Gott sei Dank bin ich in einem Alter, in dem ich geduldig so ein Jahr ertragen kann. Gut, dass ich nicht 18 bin oder 30 - ich wär' bekloppt geworden.
Aber in einem ist dieses Jahr unübertroffen: es bringt alles ans Licht, was sich sonst hübsch verleugnen bzw. schönreden lässt. Corona funktioniert wie ein Detektiv, den man zwar nicht engagiert hat, der aber unermüdlich aufdeckt. Und wenn man schon mal hinschaut, geht man gleich in die Retrospektive und spätestens dann trennt sich die Spreu vom Weizen.
Denn wenn niemand mehr kommen darf und man zu niemanden mehr gehen darf: wer passt auf dich auf und auf wen darfst du aufpassen? Fast immer unausgesprochene, aber kristallklare und mitunter total überraschende Antworten erhält man.
Hat man einen Lebensmenschen, mit dem man unter einem Dach wohnt, stellt man sich womöglich andere Fragen, zum Beispiel "Wie komme ich hier schnellstmöglich raus?" oder "Ist ja doch insgesamt ganz kuschelig hier" - hier wird aufeinanderzu oder voneinanderweg gedriftet.
Aber wie geht es Singles, die niemanden verpflichtet haben, sich innerhäusigen Wonnen oder Querelen gemeinsam zu stellen?
Meine Rede: Singlesein ist okay, es braucht nur ein paar richtig gute Freunde und man erlebt alles ganz gemütlich und kommod. Plus ab und an den knorke Leihhund und alles ist in Butter. Aber dann kam Corona und mein Leben zum Stillstand; der Sommer war ja noch klasse, alles wurde nach draußen verlagert bis in den November hinein. Am Horizont jedoch: Weihnachten. Und der zweite Lockdown. Erneut monatelang Home Office.
Ich begab mich ernsthaft auf die Suche nach einem eigenem Hund, denn der Leihhund wird nun von der Auftragsmörderin selbst gebraucht; ich kann das verstehen. Allein, der Markt ist leergefegt und die Preise astronomisch. Hinzu erschwert der Vermieter (= Hausbesitzer) das Procedere, denn auf meine offizielle Anfrage bei ihm, mir einen Hund anschaffen zu dürfen, verwies mich der Arsch an die sogenannte Hausverwaltung. Er gab mir eine Postadresse, von der kam mein Brief zurück, Empfänger unbekannt - darüber sind sechs Wochen vergangen und ich bin jetzt bereit für einen Bilanzmord. Vielleicht doch eine Katze? Aber dann kann der Leihhund nie wieder zu mir kommen, der zerschreddert die sofort.
Eigentlich mag ich Weihnachten und jedes Jahr steigt meine Geschäftigkeit auf ein manisches Plateau aus Traditionen: Schrottwichteln, gemeinsames Backen, Weihnachtsmärkte, gemeinsames Plätzchen essen, Kesselgulasch, Weihnachtsfeiern, etc. jedes Wochenende vollgestopft, damit komme ich gut durch diese überfrachtete Zeit.
Dieses Jahr stellte ich mir die Feiertage schrecklich vor und ich habe eine Menge geweint. Ich habe sogar einigen Menschen anvertraut, dass ich mich elend fühle bei dem Gedanken, am 24.12. allein zu sein, obwohl mir das unheimlich peinlich war. Alleinsein ist nicht schlimm, sich einsam fühlen ist ganz schlimm und das auszusprechen ist der Ober-GAU. Anfangs hatte ich das noch tapfer genommen, aber je näher, desto kläglicher mein Gemüt und ich sah mich selbst auf dem Sofa sitzen, in Bollerhosen, die Tüte Chips in mich reinfutternd und mich später in den Schlaf heulend.
Der schlimmste Moment war allerdings schon Mitte Dezember: ich ging in der Dämmerung mit dem Hund im Wald spazieren und stolperte über eine Wurzel. Ich flog in hohen Bogen auf die Nase und blieb benommen ein paar Sekunden liegen. Ein Radfahrer fuhr langsam an mir vorbei, er sah auf mich runter, ich sah zu ihm hoch. Er fuhr einfach wortlos weiter. Irgendwie rappelte ich mich auf, ich hatte mir das Knie und die Knöchel zerdengelt und humpelte ca. einen Kilometer heim, es tat schweineweh, die Tränen liefen eimerweise, weil ich nun mal die einsamste Frau im ganzen Universum war, an der sogar Radfahrer ungerührt vorbeifahren. Ich hätte ja was richtig Schlimmes haben können, einen Schlaganfall oder so - aber nein, unsereins muss im Park krepieren, in aller Öffentlichkeit. So dachte und bejammerte ich mich regelrecht in einen Rausch und fand mein Leben ziemlich scheiße.
Von da an ging's bergauf. Ich kurierte mein Knie aus, schlief eine Woche mehr oder weniger durchgehend und beschloss, dass kein Grund für Traurigkeit besteht. Es ist die Pandemie und die und nur die hindert mich daran, mit all meinen so nervigen wie geliebten family & friends zu feiern.
Am 23.12. gab es ein hochkomisches Online Treffen, anderenorts das "Berliner Damenclübchen" genannt, bei dem das Geburtstagskind volltrunken einschlief; plötzlich hörten wir ihr leises Schnarchen und sie war nicht mehr aufzuwecken. Sie ist die Einzige, die ihre Kamera immer auslässt, denn sie fuchtelt stets so wild mit dem Handy rum, dass man schon nach ganz kurzer Zeit auf den Bildschirm kotzen muss - so konnte sie also zunächst unbemerkt wegschlummern. Ich lächelte noch beim einschlafen und wachte immer noch heiter gestimmt an Heiligabend wieder auf.
Abends traute ich mich rüber zur Freundin, drei Leute, drei Stunden, Bescherung, Tannebaum, Raclette - Niedersächsinnen unter sich. Morgen dasselbe nochmal und dann wird 2020 zu den Akten gelegt. Ich habe nur Angst, dass wir 2020 später mal erinnern werden, als "alles noch gar nicht so schlimm war".
Hoffen wir das Beste. Bleibt alle gesund.
Hirnbefreite Coronaleugner: legt euch gehackt.
Hier schreibt eine über den Tellerrand hinaus