Samstag, 13. Mai 2017

Embrace

Wann immer ich Fotos von mir sehe, die älter als 10 Jahre sind, sehe ich eine hübsche Frau, an der Grenze zu objektiv wirklich richtig hübsch. Als ich neulich einem Freund ein Foto aus meinen Zwanzigern zeigte, lachte er auf und rief "Oh mein Gott, ich liebe dich!".

Was sich in meinem ganzen Leben nie verändert hat, dass ich im heute stets denke, dass ich optimierbar bin und zwar hurtig. Erstmal will ich immer 10 Kilo abnehmen. Mit 10 Kilo weniger, stelle ich mir vor, könnte ich sofort in eine Lebensphase eintreten, die das Attribut perfekt verdienen würde. Selbst in Phasen, in denen angebracht gewesen wäre, 10 Kilo zuzunehmen, war ich überzeugt, dass 10 Kilo weniger mein Leben in etwas umwandeln würde, worum mich jede beneiden würde.

Als ich ungefähr 15 Jahre alt war, verbrachte ich einen ganzen Samstag heulend im Bett, weil es abends zum bowlen ging. Und in dem Moment, wo ich diese Kugel versuchen würde, unfallfrei über die Bahn zu bekommen, würde jeder meinen unglaublich fetten Arsch sehen. Ich war des Todes, mein Leben verwirkt, wenn erst alle gesehen hätten, wie schrecklich ich von hinten aussehe, mit meinen unfassbaren 49 Kilo.

Egal, wie dünn ich war, wie jung und wie hübsch - es nützte nichts. Ich war am hadern. Und bin es bis heute. Immer nur in der Nachbetrachtung denke ich, ob ich wohl damals mit dem Klammerbeutel gepudert war oder einen Hirnschaden hatte. Vielleicht werde ich das in 10 Jahren auch denken, wenn ich Bilder von heute betrachte (ich glaube aber nicht).

Leider bin ich oberflächlich genug, das an manchen Tagen belastend zu finden, vor allem, wenn ich in Umkleidekabinen bin, die sadistische Innenarchitekten traditionell mit fürchterlichsten Licht ausstatten. Ich kapituliere, wenn ich mich dort im Spiegel sehe und wanke als gebrochene Frau nach Hause, mit dem Vorsatz, die Wohnung nie wieder zu verlassen.

Am Donnerstag lief bundesweit (und nur an diesem Tag) der Film Embrace. Da reist eine Australierin durch die ganze Welt, um Frauen zu treffen, die auch hadern. Das ist nichts Neues, wir alle kennen Frauen, die sich mit den gefotoshopten Aliens vergleichen, die uns überall anspringen. Es hadern offenbar 90% aller Frauen und die meisten haben keine Vorstellung davon, wie ihr Leben wäre, wenn sie sich über ihr Aussehen keine Gedanken machen würden. 

Augenscheinlich wird das immer wichtiger; bereits Siebenjährige beklagen, dass ihre Beine zu dick sind. Als ich sieben war, wusste ich nicht mal, dass ich Beine habe.

Es kostet eine Menge Energie, sich nicht ausreichend gut zu finden. Energie, die man für nichts und wieder nichts verpulvert. Der Film hat nicht dafür gesorgt, dass ich rausgehüpft bin, mit dem jetzt für alle Zeiten unverrückbar verinnerlichtem Selbstbild "Ich bin schön". Aber die Absurdität, sich mit so einem überflüssigen Scheiß zu herumzuschlagen, hat's bis ins Großhirn geschafft. Immerhin.

15 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. www.gewichtsdiskriminierung.de
    Bitte lesen Sie mal hier, erweitern Sie Ihr Wissen. Es gibt sportliche Menschen mit diesen Krankheiten, und es gibt auch gesunde Übergewichtige. Danken Sie Ihren Genen und dem Zufall, denn mit eigenem Wohlverhalten hat Gesundheit nicht nur zu tun.

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  3. Ihr habt den Film entweder nicht gesehen oder nicht verstanden: es geht nicht darum, dass sich dicke Frauen schön finden sollen. Sondern darum, dass jede Frau, egal wie sie aussieht, selbst wenn sie nach objektiven Maßstäben wunderschön ist, trotzdem unglücklich mit ihrem Körper ist. Auch die, die trainieren und einen definierten Körper haben, finden sich unperfekt. Models mit Grösse 38/40 erzählen von Models mit Size Zero, die tunken Wattebäusche in Gatorate und nennen das Mittagessen. Eine Redakteurin einer Frauenzeitschrift erzählt von ihren Schwierigkeiten, normalgewichtige Frauen fotografieren zu lassen, weil kein Fotograf seinen Namen unter die Serie setzen will und kein Mode Label Klamotten für so eine Fotostrecke hergeben will, wenn sie nicht von Klapper dürren Magermodels getragen werden. Um eine Frau, die sich umbringen wollte, weil sie starken Bartwuchs hat. Es geht einfach nur um das Körperbild, das Frauen von sich haben.

