Dienstag, 26. Februar 2019

Gefährliche Wanderungen

Gestern bin ich mit fürchterlichen Schmerzen in den Schultern aufgewacht und ich war drauf und dran zu glauben, dass ich jetzt schweren Schulterkrebs habe und ich brauchte doch tatsächlich einige Stunden angestrengten Überlegens, zu erinnern, womit ich mir diese Schmerzen zugezogen habe.

Als es mir endlich einfiel, so um die Mittagszeit, dachte ich, kein Wunder! Ich war nämlich am Wochenende an meinem Lieblingsort auf dem Lande, mit dem geliehenem Hund und zusammen mit anderen Freunden, die am Sonntag eine 10 Kilometer Wanderung durch die Märkische Schweiz geplant hatten.

Nun bin ich ja unterdessen in einer körperlichen Verfassung, in der mir 10 Kilometer wie ein Klacks vorkommen, wenn auch eine gewisse Herausforderung darin liegt, diesen Marsch nicht auf ebenen und gefegten Parkwegen sondern über hügelige Waldwege zu absolvieren. Die Märkische Schweiz heißt nicht umsonst Märkische Schweiz. 

Aber ich traute mir das über-Stock-und-Stein-geklettere durchaus zu, der Leihhund an meiner Seite machte mich geradezu übermütig, denn mit einem Trick, den niemand bemerken würde, könnte ich meine evtl. versiegenden Kräfte schonen: einfach das Tier an die Leine nehmen und das Kraftpaket auf Ritalin-Entzug zöge mich bergauf und bergab.

Wir liefen also los und schon nach ca. 300 Metern bogen wir vom rechten Wege ab und begaben uns direkt in eine Schlucht. Die Silberkehle.




Und schon dachte ich, was geht denn hier ab? Da in diesem Wald haufenweise Bäume umgefallen sind und die aus Prinzip niemand wegräumt, musste ich direkt unter ein paar Bäumen durchkriechen, auf allen Vieren und da war ich schon gleich bedient. Nichts, was ich mir unter einer Wanderung vorstelle. Und dann ging es weiter: unten dümpelte ein düsterer Wasserlauf, an dessen steilen Ufern sich die Bäume in die Höhe reckten und unsereiner musste sich langhangeln, immer kurz vorm Absturz in die dunkle Brühe weiter unten.

Schon Fontane schrob: "
Das Wasser ist schwarz, dunkle Baumgruppen schließen es ein und die Oberfläche bleibt spiegelglatt, auch wenn der Wind durch den Wald zieht. Es ist, als hätten diese Wasser einen besonderen Zug in die Tiefe."




Meine Mitstreiter und der Leihhund waren im Glück ob der Herausforderungen an Mensch und Material, ich jedoch kehrte nach fünf weiteren Minuten um, bzw. wollte ich natürlich nicht wieder unter diesen Bäumen herumkriechen, sondern wählte den Weg die Schlucht ganz hinauf und das war ein sehr großer Fehler, denn dem war ich nun überhaupt gar nicht gewachsen. Das sah nämlich von unten harmlos aus, aber das war es natürlich nicht, jedenfalls nicht für eine Frau wie mich, die erst seit acht Wochen nicht mehr raucht und erst seit kurzer Zeit ihr Idealgewicht hat. Da habe ich mich getäuscht, was meine Kondition, Motorik und Kampfeslust betrifft.

Mir bollerte das Herz vor Anstrengung und der Leihhund, der leichtfüßig um mich herum sprang, war mir auch keine Hilfe, denn wenn ich ihn jetzt angeleint hätte, wäre das völlig nutzlos gewesen. Ich hätte ihn mit ins Verderben gerissen, wenn ich ausgerutscht wäre, denn noch wiege ich mehr als der Hund. So ähnlich muss sich Reinhold Messner in der Todeszone gefühlt haben: kein Handyempfang, auf sich allein gestellt; jetzt bloß nicht mit dem Knöchel umknicken.

