Sonntag, 31. Mai 2015

Unter jedem Dach ein Ach

Von Chinesen kann man lernen. Ingwer und eine Birne in zwei Liter Wasser schnippeln, eine Stunde leise köcheln lassen, über den Tag verteilt trinken, danach ist man geheilt. Sagt meine Nichte, die ich beim Familienfrühstück sehe.

Die "Erste Abwehr" hat mir zwei Tage Halsschmerzen erspart, wofür ich mich in aller Form bedanke bei der Pharmaindustrie, weil die zwei Halsschmerztage und -nächte immer am schlimmsten sind.

Ich kauf mir die Wundermittel, lass es köcheln, trink es und bin nach einer Stunde vollständig genesen. Keine Gliederschmerzen, keine Mattigkeit. Ich bin begeistert.

Begeisterung kennt keine Grenzen, als ich noch schnell zu Video World fahr und "House of Cards" Staffel 2 zu haben ist. Ich will mich damit von Krankheit und Siechtum ablenken, was nach dem Zaubertrank nicht mehr nötig ist, aber das konnte ich nicht wissen, um so besser, Kevin Spacey bei bester Gesundheit. Dachte ich. 

Schieb die DVD rein, loading, loading, loading. "Bad Disc". Bring die zurück, tausch sie um, dasselbe Spiel. Versuche andere DVDs. Alle "Bad Disc". Im Arsch das Ding. Da nehm ich mir einmal eine Grippe induzierte DVD Nacht vor und das Ding streikt. In der Folge nur konsequent, ich war ja geheilt, wenn auch genervt. Für alles kann das Universum nicht sorgen.

Wache um 2 Uhr bei laufender Glotze und Festbeleuchtung auf, taumel ins Bett und bin das nächste Mal um 5 Uhr wach. Mein erster Gang ist immer auf den Balkon. Vogelgezwitscher, Sonne, taufrische Kälte. Alles schläft. Kommt in dem Moment mein Nachbar auf dem Fahrrad nach Hause.

"Wo kommst du denn her?"
"Ich komm nach Hause und du stehst auf dem Balkon? Ist ja irre." 
"Ein Zeichen. Oder senile Bettflucht, such dir was aus."

Er steigt vom Rad ab und lehnt sich erschöpft an den Zaun.

"Alles okay bei dir?"
"Noch. Ich hab mich verfahren. Komme aus Großbeeren, Fußball geguckt, hab mich verirrt, Handy Akku alle, dachte, ich finde nie wieder aus dem Wald, der Horror, war ja dunkel."
"Herrje, aber ich bin nicht diejenige, der du diese Geschichte verkaufen musst. Viel Glück dabei."

Er lacht und zieht eine Grimasse. Ich geh frühstücken und leg mich wieder ins Bett. Dann höre ich, wie jemand einen Koffer über den Waschbeton zieht. Zurück kommt, ein zweiter Koffer verlässt das Haus. Oh jee...Offenbar hat sie ihm nicht geglaubt. Männern, die zu gut aussehen und zu charmant sind, glaubt man das nicht. Das ist ihr Schicksal. 

Freitag, 29. Mai 2015

Berlin im Stau

Als ich aus dem Büro komme, laufen mir fünf kleine türkische Jungs entgegen, gewandet in schwarz-gelb "Bisstu auch für Dortmund?" brüllen sie mich an. "Loogo!" rufe ich. Man muss Kindern geben, was Kinder brauchen.

Mir schwant nichts Gutes. Fußball, 17. Juni gesperrt, das wird ein bißchen dauern, bis ich hier raus komme. Auf der Hardenbergstraße geht schon überhaupt nichts mehr. 

Aber ich bin ja schlau und beherzt. Eine Heldin der Straße. Fahre falsch in eine Einbahnstraße - die einzige, in der das sowieso alle machen, komme am BVG-Parkplatz vorbei, schon stehe ich. Nicht lange, dann quetsche ich mich zwischen Busse und stehendem Gegenverkehr,  biege auf den Parkplatz vor dem Zoologischen Garten ein und... rien ne va plus.


