Sonntag, 28. Februar 2016

Dem Manager ist nichts zu schwer

Was meinen Job zunehmend auszeichnet, sind Meetings, Kick offs und Workshops. Die Hälfte meiner Arbeitszeit sitze ich in Besprechungen. Weil, wir haben jetzt eine heilige Kuh, den Projektmanager. So ein junger, eisig agierender Mensch, dem die Digitalisierung am Herzen liegt. 

Ja, die Digitalisierung. Was ist das eigentlich? Wir sind doch schon digitalisiert. Wir haben astreine Datenbanken, die vernetzt sind mit Hinz und Kunz. Hat man das zunächst undurchsichtig erscheinende System nach ca. vier Jahren endlich durchschaut, muss man neidlos anerkennen, da hat sich mal jemand echt Gedanken gemacht. Aber offenbar noch nicht genug. 

Das bedeutet im Einzelnen nichts anderes, als das für das alte gut funktionierende System ein neues instabiles implementiert wird. Bei der Datenmigration wird für gewöhnlich das alte System zerschossen, will sagen: man hat jetzt zwei parallel laufende instabile Systeme. 

Die Mitarbeiter leisten passiv-aggresiven Widerstand und benutzen nur das alte, was ihnen keiner so recht mit einer Abmahnung vergelten kann, da nicht rauskommen soll, dass das neue, naja.... irgendwie suboptimal läuft.

Das gefällt dem Projektmanager nicht, der über allem wacht und dafür wahrscheinlich ein Heidengeld kassiert. Und, nebenbei gesagt, ein Heidengeld ausgibt, das kostet ja alles. So versenkt er einen Haufen Kohle, worüber beredt geschwiegen wird. Im Zweifel sind die armen Admin-Schweine schuld. Am besten sagt man gar nichts, denn eins zwei fix eilt einem der Ruf eines schwierigen Mitarbeiters voraus.

Deshalb hört man Kritik nur unter der Hand und im vertrauten Kreis. Ehrlich gesagt, der vertraute Kreis umfasst die gesamte Belegschaft, nur eben die Geschäftsführung und den Projektmanager nicht.

Sobald ein Projektmanager am Werke ist, wird arbeiten praktisch unmöglich gemacht. Zunächst mal verlangt er ausführliche Prozessbeschreibungen für alles, was man tut und zu tun gedenkt. Das muss in absurd komplizierte Access-Datenbanken eingepflegt werden, denn die ISO Zertifizierung liegt ihm auch am Herzen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass das operative Tagesgeschäft mehr oder weniger brach liegt.

Verkauft wird einem das als Transparenz oder etwas grobschlächtiger - für Leute die schwer von Begriff sind: "Wennde morgen tot umfällst, kann man da reingucken und weiß genau, wie dein Job funktioniert hat. Das wird eine riiiesige Wissensdatenbank." Haben wir zwar längst, das gute alte Orga-Handbuch, aber schon da guckt keiner rein, wohl auch deshalb, weil sich bisher noch niemand getraut hat, während der Bürozeiten tot umzufallen.

Während man sich mit der Access-Datenbank die Tage um die Ohren schlägt, nachdem man wochenlang darüber diskutiert hat, was überhaupt alles ein Prozess ist, erfährt man, dass der Projektmanager schon längst an einer neuen Software laboriert, ganz der innovative Tausendsassa.

Man sitzt in Projektgruppen, dann werden Steuerungskreise gebildet, Arbeitsgruppen, in denen Flipcharts vollgekritzelt werden, wie mal alles werden soll, weshalb dann alles besser ist, und dann beginnt der wahre Hohn: es werden nach Monaten ergebnisloser ergebnisoffener Meetings hinter verschlossenen Türen die gemeinen Mitarbeiter befragt, also die, die in den untersten Gehaltsgruppen die grassierende Dateikorruption weghecheln und an genau die werden dann auch die Aufgaben delegiert.

Jetzt dürfen die aber nicht einfach drauflos arbeiten, sondern werden geadelt, indem sie ebenfalls monatelang in Meetings sitzen müssen dürfen, um Flipcharts vollzuschmieren. Bald ist ein Jahr vergangen, nichts ist umgesetzt, was aber niemanden zu beunruigen scheint. Ohnehin hat der Projektmanager längst 20 neue Ideen geboren, die alten sind obsolet. Nein, anders: so wie bei den Katholen im Bedarfsfall eine unliebsame Ehe annulliert wird, so werden Projekte stillschweigend an einem unbekannten Ort begraben, man spricht nicht mehr drüber. 

War was?

