Donnerstag, 29. Oktober 2015

Hit & Shit

Heute früh bin ich extra aufgetakelt ins Büro gefahren, weil ich abends auf eine Gala eingeladen bin. Nicht, dass ich jemals auf einer Gala gewesen wäre oder dergleichen zu meiner Freizeitgestaltung gehört. Ich werde seit vier Jahren eingeladen und habe es kein einziges Mal geschafft, hinzugehen.

Weil, gegen 17 Uhr will ich eigentlich nur noch nach Hause, manchmal oft schon um 14 Uhr. Ehrlich gesagt, überlege ich jeden Morgen, ob ich überhaupt losfahre. Außerdem ist es nicht mehr ganz leicht, die morgendliche Blüte über den Tag zu retten und bis in die Abendstunden zu konservieren. Aber diesmal bin ich fest verabredet mit einer Kollegin, die verrückt nach Galas ist. Ich werde wohl nicht rauskommen aus der Nummer.

Da ich tagsüber einen längeren Außentermin habe, das sogenannte Hit & Shit Treffen mit einem externen Partner einer großen Veranstaltung, war ich guter Dinge, den Tag leicht zu überstehen, denn Außentermine ordne ich eher unter Vergnügen ein.

Ich hatte jedoch außer acht gelassen, dass Cheffe dabei sein wird. Wir sind zu dritt und werden in den Besprechungsraum geführt. Cheffe stürzt sich umgehend auf das kleine Buffet, das aufgebaut ist. Unsere Gastgeber sind noch nicht im Raum, da ist die Hälfte weggefressen. Ich schau angewidert aus dem Fenster. 

Dann kommen unsere Gastgeber, setzen sich uns gegenüber, wir beugen uns über die Papiere, sprechen über das, was gut und schlecht gelaufen ist. Cheffe daddelt weit zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen auf seinem Handy. Er ist nun satt und muss verdauen. 

Wir versuchen, einen Termin für das nächste Jahr zu finden. Allzu große Zeitfenster haben wir nicht. Cheffe meldet sich zu Wort, er will einen ganz anderen Tag, einen, den die Externen nicht möglich machen können. Er besteht darauf, alle gucken ratlos. Außerdem will er ein anderes Konzept. "Was stellst du dir vor?" fragt sein Äquivalent von der gegenüberliegenden Tischseite. "Keine Ahnung, ist auch nicht mein Job, mir was auszudenken." Ach nein, wessen Job ist es wohl dann? 

Sein Gegenüber lässt nicht locker, irgendeine Vorstellung muss er doch haben. Nein, hat er nicht, er wird sauer und daddelt weiter. Als ihm langweilig wird, täuscht er ein Telefonat vor, verlässt den Raum, kommt wieder rein, sagt "Wir müssen gehen." - wir sind mittendrin in der Planung, scheiß drauf, der gnädige Herr hat genug. So sinnlos seine Anwesenheit ist, so sinnlos sein Aufbruch.

Zwei zähe Stunden und ich weiß, ich will auf keine Gala mehr. Wir fahren zurück, er beschwert sich über die idiotischen Partner, die nichts drauf haben, keine Ideen, keine Flexibilität, keinen Mumm haben und außerdem stinkfaul sind.

Im Büro ruft meine Kollegin an, Hexenschuss, sie kann leider doch nicht - ich atme auf. Gottseidank habe ich mein Handy zuhause vergessen, sonst hätte ich mich verpflichtet gefühlt, nach Ersatz zu fahnden. Ich mache noch ein paar Versuche, die zwei Karten an Kollegen zu verschenken, gehe zu einem Abteilungsleiter, der ein ähnlich guter Esser wie Cheffe ist, nur viel sympathischer. Er ruft hocherfreut seine Frau an, ich gehe ins Nachbarbüro auf einen Schwatz. Nach ein paar Minuten kommt er rüber und sagt, seine Frau hat keine Lust oder Zeit, aber "Wir zwei könnten ja gehen!" Gott bewahre! Auf Galas gehe ich nicht als Subalterne mit einem Vorgesetzten, da kann er noch so nett sein. 

Der letzte Versuch stürzt mich in Nöte: ich rufe einen Kollegen an, den ich für einigermaßen vergnügungssüchtig halte und der eine bildschöne, galataugliche Ehefrau hat und habe den am Hörer, für den ich eine Schwäche habe und der denkt, dass ich eine Begleitung suche "Ich kann leider nicht." Ich altere um 20 Jahre, so peinlich ist mir das (jetzt bin ich also schon seine Großmutter). Nein, erkläre ich, versteh mich nicht falsch, ich will beide Karten verschenken.  

Das glaubt der mir doch nie, Hölle, tu dich auf, der kennt mich doch gar nicht und weiß nicht, dass ich ums Verrecken und in tausend Jahren nicht schwachsinnig genug sein werde -  jeden anderen Mann auf dieser Welt würde ich fragen, aber niemals ihn, selbst mit Alzheimer Vollbild nicht.

Erschöpft fahre ich aufgetakelt nach Hause, langsam, ich habe keine Eile mehr, halte nur kurz an der Tankstelle für Zigaretten. Der Tankwart schaut mich ein bisschen erstaunt an und wünscht mir extra herzlich einen schönen Abend. Ich verschwinde in den nebligen Abend und denke, wenn ich was drauf hätte, Ideen, Flexibilität oder nur etwas Mumm, dann wäre ich allein auf die Gala gegangen.

Dienstag, 27. Oktober 2015

Jetzt ist er weg

Als er zu uns kam, als studentische Hilfskraft, habe ich ihn nicht besonders beachtet. Das lag auch daran, dass er nur in den frühen Morgenstunden gearbeitet hat und gegen 10 Uhr spätestens Feierabend hatte. Er schnippelte und klebte den Pressespiegel zusammen. 

Ich bekam mit, dass Cheffe ganz hingerissen von ihm war. Und er selbst von der Kollegin, mit der er in einem Zimmer saß. Er flirtete so wild wie erfolglos mit ihr. Sie wies ihn flapsig zurück, was er gelassen und gutmütig hinnahm. Gelassenheit war überhaupt die Eigenschaft, die ihn auszeichnete. Nichts, was ihn für mich einnahm, zunächst. Im Gegenteil, ich fand ihn nicht gelassen, sondern gleichgültig. 

Er verwandelte seinen Schreibtisch in eine Müllhalde und den Platz zu seinen Füßen ebenso. Essensreste, Klopapier, Zeitungsschnipsel, Klebestifte häuften sich um ihn. Er hatte viel Ahnung von Musik, die mir gefällt und nahm freundlich, ohne mit der Wimper zu zucken, den Tipp von Bling Bling entgegen, dass Al Bano und Romina Power in der Waldbühne spielen. Wenn sie mir diese Neuigkeit von Weltrang mitgeteilt hätte, wäre mir das einen Blogeintrag wert gewesen, so sehr hätte ich darüber gelacht; heimlich natürlich, um sie nicht zu kränken. So wie ich ja auch all ihre Geschenke klaglos entgegen nehme und aufgegeben habe, ihr zu sagen, dass ich nicht auf Engeltassen stehe. 

Nach einem Jahr friedlicher Ko-Existenz (wobei der Frieden eher auf meiner Seite herrschte - ich glaube, dass ich ihm furchtbar auf den Zeiger gegangen bin mit meinem Gemecker, dass ein Büro keine Sondermüll-Deponie ist), erhob Cheffe ihn zu seinem Stellvertreter. 

