Ich habe heute die coolste Achtzigjährige aller Zeiten kennengelernt. Doch ja, es gibt arschcoole Achtzigjährige. Die wirken wie dreißig. Die bewegen sich quick, sie sehen aus wie ehemals bildschöne Frauen, sind also immer noch schön, mädchenhaft, haben eine ganz junge Stimme und erzählen den gleichen Kram wie ich.
Anlass: Abschiedsfest bei der Mutter meiner besten Freundin, die mit ihren 70 Jahren auch noch eine kapriziöse Grandezza an den Tag legt, wenn sie mit Sonnenbrille und hochgestelltem Kragen einer eng taillierten Jacke zu meinen Zigaretten greift "Schätzchen, ich darf doch", was mehr eine Feststellung als eine Frage ist. Jedenfalls, es gab ein Festessen im Kreise ihrer Freundinnen zu Ehren ihrer Tochter, die sie gern herzeigt; als beste Freundin hat sie mich in den Schoß ihrer Wahlverwandschaften aufgenommen.
Da kam also diese hinreißende Achtzigjährige rein, die höchstens wie 60 aussieht und zwar wie eine verdammt guterhaltene Sechzigährige und nahm den Raum sofort ein. Sie wirkte derart jung, dass ich sie ganz fasziniert anstarrte.
Als ich ging, fragte sie mich, ob ich sie ein Stück mitnehmen könne, zu einer S-Bahn, sie müsse nach Wannsee, sie wohne in der Nähe der Liebermann-Villa und ich dachte, sakradi, die fährt Nachts noch mit den Öffentlichen durch die Stadt. Als wir im Auto saßen, erzählte sie mir, dass sie seit September einen neuen Freund hat, einen ehemaligen Arzt. Und wie das so angefangen hat und wie es jetzt läuft. Wie sie sich Sorgen gemacht hat, ob er wohl noch "kann", also er kann noch, aber er kann nicht so gut kommen, das sei schon immer sein Problem gewesen, daher habe sie mehr davon, als er, leider. "Ihr habt noch Sex?" - "Aber sicher!"
Außerdem sei er so fit mit seinen 83 Jahren, dass er noch letztes Jahr in Katmandu von 1000 Meter hoch auf 5000 Meter ins Basislager gestapft ist. Und ich halte es für erwähnenswert, dass ich fünf Stockwerke zu Fuß schaffe, ohne ins Sauerstoffzelt zu müssen, ist das zu fassen? Und dass sie lange Zeit ihr Alter voreinander verschwiegen hätten, sie war sich nämlich sicher, dass er mindestens 10 Jahre jünger sei als sie, also jugendliche 70 und er dachte dasselbe. Im übrigen würde sie sich fühlen wie dreißig und es sei schon schwer, dass "in letzter Zeit" die Männer nicht mehr so gucken. Wahrscheinlich fühlen wir uns alle wie dreißig, zeitlebens.
Ich hab sie nicht nur bis zur S-Bahn gefahren, sondern bis nach Hause, das Gespräch war zu amüsant. Sie bat um meine Karte, sie wolle mich unbedingt zum Kaffee einladen und ehrlich gesagt, ich freu mich schon drauf.
Als ich nach Hause kam, hatte sie mir schon auf den AB gesprochen und sich noch mal bedankt für's nachhausebringen - es hat ein bißchen gedauert, bis ich begriff, dass sie es war. Sie hört sich wirklich an wie eine sehr junge vergnügte Frau.
Donnerstag, 30. April 2015
Dienstag, 28. April 2015
To whom it may concern
Ab 30 Grad Wärme rufe ich die Vereinten Nationen an, es wird zu heiß, tut was dagegen.
Sauna? Nix für mich. Aber was macht man nicht alles für die beste Freundin. Mal chillen imWasabi Vabali, dem schönsten Spa der nördlichen Halbkugel, verspricht sie mir. Was soll ich sagen? 10 Stunden waren wir dort.
Es gibt 200 Liegen, 30 Wasserbetten, 20 Sofas, 30 Sessel, grob geschätzt. Es riecht nicht nach Chlor, es herrscht keine tropische Schwüle, es ist leise, alles murmelt, gütiges Dämmerlicht in allen Räumen, flauschige Teppiche verschlucken das Quietschen nasser Flip Flops, Innenpool, Außenpool, über jeder Kloschüssel hängt eine komische Kette als Kunstwerk verkleidet, Essen kann man auch gut. Und parken erst: direkt vor der Tür, für 1,50 € den ganzen Tag - wo gibt's denn sowas? Ach ja, und 11 Saunen, aber die hatte ich nicht auf der Agenda. Wer das konzipiert hat, wollte nur eins: dass Leute beseelt nach Hause gehen.
Ich habe soviel Nickerchen gehalten, dass ich mich heute Nacht mit anderen Dingen beschäftigen kann, vielleicht alphabetisiere ich meine Bücher.
Als ich mich wieder anzog, war noch eine andere Frau in der Umkleide.
Ich sagte "Ein langer Tag geht zuende. Und so ein Schöner."
Sie sah mich nachdenklich an und antwortete "Im Grunde ist jeder Tag schön. Es sind die einzigen, die wir haben."
Sauna? Nix für mich. Aber was macht man nicht alles für die beste Freundin. Mal chillen im
Es gibt 200 Liegen, 30 Wasserbetten, 20 Sofas, 30 Sessel, grob geschätzt. Es riecht nicht nach Chlor, es herrscht keine tropische Schwüle, es ist leise, alles murmelt, gütiges Dämmerlicht in allen Räumen, flauschige Teppiche verschlucken das Quietschen nasser Flip Flops, Innenpool, Außenpool, über jeder Kloschüssel hängt eine komische Kette als Kunstwerk verkleidet, Essen kann man auch gut. Und parken erst: direkt vor der Tür, für 1,50 € den ganzen Tag - wo gibt's denn sowas? Ach ja, und 11 Saunen, aber die hatte ich nicht auf der Agenda. Wer das konzipiert hat, wollte nur eins: dass Leute beseelt nach Hause gehen.
Ich habe soviel Nickerchen gehalten, dass ich mich heute Nacht mit anderen Dingen beschäftigen kann, vielleicht alphabetisiere ich meine Bücher.
Als ich mich wieder anzog, war noch eine andere Frau in der Umkleide.
Ich sagte "Ein langer Tag geht zuende. Und so ein Schöner."
Sie sah mich nachdenklich an und antwortete "Im Grunde ist jeder Tag schön. Es sind die einzigen, die wir haben."
Sonntag, 26. April 2015
Männerbekanntschaften 3
Gestern sah ich den Goldjungen wieder. Eindeutig ein Mann für den zweiten Blick. Schreiben kann er auch. Okay, er trägt komischen Schmuck, aber irgendwas ist eben immer. Ich war hier, aber erst um 19 Uhr, weil mich nur "Absacken mit der Wahrheit" interessiert hat. Habe Tränen gelacht, aber auch geweint, weil ich auf Bierbänken sitzen musste. Ich bin nicht gerade eine begnadete Sitzerin, mich kann man nicht einfach irgendwo parken, auch Restaurants bekommen von mir nur Sterne verliehen, wenn's anständige Sessel hat. Aber was tut man nicht alles für die Guldur.
Außerdem wurde ich ihm vorgestellt, und zwar gleich zweimal, das erste Mal von einer Bekannten "das ist die berühmte Bloggerin Christine", wofür ich mich grauenhaft schämte, denn wenn ich eins nicht bin, dann ich kann es nicht wiederholen, abgesehen davon, dass kaum jemand davon weiß, es auch gar nicht erfahren soll und dass ich nicht Christine heiße, aber das nur nebenbei. Sie entschuldigte sich, sie habe es nicht so mit Namen, wofür sie mein volles Verständnis hat; einmal fiel mir nicht mal der Name meiner allerbesten Freundin ein. Das zweite Mal mit richtigen Namen, ich fiel dem Vorsteller ins Wort "Wir wurden schon...", wurde aber unterbrochen von ihm (s.o.) "Pscht, schad' doch nix."- ein ganz und gar gelassener Mann.
So erlebte ich, dass man auch gezeichnete Witze vortragen kann, aber nicht unbedingt muss. Einerseits schade, denn er kann sehr gut vorlesen, mit verteilten Rollen, aber es verpufft doch einiges im Nirvana, weil der Bildschirm nicht groß genug fürs Auditorium war, obwohl das eigentlich nur ein versprengter Haufen in einem Zelt war.
Was auch wieder schade war, eine größere Bühne und damit einhergehende vernünftige Stühle hätten sie verdient, der eine wie die andere. Und dieses aus der Mottenkiste, dennoch Lachtränen treibende Kabinettstückchen über den eitlen Hans Küng höre ich immer wieder gerne. Das Beste aber war das hier - danach war ich abgeschminkt.
Die Auftragsmörderin saß tiefgebeugt neben mir und schrob und schrob. Als sie Tage vorab um Akkreditierung bat, wurde sie vom Fleck weg engagiert und musste sich schon den ganzen Tag dort herumdrücken. Später beköstigte sie uns mit ihren Getränkegutscheinen.