An die Headhunter dieser Welt: ihr sucht nach den falschen Leuten. Wenn eine Firma gut funktioniert, dann nicht wegen Cheffe, sondern trotz Cheffe. Anders ausgedrückt: hinter jedem großen Manager steht eine Sekretärin, die sich wundert. 


Hier ein Blick von der anderen Seite

Mittwoch, 24. Februar 2016

Raindrops keep falling on my head


Als ich mir mein lüttes Auto kaufte, fühlte ich mich wie in einem Fliewatüt. Es hat nämlich ein Glasdach und ich konnte kaum abwarten, damit in Starkregen zu fahren. Das stellte ich mir sehr romantisch vor. Regenpladdern an Fensterscheiben gehört fast zu meinem Lieblingswetter. Gestern nun hatte ich das langersehnte Vergnügen und ich kann sagen, es wäre nur noch schöner gewesen, wenn dabei die Sonne geschienen hätte. 

Aber der Sommer naht, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Sobald es um 7.15 Uhr hell ist, weiß ich, es geht aufwärts, vor allem habe ich eine Sorge weniger. Die Tochter meiner Freundin von gegenüber muss um diese Zeit am Bus sein und um dort hinzukommen, muss sie am dunklen Wald vorbei. Jetzt ist sie wieder sicher vor Axtmördern, die ich traditionell hinter Bäumen und Sträuchern ansiedele.

Ich selbst darf mich freuen über Heimfahrten, die an guten Tagen bei Helligkeit beginnen und in Dämmerlicht enden. Es geht voran. Wir haben jetzt vier Monate vor uns, in denen es bergauf geht und weitere vier, an denen es nicht schlechter wird, als es jetzt ist. Mir elenden Schisser kommt das wie gerufen.

Das alles korreliert wunderbar mit meiner jüngst eingeläuteten Doppelkopf-Manie. Jeden Montag Abend begebe ich mich nach Kreuzberg und spiele in einer Raucher-Kneipe bis tief in die Nacht. Da ich gerade die um die Ecke liegende Wohnung einer sich auf Reisen befindlichen Freundin einhüte, falle ich gegen 2 Uhr morgens in ihr Bett, stelle mir den Wecker auf 8 Uhr, das sind auskömmliche sechs Stunden Schlaf. 

Wie nun der Bezug zur elenden Schisserin? Ja, weil sie im Hinterhof wohnt und ein Hinterhof ist Nachts um 2 Uhr so ähnlich wie ein Wald, mit Axtmörder-Potential. Meine Schuhe klappern über das Kopfsteinpflaster, weil dort bekommt man natürlich keinen Parkplatz vor der Tür und das lockt doch jeden Psychopathen, der auf sich hält, vor die Tür, wenn er schon keinen Wald hat, in dem er sich versteckt halten kann. 

Auch in der Wohnung ging es mir nicht viel besser. Habt ihr schon mal in der Wohnung eines Freundes geschlafen, der nicht in der Stadt ist? Ich kam mir so fremd vor, dass ich beinah angefangen hätte zu dissozieren. Ja, man gießt Blumen in anderer Leuts Wohnungen, legt ihnen die Post auf den Küchentisch, das ist leicht. Aber dort zu schlafen ist eine ganz andere Sache. Ohne die eigentlichen Bewohner sind die Räume ein Niemandsland, ein Paralleluniversum, far far away. 

Dabei wollte ich nicht nur Montags dort schlafen, sondern öfter, um zu üben, weil ich mich an den Gedanken gewöhnen will, eventuell mein Bullerbü zu verlassen, schlimmstenfalls. Das Leben geht ja immer weiter, das ist meistens gut so, aber manchmal schmerzlich, da darf man nicht stehen bleiben, sondern muss über Alternativen nachdenken. 

Natürlich bekommt kein Schwein mehr eine bezahlbare Wohnung in Berlin, wir hätten uns zwei Jahre früher verkrachen müssen, wenn es denn schon sein musste, aber Krisen lassen sich nicht auf Termin legen. 

Anyway, zum Schluss ein Tipp für Werner Schmidt. Lieber Werner Schmidt, ich habe keine Ahnung, wie es Ihnen geht, ich kenne Sie auch gar nicht. Aber Ihre Schaufenstergestaltung lässt zu wünschen übrig. Womöglich verbirgt sich hinter den blinden Fenstern ein gut getarntes Waffenarsenal, mit dem Sie die Rüstungsindustrie unterwandern. Wenn nicht: Sie müssen etwas tun; denn das Leben, wie gesagt, geht immer weiter.



