Freitag, 17. April 2015

Schönheit vergeht (Exkurs)

Phase 1
Zuerst wollte ich meine Mutter kopieren. Ich saß an ihrem Schminktisch und verschandelte mein Gesicht. Ich band mir Klötzchen mit Gummibändern unter die Schuhe, weil ich unbedingt Absätze haben wollte. Wann immer es ging, quatschte ich meiner Schulfreundin Andrea ihre Hackenschuhe aus den Rippen. Ich flehte meine Mutter an, mir Feinstrumpfhosen zu kaufen, was sie ablehnte. Ich schleppte ihr beim Schuhkauf goldene und silberne Schuhe an, die sie nie anprobierte. Sie kaufte mir meinen ersten BH, für den ich mich unendlich schämte, weil Micha Kasner rief  "Mann, hat die'n Tittenschwänger!"(ich nehme an, er hatte Visionen).

Phase 2
Mit 12 nahm ich mich in Relation zu anderen Mädchen wahr. Damals bedeutete das: muss sie auch eine Brille tragen und ist sie besser in Sport als ich? Wie lange hält sie sich beim Völkerball auf dem Feld? Ich rechnete mir keinerlei Chancen auf Micha Kasner aus, wegen meiner doofen Brille. Später gestand er mir, dass er unsterblich in mich verliebt war, so wie ich in ihn. Mit 15 heulte ich ganze Nachmittage lang, weil es abends zum Kegeln ging und ich nicht wusste, wie ich meinen enorm riesigen Hintern verstecken sollte, wenn ich dran bin (ich hatte auch Visionen, ich wog 49 Kilo, die harmonisch verteilt waren, aber das wusste ich damals noch nicht). Ich hielt wochenlang Hungerkuren durch, mit links.

Phase 3
Ich lief meistens völlig blind in der Gegend rum, weil ich meine Brille nicht trug. Das trug mir den Ruf ein, ich sei arrogant, weil ich nicht grüßte. Von meinem ersten Geld kaufte ich mir Kontaktlinsen und bekam furchtbare Angst vor dem Alter, wenn ich mir keine Linsen mehr in die Augen fummeln kann. Ich nähte meine Hosen so eng, dass ich nur im Schlusssprung in den Bus kam. Ich schminkte mir die Augen dunkelblau, weil ich dunkelblaue Augen habe, so muss das, dachte ich damals. Bei einer Freundin sah ich zum ersten Mal rotlackierte Fußnägel, was ich sehr hübsch fand und rief mein "immer-schöne-Füße-Projekt" ins Leben. Ich betrachtete die Beine einer anderen Freundin und dachte "Hat die es gut, sie hat gar keine Haare drauf." Es dauerte, bis ich kapierte, dass sie sich rasierte und war froh über meine Entdeckung. Das konnte ich also auch haben. Ich kaufte mir Einmalrasierer und fügte mir ungeschickt einige Wunden zu.

Phase 4
Es folgte eine jahrelange Hoch-Zeit meiner Anziehungskraft auf Jungs und später Männer - dessen war ich mir aber nicht bewusst. Und zwar wirklich nicht bewusst. Deshalb nannte mich mal der kleinstädtische Discotheken-Besitzer einen Cock-Teaser, weil ich nach einer Nacht durch alle anderen Discotheken, die er sich mit mir ans Bein gebunden hatte, nicht zum Ziel kam. Ich wusste nicht mal, dass er ein Ziel verfolgte. Ich blickte rein gar nichts. Der "Schönling", von meinem Vater gehasst, weil er seine Kippen in unserem Vorgarten austrat, konnte erst Boden gut machen, als er an einem Fotowettbewerb teilnahm, mich als einziges Motiv nahm und ich so zu der Ehre kam, im hiesigen Rathaus ausgestellt zu werden. Ich bildete mir trotzdem noch einen riesigen Hintern ein, fing an, mir die Achseln zu rasieren und sortierte die weiße Schießer Unterwäsche aus. Ich lieh mir die Lederhose meiner Schwester und ließ die Haare ganz lang wachsen. Am besten sah ich kurz nach dem aufwachen auf. Ich machte die Nächte durch.