Fast das Schönste am Abend war die Fahrt nach Hause, muss ich doch nicht mehr auf Bus und S-Bahn warten, an keinem Wald entlang hetzen auf der Flucht vor Pädophilen, die sich mangels Alternativen auch mal eines älteren Semesters annehmen, sondern habe wegen meines exorbitant guten Parkplatz Karmas nur drei Schritte zu laufen, schon sitze ich im Warmen, höre Marbles und Kinobe und versteige mich gar zu der Ansicht, dass das Leben doch manchmal ein Ponyhof ist.
Außerdem wurde ich ihm vorgestellt, und zwar gleich zweimal, das erste Mal von einer Bekannten "das ist die berühmte Bloggerin Christine", wofür ich mich grauenhaft schämte, denn wenn ich eins nicht bin, dann ich kann es nicht wiederholen, abgesehen davon, dass kaum jemand davon weiß, es auch gar nicht erfahren soll und dass ich nicht Christine heiße, aber das nur nebenbei. Sie entschuldigte sich, sie habe es nicht so mit Namen, wofür sie mein volles Verständnis hat; einmal fiel mir nicht mal der Name meiner allerbesten Freundin ein. Das zweite Mal mit richtigen Namen, ich fiel dem Vorsteller ins Wort "Wir wurden schon...", wurde aber unterbrochen von ihm (s.o.) "Pscht, schad' doch nix."- ein ganz und gar gelassener Mann.
So erlebte ich, dass man auch gezeichnete Witze vortragen kann, aber nicht unbedingt muss. Einerseits schade, denn er kann sehr gut vorlesen, mit verteilten Rollen, aber es verpufft doch einiges im Nirvana, weil der Bildschirm nicht groß genug fürs Auditorium war, obwohl das eigentlich nur ein versprengter Haufen in einem Zelt war.
Was auch wieder schade war, eine größere Bühne und damit einhergehende vernünftige Stühle hätten sie verdient, der eine wie die andere. Und dieses aus der Mottenkiste, dennoch Lachtränen treibende Kabinettstückchen über den eitlen Hans Küng höre ich immer wieder gerne. Das Beste aber war das hier - danach war ich abgeschminkt.
Die Auftragsmörderin saß tiefgebeugt neben mir und schrob und schrob. Als sie Tage vorab um Akkreditierung bat, wurde sie vom Fleck weg engagiert und musste sich schon den ganzen Tag dort herumdrücken. Später beköstigte sie uns mit ihren Getränkegutscheinen.
Fast das Schönste am Abend war die Fahrt nach Hause, muss ich doch nicht mehr auf Bus und S-Bahn warten, an keinem Wald entlang hetzen auf der Flucht vor Pädophilen, die sich mangels Alternativen auch mal eines älteren Semesters annehmen, sondern habe wegen meines exorbitant guten Parkplatz Karmas nur drei Schritte zu laufen, schon sitze ich im Warmen, höre Marbles und Kinobe und versteige mich gar zu der Ansicht, dass das Leben doch manchmal ein Ponyhof ist.
Donnerstag, 23. April 2015
Lost in Space
Kürzlich habe ich mir ja ein Auto gekauft und das muss natürlich umgemeldet werden. Hat jemand in letzter Zeit mal versucht, ein Auto umzumelden? Ist nicht mehr so, dass man in die Jüterboger Straße fährt, eine Wartenummer zieht, seinen Picknickkorb auspackt und die drei Bücher neben sich legt, für die man jetzt die einmalige Gelegenheit bekommt, sie in einem Rutsch durchzulesen.
Nee, der Senat will nicht mehr, dass man sich über Gebühr den Hintern platt sitzt. Deshalb muss man sich online einen Termin holen. Der frühestmögliche war heute, drei Wochen nach Autokauf. Clever, wie ich bin, such ich im Internet nach Zulassungsdiensten. Rufe den ersten an, niemand geht dran. Den zweiten, keiner zuhause. Einen dritten erreiche ich, 19,90 € stand marktschreierisch auf seiner Seite. Im Gespräch ergaben sich Nebenkosten, flugs wollte er 45 € für seine Dienste. 90 Mark? Nicht mit mir.
Selbst ist die Frau und so komme ich mit allen Unterlagen präpariert dort an. Sofort bricht eine Major Depression aus. Was für ein trostloser Ort. Hier muss dringend mal ein Feng Shui Experte ans Werk. Überall warten frustrierte Menschen, die mit ihrem Leben abgeschlossen haben. Sie stehen in den Gängen, sitzen in überfüllten Warteräumen und ich versuche herauszufinden, wo ich hin muss. Mir erscheinen die Wegweiser unübersichtlich und schwer verständlich.
Als ich meinen Warteraum gefunden habe, sehe ich auf meinem Zettel nach, welche Vorgangsnummer ich habe. 43881. Die Anzeigetafel zeigt in einer Tour neue Nummern an. 133478. 888762. 7743. 9776123. Es ertönt alle fünf Sekunden ein Gong, damit man auch ja zur Tafel hochblickt und seine Nummer nicht verpasst. Von all dem Zahlenwust werde ich gaga und muss immer wieder auf meinen Zettel gucken, dann gongt es schon wieder - ich kann nicht mal eine sms in Ruhe lesen, so konzentriert muss ich bei der Sache bleiben.
Wenn die nun schon für jeden Tag Termine im 10 Minuten Rhythmus vergeben, weshalb dann nicht in numerischer Reihenfolge? Man zieht die 67 und sieht an der Tafel die 24 und schon weiß man, dass man eine ganze Weile weiter an seinem Roman schreiben kann. IKEA kann das doch auch.
227654 pling
2299987 pling
234 pling
86551 pling
105567 pling
Ganz klar, die wollen, dass ich durchdrehe. Kein Mensch bleibt geistig auf der Höhe, wenn er eine Stunde lang zugeplingt wird und unentwegt die Anzeigetafel anstarren muss. Mittlerweile weiß ich meine Nummer auswendig und halte mich für eine Schachweltmeisterin. Eine Spätberufene zwar, aber manche Talente müssen eben erst wachgekitzelt werden. Zufallsdiagnose.
Um mich herum vor allem Russen und Tschetschenen. Aufmerksam und freundlich geben sie mir ungefragt Ratschläge; entweder halten sie mich für schwachsinnig oder sie haben einen unausrottbaren Beschützerinstinkt für Frauen. Oder beides. Ich bin ihnen sehr dankbar, vor allem, weil sie immer im passenden Moment die richtige Antwort auf meine ungestellte Frage geben. Eine Kunst ist das. Wo lernen die das?
Eine hochschwangere Frau flippt ein bißchen aus und brüllt in den Saal, weshalb sie sich eigentlich einen Termin holen muss, wenn sie dann noch in diesem versifften Verhau entbinden muss.
Endlich wird meine Nummer aufgerufen, ich spring auf und seh erst jetzt, dass neben 43881 noch eine 38 steht. Platz 38. Heilige Scheiße, wo finde ich denn Platz 38? So schnell ich aufgestanden bin, so abrupt bleibe ich wieder stehen. Aber der hilfsbereite, ältere Herr aus dem Nordkausasus sagt "Chommen Sie, Chommen Sie, ich bringä Sie." Dann hetzt er mit mir durch das Gebäude und führt mich zu Platz 38. Ohne ihn... herrje.
Wenn ich später mal in Rente bin und mich langweile, werde ich ehrenamtlich in der Jüterboger Straße tätig. Da werde ich echt gebraucht. Senior Admissions Officer. Einen Hebammenkurs werde ich auch noch machen, falls Niederkünfte anstehen.
Nee, der Senat will nicht mehr, dass man sich über Gebühr den Hintern platt sitzt. Deshalb muss man sich online einen Termin holen. Der frühestmögliche war heute, drei Wochen nach Autokauf. Clever, wie ich bin, such ich im Internet nach Zulassungsdiensten. Rufe den ersten an, niemand geht dran. Den zweiten, keiner zuhause. Einen dritten erreiche ich, 19,90 € stand marktschreierisch auf seiner Seite. Im Gespräch ergaben sich Nebenkosten, flugs wollte er 45 € für seine Dienste. 90 Mark? Nicht mit mir.
Selbst ist die Frau und so komme ich mit allen Unterlagen präpariert dort an. Sofort bricht eine Major Depression aus. Was für ein trostloser Ort. Hier muss dringend mal ein Feng Shui Experte ans Werk. Überall warten frustrierte Menschen, die mit ihrem Leben abgeschlossen haben. Sie stehen in den Gängen, sitzen in überfüllten Warteräumen und ich versuche herauszufinden, wo ich hin muss. Mir erscheinen die Wegweiser unübersichtlich und schwer verständlich.