Sonntag, 21. Februar 2016

Ein Sommer in den 80ern

Zwischen Abi und Ausbildungsbeginn lag ein langer, heißer Sommer, den wir am See verbrachten, zu dem wir zurückkehrten, nachdem wir mit der halben Klasse an der Côte d'Azur waren, mit dem Motorrad und klapprigen Autos natürlich, denn damals gab es noch keine organisierte Abireisen, sondern nur befreundete Schüler, die sich auf eigene Faust auf den Weg machten, ohne Navi, ohne Handy - Gott allein weiß, wie wir überlebt und den Weg nach Hause gefunden haben.

Ich machte zum ersten Mal die Erfahrung, unsichtbar zu sein, in Nizza, als ich mich in einen Park verirrte, der ausschließlich von Männern frequentiert wurde, die nur Augen für einander hatten. 

In meinem Kaff gab es durchaus auch Männer, die es vorzogen, ihre sexuellen Präferenzen öffentlich auszuleben, allerdings mit einem anderen Fokus: sie standen in Sichtweite im Gebüsch und holten sich einen runter; stundenlang. Aber das wirkte doch alles eher verzweifelt als befriedigend, so schlau waren wir schon mit fünfzehn. Die ganz Offensiven stellten sich auch schon mal direkt vor die Parkbank, auf der wir Mädchen saßen, und holten seelenruhig ihren Schwanz raus; was uns nicht weiter traumatisierte, denn es war ja hellichter Tag und wir waren zu dritt oder zu viert. 

Wir hatten außerdem gelernt, wahrscheinlich aus der Bravo, solchen Typen keine Beachtung zu schenken, denn das genau wollen sie, entsetztes Mädchengeschrei. Wir wurden zunehmend lässiger, erhoben uns ohne Eile und seufzten gelangweilt "Boah ey, schon wieder so einer." 

Ich dachte trotzdem, dass in jedem von ihnen ein Axtmörder steckt, denn wenn ich mir vorstellte, mich zwönge eine schlimme Geisteskrankheit, selbiges zu tun, dann wäre ich wahrscheinlich zu noch anderem fähig, da kommt doch eins zum anderen. Krankes Zeug lag für mich grundsätzlich ziemlich nah beeinander.

So gesehen habe ich in Nizza Männer von einer ganz anderen, angenehmen Seite kennengelernt. Auslandserfahrungen sind einfach wichtig. 

Stationiert waren wir in Cannes, auf einem Campingplatz, wir hielten uns den ganzen Tag am handtuchbreiten Strand an der Croisette auf, in der Nähe des Hotel Carlton.

Ich träumte mich in eins der bestimmt prächtigen Zimmer, denn von Campingurlauben hatte ich eigentlich die Nase voll, da meine Eltern andauernd, praktisch in allen Ferien, den Wohnwagen und das Vorzelt einpackten und ich mir das Geschnarche von meinem Vater anhören musste, eng zusammen gequetscht mit meinen Schwestern, und darüber nachdachte, was zur gleichen Zeit alles Tolles zu Hause passierte, was ich wegen der dämlichen Reisefreudigkeit meiner Eltern alles verpasste. 

Die Zuhausegebliebenen zelteten nämlich auch, direkt auf der Wiese vor dem Hochhaus, in dem wir damals noch wohnten, aber da hörte die Campingliebe meiner Eltern natürlich auf, ich durfte nie mit draußen übernachten, obwohl das ALLE anderen durften. Die knutschten bestimmt die ganze Nacht und alles ohne mich, während ich in Büsum versauern musste und noch nicht mal im Vorzelt schlafen durfte.

Camping in Frankreich ohne nervige Eltern war natürlich was anderes. Erstmal war ja immer warm und der Lavendel duftete betäubend. Kein Auto hielt an einer roten Ampel, das war natürlich sensationell für uns gesetzestreue Germanen, die gerade 20 Minuten den Führerschein hatten. Einer von uns hatte auch gleich einen Unfall, weil er bei grün fuhr, war aber nur ein Blechschaden. 

Wir schwammen weit ins Meer, bis zu einem Felsen, auf dem wir uns sonnten, was sehr unbequem war, aber Felsen gab's zuhause am See nunmal nicht, also war das eine besondere französische Spezialität, außerdem hatten wir noch keine Rückenprobleme. 

Einer zog sich so einen Sonnenbrand zu, dass ich nicht glaube, dass er heute noch lebt.



Wir waren uns sicher, dass wir unser ganzes Leben lang engste Freunde bleiben. 

