Ich schrob ja schon kürzlich von den verkorksten Beziehungen zu meinem Vermieter.
Nun sind die Sonnentage da und ich darf nicht mehr in den Garten. Ich hatte vor drei Wochen den Vermieter angerufen und ihm auf's Band geflötet, dass es sehr nett wäre, wenn er mir den Garten aufschlösse - ganz so, als ob es sich um eine harmlose Nachlässigkeit seinerseits handele und nicht um die Manifestation des Abbruchs unserer bisher gedeihlichen Vermieter-Mieter-Beziehung (und von dem geplanten Parkplatz auf der Wiese hatte ich ja nur um drei Ecken gehört; es gibt keine offizielle Verlautbarung).
Er rief nicht zurück.
Das ist so ähnlich, wie wenn man auf den Anruf oder Rückruf eines Typen wartet und solange er nicht angerufen hat, besteht noch Hoffnung, jedenfalls nach Frauenlogik.
Vor dem langen Wochenende startete ich den nächsten Versuch, sprach ihm auf's Band und bat um Rückruf, diesmal ohne Angabe von Gründen. Ich bekam Freitagabend eine Mail, er habe meinen Anruf erhalten, sei aber erst 2. Mai wieder zu erreichen. Geschickt. Das ganze schöne lange Wochenende - ohne Garten. Und mit einer Neuerung: ein Wespennest in meiner Balkon-Außenjalousie. Im Grunde sind die Viecher damit direkt in meinem Wohnzimmer, denn der Rolladenkasten ist innen angebaut. Balkon praktisch nicht zu nutzen wegen der Viecher.
Ich schraubte mich richtig tief rein in meine Stinkwut.
Gestern fuhr ich durch die halbe Stadt, um mit Freunden in der Sonne zu sitzen, wo doch sonst immer alle zu mir kommen. Und da kam mir der Gedanke, dass ja alles für irgendwas gut ist. Dachte an die vergangenen Jahre, die ich mich so gerne verkrümelt habe hinters Haus, auf dieses verwunschene Stückchen Erde. Wie kommod das war, weil ich keinen Schritt in die Welt gehen musste. Und dass es vielleicht an der Zeit ist, mal wieder vor die Tür zu gehen, anstatt in meinem Garten oder dem Garten meiner Freunde von gegenüber oder auf der Terasse der Dezemberaffaire zu sitzen. Ja, auf diese Weise kann man schnell auf den Gedanken kommen, dass es einem an rein gar nichts fehlt.
So fuhr ich also zur Marheineke Halle, die ja allgemein ein verhasster Ort ist, weil sie in der verhassten Bergmannstraße ist und diese zu hassen, ist eine Mode geworden, der ich mich weigere zu folgen. Ich mag diese Straße, mochte sie immer.
Es war Flohmarkt, was das Gewusel noch wuseliger machte, kleine Kinder spielten mit dem Hund, wir saßen in der Sonne und ich dachte, "geht doch" und "ist schon was anderes als mein Grab im Grünen".
Ich besprach meine Wanderung im Gedankengebirge und beschloss, das Telefonat mit meinem Vermieter so zu gestalten, dass ich ihn praktisch zwingen werde, mir ein offizielles Gartenverbot auszusprechen (denn dieses wortlose Verschließen der Tür will ich ihm nicht durchgehen lassen. Soviel Eier in der Hose muss er schon haben, mir das persönlich zu sagen), und dann werde ich mit meiner Wohnung abschließen und mir was neues Nähe Bergmannstraße oder im Fliegerviertel zu suchen. Jetzt wird jeder sagen "Träum weiter, du dumme Nuss", aber ich habe ja nicht nur dieses gute Parpkplatz-Karma, sondern bisher auch jeden gewünschten Job und jede Wohnung bekommen. Ich muss es halt nur wollen.
Heute rief mich meine Freundin von gegenüber an, komm rüber, überraschend sind Dings und Dings gekommen, wir frühstücken. Denen musste ich das Vermieter-Garten-Drama natürlich auch schildern und dann wurde ich bedauert eingenordet. Ich sehe das alles falsch. Mein Vermieter muss mir gar nix sagen und wenn er da hinten eine Sickergrube oder ein Hochhaus bauen will, ginge mich das auch nichts an. Es ist sein Privatgrundstück, auf dem könne er machen, was das Bauamt erlaubt und wie ich auf den Gedanken komme, einen siebzigjährigen Mann erziehen zu wollen? Hätte ich halt nicht wütend eine Mail schreiben sollen. Selber schuld.