Als ich meinen Warteraum gefunden habe, sehe ich auf meinem Zettel nach, welche Vorgangsnummer ich habe. 43881. Die Anzeigetafel zeigt in einer Tour neue Nummern an. 133478. 888762. 7743. 9776123. Es ertönt alle fünf Sekunden ein Gong, damit man auch ja zur Tafel hochblickt und seine Nummer nicht verpasst. Von all dem Zahlenwust werde ich gaga und muss immer wieder auf meinen Zettel gucken, dann gongt es schon wieder - ich kann nicht mal eine sms in Ruhe lesen, so konzentriert muss ich bei der Sache bleiben.
Wenn die nun schon für jeden Tag Termine im 10 Minuten Rhythmus vergeben, weshalb dann nicht in numerischer Reihenfolge? Man zieht die 67 und sieht an der Tafel die 24 und schon weiß man, dass man eine ganze Weile weiter an seinem Roman schreiben kann. IKEA kann das doch auch.
227654 pling
2299987 pling
234 pling
86551 pling
105567 pling
Ganz klar, die wollen, dass ich durchdrehe. Kein Mensch bleibt geistig auf der Höhe, wenn er eine Stunde lang zugeplingt wird und unentwegt die Anzeigetafel anstarren muss. Mittlerweile weiß ich meine Nummer auswendig und halte mich für eine Schachweltmeisterin. Eine Spätberufene zwar, aber manche Talente müssen eben erst wachgekitzelt werden. Zufallsdiagnose.
Um mich herum vor allem Russen und Tschetschenen. Aufmerksam und freundlich geben sie mir ungefragt Ratschläge; entweder halten sie mich für schwachsinnig oder sie haben einen unausrottbaren Beschützerinstinkt für Frauen. Oder beides. Ich bin ihnen sehr dankbar, vor allem, weil sie immer im passenden Moment die richtige Antwort auf meine ungestellte Frage geben. Eine Kunst ist das. Wo lernen die das?
Eine hochschwangere Frau flippt ein bißchen aus und brüllt in den Saal, weshalb sie sich eigentlich einen Termin holen muss, wenn sie dann noch in diesem versifften Verhau entbinden muss.
Endlich wird meine Nummer aufgerufen, ich spring auf und seh erst jetzt, dass neben 43881 noch eine 38 steht. Platz 38. Heilige Scheiße, wo finde ich denn Platz 38? So schnell ich aufgestanden bin, so abrupt bleibe ich wieder stehen. Aber der hilfsbereite, ältere Herr aus dem Nordkausasus sagt "Chommen Sie, Chommen Sie, ich bringä Sie." Dann hetzt er mit mir durch das Gebäude und führt mich zu Platz 38. Ohne ihn... herrje.
Wenn ich später mal in Rente bin und mich langweile, werde ich ehrenamtlich in der Jüterboger Straße tätig. Da werde ich echt gebraucht. Senior Admissions Officer. Einen Hebammenkurs werde ich auch noch machen, falls Niederkünfte anstehen.
Mittwoch, 22. April 2015
Gute Gäste, schlechte Gäste
Die Organisation von Veranstaltungen ist mein täglich Brot und am Ende steht der Job als Grüß-Augustine, der Applaus der patenten Tippse. Dort kann sie in 20 Minuten mehr Wertschätzung erfahren als im Jahresdurchschnitt von Cheffe; der zugegebenermaßen in diesem Segment leicht zu toppen ist. Sehr leicht. Im Schlaf, praktisch. Ein Gast im Wachkoma würde ihn locker an die Wand spielen.
Manche Gäste werden sehr zutraulich und verwechseln professionelle Höflichkeit mit tiefer Freundschaft. Absagen werden langatmig und ausführlich gerechtfertigt, obwohl mir ein einfaches "Ich komme nicht" ausreicht. Was interessieren mich Gründe? Manche sind so von ihrer Wichtigkeit überzeugt, dass sie ernsthaft schreiben "Sie haben sich sicher gewundert, dass ich nicht erschienen bin." Nein, habe ich nicht, ich weiß nicht mal, wer Sie sind. Es hat Sie niemand vermisst und ich am wenigsten.
Es gibt sehr nette Gäste, mit denen ich gerne plaudere und dann gibt es unerträgliche Schleimabsonderer, die mich distanzlos fragen "Und sonst, alles okay? Ostern, schön gewesen?" Ob bei mir alles okay ist und wie ich Ostern verbracht habe, geht Sie einen feuchten Dreck an. Und hören sie auf, mir zuzuzwinkern, als würde uns irgendwas verbinden, Sie hirnverbrannter Trottel.
Manchmal, sehr selten, gibt es ganz tolle Gäste. Die schreiben schon hinreißend (und mich kann man ja schwachschreiben). "Ich steh ja sehr ungern früh auf, aber ich werde es versuchen. Am liebsten wäre mir - und ich wage es kaum zu schreiben - Sie würden mich wecken." Weil das die lustigste Antwort ist, die ich je erhalten habe, antworte ich, dass ihm geholfen wird, welche Telefonnummer ich denn nehmen soll? Er findet das "sehr cool" und schickt mir umgehend eine Nummer und "Ich freu mich schon".
Nun ist so ein Mailwechsel mittags im Büro eine ganz andere Sache, als morgens in der heimischen Küche, allein mit dem Telefon. Soll ich, oder hält er mich dann für komplett übergeschnappt? Nicht, dass ich was verwechsle. Denke, ach, was solls, rufe an und er freut sich wirklich. Strange. Ein ganz kurzes Telefonat, 20 Sekunden, professionelle Wunscherfüllung, ich halte mich für definitiv übergeschnappt und will mich selber einweisen.
Ich kenn den Mann nicht, noch nie gesehen, keine Ahnung also, ob da ein schwiemeliger Versicherungsvertreter oder ein fünfundzwanzigjähriges, gelecktes Jüngelchen um die Ecke kommt. Ich steh am Empfang und dann kommt er und ich weiß sofort, dass er es ist und könnte schreien: Er hat lange Haare, steh ich doch so drauf, zum Zopf gebunden, steh ich auch drauf, gut geschnittene, leicht verlebte Gesichtszüge, ist underdressed, jedenfalls für unsere Verhältnisse, steh ich auch drauf. Er passt überhaupt nicht in den Rahmen, wirkt wie ein Fremdkörper, find ich alles gut.
Er segelt auf uns zu, weiß nicht, welche von uns die ist, die ihn angerufen hat, lässt sich bei einer Kollegin registrieren und ich halte schön den Mund und muss grinsen.
Nach der Veranstaltung schaut er sich suchend um, kommt auf mich zu und fragt, ob ich diejenige bin. Und dann flutscht es nur so. Mit manchen geht das ganz einfach und mit ihm ist es hochgradig vergnüglich. Nach 10 Minuten sag ich, dass ich weiter muss und er bedauert das angemessen "Das war's doch jetzt nicht, wir sehen uns doch hoffentlich wieder?" - "Wenn Gott will."
Ein wirklich guter Gast.
Manche Gäste werden sehr zutraulich und verwechseln professionelle Höflichkeit mit tiefer Freundschaft. Absagen werden langatmig und ausführlich gerechtfertigt, obwohl mir ein einfaches "Ich komme nicht" ausreicht. Was interessieren mich Gründe? Manche sind so von ihrer Wichtigkeit überzeugt, dass sie ernsthaft schreiben "Sie haben sich sicher gewundert, dass ich nicht erschienen bin." Nein, habe ich nicht, ich weiß nicht mal, wer Sie sind. Es hat Sie niemand vermisst und ich am wenigsten.
Es gibt sehr nette Gäste, mit denen ich gerne plaudere und dann gibt es unerträgliche Schleimabsonderer, die mich distanzlos fragen "Und sonst, alles okay? Ostern, schön gewesen?" Ob bei mir alles okay ist und wie ich Ostern verbracht habe, geht Sie einen feuchten Dreck an. Und hören sie auf, mir zuzuzwinkern, als würde uns irgendwas verbinden, Sie hirnverbrannter Trottel.
Manchmal, sehr selten, gibt es ganz tolle Gäste. Die schreiben schon hinreißend (und mich kann man ja schwachschreiben). "Ich steh ja sehr ungern früh auf, aber ich werde es versuchen. Am liebsten wäre mir - und ich wage es kaum zu schreiben - Sie würden mich wecken." Weil das die lustigste Antwort ist, die ich je erhalten habe, antworte ich, dass ihm geholfen wird, welche Telefonnummer ich denn nehmen soll? Er findet das "sehr cool" und schickt mir umgehend eine Nummer und "Ich freu mich schon".
Nun ist so ein Mailwechsel mittags im Büro eine ganz andere Sache, als morgens in der heimischen Küche, allein mit dem Telefon. Soll ich, oder hält er mich dann für komplett übergeschnappt? Nicht, dass ich was verwechsle. Denke, ach, was solls, rufe an und er freut sich wirklich. Strange. Ein ganz kurzes Telefonat, 20 Sekunden, professionelle Wunscherfüllung, ich halte mich für definitiv übergeschnappt und will mich selber einweisen.
