Sonntag, 29. Dezember 2019

Wo ich gerade bin


Weihnachten ist überstanden und nun bin ich an der Ostsee, in einem Haus, das ich nicht wieder verlassen möchte. Das schöne ist, dass ich wegen meiner nun bald einjährigen Nichtraucherei nicht mehr im halbstundentakt vor die Tür muss, die Temperaturen haben sich nämlich finally empfindlich der dazugehörigen Jahreszeit angenähert. Eisiger Ostwind weht von hüben nach drüben. 

Deshalb müssen wir weiterhin Speck ansetzen, was uns an dieser hübsch anzusehenden Tafel gar nicht mal so gut gelingt, denn die Stühle sind die reinste Katastrophe. 


Was mache ich statt der nikotinbedingten Auszeiten? Ich lese obsessiv, wie damals als ganz junges Mädchen, als lesen innere Kündigung von der Blutsverwandtschaft bedeutete, abtauchen in die Internatsmitternachtspartys im Kreise von Hanni und Nanni. In diesem Sessel. Hervorragendes Zeit rumkriegen neben all dem kollektiven Gewandere durch die mecklenburgische Flora und Fauna.


Oder dem Rumgeliege auf diesen Sofas, die es mir besonders schwer machen, wieder aufzustehen und mich dem Leben zu stellen (weitere Wanderungen).


Kurz und gut: ich bin im Glück und wünsche allen ähnliches zum Jahresausklang; ich denke, das haben wir alle verdient.


Samstag, 21. Dezember 2019

Bei Königs zuhause

Ach, jetzt haben wir es endlich wieder geschafft: die längste Nacht bricht heute heran und ab morgen geht es wieder aufwärts. Es ist aber auch sehr dunkel in diesem Jahr. Zum Ende hin spülte es mich in eine Millionärs... ach, was sage ich: Milliardärsvilla. 

Als ich neulich auf diesem Konzert war, wurde auch für einen Chor geworben. Keine großen Ansprüche, keine Aufführungen, nur zum Spaß halt. Ging gleich zum Dirigenten, der mir versprach, einen Kontakt herzustellen, denn der Chor würde bei einer Dame proben, die ihr Haus geöffnet habe für die Proben und sie möchte vorher wissen, wen sie da einlasse. Aha, nun ja, also nix Gemeindehaus irgendwo, sondern eher Salon, hach dachte ich, mal sehen, wie das wird. 

Zu dritt meldeten wir uns bei der Dame, die huldvoll zurückschrieb, wir seien ihr herzlich willkommen, es wäre allerdings schön, wenn eine von uns auch die Tenorstimme singen könne. Ich empfahl mich, denn wie sagte ich während meiner aktiven Chorzeit immer "Untenrum bin ich echt gut". 

Schon "Stille Nacht, Heilige Nacht" muss ich nach unten oktavieren, weil mir höhe Töne Stimmbandlähmungen verursachen. Ich bin praktisch das stimmliche Gegenteil von Marianne Rosenberg, die hoch singt und mit einer tiefen Sprechstimme überrascht, während ich eher wie Franziska Giffey spreche, aber singe wie russischer Domkosake. 

Wir fuhren in dieser Woche zur angegebenen Adresse und standen andächtig vor einem Trumm von Villa, und zwar genau die Art von Villa, zu der wir niemals Zutritt erlangen würden, normalerweise.  Ehrfucht nahm von mir Besitz, denn landpomeranzisch wie ich nun mal bin, bin ich nicht frei von Dünkeln in die umgekehrte Richtung. Will sagen: echter Geldadel merkt in der ersten Millisekunde, dass ich aus einem handfesten niedersächsischen Reihenhaus stamme, da kann ich noch so vermeintlich natürlich säuseln - es wird immer eine Leutseligkeit zu erkennen sein, die verrät, dass ich mitnichten meine Freizeit in gigantischen Gründerzeitvillen verbringe.

Nun ist schiere Größe durchaus beeindruckend; in dem "Salon", in dem wir geprobt haben, hätte meine Wohnung gleich zweimal reingepasst. Aber, und das beobachte ich nicht zum ersten Mal, sichtbarer Reichtum hat nicht unbedingt etwas mit Geschmack zu tun. Es will sich auch selten ein heimeliges Gefühl einstellen. Wenn das nicht wie in der Bibliothek von Downton Abbey aussieht, hat die Hausherrin meiner Meinung nach kein Talent für's Ambiente - da kann noch so viel gefällige, gegenstandslose Kunst im Original an den Wänden hängen. 

Wenn ich dafür auf seelenlosen Sofas (gelb-orange) und Stühlen (Kirschholz) sitzen muss, die farblich mit gar nichts korrespondieren, auch nicht mit den endlosen Vorhängen (schlammfarben), die wegen der bodentiefen Fenster angebracht sind, dann hat das alles sicher eine Menge Kohle gekostet und die Bilder wurden auch nicht selber in die Wand gedübelt, aber ich möchte gar nicht tauschen. Anders übrigens bei der Villa, die mal die Auftragsmörderin gehütet hat; da wäre ich sofort eingezogen und hätte nichts verändert.