ABER: das Wespennest sei eine Fügung des Himmels. Darüber könne ich zumindest die Kurve bekommen, am 2. Mai ohne erzieherischen Auftrag mit ihm zu telefonieren und ihn nicht an seine Nervgrenze zu bringen, die im schlechtesten Fall eine Kündigung nach sich zöge. Zunächst mal muss er das Wespennest entfernen lassen, das biete eine rein sachliche Gesprächsgrundlage. Und zweitens könne ich ihn somit ohne weiteres bitten, solange die Gartennutzung möglich zu machen, weil ich die Balkontür nicht mal geöffnet halten kann.
***
No doubt about, ich werde nie wieder in diesem Garten sitzen, denn (um ein Gleichnis zu nutzen): er hat längst Schluss mit mir gemacht. Das ist mir natürlich klar, trotz irrationaler Hoffnung auf Wendung zum Guten. Aber natürlich weiß jede Fraugenau, wann sie ihre Favoritenposition unwiederbringlich verloren hat. Außerdem: man legt sich nicht ungestraft mit jemandem an, der in der stärkeren Position ist. Und mich mit meinem Vermieter anzulegen, ist zweifellos bescheuert gewesen. Man soll nicht wütend Mails schreiben, denn will man glücklich sein oder Recht haben?
Wie gesagt: alles ist zu irgendwas gut. Und neulich stand in meinem Horoskop "Lassen Sie alle Erwartungen los".
Das übe ich jetzt. .
Heute lief ein Mann im Wald an mir vorbei, von dem ich aus der Ferne dachte, dass er noch sehr jung ist. Er lief wie ein kleiner Junge: Die Schultern ein bisschen hochgezogen, die Arme eng am Körper, die Beine schlaksig, insgesamt leichtfüßig und mühelos. Als er näher kam, staunte ich. Er war mindestens siebzig Jahre alt.
Das erinnerte mich an eine fast surreale Szene. Vor ein paar Jahren schlenderte ich eine Anhöhe hinunter. Mir lief ein Junge von vielleicht 18, 19 Jahren entgegen. Ich habe nie einen Menschen derart kraftvoll und ohne die geringste Anstrengung einen Berg hochlaufen sehen. Fast schien es, dass er immer noch an Tempo zulegte, dabei atmete er mit geschlossenem Mund. Als er auf meiner Höhe war, sah ich kurz sein Gesicht. Ein Prototyp gesunden Aussehens. Er lief völlig geräuschlos und in sich gekehrt an mir vorbei. Der wird mal Präsident, dachte ich.
Hingegen der Ex, der mir in den ersten beziehungsanbahnenden Tagen stolz erzählte, dass er mal den Marathon gelaufen ist. Als wir dann eine für beide Seiten befriedigende Statusklärung beschlossen, wollte er mir auch schnell zeigen, wie gut er rennen kann. Da ich das nicht so gut kann, fuhr ich auf dem Rad neben ihm her.
Nach kurzer Zeit dachte ich, wie hat der jemals einen Marathon geschafft? Einen Arm hielt er ganz eng am Körper, mit dem anderen schlenkerte er wild umher. Seine Schritte waren nicht raumgreifend, sondern kurz und eher in die Höhe als in die Weite, ein ineffizientes, angestrengtes Gehüpfe war das. Er keuchte beängstigend und sein Schweiß floss in Strömen. Ich war froh, dass ich das Handy dabei hatte, denn es konnte nicht mehr lange dauern und ich müsste einen Krankenwagen alarmieren. Er klappte wie durch ein Wunder nicht zusammen.
Natürlich musste ich ihn hinterher auch noch bewundern, beschloss aber, unser junges Glück nicht über Gebühr mit Lügen zu belasten. Ich begleitete ihn nie wieder. Von da an ging's bergab, denn als er mir ein paar Monate später plötzlich eine Olympia Medaille vor die Nase hielt, fragte ich zerstreut, ob er die auf dem Flohmarkt gekauft habe - und ich meinte das weder despektierlich noch ironisch, sondern ganz authentisch mäßig interessiert. Ich hatte ihn einfach nicht als Medaillengewinner auf der Kappe. Er wurde sehr sauer, denn es handelte sich um seine Marathon-Medaille und er fühlte sich von mir nicht ernst genommen.