Ich kenn den Mann nicht, noch nie gesehen, keine Ahnung also, ob da ein schwiemeliger Versicherungsvertreter oder ein fünfundzwanzigjähriges, gelecktes Jüngelchen um die Ecke kommt. Ich steh am Empfang und dann kommt er und ich weiß sofort, dass er es ist und könnte schreien: Er hat lange Haare, steh ich doch so drauf, zum Zopf gebunden, steh ich auch drauf, gut geschnittene, leicht verlebte Gesichtszüge, ist underdressed, jedenfalls für unsere Verhältnisse, steh ich auch drauf. Er passt überhaupt nicht in den Rahmen, wirkt wie ein Fremdkörper, find ich alles gut.
Er segelt auf uns zu, weiß nicht, welche von uns die ist, die ihn angerufen hat, lässt sich bei einer Kollegin registrieren und ich halte schön den Mund und muss grinsen.
Nach der Veranstaltung schaut er sich suchend um, kommt auf mich zu und fragt, ob ich diejenige bin. Und dann flutscht es nur so. Mit manchen geht das ganz einfach und mit ihm ist es hochgradig vergnüglich. Nach 10 Minuten sag ich, dass ich weiter muss und er bedauert das angemessen "Das war's doch jetzt nicht, wir sehen uns doch hoffentlich wieder?" - "Wenn Gott will."
Ein wirklich guter Gast.
Sonntag, 19. April 2015
14 Tage Glück
...und gutes Wetter stehen mir bevor. Meine beste Freundin ist heute aus den Staaten gekommen. Ein Riesen Hallo war das, unsere Empfänge werden immer größer.
Das ist aber nur die Überleitung zu einem Problem, unter dem eine ihrer Freundinnen leidet. Wir beneiden sie alle um das Problem. So'n Problem hätte jede gerne.
Erzählt sie empört, dass ihr Mann ihr ein Auto gekauft hat. Männer gibt's! Ohne sich mit ihr abzusprechen. Der Ruchlose! Er hat sie nur mal vor ein paar Wochen zu Mercedes gelockt, er wolle ihr da mal was zeigen. Dann zeigte er ihr irgendson Riesentrumm von Auto (Marken kann ich mir nicht merken), so'n Allradantriebdingens, was man wegen der Gebirgsmassive in Berlin zwingend braucht.
Sie war beim zeigen mit den Gedanken ganz woanders, ist nur ihm zuliebe mitgegangen, dachte sich, so sindse halt, die Kerle, manche gehen gern zu Obi, meiner gerne in Autohäuser, brummelte, jaja, ganz schön, aber nee, lass mal, brauch ich nicht. Finde ich keinen Parkplatz.
Vor zwei Wochen dann "Ich hab's dir gekauft". Blut muss fließen! Da hing der Haussegen das ganze Wochenende schief. So getritten haben sie sich. So wütend ist sie. Und er auch. "Was bist du nur für eine Frau, jede andere würde sich scheckig freuen."
Das halte ich zwar für ein Gerücht. Parkplatz finden ist schon wichtig. Außerdem sind mir persönlich Autos restlos gleichgültig. Hauptsache, sie fahren mich von A nach B.
Aber solche Probleme... da muss man erstmal hinkommen.
Das ist aber nur die Überleitung zu einem Problem, unter dem eine ihrer Freundinnen leidet. Wir beneiden sie alle um das Problem. So'n Problem hätte jede gerne.
Erzählt sie empört, dass ihr Mann ihr ein Auto gekauft hat. Männer gibt's! Ohne sich mit ihr abzusprechen. Der Ruchlose! Er hat sie nur mal vor ein paar Wochen zu Mercedes gelockt, er wolle ihr da mal was zeigen. Dann zeigte er ihr irgendson Riesentrumm von Auto (Marken kann ich mir nicht merken), so'n Allradantriebdingens, was man wegen der Gebirgsmassive in Berlin zwingend braucht.
Sie war beim zeigen mit den Gedanken ganz woanders, ist nur ihm zuliebe mitgegangen, dachte sich, so sindse halt, die Kerle, manche gehen gern zu Obi, meiner gerne in Autohäuser, brummelte, jaja, ganz schön, aber nee, lass mal, brauch ich nicht. Finde ich keinen Parkplatz.
Vor zwei Wochen dann "Ich hab's dir gekauft". Blut muss fließen! Da hing der Haussegen das ganze Wochenende schief. So getritten haben sie sich. So wütend ist sie. Und er auch. "Was bist du nur für eine Frau, jede andere würde sich scheckig freuen."
Das halte ich zwar für ein Gerücht. Parkplatz finden ist schon wichtig. Außerdem sind mir persönlich Autos restlos gleichgültig. Hauptsache, sie fahren mich von A nach B.
Aber solche Probleme... da muss man erstmal hinkommen.
Freitag, 17. April 2015
Schönheit vergeht (Exkurs)
Phase 1
Zuerst wollte ich meine Mutter kopieren. Ich saß an ihrem Schminktisch und verschandelte mein Gesicht. Ich band mir Klötzchen mit Gummibändern unter die Schuhe, weil ich unbedingt Absätze haben wollte. Wann immer es ging, quatschte ich meiner Schulfreundin Andrea ihre Hackenschuhe aus den Rippen. Ich flehte meine Mutter an, mir Feinstrumpfhosen zu kaufen, was sie ablehnte. Ich schleppte ihr beim Schuhkauf goldene und silberne Schuhe an, die sie nie anprobierte. Sie kaufte mir meinen ersten BH, für den ich mich unendlich schämte, weil Micha Kasner rief "Mann, hat die'n Tittenschwänger!"(ich nehme an, er hatte Visionen).
Phase 2
Mit 12 nahm ich mich in Relation zu anderen Mädchen wahr. Damals bedeutete das: muss sie auch eine Brille tragen und ist sie besser in Sport als ich? Wie lange hält sie sich beim Völkerball auf dem Feld? Ich rechnete mir keinerlei Chancen auf Micha Kasner aus, wegen meiner doofen Brille. Später gestand er mir, dass er unsterblich in mich verliebt war, so wie ich in ihn. Mit 15 heulte ich ganze Nachmittage lang, weil es abends zum Kegeln ging und ich nicht wusste, wie ich meinen enorm riesigen Hintern verstecken sollte, wenn ich dran bin (ich hatte auch Visionen, ich wog 49 Kilo, die harmonisch verteilt waren, aber das wusste ich damals noch nicht). Ich hielt wochenlang Hungerkuren durch, mit links.
Phase 3
Ich lief meistens völlig blind in der Gegend rum, weil ich meine Brille nicht trug. Das trug mir den Ruf ein, ich sei arrogant, weil ich nicht grüßte. Von meinem ersten Geld kaufte ich mir Kontaktlinsen und bekam furchtbare Angst vor dem Alter, wenn ich mir keine Linsen mehr in die Augen fummeln kann. Ich nähte meine Hosen so eng, dass ich nur im Schlusssprung in den Bus kam. Ich schminkte mir die Augen dunkelblau, weil ich dunkelblaue Augen habe, so muss das, dachte ich damals. Bei einer Freundin sah ich zum ersten Mal rotlackierte Fußnägel, was ich sehr hübsch fand und rief mein "immer-schöne-Füße-Projekt" ins Leben. Ich betrachtete die Beine einer anderen Freundin und dachte "Hat die es gut, sie hat gar keine Haare drauf." Es dauerte, bis ich kapierte, dass sie sich rasierte und war froh über meine Entdeckung. Das konnte ich also auch haben. Ich kaufte mir Einmalrasierer und fügte mir ungeschickt einige Wunden zu.
Phase 4
Es folgte eine jahrelange Hoch-Zeit meiner Anziehungskraft auf Jungs und später Männer - dessen war ich mir aber nicht bewusst. Und zwar wirklich nicht bewusst. Deshalb nannte mich mal der kleinstädtische Discotheken-Besitzer einen Cock-Teaser, weil ich nach einer Nacht durch alle anderen Discotheken, die er sich mit mir ans Bein gebunden hatte, nicht zum Ziel kam. Ich wusste nicht mal, dass er ein Ziel verfolgte. Ich blickte rein gar nichts. Der "Schönling", von meinem Vater gehasst, weil er seine Kippen in unserem Vorgarten austrat, konnte erst Boden gut machen, als er an einem Fotowettbewerb teilnahm, mich als einziges Motiv nahm und ich so zu der Ehre kam, im hiesigen Rathaus ausgestellt zu werden. Ich bildete mir trotzdem noch einen riesigen Hintern ein, fing an, mir die Achseln zu rasieren und sortierte die weiße Schießer Unterwäsche aus. Ich lieh mir die Lederhose meiner Schwester und ließ die Haare ganz lang wachsen. Am besten sah ich kurz nach dem aufwachen auf. Ich machte die Nächte durch.