Dann, großer Fehler: ich schalte den Motor aus, ohne die Halbautomatik vorher auf "N" zu stellen, das hat die Einkaufshilfe gar nicht gerne. Dann macht sie keinen Mucks mehr, wenn ich wieder starten will (Genauso wenig, wie sie in den Rückwärtsgang schaltet, wenn ich nicht zuvor wenigstens ein paar Zentimeter im ersten Gang nach vorne gefahren bin. So freue ich mich einerseits, dass mein ohnehin saugutes Parkplatz-Karma in elliptische Höhen geschossen ist, weil ich in jede noch so verschissen kleine Lücke passe, auf der anderen Seite stets zu bedenken habe: immer genug Platz  nach vorne, denn rückwärts aus dem Stand - no chance. Wenn das hier jemand liest, der Ahnung hat: bitte melden).

Da stehe ich also im Mega Stau direkt vor dem Zoo und die Möhre rührt sich nicht. Ich versuche alle Tricks. Ich steig aus, schließe die Tür, steig wieder ein, Schlüssel rein, nix. So geht das eine ganze Weile. Ich versuche, meine Würde zu bewahren und überlege, wo ich ein Vorzelt herbekomme, oder ein Zelt, in das ich uns beide unterstellen kann, denn ich werde hier übernachten müssen, vielleicht auch für immer bleiben müssen. Ich bin nicht im ADAC. Die Frau vom Bahnhof Zoo.

Die Autos vor mir fahren weiter, die Autos hinter mir müssen stehen bleiben. Irgendjemand wird mich exekutieren, lange wird's nicht mehr dauern, einer wird aussteigen und Amok laufen. Vermutlich ich selbst. Fuck, ich bin seit halb sieben im Büro, todmüde, es ist schwül, ich will nach Hause, verlange ich zuviel vom Leben? Nein, ich heul jetzt nicht. ICH HEUL JETZT NICHT.  Dabei würde ich gerne heulen, das erleichtert. Ich heule viel zu selten.

Ich trickse weiter am Auto rum, mach mich zum Klops; ich weiß ja, was die anderen denken. Irgendwann besinnt es sich und lässt sich starten.  

Erleichterung ist ein wirklich unterschätzter Gefühlszustand. Da hat noch keiner Abhandlungen drüber geschrieben. "Dangerous disease pattern in brain before facilitation" , "Die Erleichterung - manchmal besser als ein Orgasmus", "Make easing not war". Ich glaube, Kriege entstehen im Grunde durch Staus.

Am Kudamm ist alles überstanden und ich komme ohne weitere Vorkommnisse nach Hause. Dort fängt mich meine Freundin von gegenüber ab und bittet mich auf eine Zigarette in ihren Garten. Mir ist so matt und malade, aber die neuesten Skandalitäten ihres abtrünnigen Gatten höre ich mir an, bis ich endlich in meiner nunmehr teilweise schlammbraun getrichenen Wohnung ankomme, was ihr tatsächlich eine museale schöner-wohnen Atmosphäre gibt. Auf deutsch: so richtig heimisch fühle ich mich noch nicht. 

Ich lass mich aufs Sofa fallen und schlafe sofort ein. Wache wieder auf, es ist schon dunkel, mit Halsschmerzen. Wenn Erkältungen mit Halsschmerzen beginnen, wird's immer schlimm, das weiß jeder Hypochonder. Aber ich erinnere mich an das Gegenmittel, das ich auf Anraten einer Kollegin im Februar prophylaktisch erworben habe, als die Grippewelle tobte und ich wie durch ein Wunder verschont blieb. Ich benutze es das erste Mal: eine Viertelstunde später ist alles wie weggeblasen. Ein Teufelszeug, keine Ahnung, was ich mir da in die Nase sprühe, aber it works.