Ich hielt mich an jedem Zweiglein fest, um irgendwie diesen blöden Hang hochzukommen, dorthin, wo es gewiss einen Weg geben würde, auf dem ich mich wieder würde bewegen können, wie eine Frau mit Würde, aber bis dahin ruinierte ich - fürchte ich - jede Menge frische Triebe in Flora und Fauna. Außerdem sind mir so viele Zweige direkt in die Gusche gezwirbelt, dass ich bestimmt die eine oder andere Zecke mitgenommen habe und in absehbarer Zeit an Borreliose erkranken werde. Am Ende war ich froh, dass mich kein Förster erschossen hat bei meinen Versuchen, dieser bescheuerten Silberkehle zu entkommen. 

Endlich wieder in der Zivilisation war ich heilfroh, dass ich ohne Achillessehnenriss oder Beinbruch davongekommen war und spazierte munter um den Großen Tornowsee bis zur Pritzhagener Mühle, was sich jetzt ziemlich toll anhört, aber mehr als 2 oder 3 Kilometer sind das nicht. Für den Hund natürlich das doppelte, denn der rennt ja in einer Tour vor und zurück.



Nachmittags dann mit allen wiedervereint auf dem Bootssteg Kaffee und Kuchen eingenommen und selig in den Sonnenuntergang zurück nach Berlin gefahren, mit einem schnarchenden Hund im Auto - was will man mehr von einem Wochenende?

Nur diese höllischen Schulterschmerzen, oder sind es eher Armschmerzen? Ich kann die Arme kaum heben, ich denke, es handelt sich um die sogenannte Panik-Zerrung, eine von mir eigens erfundene Erkrankung, die ich nicht weiter erläutern muss, denke ich. Man stelle sich vor, wie ich durch die Hügel kraxel und mich in Todesangst in junge Triebe kralle, um nicht die Schlucht herunterzukullern. 

Die letzte Panik-Zerrung hatte ich seinerzeit bei meiner letzten, aus dem Ruder gelaufenen Reitsstunde, als das Pferd einen kleinen Satz machte und ich drei Tage lang nicht gehen konnte, weil ich mit der ganzen Kraft meiner Oberschenkel einen Sturz vom Pferd verhindern wollte. Was mir auch gelungen ist, aber meine Beine waren demoliert, kann ich euch sagen. 

Okay, ein Weichei bin ich also immer noch. Mal sehen, ob ich das in den Griff bekomme. 

Edit: hier der weltschönste Kommentar

Nun, ich war auf dieser Wanderung auch dabei. Was uns Annika hier verschweigt, wir hatten vorher in die Runde kommuniziert, dass wir mit voller Ausrüstung losziehen werden. 

Volle Ausrüstung war dummerweise unpräzise kommuniziert. Jedenfalls hatte sich Annika barfuß mit Pömps und einem freilaufenden Hund bewaffnet. Als wir uns nach ca. 5 Minunten an der ersten überhängenden Felswand abgeseilt hatten, stand Annika nebst Hund oben und realisierte, dass sie ohne Karabiner, Geschirr zum Abseilen und ein Portiönchen Courage uns nicht folgen können würde. 

Auf dem Weg aus der Schlucht hinaus wurden ihr die Pömps zum Verhängnis. Zwar bohrten sie sich tief in den Boden und boten so guten Halt, nur gab die gute märkische Erde den 15cm langen Absatz nicht mehr frei. Es erforderte eine ausgeklügelte Technik, die Anhöhe zu besiegen. Sehr kleine Schritte, die Hände bei Herausziehen des Schuhs in feuchtes Moos und stachliges Gesträuch gekrallt, immer in der Hoffnung, ihn nicht dem Abhang und letzendlich der überhängenden Felswand zu überlassen. 

Was hätten wir in einem solchen Fall tun sollen? Immerhin hätten wir erst einmal Glück gebraucht, um von diesem gefährlichen Konsumgut nicht erschlagen zu werden. Zum Zurückwerfen war die Wand zu hoch und der Schuh sowieso zu leicht. 