Und dann gibt es noch Männer, die weglaufen. So eine Marathon-Vorbereitung kostet Zeit, viel Zeit, die man nicht mit dem Ehegesponst verbringen muss. Die kann aber nicht meckern, denn der Kerl säuft nicht, betrügt nicht, er hält sich nur gesund, da darf man nicht zürnen. Er läuft um 5.30 Uhr vor der Arbeit und um 18 Uhr nach der Arbeit und am Wochenende sowieso.
In späteren Jahren wird wegen der Knie ein Rennrad angeschafft und schnell schafft es der ehemalige Marathonläufer auf 160 Kilometer am Tag, 35 kmh Durchschnitt. Das kostet auch jede Menge Zeit. Den Rest der Freizeit wird an dem selbst zusammengebauten Rad rumgeschraubt. In unserem Alter hat man - wenn alles gut gegangen ist - das Geld für teure Ersatzteile und schreiend bunte Fahrradbekleidung.
Gebremst werden diese Hasardeure nur von Schulterfrakturen, weil was schief gegangen ist. Da darf die Gattin aber nicht frohlocken. So ein Vollprofi ist unleidlich, wenn er zur Untätigkeit verdammt ist.
Der Mecklenburger an sich ist ein sperriger Mensch, wenn mir diese Verallgemeinerung erlaubt ist. Das habe ich jedenfalls in Erinnerung aus meiner Zeit im Außendienst, in der mir das Gebiet Mecklenburg-Vorpommern anvertraut war. Während mir ansonsten die Entfaltung meines Charmes schnell gelingt und auf das entsprechende Echo trifft, habe ich mir an diesem Menschenschlag ganz schön die Zähne ausbeißen müssen. Hernach sind sie treue Gefährten, aber ditte dauert.
So dachte ich schon an eine Sinnesspaltung, weil meine Mailnachfragen zum Ferienhaus in einem kleinen vergessenem Kaff so prombt wie freundlich beantwortet wurden. Auch sonst musste ich völlig neue Erfahrungen machen. Bis auf eine Ausnahme - wir ließen den Hund auf den ausgestorbenen Straßen frei laufen, weshalb beinah auf uns geschossen wurde - waren durchgehend alle Menschen, denen wir begegneten, von freundlicher Herzlichkeit und teils ausufernder Gesprächsbereitschaft. Der Mecklenburger ist grundlegend wesensverändert und jeder einzelne ist somit praktisch eine Marienerscheinung.
Das Haus, das wir bezogen, barg allen Luxus, den man sich nur wünschen konnte und war zudem entzückend möbliert. Das tröstete uns über die Einöde, in der sich ein Investor alle leerstehenden Gebäude unter den Nagel gerissen hat, um sie äußerst geschmackvoll herzurichten und Berlinern zu vermieten, die gerne mal wo hin fahren, wo sich Hase und Fuchs eine gute Nacht wünschen.
Wir hatten abartiges Glück mit dem Wetter; es war so sommerlich warm, dass wir knackebraun zurückgekommen sind; was uns auch darüber hinweg tröstete, dass wir gar nicht am Meer waren und auch nicht an einem Bodden, sondern an einem Mini-Bodden, an dem es genau einen Zugang zum Wasser gab, an einer mittelkleinen Wiese, zu der wir uns erst durch den Wald schlagen mussten. Auf der Karte sah das alles ganz anders aus.
Aufregung gab es nur am Montag, als wir uns wegen des an diesem Tag noch bescheidenen Wetters auf den Weg in die nächste größere Stadt, Ueckermünde, machten. Wir bummelten durch die Fußgängerzone, das eine und andere Wämslein wurde erworben und als wir wieder ins Auto stiegen - ich nach hinten, was mich schon auf der Hinfahrt denken ließ "Wenn mal was ist, habe ich hier keine Chance, heil rauszukommen", jedenfalls, kaum saßen wir alle auf unseren Plätzen und die Auftragsmörderin den Wagen startete, brüllte ich auch schon los: "Raus, raus, raus, es brennt, die Tür brennt!"
