Aber es gibt auch noch andere Trauerbewältigungsstrategien und zwar von Witwern, genauer gesagt, dem Vater einer Freundin. Deren Mutter ist kürzlich gestorben und als ob das nicht schon schlimm genug ist, lüftete der Vater ein Familiengeheimnis, kaum dass sie zwei Minuten nicht mehr von dieser Welt war. Und das kam so:
Die Krankenschwester kam in das Zimmer und öffnete das Fenster, "Damit die Seele..." - "Wen sie jetzt wohl alles trifft, da wo sie hingeht?" Der Vater schnaubte: "Ick weeß schon, wen'se trifft. Heinz!"
In der Folge stellte sich heraus, dass die Mutter eine zwanzigjährige Affaire mit Heinz hatte, die aber vor dreißig Jahren beendet wurde. Der Plan der beiden Liebenden war, abzuwarten, bis die Kinder
Nun ist der Vater nach über dreißig Jahren geradezu besessen von dem Thema. Er kramt in ihren Sachen und findet Indizien. Meine Freundin nennt das "die retrospektive Scheidung". Er findet unaufhörlich Anhaltspunkte für ihren liderlichen Lebenswandel.
"Hier, nu sieh dir das an: ein BH für 45 €, für 45 €, hat man Töne? Zuwas hat sie wohl so teure Wäsche gebraucht, das frag ich dich."
"Papa, den habe ich mit ihr zusammen gekauft, als sie Brustkrebs bekam!"
"Und hier, 10 Packungen Strumpfhosen, ungebraucht, will mal wissen, woher sie das Geld für sowas hatte."
"Papa, das war ein Sonderangebot."
"Das Kleid hier, das hatte sie niiie an, da durfte sie wohl nur Heinz drin sehen. Und guck mal, die Briefe hier, die hat sie ihm alle geschrieben und nie abgeschickt und ein Märchen über die Geschichte hat sie auch noch geschrieben."
"Papa, das will ich alles gar nicht wissen, ich bin dein Kind, das musst du deinen Freunden erzählen."
"Ja, hab ich auch schon überlegt. Das ist nichts für die Kinder. Haste Recht. Aber kuck mal, was ich hier gefunden habe, Briefe von Heinz, musste unbedingt lesen."
Während sie mir das erzählte, liefen wir in der Märkischen Schweiz umher (und begegneten pausenlos Wanderern, die am 100-Kilometer-Lauf-ohne-Schlaf teilnahmen. Einer war extra aus Bayern angereist und lief mit offenem Hosenstall, damit die Hose nicht an den Oberschenkeln scheuert - was das eine mit dem anderen zu tun hat, ist mir ein Rätsel).
Zurück zum Thema: ich lachte und lachte, weil es so absurd ist und sie ihn lebensecht nachmachte in seiner grenzenlosen Empörung. Ich kenne ihn, ein Mann von äußerst schlechten Benehmen, ein Tyrann, der nie gesprochen hat, immer nur gebellt und Leute, vorzugsweise seine Frau brüsk angepflaumt hat. Eine Scheidung kam für ihn, wie bei Helmut Schmidt, nicht in Frage. Ehrenkodex oder so.
Ich meinte, dass es doch tragisch ist, dass er sich mit seiner ewig schlechten Laune selbst verbaut, dass auch nur ein Mensch zu ihm sagt "Das tut mir leid, muss schlimm für dich gewesen sein." und dann herzlich drückt. Ja, sagte sie, sehr tragisch, vor allem fürchte sie, dass er langsam aber sicher psychotisch wird, er beschäftigt sich mit nichts anderem und fördert Tag für Tag neue 'Beweise' ans Licht.
Für sie ist es, als ob sie ihre Mutter ganz neu kennenlernt. Das Geheimnis meiner Mutter hat sie mir schon zu Lebzeiten gestanden, wie sie damals... aber lassen wir das.
"Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Tolstoi
Und ich dachte immer, Pferde schlafen im Stehen.
AntwortenLöschenDas Geheimnis meiner Mutter sorgte irgendwann in meinem zehnten Lebensjahr für einen handfesten Krach, als ihr Kurschatten "Heinz" plötzlich bei uns zu Hause vor der Tür stand.. Das hat meine Welt ganz schön erschüttert. :( Aber ich denke, Geheimnisse hat jede Frau, ich auch.
Das Geheimnis meiner Mutter hat sie mir erst erzählt, als ich die sittliche Reife und Festigung hatte und ich war sehr gerührt, dass sie mal eine femme fatale war, für eine Nacht. Habs ihr von Herzen gegönnt.
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