Phase 5
Das ging in Berlin so weiter. Inzwischen wusste ich um meine Wirkung. Ich konnte jeden damit überraschen, dass ich nicht ganz doof war. Ein Cock Teaser blieb ich, ich liebte den Schönling und hielt von One Night Stands überhaupt nichts. Er hingegen schon, was mich aus der Fassung brachte. Wieder ging das vergleichen los. Er fotografierte mich weiter, aber das nützte ja nichts mehr. Seine große Liebe für mich entdeckte er, als sich das ultimative Alphatier um mich bemühte (ganz alte Männertradition). Wir waren längst getrennt und ich hatte mich einem Kollegen zugewandt, der vorher mit einer zehn Jahren älteren Frau zusammen war und der mich immer nur anziehend fand, wenn ich geweint hatte "Jetzt hast du endlich mal ein Gesicht", der Arsch. Der Schönling fand den Kollegen doof, der Kollege den Schönling noch doofer, beide fanden das Alphatier gut, das Alphatier schaute sich seelenruhig das Gespreize der beiden an und beschloss, der einzig Richtige für mich sei er selbst. Seperated from the boys. Ich war vollständig im Reinen mit mir.
Phase 6
Obwohl ich niemals Schuhe mit Absätzen trug, fingen Kellner an, mich Madame zu nennen. Das Alphatier meinte, das liege an meiner Distanziertheit. Ich fühlte mich kein bißchen distanziert. Männer geheimnissen da viel zu viel rein. Ich hatte meinen einzigen Fernsehauftritt, in der Sportschau, ein Kameraschwenk über das Publikum auf der Trabrennbahn Mariendorf blieb an mir heften, so wurde mir erzählt. Ich hab's nie gesehen, dachte aber, besser kann's nicht mehr werden.
Phase 7 bis auf weiteres
Ich kürze mal ab und komme in die Gegenwart. Ich würde ja gerne schwadronieren darüber, dass es ganz toll und befriedigend ist, eine reife, erwachsene Frau zu sein, ja sogar toll ist, älter zu werden, weil Schönheit nicht wichtig ist, man soviel gelernt hat und jetzt weise und gelassen ist. Ich bin aber nicht gelassen, bei aller Weisheit. Es ist nicht so, dass ich über den Dingen stehe, dass ich uneitler geworden bin, meinen wahnsinnig tollen Charakter schätze und alle anderen auch. Ich wäre lieber jünger und dünner und hätte gerne noch mal alles vor mir. Und dann würde ich ganz viel anders machen. Persönliche Waterloos und der Lauf der Zeit hinterlassen Spuren. Mädchenhafte Anmut und Selbstgewissheit schwinden gemeinsam, ob ich will oder nicht. Ich beneide die Frauen, denen das von Angeburt bis zum Schluss in die Wiege gelegt wurde. Arme wie Michelle Obama gibt es nicht mehr von Hause aus, nur durch hartes Training - und ich trainiere nicht hart. Hab ich nie. Werde ich nie. Ich seufze lieber. Und schau mir beim verwelken zu. Man wird ja so unsichtbar. Es ist, als ob man aus einem exklusiven Club rausgeschmissen wird und ich denke "Hey, ich bin dieselbe, die ich immer war!"
P.S. Tja, ich war mal wieder zu lange in der Umkleidekabine. Erschütternd.
P.P.S. Nachricht an mich: läster nicht über Ommas, weil sie nervige, unansehnliche Wachteln sind, die immer nur im Weg rumstehen. In jeder steckt noch das hübsche anmutige Ding, das sie mal war. Für Oppas gilt dasselbe.
Zuerst wollte ich meine Mutter kopieren. Ich saß an ihrem Schminktisch und verschandelte mein Gesicht. Ich band mir Klötzchen mit Gummibändern unter die Schuhe, weil ich unbedingt Absätze haben wollte. Wann immer es ging, quatschte ich meiner Schulfreundin Andrea ihre Hackenschuhe aus den Rippen. Ich flehte meine Mutter an, mir Feinstrumpfhosen zu kaufen, was sie ablehnte. Ich schleppte ihr beim Schuhkauf goldene und silberne Schuhe an, die sie nie anprobierte. Sie kaufte mir meinen ersten BH, für den ich mich unendlich schämte, weil Micha Kasner rief "Mann, hat die'n Tittenschwänger!"(ich nehme an, er hatte Visionen).
Phase 2
Mit 12 nahm ich mich in Relation zu anderen Mädchen wahr. Damals bedeutete das: muss sie auch eine Brille tragen und ist sie besser in Sport als ich? Wie lange hält sie sich beim Völkerball auf dem Feld? Ich rechnete mir keinerlei Chancen auf Micha Kasner aus, wegen meiner doofen Brille. Später gestand er mir, dass er unsterblich in mich verliebt war, so wie ich in ihn. Mit 15 heulte ich ganze Nachmittage lang, weil es abends zum Kegeln ging und ich nicht wusste, wie ich meinen enorm riesigen Hintern verstecken sollte, wenn ich dran bin (ich hatte auch Visionen, ich wog 49 Kilo, die harmonisch verteilt waren, aber das wusste ich damals noch nicht). Ich hielt wochenlang Hungerkuren durch, mit links.
Phase 3
Ich lief meistens völlig blind in der Gegend rum, weil ich meine Brille nicht trug. Das trug mir den Ruf ein, ich sei arrogant, weil ich nicht grüßte. Von meinem ersten Geld kaufte ich mir Kontaktlinsen und bekam furchtbare Angst vor dem Alter, wenn ich mir keine Linsen mehr in die Augen fummeln kann. Ich nähte meine Hosen so eng, dass ich nur im Schlusssprung in den Bus kam. Ich schminkte mir die Augen dunkelblau, weil ich dunkelblaue Augen habe, so muss das, dachte ich damals. Bei einer Freundin sah ich zum ersten Mal rotlackierte Fußnägel, was ich sehr hübsch fand und rief mein "immer-schöne-Füße-Projekt" ins Leben. Ich betrachtete die Beine einer anderen Freundin und dachte "Hat die es gut, sie hat gar keine Haare drauf." Es dauerte, bis ich kapierte, dass sie sich rasierte und war froh über meine Entdeckung. Das konnte ich also auch haben. Ich kaufte mir Einmalrasierer und fügte mir ungeschickt einige Wunden zu.
Phase 4
Es folgte eine jahrelange Hoch-Zeit meiner Anziehungskraft auf Jungs und später Männer - dessen war ich mir aber nicht bewusst. Und zwar wirklich nicht bewusst. Deshalb nannte mich mal der kleinstädtische Discotheken-Besitzer einen Cock-Teaser, weil ich nach einer Nacht durch alle anderen Discotheken, die er sich mit mir ans Bein gebunden hatte, nicht zum Ziel kam. Ich wusste nicht mal, dass er ein Ziel verfolgte. Ich blickte rein gar nichts. Der "Schönling", von meinem Vater gehasst, weil er seine Kippen in unserem Vorgarten austrat, konnte erst Boden gut machen, als er an einem Fotowettbewerb teilnahm, mich als einziges Motiv nahm und ich so zu der Ehre kam, im hiesigen Rathaus ausgestellt zu werden. Ich bildete mir trotzdem noch einen riesigen Hintern ein, fing an, mir die Achseln zu rasieren und sortierte die weiße Schießer Unterwäsche aus. Ich lieh mir die Lederhose meiner Schwester und ließ die Haare ganz lang wachsen. Am besten sah ich kurz nach dem aufwachen auf. Ich machte die Nächte durch.
Phase 5
Das ging in Berlin so weiter. Inzwischen wusste ich um meine Wirkung. Ich konnte jeden damit überraschen, dass ich nicht ganz doof war. Ein Cock Teaser blieb ich, ich liebte den Schönling und hielt von One Night Stands überhaupt nichts. Er hingegen schon, was mich aus der Fassung brachte. Wieder ging das vergleichen los. Er fotografierte mich weiter, aber das nützte ja nichts mehr. Seine große Liebe für mich entdeckte er, als sich das ultimative Alphatier um mich bemühte (ganz alte Männertradition). Wir waren längst getrennt und ich hatte mich einem Kollegen zugewandt, der vorher mit einer zehn Jahren älteren Frau zusammen war und der mich immer nur anziehend fand, wenn ich geweint hatte "Jetzt hast du endlich mal ein Gesicht", der Arsch. Der Schönling fand den Kollegen doof, der Kollege den Schönling noch doofer, beide fanden das Alphatier gut, das Alphatier schaute sich seelenruhig das Gespreize der beiden an und beschloss, der einzig Richtige für mich sei er selbst. Seperated from the boys. Ich war vollständig im Reinen mit mir.
Phase 6
Obwohl ich niemals Schuhe mit Absätzen trug, fingen Kellner an, mich Madame zu nennen. Das Alphatier meinte, das liege an meiner Distanziertheit. Ich fühlte mich kein bißchen distanziert. Männer geheimnissen da viel zu viel rein. Ich hatte meinen einzigen Fernsehauftritt, in der Sportschau, ein Kameraschwenk über das Publikum auf der Trabrennbahn Mariendorf blieb an mir heften, so wurde mir erzählt. Ich hab's nie gesehen, dachte aber, besser kann's nicht mehr werden.