Als wir wieder zurück im Kaff waren, lagen wir an einem Abend, es wurde schon dämmrig, wieder am See, hörten Musik. ein paar spielten Fußball, ich betrachtete sie im Gegenlicht der untergehenden Sonne und mir wurde auf einmal klar, sonnenklar, dass wir das wohl nicht schaffen werden, ein Leben lang, dass sich unsere Wege unaufhaltsam trennen werden, ich spürte den Abschied, der in der Luft lag und uns bevorstand und wollte diesen Moment unbedingt festhalten, mit aller Macht unauslöschlich in mein Gehirn brennen, und das zumindest ist mir gelungen.

Dienstag, 16. Februar 2016

Die begabte Auftragsmörderin

Die Auftragsmörderin ist im Doppelkopf-Fieber, ich erkenne sie kaum wieder. In dieser zartgliedrigen Person stecken einerseits abseitige Phantasien, die sie für teuer Geld verkauft und die man nicht im entferntesten bei ihr vermuten würde, wenn man in ihre Reh-Augen schaut. Sie wirkt stets sanftmütig und anmutig. 

Aber sie hat das Killer-Gen, jedenfalls beim schreiben und beim Doppelkopf. Mittlerweile schleppt sie mich in veräucherte Kneipen in Kreuzberg, da spielen wir mit wildfremden Menschen - also, sie macht das und deshalb sind sie ihr nicht mehr fremd, aber ich war heute das erste Mal dabei.

Verschärfte Version: mit sechs Spielern. D.h. drei Kreuz-Damen, drei Herz-Zehnen und so weiter. Das ist viel schwieriger als zu viert zu spielen. Da muss man kognitiv up to date sein. Da ist es von Nachteil, ein löchriges Kurzzeitgedächtnis zu haben. Meine Gedächtnisleistungen werden vollständig vom Büro absorbiert. Am Ende des Spiels wusste ich oft schon nicht mehr, mit wem ich eigentlich zusammenspiele; immer wenn ich es endlich begriffen hatte, war ich so durcheinander von all den vielen Karten bei jedem Stich, dass ich ein wenig die Orientierung verlor.

Zudem waren heute zwei Männer dabei, die eigentlich lebende Rechenzentren mit fotografischem Gedächtnis sind. Inselbegabungen halt. Der eine spielt sogar online und ist tödlich genervt von den Trollen, die sein Blatt zerschießen. Und Männer wollen ja immer, IMMER gewinnen. Während ich nur spielen will. Mir ist völlig schnurz, ob ich verliere. Deshalb spiele ich oft auf Risiko und komme sogar meistens damit durch. Heute nicht.

Das Rechenzentrum bemeckert sogar noch fehlerhafte Spielzüge, wenn er haushoch gewonnen hat. Es gibt solche Leute. Die hassen mich. Kann man nix machen. Gottseidank findet mich der Hund noch gut.

Aber die Auftragsmörderin sitzt ganz ruhig am Tisch, man hört keinen Pieps von ihr und spielt alles in Grund und Boden. Sie merkt sich alles und während das Rechenzentrum neben mir schon ermahnt wird, weil er so oft stöhnt über meine zu kurz gedachten Spielzüge und mich nach jedem Spiel streng fragt, weshalb ich die Dulle gespielt habe, obwohl wir doch schon drüber waren und ich antworte, aber bei drei Dullen im Spiel bin ich doch froh, wenn ich eine nach Hause bekomme, lächelt sie mich geduldig an und sagt "Alles gut, meine Liebe."

Das Killer-Gen gepaart mit Empathie und Großmut. Ein Fieber, das von außen nicht zu sehen ist. Ich nehme an, die nächsten Jahre werden wir uns in allen Seplunken dieser Stadt herumtreiben und dann baut sie die berüchtigte DoKo-Mafia im nächsten Tatort ein. Mal sehen, wer mich spielt.

Montag, 15. Februar 2016

Ich bin verliebt

Ich habe die Karriere von Manfred Krug nicht verfolgt, war nicht meine Sozialisation. Ich war zu jung, als er ausgebürgert wurde, als dass er mich interessiert hätte. Ich war auch kein "Liebling Kreuzberg" Fan und Vorabendserien wie "Auf Achse" waren schon immer unter meiner Würde. Das Gesinge als Tatort Komissar ging an mir vorbei, weil ich kein Tatort Fan bin. 

Einzig eine Erinnerung habe ich an ihn, aber die ist viel mehr mit meinem Vater verbunden: Meine Mutter und ich sahen einen Film, "Das Brot des Bäckers". Der Film hatte einen unglaublichen Sog, nicht, dass wir direkt reingekrochen sind in den Telefunken-Riesentrumm, aber irgendwie ähnlich war es schon. 