Nun gut, ich fühl mich wie Brei. Dagegen hilft's wohl nicht. Das Wochenende kann kommen

Donnerstag, 21. Mai 2015

Der verhinderte Geheimagent

"Und du? Du warst bestimmt auch nicht bei der Stasi?" fragte ich den Mann, den ich auf einer Party kennenlernte, vor zig Jahren, als das noch ein Thema war, wenn sich Ost und West kennengelernt haben. 
"Doch, war ich."

Ich war elektrisiert. Ein Mann, der zugab, bei der Stasi gewesen zu sein. Bis dahin hatte ich nur Widerstandskämpfer kennengelernt. Und ich bin so neugierig auf Geschichten, die mit meinem Leben nichts zu tun haben.

"Es ist nicht alles schwarz oder weiß im Leben. Mein Vater war überzeugter Kommunist, ich bin in dem Glauben aufgewachsen, im besten Land der Welt zu leben. Und das wollte ich unbedingt schützen. Also, ich hielt nichts davon, meine eigenen Landleute zu bespitzeln, aber ich wollte unbedingt Auslandsagent werden. Den Feind unterwandern, unsere Grenzen schützen. Ich glaubte damals wirklich, dass das zwingend nötig ist. Naja, dann habe ich mich beworben, bzw. haben die mich sowieso angesprochen, wegen meines Vaters und ich sagte denen, ich bin dabei, aber nur, wenn ich ins Ausland kann. Das waren unheimlich gute Gespräche mit meinem Führungsoffizier. Fast so, als wären zwei Widerständler auf einem Haufen. Der hat so eine Nähe hergestellt, hat mich alles mögliche gefragt, ich sollte ganz ehrlich darüber erzählen, was nicht so gut läuft in der DDR. Und meine Kritik hat er bestätigt. Ich dachte, ist ja toll, der hört echt zu, ich kann mit dem ja über alles reden. Der war wie mein bester Freund. Solche Gespräche hatte ich vorher noch nie geführt. Dann haben die mich testweise nach Ungarn geschickt und haben mir dann so Aufgaben gestellt. Ich sollte zum Beispiel am nächsten Tag zu einer ganz bestimmten Uhrzeit jemanden Bestimmten anrufen. Das war gar nicht so einfach, es gab keine Handys und auch kaum Telefonzellen. Und wenn du dann so blöd gewesen bist wie ich, erst 5 Minuten vorher nach einem Apparat zu fahnden, warste gleich am Arsch. Fakt ist, zu meinem damals größten Unglück ist nichts aus meiner Karriere geworden. Nach Maueröffnung habe ich mir dann meine Stasiakte zeigen lassen und da stand dann sinngemäß drin, dass ich ein unfähiges Weichei bin und deshalb von einer weiteren Verwendung abzusehen sei. Das war auch Jahre später noch wie ein Schlag ins Gesicht. Das hat ja der Mann geschrieben, den ich für meinen besten Feund gehalten habe. Mit 18 ist man so bescheuert. Die hatten das voll drauf."

Ich hatte Respekt davor, dass er das so freimütig erzählte. Dass er seine Biographie nicht nachträglich schön färbte, sondern zu seinen Irrungen und Wirrungen stand. 

Wir verabredeten uns ein paar Tage später. Saßen unschlüssig voreinander. Er ist nicht der extrovertierte Typ, eher abwartend, beobachtend. Eine gewisse Bitterkeit im Gesicht, beleidigte Leberwurst. Lippen immer leicht geschürzt, wie eine kritische Hausfrau. Sein düsteres Outfit, wofür ich durchaus eine Schwäche habe, machte das nicht wett. Seine Stasi Geschichte hatten wir ja auf der Party schon umfassend behandelt. Es musste ein Thema her, sonst würden wir ins Wachkoma fallen.