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  4. @ Annika

    Ich gebe auch mal kurz meinen Senf dazu. Zu Deinem letzten Kommentar: ich habe den Film nicht gesehen, aber sprichst Du hier von erwachsenen Frauen oder von Mädchen? Denn wenn sich eine wegen starken Bartwuchs umbringen möchte, hat sie wahrscheinlich noch andere Probleme und wirkt auf mich nicht wirklich erwachsen. Ich bitte das nicht falsch zu verstehen. Ich möchte hier niemanden beleidigen. Aber Frauen sollten aufhören immer die Schuld für irgendwelche Body-Probleme (oder auch andere) stets der Gesellschaft anzukreiden. Sie lesen die Frauenzeitschriften und sie ordnen sich selber diesem Diktat unter. Keiner zwingt sie dazu (von schlimmen Ausnahmen mal ausgenommen). Man muss da zwischen "erwachsen" und "kind" differenzieren, wie ich finde. Als Erwachsene sollte man schon über eine gewisse Reflexion verfügen können. Wenn ich als erwachsene Frau "Germany's Next Topmodel" gucke, tue ich es gezielt und weiß, dass es erstens eine Werbeveranstaltung ist und zweitens, dass es mit dem realen Leben nichts zu tun hat. Die Menschen neigen leider dazu sich selbst zu stark in den Fokus zu stellen und ihre selbstgemachten Probleme stark zu überhöhen. Die Verantwortung für ihr starkes Übergewicht/Untergewicht tragen dann die Gesellschaft/Medien etc. Ich behaupte, dass man sich davon endlich losmachen sollte, denn wenn eine 150 kg wiegt hat das mit der Gesellschaft nichts zu tun, sondern einfach damit, dass sie zuviel isst und sich zu wenig bewegt. Ich weiß nicht so recht, ob solche Filme wie "Embrace" wirklich so positiv sind.

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    1. Naja, Frauen mit Vollbart haben sicher ähnlich nicht zu unterschätzende Probleme wie Männer mit Brüsten, solls ja geben. alles was nicht ins Raster passt, ist schwer zu händeln.
      ich bin auch in allem anderen, was du schreibst, nicht deiner Meinung.

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  5. Ich hatte vor knapp einem Jahr so ein Aha-Erlebnis mit Fotos, die schätzungweise 20 Jahre alt sein müssten. Was habe ich früher mit einem Aussehen gehadert, Komplimente schlichtweg ausgeblendet (Die spinnen doch, sollten halt mal genau hinschauen) und mich oft einfach nur fett (Konfektionsgröße 38) und hässlich gefühlt. Neulich kamen mir besagte Bilder unter. Ich hätte heulen können, als mir bewusst wurde, was das auf den Bildern für ein hübsches Mädchen war und mit was für einem schrägen Selbstbild ich all die Jahre rumlief. So viel Energie nutzlos verpulvert, um vermeintliche Unzulänglichkeiten zu verstecken oder mich einfach schlecht zu fühlen. Ab da ging es irgendwie bergauf und mittlerweile mag ich mein Äußeres. Meistens. Weil ich genau weiß, dass ich in 10 Jahren alte Fotos anschauen werde und mir wünschen werde, wieder so auszusehen. ;)

    Embrace habe ich noch nicht gesehen, allerdings einiges drüber gelesen. Und irgendwie finde ich es erschreckend, dass der Film scheinbar doch so den Nerv trifft.

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    1. Du sprichst mir aus der Seele!

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    2. Bei mir war´s ähnlich und doch anders. Ich fand mich immer schön aber trotzdem optimierbar. Dafür hungerte ich, auch als ichmit 1,79 nur noch 45 kg wog. erst viel später sah ich wie schlank ich war. Am Gewicht hing früher mein Glück. Absurd.

      Du bist übrigens auch heute eine sehr schöne Frau, Annika.

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  6. Es gibt keine "objektiven Maßstäbe" für Schönheit. Nur Mehrheitsmeinungen. Und selbst die wandeln sich, siehe magersüchtige Models.

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    1. Doch, die gibt es. Die Symmetrie macht's möglich.

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    2. Symmetrie ist langweilig. Je "schöner" eine Person ist, desto uninteressanter und unattraktiver finde ich sie.

      Es gibt so viele unterschiedliche Vorlieben, die von der Werbung/Menrheitsmeinung nicht abgedeckt werden, da ist für jeden was dabei.

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    3. Ich hab ja nicht gesagt, symmetrische Schönheit ist gleichbedeutend mit starker Anziehung. Ich mag auch lieber "spezielles" im Gesicht eines Menschen. Ist viel interessanter.

      Aber es gibt Untersuchungen, in denen festgestellt wurde, dass Menschen, die als attraktiv empfunden werden, oftmals sehr symmetrische Gesichtszüge haben. Insofern ist das wohl eine gewisse Objektivität. Aber Schwamm drüber, mein Einwurf war im Grunde überflüssig.

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  7. Was wart Ihr denn damals im Alter 14-20 für Typen?
    Sexuell und kleidungstechnisch eher zurückhaltend? Wären das typische Klassifikationsmerkmale?
    Weil als gleichaltriger Kerl hat man (oder zumindest ich) ansonsten von der Thematik nur was mitbekommen, wenn es sich optisch bzgl. Magersucht nicht mehr verbergen lies.

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