Donnerstag, 9. April 2015

It's all over now baby blue

Meine Mutter rief an, ihre Jugendfreundin, bei der im August eine beschissene Krankheit diagnostiziert wurde, ist heute verstorben. Sie ist gerade mal 70 Jahre geworden; kein Alter, sagt man heute. Und das ist es ja auch nicht.

"Es werden immer weniger."  Wie ist das, wenn es immer weniger werden, der Freundeskreis sich dezimiert? 

Es gehört zu den größeren Ungerechtigkeiten des Lebens, dass der Tod eines alten Menschen nicht so betrauernswert wie der eines jüngeren scheint. Oder wir Jüngeren uns mit dem Schmerz der Alten nicht beschäftigen wollen. Unser Telefonat hat ganze sechs Minuten gedauert. Wäre eine meiner Freundinnen gestorben, hätte unser Gespräch länger gedauert, da bin ich mir sicher. Ich hätte insistieren sollen, ich könnte es immer noch, anstatt diese Zeilen zu schreiben, ich weiß ja, dass sie sich mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinandersetzt. Wie ist das, zu wissen, dass man vielleicht noch zehn Jahre hat, oder nur noch fünf? Oder fünfzehn, aber wie werden die aussehen?

Bei jedem sehr kranken Menschen, der auf den Tod zugeht, kommt bei aller Liebe auch noch der Moment, an dem die anderen anfangen, darauf zu warten, dass es vorbei ist, egal wie sehr man anfangs gelitten hat bei dem Gedanken, diesen Menschen zu verlieren. Wenn keine Hoffnung mehr besteht, will man, dass das Leiden ein schnelles Ende hat. Man mutmaßt, dass es für ihn das Beste ist, dabei ist es womöglich nur für einen selbst das Beste und leider hat der Mensch kaum noch ein Wörtchen mitzureden, wenn sein Zellwachstum erst mal außer Rand und Band geraten ist, wahlweise altersgemäß den Dienst quittiert.

Erst das Erschrecken, wenn man die Diagnose erfährt, gefolgt vom hektisch überbordenden "Was kann ich für dich tun? Lass es mich wissen, ich bin für dich da.", was aber nur selten in Anspruch genommen wird. Sterbende lieben den Tourismus der länger Lebenden nicht. Man steht machtlos außerhalb des inner circles, mit all seinem guten Willen, irgendeine Linderung zu schaffen, die es gar nicht gibt. Der betroffene Mensch muss damit fertig werden, dass er dazu verdammt ist, zu wissen, wann und wie er sterben wird. Gibt es Schlimmeres? 

Manchmal tröstet mich der Gedanke, dass schon Milliarden Menschen vor mir gestorben sind und Milliarden Menschen nach mir sterben werden, dann werde ich das wohl auch schaffen. Aber natürlich vermute weiß fürchte ich, dass ich ein Riesentheater machen werde.

Altern erfordert Mut. Wenn wir immer schwächer werden, wird uns das Kraftraubendste abverlangt. Hart aber unfair. 

2 Kommentare:

  1. Immer wieder ein erschütterndes Thema. Mich beschätigt es immer mehr, je mehr gehen und je älter ich selbst werde. Mich erschüttert der Gedanke an das Ende der anderen und vor allem auch mein eigenes immer nur noch mehr und beschert mir wahre Panikattacken ...

    AntwortenLöschen
  2. Wie traurig. Und schön geschrieben.

    AntwortenLöschen