Phase 7 bis auf weiteres
Ich kürze mal ab und komme in die Gegenwart. Ich würde ja gerne schwadronieren darüber, dass es ganz toll und befriedigend ist, eine reife, erwachsene Frau zu sein, ja sogar toll ist, älter zu werden, weil Schönheit nicht wichtig ist, man soviel gelernt hat und jetzt weise und gelassen ist. Ich bin aber nicht gelassen, bei aller Weisheit. Es ist nicht so, dass ich über den Dingen stehe, dass ich uneitler geworden bin, meinen wahnsinnig tollen Charakter schätze und alle anderen auch. Ich wäre lieber jünger und dünner und hätte gerne noch mal alles vor mir. Und dann würde ich ganz viel anders machen. Persönliche Waterloos und der Lauf der Zeit hinterlassen Spuren. Mädchenhafte Anmut und Selbstgewissheit schwinden gemeinsam, ob ich will oder nicht. Ich beneide die Frauen, denen das von Angeburt bis zum Schluss in die Wiege gelegt wurde. Arme wie Michelle Obama gibt es nicht mehr von Hause aus, nur durch hartes Training - und ich trainiere nicht hart. Hab ich nie. Werde ich nie. Ich seufze lieber. Und schau mir beim verwelken zu. Man wird ja so unsichtbar. Es ist, als ob man aus einem exklusiven Club rausgeschmissen wird und ich denke "Hey, ich bin dieselbe, die ich immer war!"
P.S. Tja, ich war mal wieder zu lange in der Umkleidekabine. Erschütternd.
P.P.S. Nachricht an mich: läster nicht über Ommas, weil sie nervige, unansehnliche Wachteln sind, die immer nur im Weg rumstehen. In jeder steckt noch das hübsche anmutige Ding, das sie mal war. Für Oppas gilt dasselbe.
Montag, 13. April 2015
Blind Call
"Wäisde, ich will amol mid so äiner abbediedlischen Frau an meiner Säide in son Gammergonzerd gehen, so was gleines, indimes, voschdehsde? So allein machd dis gäinen Schpoß, nu? Gönn ma das nich einfach mol mochen? Worauf warden wa denn noch? Ich frog disch, worauf wardden wa denn noch?"
Ich für meinen Teil warte darauf, dass sich die Erde auftut. Großer Fehler. Kontaktanzeige in der Sonntagszeitung. Soll man nicht drauf antworten. Niemals. Wär ich doch nur bei meinem Mantra geblieben: was kommt, das kommt und was nicht, das nicht. So ist das Leben. Kann ich auch nichts für. Aber nun habe ich den aus dem Erzgebirge stammenden Mathematiker an der Strippe. Und erschrecke schon beim ersten Satz. Tiefstes sächsisch.
Die erste harmlose Frage, die ich ihm stelle, wird empört retouniert.
"Och, jedz gähd des glei wieder lös, woher isch gomme und dann die gansen Vorurdeile, nu, das genn ma schon. Dabei hörn sisch die Schwobn viel schlimmer an öder die Bayern, alsö, die Hessen gähn ja grode so, aber die schlimmsden sind die Ruhrboddler, alsö, isch find die Sochsen gans ogäh. Gannsde sogn wass de willsd."
Ich bin nicht in der Lage, einfach aufzulegen, ich bin zu höflich oder zu blöd oder was auch immer. Ich hab auf Lautsprecher gestellt und betrachte mein Telefon, aus dem diese schnarrende, heisere Stimme quakt (gworgt). So dicht am Ohr ertrag ich das überhaupt nicht.
"Und dü hasd beschdimmd so gons lange braune Hoore?"
"Nein, blonde."
"Ober die hasd du beschdimmd immer hochgebunden? Oder träägsd einen Zobf?"
"Nein, nie."
"Des gähd do gor ni, dass du die offn drägst im Büro. Do.. doo siehsde ja aus wie eine gärmonische Griegerin!"
Ich verlasse meinen Körper und betrachte mir den Schmarrn von oben aus. Was geht in diesem Mann vor? Das sagt er mir gleich, weil er hat eine Theorie.
"Isch hob do so äine Deorie, weshalb des ni glabbt in der heudigen Zeit. Gennsd du Alma Mohler? Die war mid Gustav Mohler verheiraded und da haabn die so die Guldur für sisch ausgeläbd und die armen Leude worn von der Guldur abgeschnidden. Und heudzudage gönnen gans viele Leude ins Gammergonzert gähn und da wirds denn schwierig, voschdehsde?"
Ich versteh gar nichts, diese Kausalkette bleibt ein Mirakel. Ich unterdrücke mit aller Kraft meine höflichen Anteile und beende das Telefonat. Alma Mahler hat schon viel Scheiß gebaut, aber an allem ist sie auch nicht Schuld.
Ich für meinen Teil warte darauf, dass sich die Erde auftut. Großer Fehler. Kontaktanzeige in der Sonntagszeitung. Soll man nicht drauf antworten. Niemals. Wär ich doch nur bei meinem Mantra geblieben: was kommt, das kommt und was nicht, das nicht. So ist das Leben. Kann ich auch nichts für. Aber nun habe ich den aus dem Erzgebirge stammenden Mathematiker an der Strippe. Und erschrecke schon beim ersten Satz. Tiefstes sächsisch.
Die erste harmlose Frage, die ich ihm stelle, wird empört retouniert.
"Och, jedz gähd des glei wieder lös, woher isch gomme und dann die gansen Vorurdeile, nu, das genn ma schon. Dabei hörn sisch die Schwobn viel schlimmer an öder die Bayern, alsö, die Hessen gähn ja grode so, aber die schlimmsden sind die Ruhrboddler, alsö, isch find die Sochsen gans ogäh. Gannsde sogn wass de willsd."
Ich bin nicht in der Lage, einfach aufzulegen, ich bin zu höflich oder zu blöd oder was auch immer. Ich hab auf Lautsprecher gestellt und betrachte mein Telefon, aus dem diese schnarrende, heisere Stimme quakt (gworgt). So dicht am Ohr ertrag ich das überhaupt nicht.
"Und dü hasd beschdimmd so gons lange braune Hoore?"
"Nein, blonde."
"Ober die hasd du beschdimmd immer hochgebunden? Oder träägsd einen Zobf?"
"Nein, nie."
"Des gähd do gor ni, dass du die offn drägst im Büro. Do.. doo siehsde ja aus wie eine gärmonische Griegerin!"
Ich verlasse meinen Körper und betrachte mir den Schmarrn von oben aus. Was geht in diesem Mann vor? Das sagt er mir gleich, weil er hat eine Theorie.
"Isch hob do so äine Deorie, weshalb des ni glabbt in der heudigen Zeit. Gennsd du Alma Mohler? Die war mid Gustav Mohler verheiraded und da haabn die so die Guldur für sisch ausgeläbd und die armen Leude worn von der Guldur abgeschnidden. Und heudzudage gönnen gans viele Leude ins Gammergonzert gähn und da wirds denn schwierig, voschdehsde?"
Ich versteh gar nichts, diese Kausalkette bleibt ein Mirakel. Ich unterdrücke mit aller Kraft meine höflichen Anteile und beende das Telefonat. Alma Mahler hat schon viel Scheiß gebaut, aber an allem ist sie auch nicht Schuld.
Sonntag, 12. April 2015
Moabit, mon amour
Seit ich wieder ein Auto habe, bin ich nur noch unterwegs. Auf dem Rückweg von einem Besuch in der totalen Ödnis (Berlin-Rosenthal), zwang mich ein Stau zur Abfahrt über den Saatwinkler Damm, was mich widerum veranlasste, meiner alten Heimat einen Besuch abzustatten. Ich lebte 10 Jahre mit der Grauen Eminenz in Moabit.
Das Haus hat bessere Zeiten gesehen. Wir wohnten im ersten Stock, genau unter uns gab es einen florierenden Kiosk, in dem es alles gab. So gesehen stimmte die Infrastruktur.
Das tollste aber war die beste Eisdiele der Welt in der Gotzkowskystraße/Ecke Zwinglistraße.Bis heute suche ich eine Eisdiele, in der es genau so gutes Eis gibt, wie dort. Rita hieß die Besitzerin, eine Italienerin, die aussah wie eine tüchtige schwäbische Hausfrau. Die Eminenz und ich rannten im Sommer jeden Tag hin und kauften uns Eisbecher mit ausschließlich der Sorte Tartufo. Naja, ehrlich gesagt, rannte ich jeden Tag dorthin, um die Versorgungslücke zu schließen.
Rita sorgte versehentlich für einen Nervenzusammenbruch, als ich zwei Monate nach der Trennung vom Reuterplatz in Neukölln, wo es mich hinverschlagen hatte, wegen des Tartufo nach Moabit fuhr. "Oooh, wo warst du solange, ich hab mir schon Sorgen gemacht!" Ich erzählte ihr von der Trennung und traurig sah sie mich an: "Es holt jetzt immer eine andere Frau zwei Eisbecher mit Tartufo, das ist bestimmt seine neue Freundin." Ich ließ mir nichts anmerken und draußen rief ich sofort eine Freundin an. "Ich weiß schon die ganze Zeit nicht, wie ich es dir sagen soll."
