Sonntag, 21. Januar 2018

How I get a Techniker

Noch traue ich dem Frieden nicht. Meine Hirnsynapsen haben sich in den vergangenen Wochen neue Wege gesucht. Ich habe jegliches Vertrauen verloren in neue Geräte oder dass mit neuen Geräten alles besser wird. Und dann habe ich noch erschreckende Feldstudien mit mir selbst gemacht: was passiert mit mir, wenn ich eine Woche offline bin? Nein, noch genauer: was passiert, wenn ich eine Woche wütend und offline bin?

Gestern früh kam also der heißersehnte Techniker, um zu prüfen, weshalb der neue W-Lan-Router nicht funktioniert. Als Wrack öffnete ich ihm die Tür und wäre ihm vor Dankbarkeit fast um den Hals gefallen. Für mich ein Heiliger. ER würde mein Problem jetzt lösen.

Ich führte ihn an die Stätte der Verzweiflung und ließ ihn unbehelligt seinen Job machen. Ich richtete mich auf mehrere Stunden ein. Nach drei Minuten rief er durch die Wohnung "Alles okay, es läuft wieder." Jetzt schon? Was haben Sie gemacht, fragte ich. Er habe das Stromkabel gezogen und dann ging es wieder. Zweifelnd sagte ich, dass ich das auch zig Mal gemacht habe, aber da sei gar nichts passiert und bei der Fernwartung haben die festgestellt, dass meine Leitung gestört sei. Kann schon sein, meinte er, aber jetzt sei ich wieder online. 

Er ging, nicht ohne mir meine Bitte um seine Handynummer abzuschlagen. Ich begann meine Karriere als Serien-Junkie, der Zugriff auf die tollsten Serien der Welt hat, obwohl ich um diese Zeit sonst nie fernsehe. Aber ich wollte das Internet bewachen, quasi. Genau beobachten, ob auch alles schön läuft. Außerdem wartete ich auch auf die Lieferung der neuen Matratze; ich war also ans Haus gefesselt. 

Nach einer halben Stunde war ich wieder offline. 

Ich kann kaum in Worte fassen, wie wenig ich meine Gefühle verdrängen konnte.Und ich war fest entschlossen, diesen Techniker zurückzubeordern. Rief beim Dienstleister an und bequatschte die, mir die Telefonnummer der Technikerfirma zu geben. Der erste Ansprechpartner war so entnervt, dass er behauptete, er habe ein Systemabsturz, er müsse das Telefonat jetzt abbrechen. Der zweite Mensch, den ich an die Stippe bekam, war verständnisvoller, gab pro forma ein Ticket für einen neuen Technikertermin am Montag ein, gab mir die gewünschte Telefonnummer und wünschte mir viel Glück.

Der Anruf bei der Technikerfirma wird für den diensthabenden Mann am Telefon sicher unvergessen bleiben, denn ich nervte ihn buchstäblich zu Tode. Zunächst blaffte er mich in typisch Berliner Manier an, ich könne wollen, was ich will, er könne mir nicht helfen, der Techniker komme erst am Montag. Davon unbeirrt wiederholte ich gebetsmühlenartig "Sie könnten ihn aber doch anrufen und ganz lieb bitten, vielleicht kommt er ja doch." Da ich den Mann in der Früh wie den Heiland persönlich behandelt habe, würde er sicher gerne nochmal zu mir kommen, da war ich mir sicher. Ich hatte die Vision, wie ich ihm erneut die Tür öffne und immer wenn ich etwas klar vor Augen sehe, passiert es auch.

Nachdem der Mann am Telefon mich schon anbrüllte, er würde ihn NICHT anrufen, weil er sowieso NICHT kommen würde, kapitulierte er bei meinem zwanzigsten Mal "Aber Sie KÖNTEN ihn doch anrufen" - "OKAY ICH RUFE IHN JETZT AN ABER ER KOMMT SOWIESO NICHT!"

Mehr konnte ich nicht tun. Ich war befriedigt. Mission erfüllt. Ich hatte in der Servicewüste Deutschland einen wichtigen Sieg errungen und einen Call Center Roboter dazu gebracht, wie ein Mensch zu handeln. Halleluja. Nach 10 Minuten rief mich der Telefonnmann zurück, der Techniker würde EVENTUELL doch heute noch kommen, im Laufe des Tages, wenn er es noch einrichten könne, aber versprechen könne er nichts. Ich bekam umständehalber einen multiplen Orgasmus. 

Drei Stunden später stand der Techniker wieder vor meiner Tür. Tauschte den Router aus und seitdem - ich wage es immer noch nicht, es allzu laut zu beschreien - bin ich online. Man muss nur den Mut haben, sich als unbeugsam nerviger Kunde Goliath entgegenzustemmen, dann kriegt man auch einen Telefonmann dazu, etwas zu machen, was früher (jüngere Menschen werden sich nicht erinnern) ganz normal war: einen Techniker anzurufen und ihn zu bitten, seinen Job diesmal richtig auszuführen, aber pronto. 

Zur Sicherheit bewachte ich das Internet noch eine Stunde qua binge watching, währenddessen wurde die neue Matratze geliefert, dann verließ ich das Haus, um mich meinen samstäglichen gesellschaftlichen Verpflichtungen zu widmen. 

