Freitag, 20. Oktober 2017

Frauen, die Personal haben

Ich traf eine Freundin nach 10 Jahren wieder. Ein flirrendes Geschöpf, ein Quatschtütchen vor dem Herrn, lach-und spottlustig, sehr attraktiv (und heute sagen wir "immer noch"), mit dramatischer Mimik und Gestik, eine, die jedes Gespräch eröffnet mit einer Nichtigkeit aus dem Leben von jemand, den ich nie kannte und nie kennenlernen werde. 
 
Damit ist sie ein klein bisschen meiner Mutter ähnlich, die mir unverdrossen Geschichten von Nachbarn erzählt, an deren Namen ich mich nicht mal mehr erinnere, aber meine Mutter trägt keine Hermès-Tücher und neigt auch sonst nicht zum schillern, während meine Freundin schon von Geburt glamourös war.

In Erwartung ihrer teuren Geschmeide schmiss ich mir als Ausgleich zwei ellenlange Plastikperlen-Ketten über, was meiner Meinung nach jede schwarze Klamotte irgendwie aufhübscht, wenn auch in eine Richtung, die ich noch nicht bereit bin, zu gehen - im Grunde sind ellenlange Perlenketten Vorboten von etwas Ungutem, oder? Gleich heute früh bin ich wieder mit dem Parka los. Wahrscheinlich auch ein Vorbote.
 
Nachdem sie nun fast zwei Jahrzehnte im Ausland gelebt hat und zwar in der Sorte Ausland, in der auch europäische Arbeitnehmer in den Genuss von jeder Menge Personal kommen, die von Hause aus nicht im „Gothaer Adelskalender“ Erwähnung finden, packte sie, kaum dass wir im Restaurant Platz genommen hatten, eine Tüte aus. 
 
Drin war ein Buch, ein dicker Roman, erschienen 1998. „Den hattest du mir mal geliehen.“ Ein offensichtlich nicht gelesenes Buch, weit gereist und gut verpackt; weder staubig, noch vergilbt, noch muffig. Ein Wunder der Technik, in meinen drei Billy Regalen, zweireihig belegt, machen meine Bücher keine so gute Figur. 
 
Ach, all meine verliehenen und nie zurück erhaltenen Lieblingsbücher, verloren für immer. Aber so ein blödes, uninteressantes Leseexemplar, das überdauert die Zeit und kontinentale Ortswechsel und fast drückt diese Rückgabe am allerdeutlichsten das Wesen meiner Freundin aus.  Einen 1-Kilo schweren Schinken von HH nach B zu fahren, um endlich... finally coming home. 
 
Ich trau mich gar nicht, das Buch in den Müll zu schmeißen, nach all der Mühe.

12 Kommentare:

  1. Aber die Beste ist nun mal die Bestie...

    AntwortenLöschen
  2. Ich würde gerne den Titel des zurückgegebenen Buches erfahren. Und mit "würde gerne" meine ich: ICH MUSS ES WISSEN! ;-)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ursula Hegi; Die Andere, Rowohlt, 1998, 730 Seiten, 45 D-Mark, wie neu

      Löschen
    2. Danke für die Auskunft! Habe gerade versucht, mir ein wenig Interesse an dem Buch anzulesen. Funktioniert leider nicht.

      Löschen
    3. Arme Ursula Hegi. Ihr letzter Roman hieß "Die Ungelesene" …

      Löschen
    4. Wahrscheinlich biographisch.

      Löschen
  3. Ich hätte ein paar Plastikperlenketten in verschiedenen Längen im Angebot. Frisch geerbt- also Schmuck mit Geschichte. Interesse? Für dich würde ich einen Sonderpreis machen und eine zauberhafte Brosche (schwarze Stoffblüte) drauflegen. Na? ;)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Weshalb nicht gleich noch eine gefilzte "Perlen"-Kette?

      Löschen
    2. Filzen? Damit fange ich nicht mal für dich an und ich habe auch gar keine Zeit. Muss lesen. Max Goldt ist da.

      Löschen
    3. Tut er. Allerdings ist die Gefahr, von einer Helen Fielding oder einer Sophie Kinsella in die Schreibblockade getrieben zu werden, doch weitaus geringer.^^

      Löschen