"Letztes Wochenende hatte ich den beschissensten Sex meines Lebens." 
Er wachte auf und ich erzählte die hanebüchene Story, die ich mit einem Kriminalkommissar erlebt hatte. Wir lachten uns scheckig und so begann unsere Freundschaft. Einige Jahre verbrachten wir viel Zeit miteinander, dann verloren wir uns aus den Augen. Später schrieb er mal, dass er jetzt mit einer Frau zusammen leben würde. Ich gönnte es ihm.

Nach über 10 Jahren schrieb er mir eine Mail mit einem Link, ohne Anrede, ohne Abschiedsformel, nur ein Satz: "Schau dir das mal an, sie erinnert mich an dich." Ich sah mir das an und fragte ihn, why the fuck ich ihn an diese Frau erinnere. Sie ist ganz anders als ich, sieht anders aus, spricht anders - jedenfalls verabredeten wir uns kurzerhand auf einen Kaffee. 

Was soll ich sagen, das Leben ist manchmal doch ganz schwarz oder weiß. Er steht kurz vor der Trennung von seiner langjährigen Freundin. Das macht ihn traurig, aber drum kämpfen will er auch nicht (wenn ich sowas schon höre, als ob Menschen, die man liebt oder lieben könnte, an jeder Straßenecke zu finden sind). Ganz die alte beleidigte Leberwurst. Dramatische Gründe für das scheitern konnte er mir nicht nennen, mit geschürzten Lippen starrte er in die Ferne. Lahm meinte er, sie habe das falsche Bett gekauft, ohne ihn zu fragen. Zu klein, obwohl er doch so groß ist. Das ginge nur, wenn man frisch verliebt sei. Und mit dem Rücken hat er es auch.

Betten kann man umtauschen, aber ich hatte keine Lust, einem erwachsenen Mann nahe zu bringen, was auf der Hand liegt. Wenn er sich nicht bemühen mag.... seine Sache. Wenn er sauertöpfisch in die Gegend gucken will... geschenkt, jeder wie er kann. 

"Wann hast du Zeit nächste Woche? Montag?"
"Nee."
"Dienstag?"
"Auch nicht."
"Ich könnte auch Mittwoch."
"Mal schauen."

Er hat nicht weiter insistiert, worüber ich erleichtert bin. Seine bevorstehende Trennung möchte ich nicht abfedern. Er lacht noch weniger als früher. Er lächelt nicht mal mehr.

Donnerstag, 14. Mai 2015

Le Petit Thriatlon

Noch vor dem Frühstück ins Freibad, um eine Stunde zu schwimmen. Auf der Fahrt beschlossen, dass ich auch eine Stunde Rad fahren und eine Stunde laufen werde. 
 
Als ich ins Becken stieg, schnappte ich nach Luft und dachte "What the fuck mach ich hier eigentlich?". Wassertemperatur 18 Grad, Luft 14. Als ich ganz ins Wasser glitt, war ich augenblicklich schockgefroren. Meine Glieder wurden schwer und ich wusste jetzt, weshalb erfrieren der angenehmste Tod sein soll. Man wird müde und gleichmütig. 
 
Selbst dass ich das Becken mit nur zwei anderen Menschen teilen musste - was meiner Traumvorstellung vom Becken-ganz-für-mich-allein schon ziemlich nah kommt, blieb mir wurscht (wobei mir auffällt, dass sich meine "Traumvorstellungen" häufig darum drehen, irgendwas ganz allein zu machen - auf welche Persönlichkeitsstörung das hindeutet, wird noch zu eruieren sein).
 
In Zeitlupe schwomm ich 50 Meter hin und her und her und hin, nach 45 Minuten war meine Ganzkörpergänsehaut rasiermesserscharf. Kurz bevor ich voreilig mit dem Leben abschließen und mich final dem Chlorwasser überantworten würde (noch weitere 10 Minuten und ich hätte ein weißes Licht gesehen), rettete ich mich zitternd in die Dusche. Dort erlitt ich Verbrühungen bei lauwarmen Wasser.  
 