Bis zu dem Moment, als mein Vater nach Hause kam, sich auf's Sofa schmiss und umschaltete. Wie schrien beide "Nein!", aber das focht ihn nicht an. Meine Mutter stand auf und ging ins Bett, ich moserte noch ein bisschen - damals herrschte noch die 1-Fernseher-Politik - aber die Würfel waren gefallen. 

Mir blieb nichts anderes übrig, als auch ins Bett zu gehen und für das baldige Ableben meines Vaters zu beten. Wenn der gewusst hätte, dass ich den lieben Gott zu Hilfe rief, er war ein Taliban-Agnostiker und hätte mir gleich sagen können, dass das so nichts wird.

Ich erwartete nichts, nada, niente vom heutigen Tag, als ich auf die PAULA-Preisverleihung ging, schon gar nichts von Krugs Gesangsdarbietungen. 

Er kommt auf die Bühne, fängt an zu sprechen, man erkennt die Stimme und denkt, ich muss doch mehr von ihm gesehen haben, als gedacht und ich bin erstaunt, wie wenig sich die Stimme nach einem knapp Achtzgjährigen anhört. Sie hört sich an wie immer. Kraftvoll, tragend, spöttisch. 

Tja, und dann fängt er an zu singen. Um mich ist's geschehen, ach, was sag ich, um den ganzen Saal ist es geschehen. Er singt im Duett mit der mir gänzlich unbekannten Uschi Brüning, die aussieht, wie eine wackere Hausfrau mit praktischem Kurzhaarschnitt, und dann singt sie mit einer so jungen, zarten, warmen Stimme, die beiden flirten, Baby i'ts cold outside und dann folgt ein herzergreifend trauriger Bossa Nova über das Ende einer Liebe, Adé, und dann ist es auch schon vorbei und der halbe Saal heult. 

Ich bin bereit, direkt nach vorne zur Bühne durchzumaschieren, mir Krug zu schnappen, mit nach Hause zu nehmen und den Rest meines Lebens glücklich mit ihm zu werden, wenn er mir nur jeden Abend etwas vorsingt.

Sonntag, 14. Februar 2016

Zwei Gene, ach in meiner Brust

Obwohl ich eine sesshafte Seele bin, die Veränderungen nicht besonders gern hat, wohne ich, als ob ich jeden Moment aufbrechen könnte, ohne mich über Gebühr mit Instandsetzungsmaßnahmen beschäftigen zu müssen. 

Ich bin sehr froh über alles, was man nicht in Fliesen bohren muss, sondern an Fliesen kleben kann. Handtuchhalter, Klopapierhalter, etc. Gibt's alles mit Saugnäpfen. Ich überlege sehr genau, ob ich die Bohrmaschine in die Hand nehme, genauer gesagt habe ich gar keine, denn ein kleiner Stahlnagel tut's in der Regel auch. Damit habe ich bisher noch jeden Mann verrückt gemacht.

Genau eine Pflanze habe ich, seit über 20 Jahren, die steht im Sommer auf dem Balkon und im Winter im Hausflur am Fenster, sie scheint sich mit diesem Arrangement abgefunden zu haben, denn sie wächst trotzdem wie bekloppt. Wahrscheinlich ein Schrei nach Aufmerksamkeit.

Mein Keller ist so gut wie leer, was mich ungemein beruhigt; außerdem bin ich die Wegschmeißerin vor dem Herrn. Ich sammle weder Ansichtskarten noch Fotos von Babys, die mir frischgebackene Eltern per Post senden. Sie wandern nach kurzer Betrachtung umgehend in den Mülleimer. Nichts schöner, als den Kleiderschrank auszumisten. Seit einem Jahr nicht getragen? Weg damit.

Bücher sind limitiert, drei Billys doppelreihig befüllt, mehr ist nicht. Für eine gelernte Buchhändlerin ist das beschämend wenig. Bedenke ich, dass ich 99% der Bücher nie wieder lesen werde, ist es absurd viel, aber ich finde Bücherwände schön. Das ist aber auch schon das einzige, was ich jahrelang aufbewahre, nur unwichtige Bücher kommen weg, sonst könnte ich die drei-Billy-Politik auch nicht aufrechterhalten. 

Ich halte auch nichts von Bevorratung. Erst vor kurzem bin ich dazu übergegangen, mir an der Tanke zwei Schachteln Zigaretten zu kaufen, aber das grenzt für mich schon an Blasphemie. Hab eine Freundin, die immer die halbe Drogerie leer kauft und in ihrem Badezimmer Shampoo und Zahnpasta für die nächsten 10 Jahre hortet. Verrückt.

