Sonntag, 12. April 2015

Moabit, mon amour

Seit ich wieder ein Auto habe, bin ich nur noch unterwegs. Auf dem Rückweg von einem Besuch in der totalen Ödnis (Berlin-Rosenthal), zwang mich ein Stau zur Abfahrt über den Saatwinkler Damm, was mich widerum veranlasste, meiner alten Heimat einen Besuch abzustatten. Ich lebte 10 Jahre mit der Grauen Eminenz in Moabit.

Das Haus hat bessere Zeiten gesehen. Wir wohnten im ersten Stock, genau unter uns gab es einen florierenden Kiosk, in dem es alles gab. So gesehen stimmte die Infrastruktur. 


Direkt gegenüber war eine Kneipe, "Die Goldene Sieben", bewirtschaftet von einem stets volltrunken agierenden Ehepaar, von dem wir umgehend adoptiert wurden. Jede Nacht, die wir unterwegs waren, statteten wir der Spelunke beim Nachhausekommen einen Besuch ab und fühlten uns heimisch.

Das tollste aber war die beste Eisdiele der Welt in der Gotzkowskystraße/Ecke Zwinglistraße.Bis heute suche ich eine Eisdiele, in der es genau so gutes Eis gibt, wie dort. Rita hieß die Besitzerin, eine Italienerin, die aussah wie eine tüchtige schwäbische Hausfrau. Die Eminenz und ich rannten im Sommer jeden Tag hin und kauften uns Eisbecher mit ausschließlich der Sorte Tartufo. Naja, ehrlich gesagt, rannte ich jeden Tag dorthin, um die Versorgungslücke zu schließen.

Rita sorgte versehentlich für einen Nervenzusammenbruch, als ich zwei Monate nach der Trennung vom Reuterplatz in Neukölln, wo es mich hinverschlagen hatte, wegen des Tartufo nach Moabit fuhr. "Oooh, wo warst du solange, ich hab mir schon Sorgen gemacht!" Ich erzählte ihr von der Trennung und traurig sah sie mich an: "Es holt jetzt immer eine andere Frau zwei Eisbecher mit Tartufo, das ist bestimmt seine neue Freundin." Ich ließ mir nichts anmerken und draußen rief ich sofort eine Freundin an. "Ich weiß schon die ganze Zeit nicht, wie ich es dir sagen soll."

Ich war nie wieder da. Bis heute. Es gibt die Eisdiele immer noch. Genau so heruntergekommen, wie alles andere in der Straße.


Rita gibt's auch noch. Sie war zwar nicht da, aber die Bedienung meinte, sie kommt gleich, in einer Minute, ich solle mich setzen. Da saß ich dann mit dem Tartufo, das inzwischen genau so beschissen schmeckt, wie jedes andere Eis in dieser Stadt, sah auf das marode Interieur und dann gab mir die Bedienung ein Telefon in die Hand, "Rita ist dran". 

Sie erinnerte sich an mich, erzählte von ihren Enkeln, die sie betreut und dass sie immer noch jeden Sonntag arbeitet in der Eisdiele, obwohl sie schon 77 ist und dass es ihr gut gehe. Wie es mir gehe und was aus der Eminenz geworden sei. Sie freute sich, dass wir bis heute Freunde sind und ich Patentante seines Sohnes bin, Weltklasse Trennung halt. 

Ihre Stimme hört sich noch genau so jung an wie damals. Ich log, als sie mich fragte, ob mir das Tartufo immer noch so gut schmeckt, wie damals.

1 Kommentar:

  1. Und wenn man im Text ganz unten angekommen ist, liest man: It's all over now baby blue.. und summt augenblicklich in Gedanken ein bißchen mit.
    Hach Mensch.. Ich hab schon Gänsehaut vor lauter Melancholie.. :*

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