Wir waren geschockt, weil wir bisher nichts an ihm festgestellt hatten, was ihn für diese Position prädestinierte und kaum zu vermitteln war, dass er nun der "kleine Chef" war. Seine gelassene Gleichgültigkeit brachte mich auf die Palme und ich bewachte ihn wie einen Schießhund. Termintreue war nicht sein Ding und ich bin die Termintreue in Person. Dafür werde ich bezahlt: überwachen und vorbereiten. Ein kluger Chef würde den Boden küssen, auf dem ich gehe. Weder bereitete er etwas vor, noch interessierten ihn seine Aufgaben. Da Cheffe vom selben Stamm war, sprang ich im Quadrat, weil ich nun zwei Chaoten zu bewältigen hatte.

Mir wurde geraten, die zwei gegen die Wand laufen zu lassen, was ich aber wegen meiner niedersächsischen oder sonst was für Gene nicht geschafft habe. Einmal ließ ich es darauf ankommen und sagte bis zwei Tage vor einer wichtigen Veranstaltung nicht, dass er etwas ganz Elementares vergessen hatte: die Einladung zu verschicken. Dann gab ich auf und rief ihn an. "Ah, ja, gut, mach ich." 

Ich platzte vor Wut, rannte in sein Zimmer und brüllte, dass, wenn ich schon seinen Arsch rette, will ich verdammt noch mal ein Dankeschön hören und überhaupt verdiene ich weitaus weniger als er, worauf er mich gleichmütig unterbrach, dafür könne er ja nichts. Ich schnaubte, für die paar Kohlen will ich nicht auch noch seinen Job machen. Am nächsten Tag brachte er mir ein Snickers mit.

Monatelang sprang ich um die Beiden herum, erinnerte hier und da und doppelt und dreifach, sie vergaßen alles, sobald ich aus der Tür war - schlau waren sie ja, sie wissen, auf mich ist Verlass. Ich war mit den Nerven am Ende und alle anderen auch, denn ich leide so gut wie nie leise. Ich war kurz vorm überschnappen, als Cheffe mich zur Seite nahm, ich solle ihm einfach mal vertrauen. Ihn hatte er auch zur Seite genommen und ihm erzählt, dass er mir befohlen habe, zu vertrauen. 

Wir hatten ein Gespräch und versprachen uns, dass ich ab jetzt mehr Vertrauen haben werde. Ich dachte, jaja, am Arsch die Räuber. Ich zwang mich täglich mehrmals, zu vertrauen. Boah, war das schwer. Aber in allerletzter Sekunde rettete er sich immer irgendwie raus. Ich lernte, dass ich vertrauen kann, auch wenn jemand nicht so anal (oder oral, was weiß denn ich) gestört ist, wie ich. 

Peu à peu lernte ich seine Gelassenheit zu schätzen, sogar die Vorteile zu sehen, vor allem, als er in einer mehrmonatigen Abwesenheit von Cheffe offiziell seine Position einnahm. Whow, dachte ich, so ein netter und immer freundlicher Mann. Kommste heute nicht, kommste morgen auch nicht. Läuft aber trotzdem alles. War eine sehr entspannte Zeit. Wozu also die ganze Aufregung? Konnte ich mir sparen. Ich lernte eine ganze Menge über mich. Lauter blöde Sachen. Wie extrem nervig ich sein kann, zum Beispiel, wo ich mich doch vorher für die perfekte Kollegin gehalten habe. Aber das bin ich nur für die, die ähnlich gestrickt sind wie ich. 

Ich mochte, dass man von ihm niemals ein Messer in den Rücken bekommen würde. Dass er niemals auch nur ein schlechtes Wort über jemanden sagte. Dass er sich nie an Tratsch beteiligte. Dass er jedem vollkommen unvoreingenommen begegnete (unter anderem ja auch mir). Dass er so ein begeisterter Suppenliebhaber war. Dass er meine temporäre Hysterie mit einem Lächeln abmoderierte, mit einem kaum spürbaren Hauch von Distanz - so wie ich Bling Bling nicht kränken mag, so wollte er auch mich nie kränken. 

Ich zog mich vollständig aus seinen Geschäften zurück, was so auch nicht ganz in Ordnung ist, aber zu unser beider Seelenfrieden eine Menge beitrug. Was soll ich sagen, es lief, sogar richtig gut. Mir wurde völlig gleichgültig, womit er betraut war. Er ist ja schon groß, dachte ich, wenn er mich braucht, wird er schon fragen.

Dann passierte das Allergrößte: er bot mir an, sein Einzelbüro mit meinem fucking Durchgangsbüro zu tauschen. Ihm sei das egal und er wisse doch, dass ich mir wünsche, allein zu sitzen. Ich bekam den Mund nicht mehr zu. Was für eine Geste! Werde ich ihm nie vergessen. 

Als uns vor ein paar Wochen Cheffe mit ernster Miene zu einem außerplanmäßigen Meeting bestellte, lief mir ein freudiger Schauer über den Rücken. Endlich! Endlich würde er kündigen. Ich war mir ganz sicher und hatte große Mühe, meine Ekstase zu verbergen und legte weitsichtig eine Maske des Bedauern auf. 

Tja, und dann kündigte nicht Cheffe, sondern er, mein liebgewonnener Kollege. Ich bin untröstlich seitdem. Weil er nicht nur mich befriedet hat, sondern auch Cheffe. Er ist in der Lage, jedem zu geben, was er braucht. Ich kann will nur Menschen geben, was sie brauchen, wenn ich sie mag. Sie müssen nicht mal mich mögen, es reicht, wenn ich sie mag. Er war ein Bindeglied zwischen Cheffe und mir und gab uns paritätisch ein Forum. Ich bin mir sicher, wir kotzten uns beide bei ihm aus, aber davon erfuhren weder Cheffe noch ich ein Sterbenswörtchen. 

Gestern war sein letzter Tag und abends lud er uns in eine japanische Suppenküche ein - what else?

Jetzt ist er weg und ich bin wieder allein, allein  - mit Cheffe. 

Was ich nie erfahren werde... ob sein ausgleichendes Temperament nun an seiner Gelassenheit oder Gleichgültigkeit lag. Oder an guten Drogen.

Sonntag, 25. Oktober 2015

Samstag ist ein Arschloch

Ich geh auf einer kleinen Seitenstraße, eine Katze kommt mir entgegen. Sie stoppt und starrt auf die gegenüberliegende Seite. Dort geht eine Omma mit ihrem Hund in die gleiche Richtung wie ich.

Die Omma ruft: "Sie hat ihn erkannt, sie erkennt ihn immer."
"Aha."
"Sie kenne ich auch. Ich seh Sie doch öfter hier."
Ich war noch nie hier. Sie denkt offenbar, die Katze ist ein Hund und ich führ ihn spazieren. Sie will ein Gespräch von Frauchen zu Frauchen. Jetzt bloß nichts substanzielles  antworten.
"Sie kennen doch auch meinen Hund."
 Nein, kenne ich nicht. Ich geh schneller. Sie passt sich meinem Tempo an.
"Ich kenne Sie! Mein Hund hat Sie auch erkannt."
 Es wird gruselig. Verrückte erschrecken mich immer.