Jeder von uns unterdrückte ein pietätlosen Schmunzeln, wie wohl die Fortbewegungstechnik mit nur einem Schuh aussehen würde. Hoch konnten wir auch nicht mehr klettern. Die Zeiten, in denen wir im Sportunterricht das Seil hinauf geklettert sind, waren längst vorbei. Zudem hätten wir neben der ganzen Ausrüstung auch noch unsere seit der Schulzeit angesammelten körperlichen Reserven hinauf ziehen müssen. 

Es blieb uns nichts weiter übrig, als Annika ihrem Schicksal zu überlassen. In vollem Umfang wurde uns nun der innere Kampf bewusst, den Reinhold Messner damals mit sich ausgefochten haben muss, als er seinen Bruder am Berg zurück lassen musste. 

Als der Weg einfacher wurde, entstand unseren neue Geschäftsidee, Sherpas in der Märkischen Schweiz! Wir würden sie natürlich anders nennen, waren wir doch nicht im Himalaja. Kurz vor dem Kaffetisch, an dem wir auch Annika wohlbehalten wieder trafen, waren wir uns einig: Pömpser!

Donnerstag, 21. Februar 2019

Alltag ist die Abwesenheit von Weihnachten, großer Liebe und Krieg (Max Goldt)

Herr Ackerbau ist mir noch ein Pony schuldig gewesen und daran hat er sich erinnert und deshalb bekam ich - gerade als ich im Bus saß auf dem Weg zum Brandenburger Tor, wo ich das erste Mal bei "One Billion Rising" dabei sein wollte - eine Mail von ihm. Er habe zwei Karten für Max Goldt,  wegen Krankheit abzugeben, noch am selben Abend, in Neukölln trete der auf, ob ich die haben will?

Das war ja noch besser als ein Pony! Gleichwohl hatte ich jetzt eine logistische Meisterleistung zu vollbringen. 


  • 15:45 Uhr Mail an Freunde, wer kommt mit? 
  • 15:50 Uhr G. kommt mit. Treffpunkt 19.30 Neukölln.
  • 16:00 Uhr Ankunft Brandenburger Tor. Schreck lass nach, getanzt wird erst ab 17.30 Uhr. Warum sagt mir das keiner? 
  • 16:30 Uhr Üben der Choreographie, die unermüdliche und alterslose Jocelyn B. Smith singt dazu. Ich fotografiere lieber das Gehopse meiner Mitstreiterinnen, anstatt mich zum Klops zu machen.
  • 16.45 Uhr Eine dramatisch geschminkte gute Bekannte wird pausenlos von den anwesenden Sendern gefilmt, wofür ich großes Verständnis habe, was mich jedoch stets in die Flucht treibt, da sie große Schilder ihrer Firma mit sich herumträgt. Meine Chefs würden sich freuen, mich in der Abendschau zu erblicken, als Nummerngirl neben dem Transparent "Wir gegen Gewalt" unserer Konkurrenzfirma. Soweit sind sie noch nicht, dass sie die globale Botschaft in den Vordergrund stellen.
  • 17:00 Uhr Langsam wird mir kalt, denn es waren zwar 13 Grad und Sonne angesagt, was mich zu luftigerer Übergangsbekleidung verführte, aber gegen Sonnenuntergang hin wird es empfindlich schattig, vor allem die Füße sind schon zu Eis geklumpt. 
  • 17:10 Uhr Die Choreographie wird fleißig weiter geübt und auf der Bühne tanzen junge Menschen die dollsten Sachen, alles gegen Gewalt, auch junge Männer sind dabei, was mich durchaus rührt, aber vielleicht wollen die nur entdeckt werden für Let's Dance oder so etwas.  
  • 17:20 Uhr Ich überlege, wie lange ich mit den Öffentlichen zurück ins Büro brauche, dort ins Auto steige, um dann nach Neukölln zu fahren und ob ich wohl vorher noch was essen gehen kann, denn zu meinen klumpig-eisigen Füßen gesellen sich erste Hungerödeme dazu. So kann ich Max Goldt kaum genießen.
  • 17:25 Uhr Fünf Minuten, bevor der weltweite Tanz gegen Gewalt losgeht, begebe ich mich in Richtung Bushaltestelle. Ich muss in die Wärme und brauche was zwischen die Kiemen. Ich habe noch Großes vor. Das erste Mal im Leben werde ich Max Goldt vorlesen hören. Halbgott meiner Anfangsjahre in Berlin, ganz nah beeinander in Moabit wohnten wir. Freilich traf ich ihn nie, aber ich kaufte jedes seiner Bücher und verschlang es. Das konnte ich mir damals mit links leisten, denn wenn man Buchhändlerin ist, bekommt man Bücher praktisch hinterhergeschmissen. 
  • 18:00 - 19:00 Uhr Futteraufnahme bei meinem Lieblings-Vietnamesen
  • 19:30 Uhr Ankunft in Neukölln, gutes Parkplatzkarma wirksam wie eh und je.
  • 20:00 Uhr Auftritt Max Goldt. Er ist genau so, wie ich es mir gedacht habe. Wer so schreiben kann, muss auch gut vorlesen können und er liest noch weitaus besser als Harry Rowohlt, dessen Lesungen ja immer als legendär wegen Länge und zunehmender Trunkenheit des Autoren, bzw. Übersetzers galten, die ich aber nach einer gewissen Zeit eher ermüdend fand. Ganz das Gegenteil nun Max Goldt, dem ich die ganze Nacht hätte zuhören wollen und können, wenn es nach mir gegangen wäre, aber ich hab ja nichts mitzureden und so blieb es bei zweieinhalb Stunden, aber die haben mich überaus beglückt.