Ich war nie wieder da. Bis heute. Es gibt die Eisdiele immer noch. Genau so heruntergekommen, wie alles andere in der Straße.
Rita gibt's auch noch. Sie war zwar nicht da, aber die Bedienung meinte, sie kommt gleich, in einer Minute, ich solle mich setzen. Da saß ich dann mit dem Tartufo, das inzwischen genau so beschissen schmeckt, wie jedes andere Eis in dieser Stadt, sah auf das marode Interieur und dann gab mir die Bedienung ein Telefon in die Hand, "Rita ist dran".
Sie erinnerte sich an mich, erzählte von ihren Enkeln, die sie betreut und dass sie immer noch jeden Sonntag arbeitet in der Eisdiele, obwohl sie schon 77 ist und dass es ihr gut gehe. Wie es mir gehe und was aus der Eminenz geworden sei. Sie freute sich, dass wir bis heute Freunde sind und ich Patentante seines Sohnes bin, Weltklasse Trennung halt.
Ihre Stimme hört sich noch genau so jung an wie damals. Ich log, als sie mich fragte, ob mir das Tartufo immer noch so gut schmeckt, wie damals.
Das Haus hat bessere Zeiten gesehen. Wir wohnten im ersten Stock, genau unter uns gab es einen florierenden Kiosk, in dem es alles gab. So gesehen stimmte die Infrastruktur.
Direkt gegenüber war eine Kneipe, "Die Goldene Sieben", bewirtschaftet von einem stets volltrunken agierenden Ehepaar, von dem wir umgehend adoptiert wurden. Jede Nacht, die wir unterwegs waren, statteten wir der Spelunke beim Nachhausekommen einen Besuch ab und fühlten uns heimisch.
Das tollste aber war die beste Eisdiele der Welt in der Gotzkowskystraße/Ecke Zwinglistraße.Bis heute suche ich eine Eisdiele, in der es genau so gutes Eis gibt, wie dort. Rita hieß die Besitzerin, eine Italienerin, die aussah wie eine tüchtige schwäbische Hausfrau. Die Eminenz und ich rannten im Sommer jeden Tag hin und kauften uns Eisbecher mit ausschließlich der Sorte Tartufo. Naja, ehrlich gesagt, rannte ich jeden Tag dorthin, um die Versorgungslücke zu schließen.
Rita sorgte versehentlich für einen Nervenzusammenbruch, als ich zwei Monate nach der Trennung vom Reuterplatz in Neukölln, wo es mich hinverschlagen hatte, wegen des Tartufo nach Moabit fuhr. "Oooh, wo warst du solange, ich hab mir schon Sorgen gemacht!" Ich erzählte ihr von der Trennung und traurig sah sie mich an: "Es holt jetzt immer eine andere Frau zwei Eisbecher mit Tartufo, das ist bestimmt seine neue Freundin." Ich ließ mir nichts anmerken und draußen rief ich sofort eine Freundin an. "Ich weiß schon die ganze Zeit nicht, wie ich es dir sagen soll."
Ich war nie wieder da. Bis heute. Es gibt die Eisdiele immer noch. Genau so heruntergekommen, wie alles andere in der Straße.
Rita gibt's auch noch. Sie war zwar nicht da, aber die Bedienung meinte, sie kommt gleich, in einer Minute, ich solle mich setzen. Da saß ich dann mit dem Tartufo, das inzwischen genau so beschissen schmeckt, wie jedes andere Eis in dieser Stadt, sah auf das marode Interieur und dann gab mir die Bedienung ein Telefon in die Hand, "Rita ist dran".
Sie erinnerte sich an mich, erzählte von ihren Enkeln, die sie betreut und dass sie immer noch jeden Sonntag arbeitet in der Eisdiele, obwohl sie schon 77 ist und dass es ihr gut gehe. Wie es mir gehe und was aus der Eminenz geworden sei. Sie freute sich, dass wir bis heute Freunde sind und ich Patentante seines Sohnes bin, Weltklasse Trennung halt.
Ihre Stimme hört sich noch genau so jung an wie damals. Ich log, als sie mich fragte, ob mir das Tartufo immer noch so gut schmeckt, wie damals.
Donnerstag, 9. April 2015
It's all over now baby blue
Meine Mutter rief an, ihre Jugendfreundin, bei der im August eine beschissene
Krankheit diagnostiziert wurde, ist heute verstorben. Sie ist gerade mal
70 Jahre geworden; kein Alter, sagt man heute. Und das ist es ja auch
nicht.
"Es werden immer weniger." Wie ist das, wenn es immer weniger werden, der Freundeskreis sich dezimiert?
Es gehört zu den größeren Ungerechtigkeiten des Lebens, dass der Tod eines alten Menschen nicht so betrauernswert wie der eines jüngeren scheint. Oder wir Jüngeren uns mit dem Schmerz der Alten nicht beschäftigen wollen. Unser Telefonat hat ganze sechs Minuten gedauert. Wäre eine meiner Freundinnen gestorben, hätte unser Gespräch länger gedauert, da bin ich mir sicher. Ich hätte insistieren sollen, ich könnte es immer noch, anstatt diese Zeilen zu schreiben, ich weiß ja, dass sie sich mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinandersetzt. Wie ist das, zu wissen, dass man vielleicht noch zehn Jahre hat, oder nur noch fünf? Oder fünfzehn, aber wie werden die aussehen?
Bei jedem sehr kranken Menschen, der auf den Tod zugeht, kommt bei aller Liebe auch noch der Moment, an dem die anderen anfangen, darauf zu warten, dass es vorbei ist, egal wie sehr man anfangs gelitten hat bei dem Gedanken, diesen Menschen zu verlieren. Wenn keine Hoffnung mehr besteht, will man, dass das Leiden ein schnelles Ende hat. Man mutmaßt, dass es für ihn das Beste ist, dabei ist es womöglich nur für einen selbst das Beste und leider hat der Mensch kaum noch ein Wörtchen mitzureden, wenn sein Zellwachstum erst mal außer Rand und Band geraten ist, wahlweise altersgemäß den Dienst quittiert.
Erst das Erschrecken, wenn man die Diagnose erfährt, gefolgt vom hektisch überbordenden "Was kann ich für dich tun? Lass es mich wissen, ich bin für dich da.", was aber nur selten in Anspruch genommen wird. Sterbende lieben den Tourismus der länger Lebenden nicht. Man steht machtlos außerhalb des inner circles, mit all seinem guten Willen, irgendeine Linderung zu schaffen, die es gar nicht gibt. Der betroffene Mensch muss damit fertig werden, dass er dazu verdammt ist, zu wissen, wann und wie er sterben wird. Gibt es Schlimmeres?
Manchmal tröstet mich der Gedanke, dass schon Milliarden Menschen vor mir gestorben sind und Milliarden Menschen nach mir sterben werden, dann werde ich das wohl auch schaffen. Aber natürlichvermute weiß fürchte ich, dass ich ein Riesentheater machen werde.
Altern erfordert Mut. Wenn wir immer schwächer werden, wird uns das Kraftraubendste abverlangt. Hart aber unfair.
"Es werden immer weniger." Wie ist das, wenn es immer weniger werden, der Freundeskreis sich dezimiert?
Es gehört zu den größeren Ungerechtigkeiten des Lebens, dass der Tod eines alten Menschen nicht so betrauernswert wie der eines jüngeren scheint. Oder wir Jüngeren uns mit dem Schmerz der Alten nicht beschäftigen wollen. Unser Telefonat hat ganze sechs Minuten gedauert. Wäre eine meiner Freundinnen gestorben, hätte unser Gespräch länger gedauert, da bin ich mir sicher. Ich hätte insistieren sollen, ich könnte es immer noch, anstatt diese Zeilen zu schreiben, ich weiß ja, dass sie sich mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinandersetzt. Wie ist das, zu wissen, dass man vielleicht noch zehn Jahre hat, oder nur noch fünf? Oder fünfzehn, aber wie werden die aussehen?
Bei jedem sehr kranken Menschen, der auf den Tod zugeht, kommt bei aller Liebe auch noch der Moment, an dem die anderen anfangen, darauf zu warten, dass es vorbei ist, egal wie sehr man anfangs gelitten hat bei dem Gedanken, diesen Menschen zu verlieren. Wenn keine Hoffnung mehr besteht, will man, dass das Leiden ein schnelles Ende hat. Man mutmaßt, dass es für ihn das Beste ist, dabei ist es womöglich nur für einen selbst das Beste und leider hat der Mensch kaum noch ein Wörtchen mitzureden, wenn sein Zellwachstum erst mal außer Rand und Band geraten ist, wahlweise altersgemäß den Dienst quittiert.