Zufällig läuft mir eine ehemalige Kollegin über den Weg. Sie erzählt mir von ihrer Tochter. 
"Sie ist jetzt aus Köln nach Magdeburg gezogen. Ganz blöde Sache."
"Warum denn?"
"Ihr Freund hat nur dort einen Studienplatz gefunden. Sie ist ihm gefolgt. In Köln hatte sie so einen tollen Job, jetzt verdient sie viel weniger. Und Magdeburg ist so langweilig."
"Das ist ja blöd."
"Und er isst soviel. Er ist ja so groß. Frisst ihr die Haare vom Kopf. Er hat immer Hunger."
"Wieso, hat er kein Geld?"
"Seine Eltern sind stinkreich, die wissen gar nicht wohin mit ihrem Geld, aber aus erzieherischen Maßnahmen geben sie ihm nur 300 €. Er kriegt ja kein Bafög, weil die soviel Kohle haben. Er zahlt nur 150 € zur Miete, alles andere zahlt sie."
"Und hat er keinen Job?"
"Nein, das ist ihm zuviel, neben dem Studium."
"Und jetzt füttert deine Tochter ihn durch?" 
"Ja. Und jetzt geben wir ihr noch etwas dazu, damit die beiden durchkommen."
"Nicht dein Ernst. Ihr finanziert einem Schnösel das Studium?"
Sie steht mit hängenden Schultern vor mir und nickt. "Indirekt."

Später bei Saturn. Brauche einen neuen Föhn. Probiere ganz viele aus. Da gibt es Unterschiede, vor allem in der Geräuschentwicklung. Den, den ich will, gibt es nicht mehr. Der Verkäufer packt mir das Vorführmodell ein. Ich kann nicht in so kurzer Zeit eine neue Entscheidung treffen, ich hab ja schon fünf Jahre für diese gebraucht. Während er nach hinten geht, probiere ich die Massagematten aus, die auf Stühlen liegen. Es ist Wochenende, die Luft brennt.

Danach gehe ich in die Musikabteilung und höre mir "After Dark" über Kopfhörer an, entscheide mich gegen einen Kauf. Ich kann CDs nicht leiden, auf der mir nur ein Lied gefällt und wenn es noch so gut ist. 

Kaufe mir ein Fräulein-Rottenmeier-Kleid. Bisschen Seventies. Nice outfit. Ich muss am Montag irgendwie blendend aussehen. Keine Sorge, wird hier kein Modeblog. Ich erzähl nur von meinem fulminanten Samstag. 

Zuhause angekommen, geh ich in den Wald, laufen. Nach langer Zeit mal wieder. Ich muss übers Wochende 10 Kilo abnehmen. Nun ja. Mit laufen hat das nichts zu tun. Ein Mann, der mindestens 20 Jahre älter ist, überholt mich zweimal auf meiner Runde. Leichtfüßig, im Fluss, lächelnd. Rentner sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. 

Danach leg ich mich aufs Sofa und schlafe augenblicklich ein. Das Telefon weckt mich, meine Abendverabredung. Ich sage ab, todmüde, ein schwacher Moment. Nichts scheint mir verlockender, als einfach liegen zu bleiben. Lege auf und bin - was sonst - hellwach, auf eine öde, bräsige Art. Es ist 18 Uhr, die Nacht ist jung.

Was hab ich mir nur gedacht? Vergessen, dass ich auf keinen Fall an einem Samstag absagen darf. An jedem anderen Abend, aber nicht... Der Samstag ist das scheiß-fucking Weihnachten der Woche.

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Will you still need me?

Immer wenn meine Großtante Elsbeth aus der DDR auf Besuch zu uns nach Niedersachsen kam, sah ich sie mitleidig an und dachte mir "Die Arme, ihr Leben ist vorbei, während meins ein einziges Abenteuer ist." Dasselbe dachte ich auch beim Anblick meiner anderen Tanten und Onkel, denen ich jegliche Lebensfreude absprach. 

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass noch irgendwas nennenswert erfreuliches in ihrem Leben stattfindet - denn mit meinen langweiligen Eltern am Tisch zu sitzen und uns dabei zuzusehen, wir wir uns am späteren Abend aufmachten, um wirklich was zu erleben - das konnte ja kaum der Weisheit letzter Schluss sein. 

Mein vor mir liegendes Leben erschien mir wie eine einzige Verheißung. Das der Alten wie eine ozeanische Ödnis. 

Wenn man jung ist, ist man doof. Man weiß erst später, dass man nicht so weise war, wie man dachte. Das eigene Altern zeigt einem, wo der Frosch die Locken hat. Unter anderem findet man schön, mit Freunden am Tisch zu sitzen und deren Kindern dabei zuzusehen, wie sie sich in die Nacht empfehlen.

Aber darüber schweigt man. Über nichts wird soviel geschwiegen, wie über das eigene Altern und die grässlich banalen Auswirkungen und plötzlich auftretenden Hemmnisse, mit denen man zu kämpfen hat und die in der Gesamtsumme wirklich kein Spaß sind. Gottseidank ist man nicht allein damit, die Freunde altern mit und neugierig beobachtet man am anderen, wie er sich "entwickelt". Noch ist alles im grünen Bereich, die richtig schlimmen Sachen folgen noch, aber dass die Schwerkraft ihr übles Werk an uns verrichtet, haben wir bereits zu verkraften.

In den letzten Tagen wurde eine Menge Gutes und weniger Gutes zum Thema geblogt:

Der Kiezneurotiker machte den Anfang. Daraufhin schrieb das Narrenschiff erst eine - für meinen Geschmack - weinerlich anmutende Antwort und schob dann einen Text hinterher, dem ich begeistert zustimmte. Zuletzt schrieb Tikerscherk einen Post, mit dem ich mich ebenfalls vollumfänglich (das Wort wollte ich schon immer mal unterbringen) identifizieren kann.

Man kann Menschen wegen einiger Dinge verachten. Da würden mir ganze Romane einfallen. Geschenkt. Herabwürdigung aufgrund des biologisch nicht aufzuhaltenden Prozess des Alterns gehört nicht dazu. 

Ja, wir werden alle alt – wenn wir Glück.. oder Pech haben – ein jeder mag das sehen, wie er will. Und ja, wir werden nicht schöner und eines Tages – wenn unser Milchsäurehaushalt vollends durcheinander gerät, duften wir auch nicht mehr so gut. 

Aber das ist nichts, was verachtenswürdig ist. Wir kommen auf die Welt und brauchen Schutz und wenn wir alt werden, brauchen wir wieder Schutz. Und jeder alte Mensch war mal ein junges glattes Ding, hat geliebt, gestritten, gezweifelt. War schlau oder blöd, hatte Humor, überlebte seine persönlichen Waterloos, wurde begehrt und verlassen und die Summe all dessen sind Falten – so what?

Wir sind dazu verdammt, in der Lebensphase die meiste Kraft aufbringen zu müssen, in der wir am schwächsten sind und immer schwächer werden. Jeder alte Mensch führt einen mutigen Kampf, muss Einsamkeit aushalten, endlose Tage, Krankheiten, dieser ganze Dreck, der dazu gehört. Da noch Gülle drüber? Nö, muss nicht.

Sonntag, 18. Oktober 2015

Lass mich, ich kann das............... Oh, kaputt

Die Auftragsmörderin hütet mal wieder die Villa. Da habe ich ihr gleich von meiner Vision erzählt, wie wir vor der one-Million-Dollar-Glotze logieren und anspruchsvolle Problemfilme gucken. Fein, sagt sie, ich koch 'ne Kürbissuppe und dann schauen wir Apple-TV. Ich zermanschte als Mitbringsel zwei Avocados und nannte das Guacamole. Als ich die Villa betrat, erfasste mich wohliges Saturday Night Fever. Der Abend konnte beginnen.