Zuhause gefrühstückt und weiter gefroren. Eigentlich wollte ich nun laufen. Aber ich war so müde, dass ich mich lieber noch mal ins Bett legte. Gegen 14 Uhr wurde ich wach. Im Koma Wochenendeinkauf absolviert. Um 17 Uhr im Kino verabredet, da wäre ich gerne hingeradelt, aber inzwischen goss es wieder wie aus Eimern. Ich hätte noch eine Stunde laufen können, aber bleiern starrte ich Löcher in die Luft.  
 
Im Kino fast eingeschlafen. Anschließend essen gegangen. Ente kross, süß sauer. Und mit Cola wird der Durst erst schön. Dabei hatte der Tag so ambitioniert begonnen. 
 
P.S. Kürzlich meiner Mutter vom Blog erzählt. "Ja, hat denn irgendeiner Zeit, das alles zu lesen?"

Sonntag, 10. Mai 2015

Die Tränen eines Mannes...

...sind der Whiskey an der Bar und die Frauen für eine Nacht, sagt man. 

Aber es gibt auch noch andere Trauerbewältigungsstrategien und zwar von Witwern, genauer gesagt, dem Vater einer Freundin. Deren Mutter ist kürzlich gestorben und als ob das nicht schon schlimm genug ist, lüftete der Vater ein Familiengeheimnis, kaum dass sie zwei Minuten nicht mehr von dieser Welt war. Und das kam so:

Die Krankenschwester kam in das Zimmer und öffnete das Fenster, "Damit die Seele..." - "Wen sie jetzt wohl alles trifft, da wo sie hingeht?" Der Vater schnaubte: "Ick weeß schon, wen'se trifft. Heinz!" 

In der Folge stellte sich heraus, dass die Mutter eine zwanzigjährige Affaire mit Heinz hatte, die aber vor dreißig Jahren beendet wurde. Der Plan der beiden Liebenden war, abzuwarten, bis die Kinder tot groß genug sind, um sich scheiden zu lassen. Nach 20 Jahren gestand die Mutter ihrem Mann allerdings den Betrug. Der Vater rief sofort die Frau von Heinz an, worauf Heinz den Kontakt zur Mutter abbrach und nie wieder ein Wort mit ihr sprach. Im Dezember starb er. 

Nun ist der Vater nach über dreißig Jahren geradezu besessen von dem Thema. Er kramt in ihren Sachen und findet Indizien. Meine Freundin nennt das "die retrospektive Scheidung". Er findet unaufhörlich Anhaltspunkte für ihren liderlichen Lebenswandel. 

"Hier, nu sieh dir das an: ein BH für 45 €, für 45 €, hat man Töne? Zuwas hat sie wohl so teure Wäsche gebraucht, das frag ich dich."
"Papa, den habe ich mit ihr zusammen gekauft, als sie Brustkrebs bekam!"

"Und hier, 10 Packungen Strumpfhosen, ungebraucht, will mal wissen, woher sie das Geld für sowas hatte."
"Papa, das war ein Sonderangebot." 

"Das Kleid hier, das hatte sie niiie an, da durfte sie wohl nur Heinz drin sehen. Und guck mal, die Briefe hier, die hat sie ihm alle geschrieben und nie abgeschickt und ein Märchen über die Geschichte hat sie auch noch geschrieben."
"Papa, das will ich alles gar nicht wissen, ich bin dein Kind, das musst du deinen Freunden erzählen."
"Ja, hab ich auch schon überlegt. Das ist nichts für die Kinder. Haste Recht. Aber kuck mal, was ich hier gefunden habe, Briefe von Heinz, musste unbedingt lesen."

