Samstag, 15. Juli 2017

Wunderliche Witwen

Es ist ja gar nicht so, dass man die erste Liebe für sein Leben lang tief und jederzeit abrufbar im Langzeitgedächtnis speichert. Nein, so eine erste richtig unglückliche Liebe, die lohnt sich. Meine habe ich hinlänglich beschrieben. 

Naja, Gottseidank relativiert sich mit den Jahren alles, das Blöde wie das Schöne, und am Ende sind einem all die gelebten Lieben und die dazugehörigen Protagonisten so fremd wie der Weihnachtsmann. Das finde ich faszinierend.

Wie wichtig dieser oder jener Mensch mal war. Unvorstellbar war es, ohne ihn leben zu müssen. Und später  (okay: viel später) ist's so, als sei er nie da gewesen. Keine Relevanz mehr. Erstaunlich. 


Aber es gibt Ausnahmen: Menschen, die sich auf einen Menschen stürzen und diesen ihr ganzes Leben lang nicht mehr aus den Klauen lassen. Ich spreche von Kohls Witwe. Ist schon etwas her, aber ich kam nicht früher dazu, darüber zu schreiben. 

Mir unerklärlich, weshalb man sich als Frau ausgerechnet auf diesen Mann kaprizieren muss, der so gar keinen Verdacht aufkommen ließ, dass es eine Wonne sei, mit ihm das Bett zu teilen oder auch nur beim Frühstück mit ihm reden zu müssen. Sei's drum, wo die Liebe hinfällt. 

Aber was mir wirklich Schauer über den Rücken gejagt hat, war, als ich las, dass sie ihn wohl zwei Wochen(!) im Bungalow aufgebahrt bei sich behielt. Zwei Wochen mit einer Leiche unter einem Dach, das ist harter Tobak und mir fiel gleich eine Geschichte ein, von Roald Dahl oder Edgar Allen Poe, in der sich zwei Männer darüber unterhalten, ob es möglich sei, allein mit einem Toten im Raum die Nacht zu überstehen, ohne daran irre zu werden. Der eine meinte, das sei möglich und dann setzt er sich in eine Leichenhalle und natürlich wird er verrückt.

Wie verrückt aber muss man sein, wenn man darüber nicht verrückt wird? 

Ich weiß, ich weiß, früher lag die Omma immer ein paar Tage in der guten Stube aufgebahrt, das war normal, der Tod gehörte zum Leben, etc., aber heute, wo der Tod, bzw. der Tote so zügig wie möglich aus dem Blickfeld geschafft wird... was bewegt einen Menschen, den geliebten Verblichenen 14 Tage im Wohnzimmer zu lagern? Ist das Liebe oder pathologische Fokussierung oder reine Machtdemonstration? Ich bestimme über dich, solange es die guten Sitten oder biologischen Prozesse zulassen? So eine Leiche wird nicht schöner und sie hält nicht mal still - wie hält man das aus?

Wenn ich mir selber zuhöre, bin ich doch ganz froh, dass ich all meine Lieben nach angemessener Zeit innerer Widerstände verlassen oder gehen lassen konnte. Alles hat seine Zeit. 

P.S. Was Kohls Witwe macht oder lässt, ist fraglos ihre Sache. Mich hat nur dieser eine Aspekt beschäftig, weil mich alles beschäftigt, was mir völlig fremd ist. 

14 Kommentare:

  1. Es ist grenzwertig, eindeutig!
    Necrophilie?
    Wie händelt du es so als Borgelfe?

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    1. Mir ist noch keiner weggestorben, aber falls es doch mal einer täte, würde ich ihn schnell expedieren.

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  2. Ich glaube, es ist eher eine Art magische Aneignung der früheren Macht des Partners. Das hat ja schon früher begonnen...

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    1. Ja, eine gute Erklärung. Deutungshoheit, Aufenthaltsbestimmungsort und solange es irgendwie möglich ist, zu bestimmen wer Zugang bekommt und wer nicht. Kulminierend in der Selbst-Inszenierung am Begräbnistag. Vor allem die Szene auf dem Boot erinnerte mich an Sissi.