Der Villenhund harmoniert auf das Schönste mit ihrem Hund. Sie spielen. Ein Euphemismus, denn eigentlich rasen sie die ganze Zeit über Tisch und Bänke und tun so, als ob sie sich an die Kehle wollen. Dabei fletschen sie die Zähne und geben bedrohliche Laute von sich. So ein Tier ist eben kein Mensch und so harmlos sie ansonsten erscheinen, war mir dann doch nicht recht, wenn sie ihre Kampfhund-Arena allzusehr in die Nähe meiner Kehle legten. Wir lagen auf niedrigen Sofas, die keine Lehne haben. Ich verbarrikadierte mich zum Schutz mit dem Klavierhocker. Nachher beißen die versehentlich mich, dann fließt Blut und aus Spaß wird Ernst. Siegfried und Roy ist das auch passiert.

Anyway, nach der Suppe und den Mantsch-Avocados suchten wir uns einen Film aus. Sie drückte auf "leihen" und es erschien "Film wird geladen" und dann "Es konnte leider keine Verbindung mit dem Server hergestellt werden". Ich mach's kurz: kein Film. Sie schleppte ihren Laptop an, um uns über Netflix was runterzuladen. 

Auf einmal plätscherte es. Ihr Hund hatte vergessen, dass er stubenrein ist oder hielt den flauschigen Teppich für eine Blumenwiese. Sie rannte los, ich rannte los. Aber es war zu spät. Nun musste der Teppich entfeuchtet werden.



Von meiner Vision war nichts mehr übrig geblieben und so fuhr ich nach Hause, ohne die technischen Annehmlichkeiten der Villa im Herbst voll ausgekostet zu haben, mal abgesehen vom Lichtschalter im Gästeklo, den ich mein Leben lang nicht begreifen werde.

Am nächsten Tag waren wir für einen Spaziergang mit den Hunden verabredet. Ich setzte mich ins Auto, startete den Motor und in der Sekunde fiel mir ein, dass ich was in der Wohnung vergessen hatte. Ich machte den Motor wieder aus und schrie Aaaaaaargh, denn ich hatte noch was vergessen: niemals aussschalten, wenn der Gang eingelegt ist. Die Halbautomatik muss auf "N" stehen, sonst kriegt man die Kiste nicht wieder an. Ich versuchte alle Tricks, aber es war nichts zu machen.

Also auf's Rad. Gerast wie eine Blöde, ich bin eine Pünktlichkeitsfanatikerin. Von dort in den Wald und tausend Leute kennengelernt. Das war mir vorher nicht bewusst: Hundebesitzer haben jegliche Scheu verloren, fremde Menschen anzusprechen, sie überwinden dabei problemlos alle Bevölkerungsschichten und fühlen sich mit jedem wohl, der eine Hundeleine in der Hand hält. Faszinierend. 

Beim aussteigen aus ihrem Auto fiel mir mein (Dienst)-Handy runter; die bekloppte Schutzhülle war sich über ihre Bestimmung nicht im klaren, quittierte ihren Dienst und kam neben dem Handy zu Boden. Hä? Das Handy hatte aber keinen Kratzer, ich war beruhigt.

Zuhause angekommen, nahm ich das fucking Manual für das Auto zur Hand und brütete über dem Stichwortverzeichnis. Ich wurde nicht schlauer, außer dass ich nun wusste, weshalb in letzter Zeit immer zwei Schraubenschlüssel mit einer täglich geringer werdenden Zahl angezeigt werden; das ist die Service-Intervall-Anzeige. In nunmehr 13 Stunden muss das Auto zur Inspektion. Aha. Und ich dachte, es implodiert demnächst und hatte mich schon nach Schutzwesten umgesehen.

Ich ging noch mal vor die Tür, setzte mich rein und versuchte zu starten. Nichts zu machen. Ich bekam schon wieder Visionen, die diesmal mit einer Axt zu tun hatten. Ich versuchte es ein letztes Mal und verbarg dabei meine Emotionen, so gut ich konnte. Autos können sowas spüren. Ausnahmsweise trat ich dabei diesmal auf die Bremse, und siehe da, es ward Licht: der Motor schnurrte wie ein Bienchen. Geschafft. 

Wieder drin, nahm ich das Handy. Siehe da, es wurde dunkel. Bildschirm eingefroren. Nix mit Touchscreen. Fuchs, der ich bin, wollte ich das Ding einfach ausschalten, nach alter Admin-Weisheit. Danach wird es schon wieder. Aber man kann das Handy nicht einfach ausschalten, weil dann der Befehl "ausschalten" auf dem Bildschirm erscheint und erst, wenn man da drüber wischt, schaltet es sich aus. Aber wischen hilft ja nix, wenn es auf wischen nicht reagiert. Jetzt warte ich drauf, dass der Akku leer ist. Ich habe aber durch Zufall den Prototyp des am längsten haltenden Akkus. Er ist nicht totzukriegen und hält locker 48 Stunden.

Da waren sie wieder, die zwei alten Menscheitsprobleme: 
  1. Was ich hab, das will ich nicht und was ich will, das krieg ich nicht. 
  2. Irgendwas ist eben immer

Samstag, 17. Oktober 2015

„Was machen Sie, wenn Sie im Zug sitzen?“ (Gastbeitrag)


Die Deutsche Bahn fragt: „Was machen Sie, wenn Sie im Zug sitzen?“


Halb fünf aufgestanden, schlechter Start in den Tag für eine Eule. Dienstreise nach X und das am Freitag. Draußen Nieselregen. Ganz mein Ding. 

Auf der Fahrt zum Bahnhof überlege ich angestrengt, wie ich auf die Fragen meines Chefs antworten werde. Ehrlich, wie es meine Art ist, oder diplomatisch, was mir theoretisch gegeben ist, bei diesem Thema aber schwer fällt. Ich hadere mit meinem Schicksal. 

Umsteigen am Bahnhof Zoo. Mein üblicher Umsteigeweg - verbaut. Zum Ausweichen biege ich um die Ecke in die Kantstraße.

Stocke, glotze, bin irritiert.

Cirka 20 Obdachlose liegen unter der S-Bahn-Brücke und schlafen. Regen, dicht befahrene Straße, der Gehweg voller Menschen, 06:15 Uhr. In den Schlafsäcken rührt sich nichts.

27 Jahre Berlin und ich bin noch zu erschüttern. Ist eben immer alles klar in meinem Leben, kennt man - bis es vor einem liegt. 

Gedanke 1: „Scheiße, halt bloß das Maul heute. Das geht schneller als du denkst.“

Gedanke 2: „ Dagegen sind deine Probleme doch echt Panne.“

Wetze zur S-Bahn. 

Anstrengender Tag. Ich halte nicht die Klappe. Das Thema ist mir wichtig. Ungutes Gefühl auf der Rückfahrt.

Die Strecke von X nach B. ist empfangstechnisch Dunkeldeutschland. Hay Day zur Ablenkung fällt aus. Hole mir was zu futtern. Voller Bauch denkt nicht viel. 

Mümmel und schau aus dem Fenster. 

Drei Vögel auf einer Stromleitung. Was passiert, wenn einer tot von der Leitung fällt? Sehen ihm die anderen beim Fallen nach? Überlegen sie, was er noch wollte in seinem Leben? Reißen Vögel schlechte Witze, wenn es einen von ihnen erwischt? War der Vogel wichtig? Hatte sein Leben einen Sinn? Warum gab es ihn überhaupt? Macht es was, wenn so ein Vogel von der Stange fällt?

Beiß noch mal ab und bin bei mir. Mist! Scheiß auf das Leben nach dem Tod. Mit der Frage muss sich doch keiner beschäftigen. Das ist ja noch hin, im besten Fall. 