Während sie mir das erzählte, liefen wir in der Märkischen Schweiz umher (und begegneten pausenlos Wanderern, die am 100-Kilometer-Lauf-ohne-Schlaf teilnahmen. Einer war extra aus Bayern angereist und lief mit offenem Hosenstall, damit die Hose nicht an den Oberschenkeln scheuert - was das eine mit dem anderen zu tun hat, ist mir ein Rätsel)

Zurück zum Thema: ich lachte und lachte, weil es so absurd ist und sie ihn lebensecht nachmachte in seiner grenzenlosen Empörung. Ich kenne ihn, ein Mann von äußerst schlechten Benehmen, ein Tyrann, der nie gesprochen hat, immer nur gebellt und Leute, vorzugsweise seine Frau brüsk angepflaumt hat. Eine Scheidung kam für ihn, wie bei Helmut Schmidt, nicht in Frage. Ehrenkodex oder so. 

Ich meinte, dass es doch tragisch ist, dass er sich mit seiner ewig schlechten Laune selbst verbaut, dass auch nur ein Mensch zu ihm sagt "Das tut mir leid, muss schlimm für dich gewesen sein." und dann herzlich drückt. Ja, sagte sie, sehr tragisch, vor allem fürchte sie, dass er langsam aber sicher psychotisch wird, er beschäftigt sich mit nichts anderem und fördert Tag für Tag neue 'Beweise' ans Licht.

Für sie ist es, als ob sie ihre Mutter ganz neu kennenlernt. Das Geheimnis meiner Mutter hat sie mir schon zu Lebzeiten gestanden, wie sie damals... aber lassen wir das.

"Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Tolstoi

Donnerstag, 7. Mai 2015

Mein Leben in der Küche

Wie versprochen ist die Decke gestrichen, am Freitag werden die Wände gemalert. Das Wohnzimmer ist verwaist, das Schlafzimmer zugerümpelt, allein Bad und Küche bieten den gewohnten Komfort. Komme ich heim, sitze ich in Nachbars Garten, auf dem Balkon, später in der Küche. Komisches Leben. Ich geh ganz schön früh ins Bett und werde ganz schön früh wach.

Meine Wände sind so dick, dass ich ab und an mit dem Tablet ins Wohnzimmer gehen muss, um wieder Verbindung zum Netz zu bekommen. Während ich dies schreibe, bricht sie wahrscheinlich gerade wieder ab, mal sehen, ob der Text zu retten sein wird. Das tippen auf dem Tablet nervt, aber wenigstens keine Sicherheitsupdates, die mich ausknocken. 

Aber das sind alles Peanuts, während wir am Samstag feierten, ist 300 Meter entfernt ein Nachbarmädchen vor dem Bus auf die Straße gelaufen, wenn sie überlebt, weiß man nicht, was von ihr übrig bleibt. Eine Sekunde kann alles verändern. Eine Sekunde Unaufmerksamkeit und du endest als Gemüse in deinem Leben. 

So gesehen will ich mich nicht beschweren. Es gibt weiß Gott überhaupt nichts, worüber ich mich zu beschweren habe. Alles eine Frage der Relation. Morgen ist schon Freitag, Samstag kommt das Sofa und Sonntag gibt es eine kleine Einweihung. Eine Hochzeit muss geplant werden, schnatter, schnatter. Das Leben ist schön. Bis jetzt ist alles gut gegangen, relativ gesehen. 

Mittwoch, 6. Mai 2015

Im Land der Interpretationen

Alles ist ganz leicht mit ihm. Er gefällt mir, obwohl ich keine Visionen davon habe, ihn zu küssen, was eigentlich ein schlechtes Zeichen ist, jedenfalls für eine wie auch immer geartete Beziehungsanbahnung. 

Ein perfekter Tag. Alles in der Balance, nicht zuviel, nicht zu wenig. Vielleicht will ich ihn irgendwann mal, ääh, küssen. Vielleicht auch nicht. Das weiß man vorher manchmal nicht. Ist auch gar nicht wichtig. So oder so ein interessanter Mann.