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    2. Und an den Film "Misery"

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  3. Ich denke mal, wenn man sich die Konstellation der beiden Personen ansieht, komme ich für mich zu dem Schluß, dass Herr Kohl beruflicher und zum Ende Lebenszweck für die Dame war. So lange er am Leben war, so lange er präsent war, war sie ein Teil des Systems. Das wird sich mit seiner Abwesenheit ändern. Befremdlich... ja, aber psychologisch durchaus erklärbar. Zumindest für mich.

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  4. Vor allem bei der Hitze ... das muss doch einige sehr unangenehme Nebenwirkungen gehabt haben...

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  5. Mir sind schon 3 weggestorben. Zu Hause aufbahren? Bah ey, geh mir wech mit sowas.

    Klingt alles recht psychopathologisch, was über Kohls Witwe geschrieben wird. Aber: was kann man davon glauben? Viele Medien sind ja leider nicht so für neutrale, wahrheitsgemäße Berichterstattung bekannt.

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    1. Es scheint belegt. Dennoch... kann auch Fake sein. Möglich ist alles.

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  6. Ich habe ja in recht kurzer Zeit auch ein paar Leute nach ihrem Abgang erlebt.
    Ich sag mal so: Für unsere jeweilige Beziehung war das nicht sehr förderlich und die übriggebliebenen Körper empfand ich als sehr leblos und unbedeutend.
    Mir war das nicht wichtig, die tagelang noch in der Nähe zu haben.
    Aber ich muss gestehen, dass ich ein gewisses Maß an Verständnis dafür habe, wenn man nicht loslassen kann.
    Denn den toten Körper mitnehmen zu lassen, dass ist schon eine besondere Nummer und Überlegungen, was wohl für Schabernack damit getrieben werden könnte, musste ich massiv aus dem Kopf herausjagen...
    Trauer ist sehr komplex und unberechenbar.

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    1. Definitiv, das ist sie. Jemanden endgültig gehen lassen zu müssen, final, unwiederbringlich, das ist bestimmt außerordentlich schwer.

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  7. Ich kann darüber nicht urteilen, weil ich nicht weiß, wie ich mich mit dem toten Körper des Liebsten fühlen würde.
    Und erst recht nicht, wie eine sich fühlt, der so sehr auf H.Kohl fixiert war - wir wissen nicht, warum.

    Vielleicht musste er vor ihren Augen verfaulen, dass sie endlich loslassen konnte. Vielleicht (wilde Spekulation!) hat sie ja unbewusste Agressionen ausgelebt durch dieses Beobachten und Dabeibleiben. "Jetzt ist definitiv Schluss mit dir..."

    Durch den Link am Anfang bin ich auf den Bericht deiner ersten Liebe gestoßen - wie wunderbar erzählt!

    "Aber es gibt Ausnahmen: Menschen, die sich auf einen Menschen stürzen und diesen ihr ganzes Leben lang nicht mehr aus den Klauen lassen."

    Du wolltest über Kohls Witwe schreiben, ok. Ganz verallgemeinert gibt es auch positive Ausnahmen. Für mich sind das Männer, die mal langjährige Partner waren - und heute "wahre Freunde" sind. Mit denen ich alt werde...

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    1. Oh ja, die "Graue Eminenz", die hier öfter Erwähnung findet, ist auch ein Ex und wir werden befreundet bleiben bis ans Ende unseres Lebens. Aber das ist ein freiwilliges befreundet bleiben und etwas anderes, als nicht loslassen können.

      Deine Theorie, dass es sich auch um Aggressionen gehandelt haben könnte, habe ich auch schon überlegt. Im Sinne von, ich bestimme ich jetzt über dich. Du kannst dich nicht mehr wehren. Und wenn ich will, dass du hier 14 Tage liegst, dann liegst du hier.

      Freut mich, dass dir der Text über den Rolling Stones Fan gefallen hat. Danke für die Blumen.

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