Nur der Hund blieb seelenruhig im Kofferraum sitzen, während die Dezemberaffaire, immer noch lädiert von ihrer Artistik-Einlage auf dem Pferd, versuchte, so schnell wie möglich wieder auszusteigen, während ich hinten um mein Leben bangte. Als ob es nicht schon gereicht hätte, dass unser Kaff kein Netz hat - für eine Hypochonderin ist es schon ein Survival-Urlaub, wenn sie nicht mal die Möglichkeit hat, in case of den Notarzt anzurufen.
Erstaunlich, wie schnell die Rauchentwicklung vonstatten ging. Tatsächlich war die Lampe unten an der Tür durchgeschmort und wie durch einen Kamin befeuert war in Sekundenschnelle das Auto voller Rauch. Immerhin ist es nicht explodiert und wir haben alle überlebt. Der ADAC kam und klemmte fachmännisch ab und wir dachten uns Zeitungsschlagzeilen aus.
"Tod in Ueckermünde - nur der Hund hat überlebt"
"Drei Frauen in der Sommerfrische - sie hatten noch so viel vor"
Den Rest der Woche lagen wir rum und weiter gibt's auch schon nichts mehr zu erzählen. Ich war beschäftigt mit Juli Zeh: "Unterleuten". Mir wurde es von einem Freund zu Weihnachten geschenkt und zum Geburtstag gleich noch mal, so groß ist seine Begeisterung - jetzt weiß ich auch, warum. Ich kann nur jedem empfehlen, ein paar Tage im Sommer (heiß muss es sein) in ein gottverlassens, abgeschiedenes Dorf ins Brandenburgische oder Mecklenburgische Umland zu fahren und sich dort auf einer Wiese in die Abgründe von Unterleuten zu vertiefen; das ist besser als Netflix.
Doch, eine Sache noch, an dem Abend, als ein Wolf Huskie über unseren Zaun sprang und umgehend und in provozierender Weise den Garten vollpisste markierte, was von unserem Hund verdutzt zur Kenntnis genommen wurde, aber nur zwei Sekunden lang. Dann wollte er spielen. Nach dieser kurzen Gefühlsverwirrung und aufgrund der Spiegelneuronen oder seiner Gene ergriff er die nötigen Maßnahmen und hatte sein eigenes Überlebenstraining.
Und wieder mal dachte ich, den will ich wirklich nicht zum Feind haben.
Als wir am Samstag wieder in Berlin waren, konnten wir uns nicht trennen, was auf eine harmonische Zeit in der Diaspora hindeutet; deshalb fuhren wir gleich weiter zur Dezemberaffaire auf den Reiterhof und bevölkerten ihre 40qm Terasse bis zum heutigen Sonnenuntergang, untermalt von Hufgetrappel und mit schadenfrohen Blick auf die Wetter App. Ab morgen wird es kalt und regnerisch. Uns doch egal, wir hatten unseren Sommer.
Keine Ahnung, was uns geritten hatte, mitten im April eine Reise an die Ostsee zu planen. Alles richtig gemacht.
Gegen Nachmittag wird mir plötzlich flau. Ich kenne die Zeichen: entweder werde ich noch heute sterben oder es kommt ein Gewitter. Alle Farbe weicht dann von mir, auch die Schminke. Letzteres liegt wahrscheinlich daran, dass ich mich auf altmodische Art anmale. Nur getönte Tagescreme, nix Concealer; ich will mich ja nicht tapezieren. Jedenfalls bewege ich mich nur vorsichtig, weil sich die Welt über Gebühr schnell dreht. Wie ich da nun sieche, kommt eine Kollegin vorbei und sagt, dass ich beschissen aussehe.
Sowas darf man mir nicht sagen, als Hypochonderin denke ich dann schnell, dass eventuell doch kein Gewitter im Anmarsch ist, sondern der Sensenmann höchstpersönlich. Ach, winke ich ab, das kenne ich, das ist das Wetter.
Zweifelnd sieht sie mich an und sagt "Der Anne geht es heute auch richtig schlecht, die hat schon Stunden im Sanitätsraum verbracht."