Dafür werde ich Herrn Ackerbau immer zu Dank verpflichtet sein, einen Wunsch nun hat er bei mir frei - denn allein durch meine Schusseligkeit ist es mir in all den Jahren nie gelungen, rechtzeitig von einer Goldt-Lesung in Berlin Kenntnis zu erlangen. Und obwohl ich nun schon solange mit einem seiner guten Freunde befreundet bin, habe ich nie wieder die verpasste Gelegenheit ("Komm doch zu Klaus Bittermanns Party, ich hol dich an der Tür ab, Max Goldt ist auch da" - was mich damals in eine verschreckte Paralyse versetzte, die es mir unmöglich machte, auf dieser Party zu erscheinen, mein Gott, wie blöde von mir!) transfomieren können in eine genutzte Gelegenheit. Ich wurde schlicht nie wieder gefragt *schluchz*

Was für ein heiterer Abend! Einziges Manko: schräg links vor uns saß ein Typ mit einer meckernden, keckernden Lache und er lachte wirklich ununterbrochen, er lachte aus Prinzip und schon bevor der Satz zuende gebracht wurde, womit er wohl seine Kennerschaft ausdrücken wollte, damit aber nur Mordgelüste der direkt Umsitzenden hinaufbeschwor, aber dafür konnte Max Goldt ja nix.


Mittwoch, 13. Februar 2019

Das schwarze Sofa

Nachdem Das Magazin für Radikale Heiterkeit schon von einem Abend auf der Berlinale berichtet hat, möchte ich ihm in nichts nachstehen, wenn ich auch natürlich gewohnt nüchtern geblieben bin und daher keine Exzesse im wörtlichen Sinn zu beichten habe. Im übertragenen Sinn auch nicht, so gesehen.

Das einzig Exzessive war die Anzahl der Menschen, die ich kennengelernt habe, wohl weil ich so außergewöhnlich kommunikativ war. Dabei musste ich mich im Grunde nur von etwas ablenken und zwar gründlich und das ist mir auch gelungen, dem Himmel sei Dank. Und nein, darüber werde ich nicht näher berichten. Ein jeder von uns musste sich schon mal von etwas ablenken.