Vor hundertmillionen Jahren habe ich mir in der Knesebeckstraße bei "Glasklar" unkaputtbares milchig weißes Geschirr gekauft. Es ist leider wirklich unzerstörbar und wenn mir nicht mein Ex-Ami sein dramatisch orientalisch gemustertes Geschirr hinterlassen hätte, gäbe es bis heute nichts anderes. Meine Kollegin Bling Bling bewunderte das Design, "Ist das von Versace?" Gott behüte, nein. Beziehungsweise, ich weiß es nicht.

Es ist mir völlig gleichgültig, dass ich kein KPM im Schrank habe. Ich kenne Leute, die könnten aus dem Stand für 200 Leute den Tisch decken, ohne einen Pappteller dazu kaufen zu müssen... was für ein Ballast. 

Schuhtick - was ist das? Lampentick - schon eher. Ich bin die Meisterin der Innenraumbeleuchtung. Allein im Wohnzimmer habe ich neun verschieden große Lampen verteilt, die gütiges Licht verströmen. Davon kann man nun wirklich nicht genug haben. Als mal eine Freundin für längere Zeit ins Krankenhaus musste, habe ich ihr sofort eine kleine Lampe gebracht. Die Beleuchtung dort war unzumutbar und nicht gesundheitsfördernd. 

Merkwürdig, dass ich mich so ungern von einem Ort wegbewege und gleichzeitig dafür sorge, dass ein Weiterziehen mit Minimalaufwand vonstatten gehen würde.

Dienstag, 9. Februar 2016

Proudly present


Meine entzückende Mutter (in meiner Pubertät war noch nicht abzusehen, dass sie sich mal so gut entwickelt) hat gehört, dass ich nicht mal meine Urgroßeltern kenne. Daraufhin googelte sie stieg sie auf den Dachboden, kramte in alten Unterlagen und schrieb mir eine Mail:

Es gab sie, Deine Urgroßeltern!

Die Eltern meines Vaters: Hermann S.,
geb. 3.7. 1874 und Martha geb. R., geb. 29.11. 1871. Ich weiss nicht, ob mein Vater deren einziges Kind war. Er wurde geboren am: 7. 3. 1892 in Copitz a. d. Elbe. Meine Güte, da wäre er jetzt 124 Jahre alt!! (Der Schlawiner schwängerte in seinen 50ern meine blutjunge Omma. Skandalös!)


Die meiner Mutter: Heinrich Otto W. und Paula Emma geb. B., leider keine Geburtsdaten.
An Opa Otto erinnere ich mich gut. Da verbrachte ich immer ganz tolle Sommerferien in der Nähe von Leipzig. Er wohnte damals in einem Försterhaus als Verwalter. (Du meine Güde, im Grunde bin isch äine woschechde Säggsin. Gein Wunder, dass mir das Försderhaus im Horz so gud gefolln had. Das worn die Gääne von Urobbaa Oddo)

Ich kann also auf einen Familienstammbaum bis ins Jahr 1871 zurückblicken. Fantastisch.


P.S. Normen und Daden wurdn freilich vonna Redaggsjon geännerd. 

200 bpm

Auf der Suche nach Selbstoptimierung bin ich zum Friseur gerannt und hab gesacht: 10 Zentimeter ab. Keine signifikante Besserung. Und dann träume ich auch noch einen Quark zusammen.

Mir wird sehr warm im Traum. Ich wache auf aus tiefstem Schlaf. Benommen nehme ich wahr, dass mein Herz schnell schlägt. Ich setze mich auf, es wird immer schneller. Ich reiße das Fenster weit auf, die eisige Nachtluft kommt mir vor wie eine warme Sommerbrise. Sitze auf dem Bett, schau in die Nacht, mein Herz hämmert, als ob es gleich zerspringt.  

Komisch, denke ich, ich muss gar nicht schneller atmen. Wenn das Herz so rast, dann braucht es doch mehr Sauerstoff. Es wird noch schneller, mein letztes Stündlein hat geschlagen. 

Ich bleibe so ruhig, als läge ich im Vabali auf einem Wasserbett. Dabei sitze ich am offenen Fenster und habe eine Scheißangst. Nix weißes Licht und großer Frieden. Ich atme dennoch so bedächtig, als würde ich in ein Aquarium gucken oder in ein Feuer, irgendwas anschauen, das ungemein beruhigt. 

Nach einer Ewigkeit von drei Minuten ist der Spuk vorbei. Nochmal gut gegangen. 