Ich sollte mich damit beschäftigen warum ich / wir / die und überhaupt jedes blöde Blatt auf dieser Welt ist. Bin sicher nicht die erste mit diesem Gedanken. Sehe mich im Alter Vorträgen zu diesem Thema lauschen. Vorher habe ich keine Zeit dazu. Bin überzeugt davon, dass so Gott entstand. Das ist ja auch zu hoch für einen Menschen allein.

Vielleicht nicht für den Vogel, wer weiß. Vielleicht wusste der mehr.

Dreh mich im Kreis und denke, schreib's auf. Dann ist es erst mal raus aus der Birne.

Tut gut. Der Tag hatte es in sich.

Aus der Reihe "Freunde, die Zug fahren" 

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Extrem rumlieging


Mal wieder im Vabali

Es gibt doch diese Handtücher, die man mit Klettverschluss über der Brust verschließt. Das trug sie. Die gibt es auch in kurz. Das trug er. Ich frage mich, über welche Kataloge (Beilage Apothekenrundschau?) gebeugt die beiden gesessen haben und zur Entscheidungsfindung gelangten und wie man überhaupt so drauf sein muss, um derartige Käufe zu tätigen. Sicherlich sah das im Katalog aus wie ein lässig um die Hüften geschlungenes Handtuch, das den Vorteil hat, nicht zu rutschen. In realiter wie ein steif vom Körper abstehender Minirock. Das hätte sie eigentlich sehen und ihn bewahren müssen. Aber nun war der Krempel gekauft und bezahlt. Sie tappten in das Kaminzimmer, setzten sich auf ein Sofa und schliefen im sitzen sein, nicht aneinandergelehnt, sondern mit dem Kopf nach hinten, sie mit offenem Mund. Ich war mir nicht sicher, ob sie noch leben oder hier gemeinsam sterben wollten. Alles Partnerlook, Handtücher, Bademäntel, Körperhaltung.

Auf dem benachbarten Sofa stierte ein hochgezüchteter, gebräunter Adonis ausnahmslos jede Frau in Grund und Boden. Minimale Mimik, maximale Verachtung. Ich nehme an, er wurde kürzlich verlassen. Oder er hatte sich verlaufen und dachte, er ist im Artemis. Sowas kann einen natürlich auf die Palme bringen.

Vollbart mit Dutt. Geht auch in schön. Blond und dunkelhaarig. Sie zeigten soviel Haut, wie es ein um die Hüften geschlungenes Handtuch ohne Klettverschluss zulässt, in leisem Gespräch einander zugewandt, drapiert auf zwei nebeneinanderstehenden Sesseln. Sehr lässig. 10 Punkte. 

Kommen wir zu den Bademänteln. Ältere Männer, die vom Schönheitsdiktat noch nichts gehört haben, laufen in gräulich verwaschenen Frotteefetzen herum, die sie zur Konfirmation bekommen haben. Oder in weißem Seersucker, das gerade mal den Po bedeckt; ungünstige Länge für einen Mann, außer er ist von Beruf Gladiator. Sicher im Hotel geklaut, von seiner Frau. Dann war da noch einer, der ein Paisley Muster zu Markte trug. Allerdings nicht das Original, sondern in Anlehnung an. Wahrscheinlich bei Karstadt erworben. Dann gibt es noch die, die keinen Bademantel haben, sich dafür von oben bis unten mit Handtüchern behängen, die ihre besten Tage ebenfalls zu vorchristlicher Zeit hatten. 

Meinen eigenen Bademantel unterziehe ich ebenfalls einer kritischen Betrachtung. Zugegebenermaßen vor langer Zeit gekauft, im längst versunkenem Tempelhofer Wäschehaus "Renate", genannt "Schlüpper-Nati". Von robuster Qualität, der auch wöchentliches Waschen nix anhaben kann, so kuschelig und schlicht wie am ersten Tag, mit einem entscheidenden Vorteil: Reißverschluss. Man ist immer auf der sicheren Seite. Ich bin keine gute Finanzministerin. Geld ist zum ausgeben da. Aber wenn noch was gut ist, sehe ich keinen Grund für Ersatz. Ich stelle fest: im Prinzip bin ich ein älterer Mann. Mein Plan: neuen Bademantel kaufen, aber dalli dalli.

Der übliche Oppa war auch da. Der sich im Wasser betont absichtslos treiben lässt, kreuz und quer, um wie durch Zufall ein bisschen Hautkontakt abzugreifen. Ich kotze im Strahl. 

Im Ruheraum liege ich auf dem Wasserbett. Kurz bevor ich wegdöse, betritt ein energisches Schrapnell den Raum und platziert sich geräuschvoll in der Nähe der Tür. Sie öffnet Tupperdosen und kruschtelt in Tüten. Ich öffne die Augen und möchte töten. Jeden, der eintritt, belehrt sie, dass man nicht zur Ruhe kommt bei diesem Lärm, den die Tür macht. Die Tür ist mir bis dahin noch nicht negativ aufgefallen. Die einzige, die lärmt, ist sie. Sie ist schlimmer als der Rasenroboter meines Nachbarn. Rechtschaffen empört führt sie Selbstgespräche über die Rücksichtslosigkeit ihrer Mitmenschen. Ich versinke in Gewaltphantasien.

Ansonsten? Im April war es sehr leer. Das war echt schön. Schön ist es immer noch. Nur zuviel Leute.  

@ Kiezneurotiker: Du hättest nicht drüber bloggen sollen.

Montag, 12. Oktober 2015

Die glücklichste Frau der Welt

Ich komme in die Arztpraxis, meine beste Freundin an der Hand. Da sie mich gut kennt und ein Menschenfreund ist, hat sie angeboten, mich zu begleiten. Kein Wunder, dass sie so beliebt ist. 

Zunächst auf die Liege zum normalen EKG. Als ich angestöpselt werde, fängt das Gerät an zu piepen wie verrückt, wegen Ruhepuls 120. Kein Wunder, denn mir gehen verschiedene Dinge durch den Kopf. Immerhin werde ich gleich erfahren, dass ich schon mehrere versteckte Herzinfarkte hatte, das lässt sich nun nicht länger verbergen, und wer bliebe dabei ruhig?

Die Arzthelferin nimmt das Ergebnis und meint, sie muss erst mal den Arzt fragen, ob ich überhaupt ein Belastungs-EKG machen darf. Wohl kaum, bei all den Herzklappenfehlern und Infarkten, die ich tapfer mit mir allein ausgemacht habe.

Wir warten, meine Freundin lenkt mich ab mit illustren Familiengeschichten, aber ich kann ihr kaum zuhören. Ich warte auf den Arzt, der sicher jede Sekunde hereinstürmt und schon den Helikopter bestellt hat, damit ich schnell ins Herzzentrum geflogen werde. 

Die Arzthelferin kommt zurück und mir entgeht ihr bedenklicher Blick nicht. Ich darf auf's Rad. Aha. Der Arzt will also jede Sekunde nutzen bis der Hubschrauber kommt. Dann haben es die Sanitäter auch leichter und wissen gleich, dass es ernst ist. Umfassende Ergebnisse, mehr Behandlungsalternativen.

Ich steige auf das Rad, werde wieder angestöpselt, es piept wie irre und ich denke, wie kireg ich nur meinen Puls runter? Nun ist Radfahren im Grunde meine Passion, es strengt mich nicht sonderlich an, obwohl es alle zwei Minuten schwerer wird und mir immerzu der Blutdruck dabei gemessen wird. Das Piepen wird immer bedrohlicher und obwohl ich das strampeln locker schaffe, überrollt mich Angst, weil das Gepiepse doch nur bedeuten kann, dass ich schon wieder einen Herzinfarkt habe, jetzt, in diesem Moment, wo bleibt denn nur dieser Scheiß-Hubschrauber? 