Jedenfalls stand ich sehr kurz auf der Preisverleihung im Gedränge und erspähte die einzige Sitzgelegenheit, ein schwarzes Sofa, am Rande des Saals, neben der Treppe, die hinunter zur Garderobe und den Waschräumen führte. Zunächst blieb die Auftragsmörderin neben mir sitzen, aber im Gegensatz zu mir hatte sie berufliche Pflichten zu erfüllen, während ich nur aus Jux und Tollerei erschienen bin.

Sie verschwand mit den Worten "Ich dreh mal 'ne Runde" und ich winkte ihr gleichmütig hinterher. Kaum war sie weg, setzte sich ein hornaltes Mütterlein zu mir. Sie sah aus wie eine 80 jährige Ex-Ballerina, mit einem außergewöhnlichem Gesicht und sehr gerader Haltung. Sie stellte sich mir formvollendet vor und ich bedauerte, dass ich sie nicht kannte, denn natürlich war sie eine Schauspielerin und im Prinzip kenne ich sie alle, nur nicht die aus deutschen Vorabendserien, weil ich die beim besten Willen nicht sehen kann. Die Auftragsmörderin kam auf einen Sprung vorbei, sie kannte die kleine Dame, was diese erkennbar erfreute.

Sie sei auf der Suche nach Freunden, die ihr gesagt hatten, dass sie auf diesem Empfang seien und ich dachte bei mir, was für eine couragierte 80jährige, denn eins ist klar, wenn ich erstmal 80 bin, werde ich auf keinen Berlinale Empfang mutterseelenallein gehen, in der Hoffnung, dass ich Freunde treffe. Ich werde nur aus dem Haus gehen, wenn ich schriftlich habe, dass ich Freunde treffen werde, besser noch, sie holen mich ab. Im Grunde mache ich das heute schon so. Es nützt einem der schönste Empfang nichts, wenn man kein back up hat, so sieht's doch aus.

Nach einer Weile verschwand die Ballerina wieder im Getümmel und ich sah ihr bewundernd hinterher. Lange Zeit blieb mir nicht, denn schon setzte sich die nächste Frau zu mir auf's Sofa, die ich für weitaus älter hielt als ich es bin; im Gelauf des Gesprächs allerdings stellte sich raus, dass sie zwei Jahre jünger ist. Diese nun duzte mich unverfroren, offenbar hielt sie mich für Fachpublikum und unter Filmleuten duzt man sich offenbar. Sie teilte mir sogleich mit, dass sie einen Roman geschrieben hat, von dem sie 10 Exemplare pro Monat verkaufe, obwohl der Verlag keine Werbung mache, das sei doch nicht schlecht, oder? Ich fragte nach dem Namen des Verlags, denn für derlei bin ich ja durchaus Fachfrau und deshalb weiß ich, der Name des Verlages bedeutet alles und bestimmt über Wohl und Wehe einer jungen Schriftstellerkarriere.

Wie ich vermutet habe, handelte es sich um einen Selbsverlag, mit dem man keinen Blumentopf gewinnen kann: Immerhin hat sie angeblich keinen Cent aus eigener Tasche investieren müssen, was ich ihr kaum glauben konnte, aber das war auch egal, denn nun kam sie zum wichtigsten Thema; ihr neuer Freund. Ein Franzose aus dem Internet, der sei auf ihrem Twitteraccount gelandet und seitdem seien sie zusammen und im Oktober zieht er zu ihr nach Berlin, sein Haus in Frankreich habe er schon verkauft und sie hätten sich auch schon zweimal gesehen und sexuell sei er die Erfüllung ihres Lebens, obwohl er einen Hüftschaden habe und kleiner sei, als sie. 

Ihr hörte ihrer atemlos vorgetragenen Intimbeichte zu, die Auftragsmörderin kam auf einen Sprung vorbei und nach ein paar mitgelauschten Sätzen verschwand sie sofort wieder in der Menge. Die hatte es gut, sie hatte ja berufliche Verpflichtungen.