Erst das Erschrecken, wenn man die Diagnose erfährt, gefolgt vom hektisch überbordenden "Was kann ich für dich tun? Lass es mich wissen, ich bin für dich da.", was aber nur selten in Anspruch genommen wird. Sterbende lieben den Tourismus der länger Lebenden nicht. Man steht machtlos außerhalb des inner circles, mit all seinem guten Willen, irgendeine Linderung zu schaffen, die es gar nicht gibt. Der betroffene Mensch muss damit fertig werden, dass er dazu verdammt ist, zu wissen, wann und wie er sterben wird. Gibt es Schlimmeres?
Manchmal tröstet mich der Gedanke, dass schon Milliarden Menschen vor mir gestorben sind und Milliarden Menschen nach mir sterben werden, dann werde ich das wohl auch schaffen. Aber natürlich
Altern erfordert Mut. Wenn wir immer schwächer werden, wird uns das Kraftraubendste abverlangt. Hart aber unfair.
Montag, 6. April 2015
Heldin der Landstraße
Und wie es aussieht, habe ich Glück gehabt: ein Wägelchen von einem Rentner-Ehepaar. 10 Jahre alt, erst 35.00 km runter. AC, Sitzheizung, Panoramadach, innen und außen wie neu, TÜV neu, ohne Beanstandungen. Ich hab ganz schnell zugegriffen und ob das ein Fehler gewesen sein wird, weiß nur die Zukunft, denn ich habe es mir ohne fachmännischen Beistand gekauft. Es ist ein winziges Auto, so wie geplant. Ich hole es morgen ab.
Mit einem Mal war ich voll mit Endorphinen - Wald, leg dich gehackt, du machst mir keine Angst mehr! Und was macht man mit soviel überflüssiger Energie? Genau. Anstatt wieder nach Hause zu radeln, bin ich nach Potsdam bis zum Krongut Bornstedt gefahren. Was hab ich gejapst, die Königstraße bis zur Glienicker Brücke hat da eine Steigung, mein lieber Herr Gesangsverein. Ich wollt mich zum sterben in den Straßengraben empfehlen, aber wer kümmert sich dann um mein Auto?
Außerdem bekam ich Hunger, ich hatte erst gefrühstückt. Leider hatte ich nur 11,50 Euro bei mir, an einer Tanke kaufte ich mir ein Wasser für 2,50. Und dann fing ich an, von den Schmalzstullen zu phantasieren, die es im Krongut gibt. Ich mache gerade meine Reputation kaputt, weil ich zugebe, dass ich da hinfahre, üble Touristen-Abzocke. Aber ich kenn es von früher und wie gesagt, die Schmalzstullen. Manchmal muss eine Frau tun, was eine Frau tun muss.
Als ich ankomme, stehen da lange Schlangen vorm Eingang. Nehmen die jetzt 2 Euro Eintritt, Schweine im Weltall. Hatte ich nur noch 7 Euro. Stelle mich in die noch längere Schlange in der Hofbäckerei, 3,50 € für eine Stulle - haben die denen ins Gehirn geschissen? Aber für Stolz und verächtliches verlassen des Etablissements war ich zu ausgehungert. Ich war fast 25 Kilometer geradelt, ich wollte 'ne Kuh mit Nudeln. Ich kaufte mir zwei Stullen von meinen letzten Kröten und aß - nein, ich muss bei der Wahrheit bleiben - ich mampfte sie glücklich in mich hinein. Mich kannte ja keiner. Das waren die besten Schmalzstullen meines Lebens.
Die Rückfahrt war der Horror. Ist ja klar. Ich wollte nur noch auf's Sofa. Konnte nicht mal zum Hauptbahnhof Potsdam, um mit der Regio nach Hause zu fahren, weil Monatskarte nicht dabei und keine Kohle mehr. Das war doch alles schlecht geplant. Ist man einmal spontan und schon am Arsch. Und Gegenwind. Kalter, eisiger Gegenwind.
Ich glaub, morgen fahr ich einfach aus Trotz noch mal ins Krongut. Mit dem Auto. Wald und Königstraße, drauf geschissen! Ihr könnt mich mal.
Mittwoch, 1. April 2015
Männer, die mit Brüsten reden
Speed Dating in der Firma. Ich war Teilnehmerin in einem Assessment Center. 10 Tische, 10 Probanden, 10 Kollegen, die sich fünf Minuten mit jedem unterhalten müssen. Am Ende Nachbesprechung, wer wen gut fand oder schlecht und warum.
Ich fühle mit, die sind so nervös und müssen durch diesen anstrengenden Tag, kurz und gut, ich nerve nicht mit stringenter Abfragerei, ohnehin ist uns selbst überlassen, was wir fragen. Ich lass sie also erzählen und höre nicht zu. Beziehungsweise achte ich mehr darauf, wie sie erzählen, ob sie eloquent erzählen, wie sie sich verkaufen, um einigermaßen einzuschätzen, ob sie ins Team passen.
Einer sticht raus. Er vermeidet Blickkontakt, starrt stattdessen unverwandt auf meine Brüste. Ich versuche, Augenkontakt herzustellen, was mir gleichermaßen nicht gelingt. Ich bleibe an seiner Nase hängen. Ich hab da so ein Nasendings zu laufen. Schöne Nasen können mich schwach machen. Hässliche Nasen faszinieren mich ebenso. Und so eine Nase habe ich selten gesehen. Da er sich nur mit meinen Möpsen unterhält, kann ich sie unauffällig in Augenschein nehmen. Sie hat ungefähr 14 Huppel, ungleichmäßig verteilt, ein wirklich unvorteilhaftes Exemplar. Wie ein Klecks Kartoffelbrei, den man in sein Gesicht geklatscht hat.
Ich könnte mir vorstellen, dass es wegen ihr zu wenig Vollkontakten mit anderen Brüsten dieser Welt kommt, daher wohl die Fokussierung. Vielleicht wurde er auch nicht gestillt oder zu lange, wer weiß das schon? Jedenfalls bin ich aus dem Alter raus, wo ich mich empöre, vielmehr in einem, in dem ich mich schon wieder drüber freue oder belustigt bin, weil mein Gegenüber in der Endlosschlaufe einer peinlichen Übersprungshandlung feststeckt (oder weil es sich um einen sehr, sehr kleinen spindeldürren Mann handelt, die haben so einen Gendefekt und bleiben immer wie ferngesteuert am Dekolleté festgetackert).
Ab und an schaut er doch mal hoch, aber dann dreht er die Augen so weit nach oben, dass ich immer nur in flackerndes Weiß sehe. Der wird mir doch hoffentlich keinen Krampfanfall bekommen, denke ich. Ich fang an, mir Sorgen zu machen. Aber irgendwann sind auch diese fünf Minuten um und er hat eine Fürsprecherin weniger. Weil, ein erwachsener Mann muss wissen, wann Augenkontakt oberste Direktive ist.
Ich fühle mit, die sind so nervös und müssen durch diesen anstrengenden Tag, kurz und gut, ich nerve nicht mit stringenter Abfragerei, ohnehin ist uns selbst überlassen, was wir fragen. Ich lass sie also erzählen und höre nicht zu. Beziehungsweise achte ich mehr darauf, wie sie erzählen, ob sie eloquent erzählen, wie sie sich verkaufen, um einigermaßen einzuschätzen, ob sie ins Team passen.
Einer sticht raus. Er vermeidet Blickkontakt, starrt stattdessen unverwandt auf meine Brüste. Ich versuche, Augenkontakt herzustellen, was mir gleichermaßen nicht gelingt. Ich bleibe an seiner Nase hängen. Ich hab da so ein Nasendings zu laufen. Schöne Nasen können mich schwach machen. Hässliche Nasen faszinieren mich ebenso. Und so eine Nase habe ich selten gesehen. Da er sich nur mit meinen Möpsen unterhält, kann ich sie unauffällig in Augenschein nehmen. Sie hat ungefähr 14 Huppel, ungleichmäßig verteilt, ein wirklich unvorteilhaftes Exemplar. Wie ein Klecks Kartoffelbrei, den man in sein Gesicht geklatscht hat.
Ich könnte mir vorstellen, dass es wegen ihr zu wenig Vollkontakten mit anderen Brüsten dieser Welt kommt, daher wohl die Fokussierung. Vielleicht wurde er auch nicht gestillt oder zu lange, wer weiß das schon? Jedenfalls bin ich aus dem Alter raus, wo ich mich empöre, vielmehr in einem, in dem ich mich schon wieder drüber freue oder belustigt bin, weil mein Gegenüber in der Endlosschlaufe einer peinlichen Übersprungshandlung feststeckt (oder weil es sich um einen sehr, sehr kleinen spindeldürren Mann handelt, die haben so einen Gendefekt und bleiben immer wie ferngesteuert am Dekolleté festgetackert).
Ab und an schaut er doch mal hoch, aber dann dreht er die Augen so weit nach oben, dass ich immer nur in flackerndes Weiß sehe. Der wird mir doch hoffentlich keinen Krampfanfall bekommen, denke ich. Ich fang an, mir Sorgen zu machen. Aber irgendwann sind auch diese fünf Minuten um und er hat eine Fürsprecherin weniger. Weil, ein erwachsener Mann muss wissen, wann Augenkontakt oberste Direktive ist.
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