Ach, denke ich, rufe ich doch mal die Anne an, geteiltes Leid ist halbes Leid, mir geht's gleich besser. Sie geht auch gleich ans Telefon, mit ersterbender Stimme flüstert sie "Dir geht's auch nicht gut? Ich komme mal runter zu dir."
Mensch, denke ich, die ist ja tapfer, ich wäre nicht mehr fähig durchs Haus zu wandern, um Kollegen zu besuchen. Ist mir grad alles zu karusselig.
Nach ein paar Minuten steht sie in meiner Tür, mit hochroten Kopf und erzählt, dass sie sich seit heute früh die Lunge aus dem Hals kotzt und schon einige Stunden im Sanitätsraum verbracht hat, sie hätte so einen Druck auf dem Magen, das könne sich kein Mensch vorstellen und andauernd würde ihr schwarz vor Augen. Mir wurde auch schwarz vor Augen.
Bist du bescheuert, frage ich sie, was machst du hier noch? Und weshalb (die viel wichtigere Frage) kommst du extra runter zu mir, das hättest du mir doch auch am Telefon erzählen können, du bist doch bestimmt hochansteckend, fass bitte nichts an, nein, lass die Tür ruhig offen, am besten kommst du gar nicht rein und why the fuck bist du noch im Büro?
Sie habe noch einen wichtigen Termin.
Will sie denen auf den Tisch kotzen? Das kann nicht ihr Ernst sein. Sie wird ganz Berlin kontaminieren und mit mir hat sie angefangen und dann denken alle, Putin war's und dann erzählt sie mir, sie hätte nach dem Saniraum auch noch den Ruheraum aufgesucht und hätte sich auf den Liegesessel begeben - auf dem vor einer halben Stunde ich selbst gelegen habe! Verdammt, der Raum war verseucht und ich wusste es nicht. Das wird ja immer schlimmer, was sie da berichtet. Und dann seufzt sie immer noch so dramatisch in meine Richtung, hallo Tröpfcheninfektion. Und ich fahr am Sonntag an die Ostsee.
Da komme ich den ganzen langen Winter ohne Erkältung durch, rufe einmal eine Kollegin an, um mich mit ihr zu solidarisieren und dann bringt sie mich um.
"Aber rauchen geht noch!"
Ich entspanne mich schlagartig. Jemand mit Norovirus kann nicht rauchen. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Man kann auch keine wichtigen Termine mehr wahrnehmen. Sie hat wahrscheinlich nur zuviel gesoffen. Der hochrote Kopf, ich weiß Bescheid.
Sicherheitshalber desinfiziere ich mich von Kopf bis Fuß und fahre fluchtartig nach Hause. Dort mache ich dann später künstlerische Gewitterfotos.
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Ostsee, ich komme! |
Eine ganz neue Mode bei uns sind Meetings im stehen. Das fing mal ganz
harmlos an, dass wir uns jeden Montag für 10 Minuten in einem Büro
trafen und darüber sprechen mussten, was wir die Woche so auf
dem Tisch haben werden. Natürlich blieb nur Cheffe stehen, alle anderen lagerten auf den Tischen und erzählten nacheinander, was wir sowieso schon wussten oder keine Sau interessierte.
Daraus wurden ganz schnell tägliche 10 Minuten, zusätzlich zu den Whiteboards, die in jedem Büro aufgestellt wurden, an denen wir auf post its schreiben mussten, was wir zu tun gedenken. Jeder bekam seine eigene Farbe. Vier Spalten gab es: Plan, 25% erfüllt, 50% erfüllt, erledigt.
Einmal pro Woche kam Cheffe in jedem Büro vorbei, stellte sich vor das Whiteboard und ließ sich erzählen, wie weit wir schon waren mit der Aufgabenbewältigung. Das war schon etwas, woran man sich gewöhnen musste, denn das Ding musste à jour sein; also täglich musste man die Post its umkleben. Natürlich klebten wir nur schnell um, bevor Cheffe kam.
Dann musste das alles noch übertragen werden ins Intranet, weil das für den Rest des Hauses total interessant ist, was wir so machen. Aber nicht einfach so, sondern in Projekträume. Fragt mich, was ein Projektraum ist, ich weiß es nicht und werde es nie begreifen. Und in ein Projektraum darf nur eingetragen werden, was vorher als Prozess definiert wurde.