Eine dritte Frau setzte sich zu uns auf's Sofa, die ich nun ausnahmsweise sofort erkannte und von der ich zufällig erst kürzlich eine beeindruckende Doku gesehen hatte und da ich inzwischen einigermaßen enthemmt war von dieser detailreichen französischen Liebesgeschichte, machte ich der Dokumentarfilmerin sofort Komplimente über ihre fabelhaften Oberarme beeindruckende Dokumentation über bescheuerte Neonazis und schon wollte die deutsche Catherine Deneuve neben mir auch die Mailadresse von der Doku-Filmerin haben (meine hatte sie sich schon umständlich in ein Notizheft geschrieben), die nun in mehrmaligen Anläufen versuchte, so deutlich zu buchstabieren, wie es der Klangteppich eines Empfanges eben erlaubt. 

Die Auftragsmörderin kam des Weges und ich stellte ihr die Doku-Filmerin vor, so standen wir zu dritt, Catherine Deneuve blieb sitzen und stand dann auf, um sich zu trollen. Ich hatte nun auch jedes Detail ihres Lebens erfahren, einschließlich ihrer langjährigen, sexuell unerfüllten Ehe und dem besorgten Sohn, der den Franzosen auch verdächtig findet. Ich wünsche dem jungen Glück aber trotzdem alles Gute. Vielleicht sollte ich mir auch einen Twitteraccount zulegen und gewönne dann einen sexuell begabten Skandinavier mit Hüftschaden für mich.

Ich setzte mich wieder, eine weitere Frau auf dem Weg zur Garderobe stoppte, ging in die Knie, stellte sich als Petra vor, und sei das nicht ein toller Empfang, so nette Leute und ich fragte mich insgeheim, mit wem sie mich wohl verwechselte, dann kamen ihre Freunde vorbei, die sich mir auch vorstellten und inzwischen hatte ich das Gefühl, dass ich auf dem schwarzen Sofa einer Königin gleich Hof hielt. Ehrlich gesagt, machte mir die Sache zunehmend Spaß.

Die Auftragsmörderin setzte sich eine Weile zu mir, dann kam eine Kollegin von ihr vorbei, die sich umgehend beschwerte, dass Autorinnen schlechter bezahlt werden als Autoren und da dachte ich: "Da waren sie wieder, unsere drei Probleme" und schon gab ich Tipps zum Entgelttransparenzgesetz, das freilich ein stumpfes Schwert und außerdem nur anwendbar in Unternehmen ab 200 Mitarbeiter*innen ist und so eine Autorin schreibt ja für gewöhnlich ganz allein bei sich daheim. Ich hätte es nie erwähnen sollen. Völlig nutzloses Wissen über ein so gut wie nutzloses Gesetz. 

Die kleine Ballerina kam wieder vorbei, im Schlepptau ihre Freunde. Ich war gottfroh, dass dieser gewiss beschwerliche Ausflug für sie von Erfolg gekrönt war. Es hätte mir sehr leid getan, wenn sie wieder nach Hause hätte gehen müssen, ohne mit jemand anderem außer mir gesprochen zu haben; wo ich sie nicht mal kannte. So möchte man als Schauspielerin in seinen späten Achtzigern doch wirklich nicht enden.  

Anmerkung: ich habe unterdessen nach ihr gegoogelt: sie ist eine wirklich beeindruckend gute Schauspielerin und shame on me, dass ich so eine Banausin bin.

Jedenfalls begleitete ich die Auftragsmörderin auf ihrer nächsten Runde und noch mehr Menschen kamen vorbei, diesmal alles Kollegen und Kolleginnen von ihr, durch die Bank ebenso entzückende Menschen wie die Auftragsmörderin selbst und was soll ich sagen, ich bin jetzt wieder Mitglied eines Lesezirkels und werde demnächst ein Geheimblog zusammen mit einer Dramaturgin schreiben.

Im nächsten Jahr komme ich wieder.



