um drei Uhr Nachts wurde ich von Lärm wach und schaute neugierig aus dem Fenster. Unter mir drückten sich drei volltrunkene Männer in einer dunklen hellen Ecke herum und versorgten sich mit Koks, das sie sich in Ermangelung eines Tisches oder eines Spiegels direkt von der Hand in die Nase zu befördern versuchten. Zwei schlugen sich gegenseitig auf die Brust, dabei stimmten sie Gesänge an, wahrscheinlich handelte es sich um ein tschechisches Volkslied. 

Kurz bevor es eskalierte, kamen drei Frauen herbeigetorkelt und wurden schwankend umworben. Dann kam die Polizei, aber es war gar nicht die Polizei, sondern die Straßenreinigung, die sofort den Rückwärtsgang einlegte und sich vom Acker machte, sobald sie den drogengeschwängerten Paarungsritualen angesichtig wurde. 

So wie zuvor das Koks größtenteils auf dem Kopfsteinpflaster landete, war auch die Balzerei letztlich nicht von Erfolg gekrönt. Die Damen empfahlen sich und einige Zeit später verschwanden auch die drei Siegertypen in der Dunkelheit Helligkeit und es wurde wieder still.

Heute, am Sonntag(!), wurden wir um 8 Uhr wach, weil die Straßenreinigung mit einer Flex das Unkraut auf dem Kopfsteinpflaster massakrierte. Diese Stadt schläft nie.

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