"Ichgannichmehr" - "Wieso, sind Ihnen die Beine schwer?" Die Beine schwer, die Beine schwer, natürlich sind sie nicht schwer, ich habe Hammer Muskeln in den Beinen, die sind nie schwer, ich hab die Beine einer Zwanzigjährigen, nur dieses Gepiepse erfüllt den Raum, es dröhnt in meinen Kopf, hört das denn niemand, kapiert sie nicht, dass ich an der Schwelle zum Tod stehe? 

"Bekommen Sie keine Luft mehr? Haben Sie ein Engegefühl in der Brust?" Hä? Was redet die denn nur? Meine Freundin schaltet sich ein "Sie hat nur Panik, sonst gar nichts." Sie schaut dabei aufs Handy, erkennt den Ernst der Lage nicht. 

Ich muss noch ein paar Minuten weiter strampeln ohne Widerstand und die Arzthelferin misst mir weiterhin den Blutdruck. Nach vier Minuten murmelt sie "130 zu 80" - das gibt mir Hoffnung, denn nach allem was ich weiß , ist es ein gutes Zeichen, wenn der Blutdruck sich nach kurzer Zeit wieder normalisiert. 

Ich darf mich wieder anziehen und nun warten wir auf den Arzt. Als er uns reinruft, schlägt mir das Herz wieder bis zum Hals, denn nun muss ich der Wahrheit ins Auge blicken, die Blutergebnisse stehen ja auch noch aus. Ich schau ihn ängstlich an.

"Dein Herz läuft tiptop, nix auszusetzen. Aber da war noch Luft nach oben, ich hätte deinen Puls gerne noch ein bisschen hochgejagt. Warum biste denn früher abgestiegen" Ja, warum sagt mir das denn keiner vorher, dass das der eigentliche Sinn ist? Dass der nach oben soll? Dass das gar nichts Schlimmes ist, sondern erwünscht, während ich arme Socke bereits ein weißes Licht sehe. Der war nie höher als 135, wie ich jetzt erfahre; für das Gestrampel ein geradezu exquisiter Wert. 

Gut, aber bei den Blutwerten, da muss doch jetzt was rauskommen, wahrscheinlich Leukämie, Zufallsbefund, man kennt das ja. "Blutbild perfekt, sagenhaft gute Nierenwerte, Nüchternzucker 90, nur Cholesterin, der ist zu hoch." Er hört mir noch die Halschlagader ab "Du hast ein echt starkes Herz." Ich muss heute noch mein Zimmer im Rosenhof abbestellen.

Aber ich gebe noch nicht auf. Wenn ich schon mal hier bin, erzähle ich von meinen geheimen Leiden. Dr. House sagt immer, jeder Patient lügt, aber ich nicht, ich lasse meinen Arzt nicht im unklaren und biete ihm eine letzte Chance, eine Notfallbehandlung einzuleiten. "In letzer Zeit ist mir morgens schwindlig, wenn ich mich auf die linke Seite drehe und dann kann ich den ganzen Tag nicht nach links oben gucken, dann wird mir wieder schwindelig." - "Dann guck halt nach rechts unten." Meine Freundin und er lachen herzlich über seinen Witz. Ich berichte weiter. "Und manchmal, da stolpert mein Herz. Da macht es hier so plupp." - "Meine Liebe, lass es beruhigt pluppen." - "Wirklich?" - "Unbedingt."

Ich seh ihn ungläubig an. "Ich muss nicht sterben?" - "Heute nicht."

Verlasse mit meiner Freundin die Praxis und will ein paar Atome spalten oder die Weltformel lösen, mir würde alles gelingen heute. Sie will ins Starbucks. Kein Problem, ich helfe, wo ich kann.

Sonntag, 11. Oktober 2015

Those were the days my friend

Den ganzen Freitag hieperte ich auf den Abend hin. Das erste Mal konnte ich meine beste Freundin nicht in Tegel abholen, die zweimal im Jahr aus den USA nach Berlin kommt, um Freundschaften zu pflegen. Jedes Mal hole ich sie ab und wir fallen uns in die Arme und lassen uns eine ganze Weile nicht mehr los. 

Diesmal Treffen in einer Kneipe. Ich komme rein und da sitzt direkt am Eingang eine frühere Kollegin, die ich bestimmt 13, 14 Jahre nicht mehr gesehen habe. Ihr Lebensgefährte, ebenfalls im selben Laden tätig, saß neben ihr, gezeichnet vom Leben und vom Krebs. Sie kroschen beide los, als sie mich sahen und ich guckte perplex. Sie umhalste mich schneller als die Polizei erlaubt, klarer Fall von Vergangenheitsidealisierung.

Genauer gesagt war sie mal meine Chefin und zwar eine von der schlimmen Sorte. Wir nannten sie SS-Sabine. Der ganze Laden fürchtete sich vor ihr. Ich war eine ganze Weile ihr Augenstern, aber als sie mich einfach nicht dazu kriegen konnte, mich an den täglichen Besäufnissen zu beteiligen (damals wurde ganztägig gequalmt und gesoffen, das musste so), konnte sie mich nicht länger akzeptieren, weil jeder Alki eifrige Mittrinker braucht, damit die eigene Sauferei nicht allzusehr in den Fokus gerät. 

Ich wurde endgültig zur Persona non grata, als eine andere junge Kollegin, die ihren Animierversuchen nichts entgegen zu setzen hatte und über die Jahre zur Vollblutalkoholikerin heranwuchs, einen Krampfanfall im Büro bekam. Ich begleitete sie ins Krankenhaus und kam am nächsten Tag mit der Nachricht zurück, dass das ein Delirium Tremens war und sie einen Entzug machen muss. Das empörte SS-Sabine, so ein hanebüchener Quatsch könne auch nur mir einfallen und es solle mal niemand den Blödsinn glauben, den ich zum Besten gebe. Fortan wurde ich mit totaler Missachtung gestraft. Das nannte man damals noch nicht Mobbing, aber sie hat's definitiv erfunden.

Ein paar Jahre später hatte ihr Lebensgefährte eine Affaire mit einer sehr viel jüngeren Mitarbeiterin. Bei jeder Begegnung schupste und rempelte SS-Sabine die "Schlampe" an und als diese sich beim Betriebsrat beschwerte, sprach der Vorsitzende die weisen Worte "Du fickst ihren Mann, sei froh, dass sie nur rempelt." 

SS-Sabine ließ nichts aus, um den Abspenstigen zur Raison zu bringen, rannte zum Chef, auf dass er die Affaire "unterbinde", und bot ihm an, all seine beruflichen Verfehlungen zu offenbaren. Als Ehrenmann lehnte er dankend ab, woraufhin sie auch ihn zur Unperson deklarierte, niemand durfte mit ihm reden, wenn sie dabei war. Sie machte nur noch so abfällig wie möglich "Pffh", wenn er in ihre Nähe kam. Wir vermuteten gemeinsame Leichen im Keller, weil er sich das bieten ließ. Aber wahrscheinlich war es viel einfacher: es braucht nur einen, der sich über alle Grenzen hinwegsetzt, in aller Öffentlichkeit beleidigt und schon zucken alle zusammen und sind froh, wenn es einen anderen erwischt.