Montag, 11. Februar 2019

Das stille Mädchen

Beim Friseur sitzt eine Frau neben mir, was an sich nicht erwähnenswert ist, hätte sie nicht ihre kleine Tochter dabei gehabt, ca. 2-3 Jahre alt, die sie der Einfachheit halber einfach auf den Boden setzte zwischen uns beide, unter den Frisiertisch, der über die gesamte Wandbreite ging; an ihm ca. sieben Stühle, die alle besetzt waren.

Dieses Kind blieb dort über eine Stunde einfach sitzen. Muckste nicht, rührte sich nicht, schaute nur aufmerksam in den Raum. Das einzige, was es machte, war, mit den eigenen Händen zu spielen, so in der Art, wie wenn Erwachsene Däumchen drehen, also ohne hinzusehen. Kinder drehen dann etwas ungelenker die ganze Hand.

Als ich aufstand, zum Waschbecken rüber ging, damit mir die Farbe aus den Haaren gewaschen wird, konnte ich das Kind von vorne sehen. Dessen Mutter war ein paar Minuten später fertig und stand auf. Gemeinsam mit der Frriseurin betrachtete sie ihre Haare. Ihr Kind stand auch auf. Da befand die Mutter, die Friseurin müsse im Nacken noch etwas nachschneiden und setzte sich wieder.

Das Kind blieb stehen, lehnte sich nur einfach gegen die Wand, drehte seine Hände und schaute weiter aufmerksam und mucksmäuschenstill in den Raum oder zu seiner Mutter. Es war kein Anzeichen von Ungeduld oder Unruhe oder Bewegungsdrang zu erkennen, nur Geduld und Ergebenheit, aber in Form von Ergebenheit eines erwachsenen Menschen. In seinem ganzen Habitus war rein gar nichts kindliches mehr.

Ich war mittlerweile so geflasht von diesem kleinen Mädchen und außerdem den Tränen nahe. Dass man einem so kleinen Menschen schon jede altersgerechte Regung abgewöhnt hat - was musste man getan haben, um so ein Ergebnis zu erzielen? Die Mutter hatte keinen Blick für das Kind übrig. Eine scheinbar völlig natürliche Interaktion zwischen den beiden. Die Mutter beschäftigt mit sich und das Kind beschäftigt mit gar nichts und so auffällig unauffällig dabei, dass es zumindest mit das Herz zerriss.

Als die Mutter endlich mit ihrer Frisur zufrieden war, nachdem sie sich noch lange im Spiegel betrachtet hatte, sich immer wieder durch die Haare fuhr, machte das Kind einen  kleinen Schritt auf sie zu und legte eine Hand auf den Stuhl der Mutter und sah mit diesem aufmerksamen Blick hoch, wohl um den Augenblick nicht zu verpassen, in dem die Mutter (weiterhin ohne jeden Blickkontakt zum Kind) dessen Hand ergriff und zur Kasse ging.

Ich war indessen gewiss, dass hier ein Fall für das Jugendamt vorliegt. Anderen, vor allem den Friseurinnen, fiel ebenso auf, was das "für eine süße Kleine" ist und "so geduldig - habt ihr das gesehen?" Oder total frustriert, bestenfalls, dachte ich und kämpfte weiter mit den Tränen. In meinem ganzen Leben habe ich kein Kind wie dieses gesehen. 


Später am Abend im Kino sah ich "Der Junge muss an die frische Luft", dann war's vollends um mich geschehen. 




Dienstag, 5. Februar 2019

Die bleierne Ente

Neulich erzählte mir jemand von einem ganz tollen Schwimmbad in Zehlendorf.  Tolles Schwimmbad in Zehlendorf? Nie gehört, nie gesehen. Schwimmtechnisch sind die Zehlendorfer am Arsch der Welt.

