Mittwoch, 28. Juni 2017

Paare auf der Straße

Ich fahre durch eine kleine Anliegerstraße. An der Kreuzung steht mitten auf der Fahrbahn eine zierliche, alte Dame mit einem Rollator. Ihr Mann zwei Schritte von ihr entfernt. Sie versprüht heilige Wut, ein Ehekrach vermutlich, der keinen Aufschub duldet. Obwohl es wirklich eine kleine Straße ist, empfehlen sich Streitigkeiten dennoch auf dem Bürgersteig, meine Meinung. 

Ich fahre langsam auf die beiden zu, sie sind versunken in ihrer Ehehölle und so lütt und zerbrechlich sie auch ist, sie hat Kraft zum streiten. Schimpft wie ein Rohrspatz und benutzt den Rollator angedeutet als Waffe. Wie so eine kleine Senioren-Stalin-Orgel schubst sie ihn in seine Richtung, kann ihn aber nicht loslassen, weil sie dann umfallen würde. 

Sie sehen mich, gehen weiter und als sie beim Bürgersteig angekommen ist, hebt sie den Rollator an und schmeißt ihn mit Kawumm über die Kante. Er gibt keinen Mucks von sich. Was um alles in der Welt, frage ich mich, macht einen Menschen über 80 noch so sauer? 

***

Vor einem geschlossenem Café warte ich auf meine Verabredung. Mit mir die Bedienung, die ebenfalls nicht reinkommt. Sie telefoniert mit ihrem Chef, wo er bleibt. 

Ein Paar kommt auf uns zu. Sie ca. 60-65, blond gefärbt, schwarz gemalte Augenbrauen und oranger Lippenstift, der zerlaufen ist in einem bleichen Gesicht. Bette Davis, Modell Friedenau. Sie hat Leggins in orange an, ebensolche Sneekers und ein langes T-Shirt in orange-grau. Er ca. 20-25, mit Migrationshintergrund (verdammte Scheiße, wie drückt man das heutzutage politisch korrekt aus?)

Sie spricht uns munter an, weshalb das Café noch nicht auf ist. Die Bedienung sagt, sie warte auf den Chef. Zu mir wieder: "Das könnte ich mit meinen Leuten nicht machen, sie muss doch einen Schlüssel haben! Das geht so nicht." 

Dann an ihn gewandt, mit Besitzerstolz: "Schatzi, hier können wir nicht frühstücken. Komm, wir suchen uns was anderes." Sie will sich bei ihm einhaken, aber Schatzi blieb eben schon zwei Meter hinter ihr stehen und nun will er schon gar nicht Hand in Hand mit ihr gehen. Er stößt sie von sich weg. Es ist ihm derart peinlich, mit ihr als Paar sichtbar zu werden und mir ist es peinlich, was die beiden sich antun, aus welchen Gründen auch immer. 


***

Später, als das Café offen ist, kommen die beiden zurück. Er fängt meinen Blick auf, sie ruft in den Innenhof, mit durch nichts zu erschütternden Frohmut "Wo wollen wir uns hinsetzen? Aber nicht in den Schatten, Schatzi, ich will in die Sonne." Er deutet wortlos auf einen Platz in der Hofeinfahrt, wo die beiden unsichtbar für alle sind. Im Schatten. Schattiger geht es gar nicht. 

Ich finde, wer A sagt, muss auch B sagen. 

Samstag, 24. Juni 2017

Nordsee - gefährliches Pflaster

Ich hatte ein klein wenig zu früh frohlockt bezüglich der frischen Brise an der Küste. Es war drückend heiß und zwischendurch gab es Gewitter, die alles nur noch tropischer machten. Obwohl so ein Gewitter am Meer seinen eigenen Charme hat. Die Donner sind keine gewöhnlichen Donner, sondern ein nicht enden wollendes Grollen, ich glaub, es liegt an der Akustik, ein ganz satter Ton, der einem alle Haare zu Berge stehen lässt. Ich liebe das.

Auf der Hinfahrt sahen wir, nachdem wir den Elbtunnel ohne weitere Vorkomnisse passierten, dass auf der Gegenseite ein 6 km langer Stau war. Da beschloss ich, dass ich den Rückweg über Norwegen nehme. Für kein Geld der Welt warte ich stundenlang vor einem Tunnel, nur um weitere Stunden im Tunnel zu verharren. Ich bin doch nicht bekloppt. 

Als wir am Hafen ein Eis aßen, lernten wir eine Frau kennen, die neben uns saß. Beziehungsweise lernte ich sie nicht kennen, sondern meine Begleitung, die für jeden Menschen ein freundliches Wort übrig hat. Die alleinreisende Dame erzählte dann in einem merkwürdig schleppendem Singsang auch gleich ihr ganzes Leben: ihre zwei Scheidungen, ihr harter Job, ihre Töchter und dass sie sich nicht nehmen lässt, seit 30 Jahren an diesen Ort zu fahren, in die immer gleichen Pension, ihr Highlight des Jahres. 

Ich möchte mich hier nicht interessanter machen als ich bin: für letzteres habe ich sogar Verständnis; auch wenn ich gerne die Gemächer wechsle, um dem Ganzen wenigstens ein Hauch von Abenteuer zu geben.

Immerhin: mehrmals war ich im Watt, ziemlich weit draußen, über die Priele hinaus, bis dorthin, wo wieder Wasser ist, das darauf wartet, gemächlich zurückzufließen in Richtung Deich.





Ich drehte mich oft um zum Ufer um, also zum richtigen Ufer und dachte, wenn jetzt nur kein Unglück geschieht, weil wir den Ebbe-Flut-Kalender falsch verstanden haben. Im Grunde ist es wie auf dem Mond. Stille, winzig kleine Dünen unter den Füßen und ich versuchte mir in case of Seenebel einzuprägen, wie es sich unter den Füßen anzufühlen hat, um nicht weiter raus, sondern wieder zurück ans Ufer zu laufen. 

Plötzlich hielt ich inne, ein Brausen und Sausen kam über das Meer, der Himmel verdunkelte sich und mir war klar, jetzt ist er da, der Notfall. Aus dem Nichts kamen Wellen. In meiner kleinen Welt waren das Monsterwellen. 

Mir wurde schwindelig. Das musste ich natürlich verheimlichen. Man macht sich ja zum Obst als Vollblutneurotikerin, wenn man nicht nur retrospektiv und sich selbst verspottend von hirnrissigen Panikattacken berichtet, sondern die Peergroup live dabei ist. Aus der Schublade kommt man ja nie wieder raus.



Also behauptete ich, dass ich das Fischbrötchen nicht vertragen habe und jetzt ganz dringend wohin müsse. Niemandem ist aufgefallen, dass ich gar kein Fischbrötchen gegessen habe. Oder sie taten so. Was ja auch nett ist.