Nach ein paar stürmischen Monaten kehrte der Ungetreue zurück zu SS-Sabine, was keiner verstehen konnte und heiratete sie, um Abbitte zu leisten. Und jetzt saßen die zwei vor mir,  alt geworden, aber immer noch mit denselben Frisuren und freuten sich so scheckig, mich zu sehen, dass mir klar war, dass sie offenbar auch den letzten Freund in die Flucht geschlagen hatten.

Meine beste Freundin kam zur Tür rein (auch sie war in dem Laden tätig, halb Berlin war in dem Laden tätig). Ich legte nebenbei den Arm um sie und meinte, schau mal, wer hier sitzt. Wieder "Neeeiiiin, ich glaub's nicht" und Umhalsung. Komisch, da gehen ein paar Jahre ins Land, dann sieht man eine Quartalsirre wieder und dann tut die, als sei man gemeinsam über Blumenwiesen getanzt.

Später meinte die Beste, es sei ja immer so, als hätten wir uns das letzte Mal vorgestern gesehen, aber diesmal, als seien gerade 10 Minuten vergangen, so nebensächlich wie wir uns begrüßt haben. Kein Wunder bei dem Spektakel. 

Wir erinnerten uns an die andere Bekloppte im Laden. Nach Maueröffnung heuerte sie bei uns an und wurde die Chefsekretärin. Sie drückte sich hauptsächlich am Kopierer herum und raunte jedem Kollegen zu "Und, irgendwelche Probleme zuhause?". Sie konnte halt nicht so schnell umdenken. Wir nannten sie "IM-Kopierer". Die Implementierung einer Mini-Stasi-Zelle am Ernst-Reuter-Platz scheiterte letztlich an der stets belustigten und größtenteils besoffenen Belegschaft. Pfffh.

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Keiner schreibt so schön wie er.

Ein kurzer Hinweis auf den weltschönsten Text von Glumm.
Also den von heute. Morgen oder übermorgen haut er den Nächsten raus.

Edit: Es gibt ja noch den anderen Guten 
Amen.  

Läuft bei mir. Nicht.

Obwohl ich immer rumquake, wenn der Sommer Feierabend macht und mich zurück lässt mit meinem Bedürfnis nach Helligkeit bis 23 Uhr, weil Dunkelheit so autistisch macht und man nur noch so weit gucken kann, wie die Scheinwerfer des Autos es zulassen, oder wenn man zu Fuß unterwegs ist, gerade mal 20 Meter, bis die Augen schon wieder auf undurchdringliche Düsternis prallen - also, obwohl ich sonst immer hadere, habe ich diesmal ein Gefühl von wohligem Schutz.

Das mag daran liegen, dass mein kleines Bullerbü in Schutt und Asche liegt. Sagen wir mal so, wir hier auf dem Hof durchleben eine veritable Krise. Der Hof besteht aus einem Konglomerat von Freunden und Freundinnen und einem Kind, das aussieht wie Schneewittchen. Wir wohnen natürlich nicht auf einem Hof, aber sehr nah beieinander. Wir können uns gegenseitig in den Vorgarten spucken. 

In diesem Sommer herrschte Schwanengesang. Es ist erstaunlich, wie unvermittelt Freundschaften auf dem Prüfstand stehen können. Ganz schnell geht das. Es braucht nur eine Person, die Krieg will und schon bekommt sie ihn, auch wenn sie ihn eigentlich mit sich selbst führt und alle das wissen. Jahrzehntealte Gefüge brechen in nullkommanix auseinander. Allianzen untereinander und mit Externen werden geschmiedet, um vorzubauen, falls die Homebase krachen geht. Man erkennt Engstirnigkeit am anderen und wenn man ehrlich ist, auch an sich selbst.

Es wird ja unheimlich viel geredet in so einer Situation. Die Externen üben sich in Neutralität so gut es geht und schauen verstört auf den Trümmerhaufen, der früher Bullerbü hieß und um den wir heiß beneidet wurden. Und jeder, wirklich jeder, sieht sich im Recht. Auch die Person, die den Krieg führt. Aussprachen, ohne Ende Aussprachen, in denen dann doch die wichtigsten Wahrheiten nicht gesagt werden. Beschwichtigungen, Verniedlichungen, um des lieben Friedens Willen, der so aber gar nicht entstehen kann, höchstens instabiler Burgfrieden. 

So ziehen wir uns zurück in unsere Wohnungen, versuchen Abstand zu bekommen, Ruhe einkehren zu lassen und sind froh, dass nicht mehr die Sonne brennt, die uns raus in den Garten treibt und uns erbarmungslos vor Augen führen würde, was jetzt anders ist. 

Ich finde Trost in merkwürdigen Sachen. Schuhekaufen, obwohl ich shoppen hasse, aber dieser eine Schuh, in den ich hinein schlüpfte, war so weich, so passend, so allumfassend Halt gebend. Ich könnte mir kaum etwas denken, was sich dämlicher anhört, als der letzte Satz. Aber dann bin ich durch den Regen, Kapuze hochgeschlagen, zurück zum Auto, unter dem Arm den flauschigsten Schuh aller Zeiten und das fand ich tröstlicher, als die Polizei erlaubt.

Oder dass mich ein sehr geschätzter Blogger mit Links versorgt, wie ich meiner Monster-Spinnen-Plage beikommen kann. Und der mir sein Wissen über diese Viecher zukommen lässt, auch wenn da nicht viel Beruhigendes zu lesen ist, außer, dass sie mir aller Voraussicht nach nicht in den Mund krabbeln werden, während ich schlafe, weil sie sich eigentlich nur verstecken wollen, um gut über den Winter zu kommen. Und wenn man sie überhaupt krabbeln sieht, sie nur auf dem Weg zu einem geeignetem Versteck sind, dass sie nicht mehr verlassen werden, was die gute Nachricht ist, ich dennoch nicht umhin komme, einzusehen, dass ich ein Nest in meiner Wohnung habe und gut daran tun würde, nach ihm zu suchen, was die eindeutig schlechte Nachricht ist. Aber seine Milde angesichts meiner Hysterie finde ich sehr charmant und in Zeiten wie diesen außerordentlich tröstlich, wovon er aber nichts weiß, bis eben jedenfalls. 

Trost finde ich auch in meinem neuen Laptop, der innert 5(!) Sekunden hochgefahren ist, was aber nichts gegen meine Schreibblockade ausrichtet, die mich plötzlich ergriffen hat. Ich bin mir noch nicht mal sicher, ob ich diesen Sermon veröffentlichen werde, man will ja ein hoffentlich vorhandenes oder auch nur eingebildetes Niveau halten und ich befürchte, dass ich bis hierher schon mehrere Wachkomas verursacht habe. 

Sei's drum, obwohl ich keine Grippe habe, werde ich mich jetzt mit House of Cards Staffel 3 auf's Sofa legen und froh sein, dass es draußen stockfinster ist und der Regen an die Fenster prasselt.

Samstag, 3. Oktober 2015

Aus dem Leben einer Hypochonderin

Auch dem oberflächlichen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich zur Hypochondrie neige. Ich erwähne das öfter, so selbstironisch wie möglich, aber natürlich ist es im wahren Leben gar nicht soo witzig, bei jedem Zwicken sicher zu sein, dass die noch verbleibende Lebenszeit so überschaubar scheint, dass es sich nicht mehr lohnt, ein Brot zu kaufen. Den Kauf eines Wintermantels halte ich in Krisensituationen gar für eine tollkühne Unternehmung, was auch daran liegt, dass mir jede Kraft dafür fehlt. Totgeweihte gehen nicht shoppen.