Naja, ich hab dann mal recherchiert. Ich will ja immer noch so gerne Arme wie Michelle Obama kriegen. Gibt es hier doch tatsächlich ein Bad, das früher Hitlers Leibstandarte als Bootcamp für Seepferdchen und Fahrtenschwimmer gedient hat. Du meine Güte! Und es ist "behutsam" saniert worden, was nix anderes heißt, als das alles, was für Nazibauten typisch ist, genau so gelassen wurde, einschließlich der an die Wand gedengelter nackter Menschen in Übergröße. 



Ich muss das Bad dennoch loben, denn ist man erst mal drin, kann man sich nur freuen. Es ist nämlich sehr groß, 50x25 und 15 m hoch und da dauert es schon, bis einem mal ein anderer Schwimmer begegnet. Jedenfalls in meinem Fall, die ja eher Stand-Schwimmen kultiviert, bzw. in Ermangelung eines Schwimmstils einfach nicht voran kommt, also nur in Zeitlupe, ich also der Günter  die Gundula Netzer der Hallen- und Freibäder bin - ähm...was wollte ich sagen? Ach ja, es dauert, bis mal jmd. an mir vorbeipflügt. 

Hinzu kommt: in der Schwimmhalle hat's frische Luft. Keine saunös dicke Luft, eher eine gewisse Kühle, die sich fortsetzt, wenn man ins schattige Wasser steigt. Dauert ein bissel, bis einem warm wird, vor allem, wenn man drei Minuten für eine Bahn braucht. 

Es gibt nix, was das Auge ablenkt. Keine Rutsche, kein Sprungturnm, keine Liegen - hier soll niemand Spaß haben; einfach nur schwimmen und Fresse halten. 

Bildergebnis für Schwimmhalle FinckensteinalleeBildergebnis für Schwimmhalle Finckensteinallee

Aber ich hieße ja nicht Annika, wenn mir nicht mindestens zwei Honks begegnet wären. Ein sehr merkwürdiges Männerpaar, erkennbar nicht schwul, dennoch nicht einzuordnen. Ein alter (ca. 70) und ein jüngerer (ca. 45) Mann steigen gemeinsam ins Wasser, bleiben immerzu am Rand stehen, machen Gymnastikübungen und erzählen sich was. 

Ich glaube, der alte Mann muss unfreiwillig den Wingman für den Jüngeren geben, der nach kurzer Zeit im Wasser genießerisch sagt "Ich weiß schon, was wir die nächsten zwei Jahre am Wochenende machen: wir werden richtige Wasserratten." Der Ältere schweigt skeptisch und schaut mich irgendwie hilfesuchend an, vielleicht liegt hier ein Kapitalverbrechen vor: der alte Mann ist im Keller des Jüngeren eingesperrt und darf nur manchmal an die frische Luft. Aufgrund des Stockholm-Syndroms traut er sich nicht zu fliehen.

Als ich das nächste Mal vorbeischwebe, sagt der Jüngere "Nächsten Sonntag können wir doch auch bei Aqua Fitness mitmachen, guck mal da drüben, da sind auch Männer bei. Nicht so wie in Schöneberg, wo nur übergewichtige, alte Weiber mitmachen."


Wenn ich bei was wirklich die Hasskappe aufsetze, dann, wenn hässliche mittelalte Loser mit Schmerbauch und in Ermangelung eines altersgemäßen Freundeskreis mit einem Tattergreis als Wingman schwimmen gehen müssen, sich darüber beschweren, dass sie mit dem Anblick (ihrer Meinung nach) nicht genügend attraktiver Frauen konfrontiert werden.
 Ach, das war jetzt auch nicht PC: nix gegen Tattergreise, es gibt haufenweise Tolle davon, ganz bestimmt. 

Jedenfalls schwomm ich 40 Minuten, immerhin, ein Anfang und dann ging ich duschen, bzw. hätte ich gerne geduscht. Hier mein einziger Kritikpunkt: die Duschen lassen sich nicht regulieren und sind auf kochendheiß eingestellt. Ansonsten: tippe toppe, der Laden. 

Ich habe auch gleich einen psychologischen Anfängertrick gemacht, damit ich da bloß wieder hingehe: Badeanzug in der Dusche vergessen.  


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