Bänglich kam ich nach Hause. Würden noch alle sieben Lichter am Router leuchten oder wäre es schon wieder ein unkoordiniertes Geblinke einiger weniger Lichter? Ungläubige Erleichterung. Gleichmütig glimmte der Router vor sich hin und obwohl ich schon müde war, bingewatschte ich weiter, bevor ich auf die neue Matratze sank und acht Stunden durchschlief. 

Nun aber zur Feldstudie: es bekommt mir nicht, tagelang wütend auf den Netzanbieter offline zu sein. Nicht mal das Festnetz ging. Meine einzige Verbindung zur Außenwelt war das Handy. Und da kommen jetzt verschiedene Dinge zusammen: auf das Festnetz ist kein Mensch mehr angewiesen, außer Mütter. Nur für die hat man ja überhaupt noch einen Festnetzanschluss. Also für ein Telefonat pro Woche oder noch weniger, bei etwas problematischeren Elternbeziehungen. Und selbst diese Telefonate könnte man dank der Flatrate ja auch mit dem Handy führen. Also ein völlig irrationales Gefühl.

Aber jetzt geht's weiter: nicht ins Netz zu können ist wie allein auf einer Insel gestrandet zu sein. Wenn das virtuelle Tor zur Welt geschlossen bleibt, wird einem erst mal klar, wie "verbunden" man sich fühlt, wenn man es jederzeit durchschreiten kann - und das ist das Idiotischste überhaupt. Es kann doch nicht sein, dass ich mich nur noch komplett fühle, wenn ich jederzeit mit dem Tablet auf dem Schoß mal hierhin oder dorthin wandern kann. Das hat mich richtig erschreckt. Du meine Güte, ich habe das Privileg mit sehr engen Freunden in direkter Nachbarschaft zu leben - also schon jetzt das zu tun, was sich viele Leute "für's Alter" vornehmen - und ich fühlte mich ernsthaft isoliert, weil ich nicht ins Netz kam? How the fuck konnte es soweit kommen? 

Ich weiß noch, wie staunend ich 1995 den Film "Das Netz" mit Sandra Bullock gesehen habe. Die Frau führte ein total merkwürdiges Leben, sie bestellte sich sogar die Pizza online. In jeder Hinsicht abschreckend fand ich das. Eine fürchterliche Hollywoodphantasie. Oder als Freunde aus Thailand zurückkamen und erzählten, dass dort alle Menschen mit dem Handy am Ohr auf der Straße liefen. Echt jetzt? Alle Leute telefonierten mitten auf der Straße? Wieso das?

Ja, wieso eigentlich?




8 Kommentare:

  1. Für manche Menschen funktioniert das Internet mittlerweile auch als Tor aus der vollständigen sozialen Isolation. Klingt schrecklich, ist aber leider so.

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    1. Ich will das natürlich auch schrecklich finden, finde es aber nicht. Die Welt verändert sich und wenn es heutzutage einen Weg gibt für sozial isolierte Menschen, dann ist das doch gar nicht mla so schlecht. Was haben sie früher getan?

      Ich bin ja nur so erschrocken über mich selbst. Mitnichten sozial isoliert, dennoch wie von der Nabelschnur abgetrennt, wenn ich ein paar Tage nicht ins Netz komme und das, OBWOHL ich es mit dem Handy ja konnte. Da ist was faul im Staate Dänemark.

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    2. Solche Prozesse passieren ja nicht von heute auf morgen. Mir ist letztens erst durch Zufall aufgegangen wie auch ich z.B. mein Verhalten geändert habe. Früher habe ich durchaus mal spontan bei Freunden vorbeigeschaut, ohne mich irgendwie anzukündigen. Tatsache ist, dass ich das mittlerweile gar nicht mehr mache und das kommt halt tatsächlich durch die ständige Vefügbarkeit des Kommunikationsmittels Handy (auch schon vor dem Smartphnne). Tatsächlich erwarte ich das sogar umgekehrt genauso. Wenn hier jemand spontan vor der Tür stehen würde, dann käme mir das ziemlich komisch vor. Dabei war das früher für mich vollkommen normal.

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    3. Überraschend vor der Tür stehen... ein Phänomen aus vergangenen Zeiten. Bei mir passiert es gelegentlich, wegen der Freunde von gegenüber.

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    4. Früher ist man gezwungenermaßen vor die Tür gegangen und hat versucht, in Cafés, Kneipen oder Bürgertreffs Kontakte zu knüpfen. Heute gaukeln einem die sozialen Medien Freundschaften vor, die per se nicht existieren.

      Ich finde daher die Idee aus Großbritannien nicht schlecht, der Vereinsamung mittels Ministerium entgegenzuwirken. Vielleicht eröffnen sich da neue Möglichkeiten. In Berlin hat man den Vorschlag ja auch schon registriert.

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  2. Jetzt, Seven of Nine, bist Du erst wirklich assimiliert.
    Jetzt bist Du Borg.

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  3. Oh Gott, wie ich solche Situationen kenne und fürchte

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