Sonntag, 7. Februar 2016

Beziehungsunfähig

"Ich bin beziehungsunfähig."

"Och, das bin ich wohl auch."

"Du? Im Leben nicht."

"Doch, man sagt über Singles, dass sie im Grunde Beziehungen verhindern. Wenn sie wirklich eine wollten, hätten sie eine."

"Quatsch. Du suchst dir einfach nur den Falschen."

"Sag ich doch."

"Echt mal, triff einfach die richtige Wahl. Such dir einen netten."

"Wo finde ich die?"

"Hier! Ich bin nett."

"Aber du bist beziehungsunfähig."

Donnerstag, 4. Februar 2016

you can get it if you really want

Zu den wirklich schlimmen Dingen im Leben eines berufstätigen Menschen gehören Zielgespräche. Nur übertroffen von Jahresendgesprächen, in denen die Erreichung der Ziele bewertet wird. Ich weiß nicht, wer das erfunden hat, und schon gar nicht, weshalb sich diese Erfindung durchgesetzt hat. 

Zielgespräche sind sinnloser Mist, erstens, weil die Arbeit so oder so getan werden muss, zweitens weil der Arbeitnehmer vollends verarscht wird, weil ihm suggeriert wird, mit einer "Übererreichung" könne er seinen Bonus vergrößern, was aber vom direkten Vorgesetzten für gewöhnlich verhindert wird, weil ihm viele Dinge einfallen, weshalb das Ziel leider doch nicht erreicht wurde. Außerdem ist die Definition "Übererreichung" ein phantastisch weites Feld mit mannigfaltigen Interpretationsmöglichkeiten.

Es werden in den seltensten Fällen die Arbeitsergebnisse bewertet, sondern ob die Nase des Subalternen passt. Daher ist der Bonus auch unter dem Namen "Nasenprämie" bekannt.
  
Man ist also einem direkten Vorgesetzten ausgesetzt, der sich in der Regel am Ende des Jahres auslebt, und zwar in der Machtausübung. Er, nur er, entscheidet darüber, ob man sich die exorbitant hohe Zahnarzt- oder Nebenkostenabrechnung leisten kann oder nicht. Meistens ist er dafür, sich sein Mütchen zu kühlen und jeder, der ihm nicht ganzjährig das Gefühl gibt, er sei ein Gottesgeschenk, bekommt vor Weihnachten die Quittung für seine Minderbegabung, sich bis zur totalen Selbstaufgabe zu verleugnen. 

Nun bin ich in einer Gehaltsgruppe, in der ich keine Ziele machen muss. Niemand kann mich zwingen. Cheffe versucht es natürlich trotzdem. Früher habe ich das gutmütig gemacht. Ich wollte ja beweisen, dass ich zu Dingen fähig bin, die nicht in meiner Stellenbeschreibung stehen. Dass ich echt was drauf habe. Hat mir sogar Spaß gemacht. Bis zum Jahresendgespräch, in dem mir klar wurde, dass ich lediglich für die Erreichung seiner Ziele gearbeitet habe, denn die werden der Einfachheit halber auf uns runtergebrochen. Mir hat das gar nichts gebracht, ihm dafür um so mehr. Darum mache ich keine Ziele mehr. Punkt, aus, Amen. 

Nun war es wieder soweit. Er legte mir eine Vereinbarung vor, die ein komplexes, zentrales Ziel des gesamten Hauses beinhaltete. Am Arsch die Räuber, er schämt sich nicht, das seiner Sekretärin überzuhelfen. Die, die am wenigsten verdient und keinerlei Aufstiegschancen hat. Dafür muss man auch geboren sein. 

Er erklärt mir langatmig, was ich zu tun habe. Ich lächle still in mich hinein. "Schön und gut, aber ich weiß gar nicht, weshalb du mir das erzählst, ich mache keine Ziele mehr, weißte doch" antworte ich freundlich. "Aber du könntest deinen Bonus damit vergrößern" lockt er mich. Ich sage, dass mir kein Ziel jemals das erwünschte Ergebnis gebracht hat; ganz locker aus dem Handgelenk kommt mir dieser Satz über die Lippen. "Aber es ist auch mein Ziel und ich habe keine Zeit dafür." Ihm schwimmen die Felle weg, denn wenn ich den Job nicht wie erhofft mache übererfülle, wird sein Bonus kleiner. Sehr ärgerlich. 

Fazit: Es ist immer gut, Ziele zu haben.

Dienstag, 2. Februar 2016

Mittagspause der Extraklasse

Das Telefon klingelt. Ein Kollege ist dran, er müsse die Mittagspause absagen, es gehe ihm nicht gut. Was haste denn, frag ich. "So komische Schmerzen in der Brust und meine Hände sind taub." Nun, sage ich, rasch zum Arzt, lieber heute als morgen.

