Donnerstag, 28. Oktober 2021

Schlimme Klamotten

 

Neulich sitze ich der Sonne zugewandt, mit geschlossenen Augen, in einem Café im Süden der Republik von Berlin. Manchmal blinzle ich, wenn Menschen sehr nah an meinem Tisch vorbeilaufen. Geht mir aus der Sonne, denke ich jedes Mal.

Es läuft eine Gruppe schlecht gekleideter Leute an mir vorbei. Alle in Trainingsanzügen, mit albernen Oberlippenbärtchen, Vokuhila, blousonartigen Jacken und Schnellfi*erhosen. Ich schließe die Augen schnell wieder, habe ein unbestimmtes 80er-Jahre-Deja vu und fühle mich unangenehm berührt, zumal die sich auch noch direkt an den Nachbartisch setzen. Mit solchen Leuten wollte ich schon in meiner Jugend nüschte zu tun haben - weshalb sind die jetzt hier, in der Gegenwart, im schnarchigen Dahlem?

Dann beginnt am Nebentisch ein gepflegtes Gespräch über Pro-Seminare an der FU und mir dämmert, dass es sich hier nicht um Prekariat aus Neukölln handelt, sondern um eine weitere Hipster-Variante, die sich entgegen ihres gewissermaßen martialischen Kleidungsstils gepflegt, sanft und respektvoll miteinander unterhält. 

Ich hör mir das eine Weile an und dann schreite ich zur Tat. Von meiner Mutter ist mir in die Wiege gelegt worden, wildfremde Menschen anzusprechen und sie mit meiner Meinung und/oder Fragen zu behelligen. 

"Sagt einmal, darf ich euch etwas fragen, aber ihr nehmt es mir bitte nicht übel?"

"Na klar" schallt es mir gutmütig entgegen.

"Tja, also wisst ihr, ich war ja jung in den Achtzigern und da sahen auch ein paar Leute so aus wie ihr heute, aber die fanden wir nicht gut. Das war so eine bestimmte Klientel und die waren nirgends immatrikuliert, könnt ihr mir glauben. Wie kommt's, dass Ballonseide so einen Lauf hat? Und du, du hast ja sogar eine ziemlich schlimme Frisur, Vokuhila, wenn ich das so sagen darf."

"Ja", lacht er, "Toll oder? Ich habe haargenau dieselbe Frisur wie mein Vater in den Achtzigern. Und die Klamotten sind nur geil. Saubequem. Ich wünschte, er hätte mehr davon aufgehoben."

Der andere: "Du wirst doch nicht von meiner Jacke auf den ganzen Mann schließen? Mir war heute danach..." und hebt zu einem längeren Vortrag an, der selbst Karl Lagerfelds Haltung zur Jogginghose hätte verändern können. 

Das Mädchen, immerhin in einem Adidas-Anzug, ungekämmt, ungeschminkt und so zauberhaft, wie es eben nur junge Frauen sein können, hört den begeisterten Modestatements ihrer Begleiter gutmütig zu und exponiert sich nicht weiter. 

Da ist also nicht Mut zur Hässlichkeit oder Nachlässigkeit in Kleiderfragen zu betrachten, sondern ein ausgeklügeltes Modekonzept, über das viel nachgedacht wurde. Nachdem mir nun klar ist, dass ich hier echter Streetware begegnet bin, Generation X oder Y oder Z oder was weiß ich denn (da waren sich dir drei selber nicht ganz im klaren), wechsle ich übergangslos in den Tanten-Modus, fasele etwas von "Ihr habt noch alles vor euch und falls ihr euch mal langweilt oder Herzschmerz habt, denkt immer daran: ihr seit noch blutjung und habt noch wirklich alles vor euch. Ihr wisst das heute noch nicht, aber ich weiß es." 

Dem Mädchen rate ich, sich von Ar*löchern immer schnell zu trennen und das bringt einen der Jungs dazu, sich als ihr Freund zu outen, er sei "momentan" sehr bemüht, sich nicht wie ein Ar*h zu verhalten. Sie und ich prusten los "Mo-men-Taaan???"

Sie lassen sich nicht anmerken, ob sie mich für übergeschnappt halten oder sich daran freuen, dass sie so heiß beneidet werden - sie sind jedenfalls durch die Bank freundlich und milde und ich darf sie sogar fotografieren, für diesen Blog ("Kannst gerne mein Gesicht zeigen!"), weil ich sie wirklich in jeder Hinsicht bemerkenswert finde. 

Wenn's noch mehr von ihnen geben sollte, dann ist mir nicht bange. Es gibt auch ganz tolle Leute mit der Frisur von Rudi Völler. Ich kann das bestätigen.

Freitag, 22. Oktober 2021

Es saugt und bläst der Heinzelmann

Gestern früh - erste Ausläufer des Orkans Ignatz brausen ums Haus - wird es auf einmal so laut draußen, dass ich sicher bin, dass gleich das Haus wegfliegt. Eine Windhose. Aber nein. 