Eine Typologie

Typ 1 macht sich auch dann  Gedanken, wenn nichts zwickt und geht zur Sicherheit mehrmals täglich zum Arzt. Er verlässt die Praxis mit der Erkenntnis, dass er einem unfähigem Quacksalber aufgesessen ist und stürmt umgehend die nächste Praxis. 

Typ 2 verschwendet wenig Gedanken an Krankheiten und geht nie zum Arzt. Aber wenn was zwackt, ist es immer tödlich. Wenn er einen Arzt aufsucht, hält er ihn für eine Koryphäe; vor allem dann, wenn 'nichts ist'. Er hüpft um 20 Jahre verjüngt aus der Praxis, was aber nichts bringt, denn zuvor ist er um 20 Jahre gealtert. 
 
Krisensituationen

Bei  Kopfschmerzen kann nur ein Tumor dahinter stecken, inoperabel natürlich. Rückenschmerzen? Es droht ein Herzinfarkt oder Knochenkrebs. Schwindel? Sofort lächeln und Füße und Hände bewegen - geht das nicht, hat man einen Schlaganfall. Hände Kribbeln? Multiple Sklerose. Erzählen mir andere von Symptomen, unter denen sie leiden, habe ich sie 24 Stunden später auch. 

Besondere Befähigungen

Ich habe ein phänomenales Gedächtnis für alles, was mit Krankheiten zu tun hat. Was auch immer ich am Rande aufschnappe, es bleibt für alle Ewigkeit meinem Gedächtnis, jederzeit abrufbar. Daher bin ich auch eine sehr gute Diagnostikerin. Mir fehlt im Grunde nur die Approbation, um als Expertin das Team von Dr. House zu bereichern.


Literatur

Natürlich bin ich im Besitz von Sekundärliteratur. Damit meine ich jedoch nicht den Pschyrembel oder Sobottas Atlas der Anatomie. Ich google auch nicht nach Krankheiten. Davon bekomme ich eine Posttraumatische Belastungsstörung. Sondern Bücher von anderen Hypochondern. Da gibt es wunderbare Sachen von Seelenverwandten, die ähnlich wie ich, adrenalingeflutet ihr Leben meistern müssen.

Der Arztbesuch

Kürzlich hatte ich doch diese komische Allergie im Gesicht, die mich zum Arzt trieb, obwohl ich zu Typ 2 gehöre. Er verdonnerte mich zu einem Check up inkl. Belastungs-EKG. Seitdem ist die Hölle los.

Zunächst mal zähle ich die Tage bis zur Untersuchung und rechne mir aus, was ich mit der sofortigen Umsetzung eines gesunden Lebensstils noch reißen kann. In meinem Fall fahre ich wie eine Besengte Rad. Ich will ja auf diesem Ergometer-Dingens nicht ohnmächtig runterfallen. Also brauche ich Training. Ich werde auch zum Termin radeln, 15 Kilometer, dann bin ich fit und werde auf diesem Dings bella figura machen. Außerdem schlafe ich schon jetzt nicht mehr so gut. Ich habe Alpträume. Letzte Nacht bekam ich die Diagnose Hautkrebs, war das eine Erleichterung, als ich um drei Uhr morgens aufwachte. 

Insgesamt fühle ich mich schwächlich, zitterig und aus der Balance. Prophylaktisch. Angst ist so anstrengend. Schon eine Blutabnahme wirft mich aus der Bahn. Ich kann das nur liegend überstehen, weil ich sonst umkippe. Dann steigt die Angst ins Unermessliche: was dabei alles rauskommen kann! Die Tage bis zum Ergebnis sind eine Tortur. Und wenn ich dann vorm Arzt sitze, leichenblass und mit wirrem Haar, entnehme ich seiner Miene, dass es schlecht um mich steht. Dabei ist es egal, ob er lächelt oder ernst guckt. 

Wenn Ärzte anrufen

Einmal hat mich ein Arzt im Büro angerufen, mitten während eines Meetings. Jeder weiß, wenn einem der Arzt hinterher telefoniert, wird's hohe Zeit, seine Angelegenheiten zu regeln. Ich weiß nicht, wie ich die Besprechung überstanden habe. Als ich ihn zurückrief und mich dabei mehrmals verwählte, weil meine Hände so zitterten, sagte er "Ich wollte nur fragen, ob du am Samstag zum Grillen kommst." Es hat auch Nachteile, wenn der Arzt mein Schwager ist.

Andere Menschen gehen einfach so zu einem Check up, bleiben gelassen, arbeitsfähig und schlafen auch in der Nacht vor dem Arztbesuch tief und traumlos. Wie schaffen die das nur?

Donnerstag, 1. Oktober 2015

Jede dritte Frau

Als Tippse lese ich auch Tippsen-Magazine. Ich blätter so arglos um und da brüllt mich eine Anzeige an
JEDE DRITTE FRAU STIRBT AN BRUSTKREBS.  
Daneben ein Bild von einem Heftgerät und einer rosa Schleife. Und einem Erbauungstext.


Ein durchgeknallter Firmenpatriarch hält es offenbar für eine gute Idee, Sekretärinnen auf ihr statistisch erwartbares Ableben hinzuweisen. 

Wenn sie dann lesen, dass er von jedem erworbenen Heftgerät 2 Euro spendet für die Brustkrebsforschung, klicken sie mit angstgeweiteten Augen den Materialkatalog an und beschaffen haufenweise Tacker, damit bloß schnell weitergeforscht wird und sie im Falle einer hoffentlich nie eintretenden persönlichen Betroffenheit schneller geheilt werden. Eine win-win-Situation - so oder ähnlich muss sich das der Patriarch erhofft haben. 

Eigentlich ist die Statistik ja zu oberflächlich (abgesehen davon, dass ich sie für erfunden halte, wo es doch noch soviel andere Möglichkeiten gibt, über den Jordan zu gehen) - nicht jede Frau ist eine Sekretärin. Wenn schon, denn schon eine zielgruppengerechte Statistik darüber, wieviel Sekretärinnen... Vielleicht ist es dann nur noch jede 27ste? 

Und das kann man noch vertiefen: wieviele von ihnen sitzen im Knast, weil sie ihren Chef um die Ecke gebracht haben? Wie hoch ist der Prozentsatz unter den Senior-Assistentinnen, die man einfach zu lange mit einem Drucker eingesperrt hat? Die ohne Schutz-Handschuhe mit Farbtoner-Patronen hantiert haben? Die ihre geistige Gesundheit eingebüßt haben, weil ihnen zu oft geistesarme Praktikanten aufgehalst wurden?

Wenn ich schon so einen Hals bekomme, wie muss es erst einer Frau gehen, die gerade vom Schicksal auf's Maul bekommen hat? Die sich von einem bekloppten Heftgerät-Farbrikanten sagen lassen muss, dass sie allerbeste Chancen hat, demnächst six feet under zu liegen, denn falls sie die Überschrift noch nicht begriffen hat, steht ja oben drüber zur besseren Veranschaulichung noch "1, 2, 3... ICH?" 

Und das alles in Korrelation zu einem dämlichen Tacker. Ich kann ja gerade noch verstehen, wenn man mit  Anzeigen Frauen ermuntern will, zur Vorsorge zu gehen, aber einen Tacker zu kaufen?

"Jeder dritte Mann stirbt an Prostata-Krebs. Wir spenden 2 Euro an die Prostata-Krebsforschung für jeden Schraubenzieher. 1, 2, 3... ICH?"

Darauf warte ich jetzt.