Vorteil: wenigstens dürfte man dabei sitzen, wenn man sich das Intranet anschaut, theoretisch, aber dazu hat nun wirklich keiner mehr Zeit. Aber darum geht es Gottseidank auch nicht, nur das befüllen ist wichtig und das drüber reden, im stehen.
Dazu kamen die wöchentlichen Jour Fixe, die wir vorm Tschainsch Manadschment ziemlich genossen, weil wir immer Pizza bestellten und über die neuesten innerbetrieblichen Massaker tratschten. Total old school war das und so konnte das natürlich nicht bleiben.
Als die Geschäftsführung davon hörte, dass wir jetzt immer stehen bei all diesen Meetings, fand die das so toll, dass sie sofort was eigenes machten. Sogenannte Townhall Meetings, bei denen wir gezwungen wurden, uns bis zu anderthalb Stunden die Beine in den Bauch zu stehen. Extra in einem Raum, in dem es nur Stehtische gab. Kein Wasser, kein Kaffee wurde gereicht, weshalb wir nun stets wie Topmodels mit eigenen Wasserflaschen durch's Haus wandern.
Die Stehtische sind harmonisch vor dem Pult von Oberchefin drapiert, aber wie es immer so ist, stand sie ziemlich allein mit den Stehtischen um sich herum, derweil die dumpfe Masse sich an den Wänden weiter hinten herumdrückte. Trotz Aufforderung kamen nur wenige nach vorn. So nah möchte man nicht vor ihr stehen, eine natürliche Barriere ist das.
Sie erzählt dann immer, was für ein toller Haufen wir sind, was nur daran liegt, dass sie so ein tolle Oberchefin ist, am Ende sagt sie „Hat jemand Fragen?" Die üblichen Verdächtigen stellen eifrig überflüssige Fragen, weil es suizidal wäre, wirklich wichtige Fragen zu stellen und der Rest rollt unauffällig mit den Augen und reibt sich die Krampfadern.
Danach humpeln wir dann wieder in unsere Büros und kleben neue Post its ans Whiteboard.
Inspiriert von "später bügelgrundkurs, früher gintonic"
Nacht 1
Um halb zwei ins Bett, kaum liege ich, Pling! Wer schreibt um diese Zeit? Eine Freundin mit schlimmen Kummer. Ich will das nicht näher erläutern, aber es ist wirklich richtig schlimmer Kummer, Höchststrafen-Kummer. Wir reden eine halbe Stunde, dann traut sie sich zu, durch die Nacht zu kommen.
Nacht 2
Um Mitternacht ins Bett. Pling! Eine Freundin, die sich aus dem Urlaub meldet. Wie denn Ostern so gewesen sei. Bei ihr ins Spanien sei alles tippetoppe. Sie ist in Plauderlaune. Ich nun wirklich nicht.
Nacht 3
Kurz vor Mitternacht. Festnetzanruf. Ups, ist was mit dem Mütterle? Nur sie benutzt noch Festnetz. Nein, Freundin mit Beziehungsstress. Sie steht vor dem Hotel, nach riesigem Krach mitten auf der Straße. Was sie jetzt tun soll? Naja, sage ich, das ist doch klar. Du gehst jetzt rein ins Hotel, buchst dir ein Einzelzimmer, schaltest dein Handy auf Flugmodus und hast eine entspannte Nacht. Ich lege auf und weiß, dass sie das natürlich nicht tun wird. Ich bin zu alt für solche Telefonate.
Nacht 4
0.30 Uhr, ich dämmere schon weg. Pling! Die Beste. Der Besten ist man gerne verpflichtet, schon klar. Aber ich bin die nächtlichen Ruhestörungen allmählich leid.
Heute zur Abwechslung Anruf tagsüber
Unsere gemeinsame Putzfrau ruft an. Sie ist im Haus der in Spanien weilenden Freundin. "Ich glaub, der Kühlschrank ist kaputt. Alles warm und kein Licht." Ich gebe in Spanien bescheid. Komme nach Hause, rolle die Mülltonne vor die Terassentür und entsorge den schon reichlich übelriechenden Inhalt. Wie gut, dass ich so gerne wegschmeiße.
Da ich heute schon am hellichten Tag behelligt wurde, hoffe ich auf eine ungestörte Nacht.