Ein BSR Mann geht mit dem Laubbläser durch die Straße und bläst das Laub vor sich her. Mitten im Sturm.

Da sag noch mal einer, Berlin funktioniert nicht.

Dienstag, 19. Oktober 2021

Ach, das Leben...

Neulich war ich auf einer betriebsinternen 2 G Veranstaltung und danach mussten wir alle in Quarantäne. Ick hab ma testen lassen, negativ. Glück gehabt. ABER: dass den paar Menschlingen bei uns, die sich nicht impfen lassen wollen oder können oder was weiß ich denn, die Tränen vor Lachen liefen, kann ich mir gut vorstellen. 

Bei allem aufgeregten Gegacker, es müsse sich doch ein jeder impfen lassen, man vergesse nicht: sich nicht impfen zu lassen, ist ein Grundrecht und die Gründe dafür privat zu halten, ebenso. Denkt man gar nicht, gell? (ich muss mich selbst immer wieder zur Ordnung rufen, denn wenn es nach mir ginge, wären alle geimpft inklusive Tiere und Schrankwände)

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Anyway: ich war in Bayern. Schön dort. Die Blumen wissen nicht, dass bald Weihnachten ist. Prachtvolle Hülle und Fülle. Während hier in Berlin der kürzeste Herbst aller Zeiten ist. Innert einer Woche wurden alle Blätter rostig braun und fielen auch schon runter. Als ob die Bäume denken "Bloß runter mit dem Zeugs, ich hab keinen Nerv mehr für Photosynthese". Meine Hypochondrie ist jetzt global und schließt Bäume und Wetter mit ein. Ist ein Klacks für mich, alles mit Sorge zu betrachten. 

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Gottseidank bin ich auch leicht glücklich zu machen. Kürzlich zweimal nacheinander im Vabali gewesen. Wäre ich Boris Becker, würd' ich's mein Wohnzimmer nennen. Wenn ich ins Vabali gehe, dann ist immer die Beste aus Amerika in Berlin. Diesmal in Ehegatten-Begleitung, der zwei Wochen lang immer wieder Lachkrämpfe bekam, weil seine Schwiegermutter (die kein englisch spricht und daher mit einer Übersetzungs-App mit ihm kommuniziert) ein "Attentat auf ihn vorhatte". Er las: "I'am planning an assassination on you"- Verwirrt schrieb er meiner Freundin "Things went wrong with your mum." Dabei wollte die alte Dame ihn nur bitten, einem Tagesausflug nach Dresden zuzustimmen. 

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Dieser Tage mit Frau Lavendel telefoniert. Wir haben uns im letzten Jahr Dinge für 2021 vorgenommen, die alle schon in die Tat umgesetzt sind. Niemand ist darüber erstaunter, als wir beide. Nun haben wir neue Ziele für 2022 avisiert. Wir können derzeit nicht bloggen; uns geht's zu gut. Erst ging's uns zu schlecht und jetzt ist alles anders und zwar sehr anders und das müssen wir genießen. Wir bitten um Geduld.

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Das Kind meiner Nichte fragte neulich: "Mama, glaubst du an Gott?
Nichte: "Nein, aber manche glauben und manche..." (hebt zu einem längeren Vortrag an)
Kind (unterbricht ungeduldig): "Ich glaube nicht an Gott. Ich habe mich jetzt schon mehrmals mit ihm unterhalten, aber er hat nie geantwortet."

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Als ich Geburtstag hatte, bekam ich den Anruf einer Freundin, die ich das letzte Mal vor über 10 Jahren gesprochen hatte. Sofort nahm ich sie in die WhatsApp Gruppe der drei Freundinnen aus dem Herkunftskaff mit auf, die sich nicht aus den Augen verloren hatten. Dieses Wochenende dann großes Wiedersehen in Niedersachen: aus München, Münster und Berlin strömten wir an unsere frühere Wirkungsstätte und blieben 10 Stunden in einem Lokal sitzen, lachten und heulten, weil auch so viel Scheiß passiert ist in unseren Leben und dieser Scheiß auch ganz ungerechnt verteilt ist, eigentlich kaum zum aushalten, wie schwer so ein Leben werden kann, obwohl man doch eben noch unbeschwert und jung und schön die Nächte durchgetanzt hat. 

Und dann sind wir um Mitternacht noch in die Kneipe gegangen, die tatsächlich immer noch existiert und in der geraucht werden darf und in der wir unsere halbe Jugend verbracht haben. Und die natürlich bis auf fünf verkrachte Existenzen und einer Barkeeperin mit ADHS komplett leer war. Wir waren die Attraktion der Nacht - und so zwangsläufig wie früher gelingt uns das nicht mehr. Wir blieben eine Stunde und als wir wieder an der frischen Luft waren, rochen wir an unseren Klamotten und fragten uns, wie wir diesen Gestank früher nur ausgehalten haben. 

Süßer Vogel Jugend...

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Unbedingt lesen:

A grouchy German  Und alles von Alexander Gorkow

Unbedingt hören: Nick Drake; River Man