Die ca. 25 Damen und drei Herren bevölkerten den Raum zwar; schon allein deshalb, weil uns der Chorleiter zum umhergehen während des singens aufforderte, aber ich dachte, wie wohl der Raum wirkt, wenn man hier mal ganz allein ein Buch liest? Man ist dann ja doch irgendwie verpflichtet, jeden Abend 30 Leute einzuladen, um sich nicht ganz verloren zu fühlen, oder? Schließlich waren wir nur in einem Raum zugange. Das Haus birgt ja noch viel mehr, auf mehreren Stockwerken, die wir gewiss nie zu Gesicht bekommen.

Die Hausherrin indes entsprach dem Klischee einer etwas überkandidelten Charity-Witwe, schmal wie Wallis Simpson, aus der Ferne leicht derangiert wirkend, aus der Nähe indes erkennt man Spuren früherer Schönheit, mit überbordender, huldvoller Freundlichkeit, die in nichts meiner eigenen, leicht gequälten Leutseligkeit nachstand, mit dem unbedingten Willen, sich zu amüsieren, sich zu bewegen (= wippen beim singen) und etwas zu bewegen, nämlich am liebsten 30 andere, vielleicht nicht ganz so reiche Menschen, zu beglücken mit temporärer Aufenthaltsgenehmigung in ihren heiligen Hallen. Ich will das gar nicht kleinreden; die meisten reichen Leute hätten da wohl keine Lust zu, nehme ich an. 

Alles in allem ein skurriler, dennoch schöner Abend, denn singen macht einfach Spaß, egal wo. Punkt.

Montag, 9. Dezember 2019

Wenn sich Hedonisten trennen

Zuerst wollte ich ja über meinen ersten Husten (seitdem ich nicht mehr rauche) schreiben und dass das echt einen Unterschied macht, aber dann musste ich umdisponieren, weil mein kleines Herz starr vor Schmerz ist, dabei bin ich gar nicht betroffen von dieser zweit-beschissensten Trennung in diesem an Trennungen nicht eben armen Jahr.

Das flirrende kleine Geschöpf aus der DoKo-Runde, unserem jüngsten Mitglied, das vor über einem Jahr ein Kind gebar, in diesen irre heißen Sommer hinein und wir uns wegen ihr fast jeden Tag trafen, weil sie so litt und beschäftigt werden musste und wir ebenfalls litten unter dieser affigen Hitze und abgelenkt werden mussten und mit weicher Matschbirne den schlimmsten Scheiß zusammenspielten, also damals jedenfalls freuten wir uns alle auf das neue kleine Wesen, das bald unter uns sein würde, und nur der ebenfalls entzückende Vater irritierte mich kurz, als er die große Baby-Überraschungsparty für sie gab und uns erklärte, "Ihr sollte alle kommen, damit sie weiß, dass sie nicht allein ist, falls ich mal nicht mehr da sein sollte, weil sie doch keine Familie mehr hat" - und ich knurrte nur "Was soll'n das heißen: falls du mal nicht mehr da bist? Planst du jetzt schon deinen Abgang?" und ein Schmerz durchzuckte mich, stellvertretend, denn natürlich war von dem Moment an klar, dass er gehen würde. 

Und nun erfahre ich, dass er vor ein paar Wochen morgens um 7 Uhr stinkbesoffen heimkam, "Hab dich nie richtig geliebt, aber das Kind wollte ich, Gespräche zwecklos, ich bin durch mit allem", seine Klamotten packte und jetzt 1-2 mal die Woche vorbeikommt und das Kind hütet, wenn sie arbeiten geht. 

Wenn sie dann weint, blockt er jedes Gespräch ab "Ach, das ist alles schon soweit weg von mir...". Sie isst nicht mehr, sie schläft nicht mehr, sie ist in der Hölle. Sie muss sich eine neue Wohnung suchen, denn ihre billige kleine Wohnung hatte sie aufgegeben, als sie mit ihm zusammengezogen ist. Sie wird natürlich gar keine andere finden, jedenfalls nicht dort, wo sie jetzt wohnt. 

Er, übrigens diplomierter Psychologe, hat nicht das geringste Mitgefühl mit seinem Kind, dem er eine stabile Mutter wünschen sollte, aber alles dafür tut, dass demnächst beide aus dem 5. OG springen. 

Eine andere entferntere Bekannte, verheiratet, drei Kinder, ihr Mann hat sich in eine andere verliebt. Kommt vor, macht ja niemand extra, sage ich immer. Aber er möchte, dass sie mit den drei Kindern auszieht, weil er mit der Neuen ins Haus ziehen will. Das Haus hat ihr Architektenvater erbaut und größtenteils finanziert, aber das ficht ihn nicht an.

Wieder eine andere findet im Handy ihres Mannes ein Selfie: er selbst mit erigiertem Schwanz, geschickt an eine Minderjährige aus der Nachbarschaft. Beides sogenannte Akademiker-Haushalte.

Welten können innerhalb Sekundenbruchteilen zusammenbrechen. 

Ich weiß nicht, waren Trennungen immer schon so brutal? Die Geschichten werden immer grausiger. 

Was noch? Lustige kleine Seite gefunden, via "A Grouchy German is a Sour Kraut!":
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Edit 21.12.: Eine Leserin empfahl mir das Kursbuch 87 "Trennungen", erschienen März '87. Hab es mir gleich bestellt und allein der erste Text "Schnittmuster" von Keto von Waberer ist so ziemlich das Beste und Lustigste, was ich zum Thema gelesen habe. Sehr empfehlenswert.