Sonntag, 23. April 2017

Im Raumschiff Orion



Am Fuße des Fernsehturms irrte ich über den Platz, auf der Suche nach dem Restaurant, in das ich zum Brunch eingeladen war. Als ich es endlich betrat, schockierte mich das Interieur und die Hintergrundmusik, die von einer übersteuerten Anlage mit semi-esoterischem Gewimmer meine Ohren unverzüglich zum bluten brachten.

Ich steuerte zu dem Tisch, an dem die zusammengewürfelte Gruppe bereits saß. Mir standen anstrengende Stunden bevor, wie immer, wenn (beliebigen Namen einsetzen) einlädt.  

Morgens bekam ich eine sms von ihr, ihr Gatte könne wegen einer Erkrankung nicht dabei sein und mir wurde blümerant. Das verschärfte die Lage. Ihm zu Ehren nämlich war sein Kollege eingeladen, ein mürrischer Mensch, der kein Wort spricht. Und wenn der Gatte nicht zugegen sein würde, um sich seiner anzunehmen, dann müssten wir das übernehmen. Ich betete, dass ich weit entfernt von ihm sitzen werde, denn schon sein schlaffer und klatschnasser Händedruck bringt Herpesviren auf den Plan.

Ansonsten ein Konglomerat aus Ex-Kollegen der Gastgeberin. Der eine so gut wie taub, was er überspielt, in dem er selbst viel redet, dabei unverständlich murmelnd und ohne Interesse daran, ob es jemand hören will. Ein Blickkontakt und man ist geliefert. Seine erloschene Ehefrau brachte er mit, sie sah die meiste Zeit stumpf vor sich hin.

Die frühere Sekretärin, die 1963(!) in dem Laden angefangen hatte, seinerzeit ein scharfes Geschoss und heutzutage mit allen Utensilien ausgestattet, die ihr das Prädikat "gut erhalten" verleihen. Sie ist okay, unprätentiös und mit Berliner Schnauze ausgestattet. Sie hat ein Herz für mich, da ich in ihren Augen ihre Nachfolgerin bin, auch wenn ich erst eintrat, als sie schon 10 Jahre in Rente war.

Eine andere, etwas jünger als ich, deren empörter Lieblingssatz "Wenn Schiet was wird!" ist. Reich geboren, mit eigenen Pferden und SUV, schwadroniert sie über die Geistesarmut ihrer Mitmenschen und erzählt von ihrem Sohn, dessen Blasiertheit gegenüber Kellnern und anderem Personal sie entzückt, dabei ist er noch nicht mal zehn. Von Geburt an ist er gekleidet wie ein Großgrundbesitzer. Trotz ihres nicht zu übersehenden Wohlstandes bringt sie stets peinlich preiswerte Gastgeschenke mit.

Die Gastgeberin erzählt, weshalb wir uns an diesem Ort treffen. Ich kannte die Geschichte schon, sie hat sie mir unter der Woche bestimmt dreimal erzählt: wir waren auf Anraten des Azubis hier, der sich gerne mit anderen Azubis hier trifft, das Essen sei fantastisch und er habe sogar seinen Geburtstag hier gefeiert. So gesehen wusste ich ungefähr, was mich erwartet; es war aber viel schlimmer als erwartet.

Als ich in die Waschräume ging, war ich einer Ohnmacht nahe, jeden Moment würde Commander Cliff Allister MacLane um die Ecke kommen. Ich beschloss eine berufliche Umorientierung zur Innenarchitektin, denn augenscheinlich werden die dringend gebraucht. 


Wer mal hingehen möchte: Mio

Es gibt in der Tat außergewöhnlich viel zu essen und womöglich hat die verbrecherische Inneneinrichtung mehr Charme, wenn es draußen dunkel ist.

2 Kommentare:

  1. Erinnert mich an einen öffentlich-privaten Lunch unter lauter Wohlhabenden neulich - drei Stunden lang starrte die jüngere Hälfte stumm auf ihre Handys, die ältere Hälfte stumm auf ihre Teller. War besser so. Draußen wurde es Frühling.

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