"Ja, ich werde jetzt mal die Straße entlanggehen und gucken, ob irgendwo ein Arzt ist."
"Sehr gute Idee, viel Glück! Quatsch, ich fahr dich."

Rufe meinen Internisten-Schwager an, der sagt, besser gleich ins Krankenhaus. Hört sich nicht gut an. Ich berichte meinem Kollegen. Er trägt es mit Fassung. "Sollen wir nicht doch lieber den Notarzt rufen?" Auf keinen Fall, natürlich, natürlich.

Wir treffen uns unten vor der Tür, stehen und gehen kann er noch. Eigentlich wirkt er wie immer. Er sieht nicht mal blass aus. Ich versuche einen Scherz. Er lacht nicht. Er hat schon das Locked in Syndrom. Verstehe, wenn ich Angst habe, werde ich auch mucksmäuschenstill. 

Ich denke, was mach ich hier? Sollte ich nicht lieber den Krankenwagen holen? Was ist, wenn er mir umkippt?

Schweigend sitzen wir im Auto, manchmal sehe ich ihn von der Seite an, er schaut stumm nach vorne. Lieber Gott, mach, dass ich ihn heile ins Krankenhaus kriege. 

Dann fragt er aus dem nichts, was mein Auto gekostet hat. Ich nenne ihm verwundert den Preis und referiere ein bisschen (Übersprungshandlung), dass ich bei der Marke bleiben werde, das nächste müsste nur mehr Schnick-Schnack haben, ein Tempomat zum Beispiel, weil... "Und im Namen müsste was mit Ferrari vorkommen" murmelt er. Aha, er kann doch noch scherzen. Er wechselt das Thema.

"Dirk Bach könnte heute noch leben, wenn er nicht Single gewesen wäre. Der ist einfach umgekippt und hat es nicht mehr zum Telefon geschafft. Das Los der Alleinlebenden." Bevor er mir in einem Moment der Schwäche vorschlägt, zukünftig eine Wohnung zu teilen, erzähle ich, dass mein Onkel im Bad umgefallen ist, während meine Tante im Wohnzimmer vor der Glotze schlief. Dem habe das Zusammenleben auch nicht geholfen. Ja ja, meint er, wenn es soweit ist, ist es soweit. 

Am Krankenhaus angekommen, geht er schon mal vor, während ich einen Parkplatz suche. Ich finde ihn in der Notfallaufnahme, die mich verdächtig an die KFZ-Zulassungstelle Friesenstraße erinnert,  mit einem Zettel in der Hand, darauf steht eine Wartenummer, 95. Aufgerufen wird Nr. 78. Die Patienten stehen vor kleinen Karbuffs und schildern der Person hinter der Glasscheibe ihre Beschwerden. Ist das überhaupt erlaubt? Die wollen sich doch kein Bahnticket kaufen.

Wir sind uns nicht so vertraut, dass ich jetzt Alarm mache. Und die Gesamtsituation sorgt auch nicht dafür, dass ich mich ihm plötzlich näher fühle, ich bin hier nur wegen meines Nachtschwester-Ingeborg-Gens, hadere aber insgeheim, ob ein bisschen Übergriffigkeit nicht doch Not täte. Hat man Schmerzen, ist man bar jeder Souveränität und braucht jemanden an seiner Seite, der das Kommando übernimmt. Mein Kollege bleibt still und verschlossen wie eine Auster und nach ein paar Minuten meint er, dass es zwecklos wäre, wenn ich noch länger bliebe, es würde sicher Stunden dauern. Ich habe keinen Schimmer, ob er das ernst meint, beschließe aber, ihn ernst zu nehmen.

Ich weiß nicht, was er den Ärzten alles mannhaft verschwiegen hat. Spät abends schreibt er mir eine Mail, dass er sieben(!) Stunden warten musste, bis sie ihn nach ein "paar Untersuchungen" wieder nach Hause geschickt haben, mit dem Weltklasse-Rat, doch mal zum Arzt zu gehen. "Dies schreibe ich dir mit tauben Händen."

Aha, so ist das heutzutage. Wartenummern, sieben Stunden ausharren und dann weggeschickt werden. Wie in Amerika. Wenn erst Trump Präsident ist, werden wir in zehn Jahren vor Krankenhäusern aus Kosten-Nutzen-Gründen der Einfachheit halber gleich niedergemäht.

Das nächste Mal rufe ich die Feuerwehr.