Ich bin so entspannt, dass ich beim Abschied sage, was ich denke. "Das war echt schön, ich hoffe, wir sehen uns wieder." Mir fällt sowas immer leicht, solange ich nichts will.

Er steht sehr dicht vor mir, während ich das sage, hat die mitteleuropäische Armlänge überschritten, während ich am Auto gelehnt stehe. Er schaut belustigt auf mich runter und antwortet "Bestimmt."

Bestimmt? Seine Stimme wird tiefer auf der Betonung der zweiten Silbe. Es fühlt sich an wie eine Abfuhr. Ich bin irritiert, von Null auf Hundert. Das passt nicht zu den acht(!) wie im Flug vergangenen Stunden. Er nimmt mich in den Arm, kurz, nicht zuviel und nicht zu wenig. Das hat er drauf.


Ja, Männer, so macht man sich bei Frauen interessant. Für Irritationen sorgen. Das bringt die gelassenste Frau aus dem Tritt. Egal, wie gleichmütig sie eben noch gestimmt war, was eure Person betrifft, damit kriegt ihr sie bombensicher. Da wird sie wach und denkt "Örgs, habe ich was verpasst? Ich find den nett und der mich nicht? Ich glaub, den will ich heiraten."

Freitag, 1. Mai 2015

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs

Habe Maßnahmen ergriffen. 

Einen Maler bestellt, der mir die ganze Bude streichen soll. Hab keine Eile, sage ich. Lass dir Zeit, ruf an, wann du loslegen kannst.

Ein Sofa gekauft. Wird übernächsten Samstag geliefert.

Mein altes Sofa bei Ebay Kleinanzeigen reingesetzt. Eine Stunde später ist es verkauft. "Ich hole es morgen ab" - "Morgen geht nicht, am Samstag ist hier Party, und zwar keine Stehparty. Erst Sonntag möglich" - "Geht nicht, wir ziehen morgen um und dann haben wir einen Transporter." Ich knicke ein. Bin auch nur ein Mensch.

Merke: Nachricht an alle, Klappstühle mitbringen. 

Verabrede mich in einer freien Minute für Sonntag Mittag. Termin alternativlos. Kann man nix machen.

Das Sofa wird abgeholt. Denke, wie günstig, dann könnte der Maler jetzt doch kommen, das Zimmer ist so gut wie leer, das ist doch auch für ihn schön. 

Ich rufe ihn an. Er kann kurzfristig am Montag, Decken streichen in Wohnzimmer und Büro, am Freitag die Wände. Anders kann er nicht. Eine Woche Chaos and this is just the beginning. Ich sage zu.

Merke: Verbabrede dich nächste Woche jeden Abend, zuhause kriegst du Schreikrämpfe.

Dann denke ich nach. Zu spät. Rekapituliere: Samstag Stehparty, Sonntag aufräumen, aufrüschen, Büro ausräumen, Vorhänge, Bilder, Regale und all den Rotz irgendwie entmaterialisieren. 

Merke: Das ist kein Herzinfarkt, das ist nur Einbildung. Du wirst weiterleben. Du wirst uralt. 

Ich denke neu nach. Sonntag all als Geraffel, geht gar nicht. Genau, räume ich doch heute das Büro leer. Können da auch ein paar rumstehen. Alles ins Schlafzimmer. 

Was bleibt zu tun? Backen, schnippeln, das Übliche. Alles heute. Morgen will ich mit all dem Krempel nichts mehr zu tun haben. Da will ich nur Gäste erwarten. Alles andere überfordert mich. 

Sauber geplant. Mit Bedacht. Nicht.

Merke: Hör auf zu prokrastinieren und fang endlich an. Schalt die verfickte Kiste aus, aber dalli. Du kriegst sie wieder eingestöpselt, ganz bestimmt.