Phase 5
Das ging in Berlin so weiter. Inzwischen wusste ich um meine Wirkung. Ich konnte jeden damit überraschen, dass ich nicht ganz doof war. Ein Cock Teaser blieb ich, ich liebte den Schönling und hielt von One Night Stands überhaupt nichts. Er hingegen schon, was mich aus der Fassung brachte. Wieder ging das vergleichen los. Er fotografierte mich weiter, aber das nützte ja nichts mehr. Seine große Liebe für mich entdeckte er, als sich das ultimative Alphatier um mich bemühte (ganz alte Männertradition). Wir waren längst getrennt und ich hatte mich einem Kollegen zugewandt, der vorher mit einer zehn Jahren älteren Frau zusammen war und der mich immer nur anziehend fand, wenn ich geweint hatte "Jetzt hast du endlich mal ein Gesicht", der Arsch. Der Schönling fand den Kollegen doof, der Kollege den Schönling noch doofer, beide fanden das Alphatier gut, das Alphatier schaute sich seelenruhig das Gespreize der beiden an und beschloss, der einzig Richtige für mich sei er selbst. Seperated from the boys. Ich war vollständig im Reinen mit mir. 

Phase 6
Obwohl ich niemals Schuhe mit Absätzen trug, fingen Kellner an, mich Madame zu nennen. Das Alphatier meinte, das liege an meiner Distanziertheit. Ich fühlte mich kein bißchen distanziert. Männer geheimnissen da viel zu viel rein. Ich hatte meinen einzigen Fernsehauftritt, in der Sportschau, ein Kameraschwenk über das Publikum auf der Trabrennbahn Mariendorf blieb an mir heften, so wurde mir erzählt. Ich hab's nie gesehen, dachte aber, besser kann's nicht mehr werden. 

Phase 7 bis auf weiteres
Ich kürze mal ab und komme in die Gegenwart. Ich würde ja gerne schwadronieren darüber, dass es ganz toll und befriedigend ist, eine reife, erwachsene Frau zu sein, ja sogar toll ist, älter zu werden, weil Schönheit nicht wichtig ist, man soviel gelernt hat und jetzt weise und gelassen ist. Ich bin aber nicht gelassen, bei aller Weisheit. Es ist nicht so, dass ich über den Dingen stehe, dass ich uneitler geworden bin, meinen wahnsinnig tollen Charakter schätze und alle anderen auch. Ich wäre lieber jünger und dünner und hätte gerne noch mal alles vor mir. Und dann würde ich ganz viel anders machen. Persönliche Waterloos und der Lauf der Zeit hinterlassen Spuren. Mädchenhafte Anmut und Selbstgewissheit schwinden gemeinsam, ob ich will oder nicht. Ich beneide die Frauen, denen das von Angeburt bis zum Schluss in die Wiege gelegt wurde. Arme wie Michelle Obama gibt es nicht mehr von Hause aus, nur durch hartes Training - und ich trainiere nicht hart. Hab ich nie. Werde ich nie. Ich seufze lieber. Und schau mir beim verwelken zu. Man wird ja so unsichtbar. Es ist, als ob man aus einem exklusiven Club rausgeschmissen wird und ich denke "Hey, ich bin dieselbe, die ich immer war!"  

P.S. Tja, ich war mal wieder zu lange in der Umkleidekabine. Erschütternd.

P.P.S. Nachricht an mich: läster nicht über Ommas, weil sie nervige, unansehnliche Wachteln sind, die immer nur im Weg rumstehen. In jeder steckt noch das hübsche anmutige Ding, das sie mal war. Für Oppas gilt dasselbe.

12 Kommentare:

  1. Möchte mal wissen, wer das in die Welt gesetzt hat. Dieses "es ist ganz toll und befriedigend, eine reife, erwachsene Frau zu sein, ja sogar toll ist, älter zu werden [...]".

    Habe wirklich ernsthaft versucht, das einige Jahre zu leben und blase es jetzt ab. Ich werde in knapp 2 Wochen 43 und habe keinen Bock mehr, mich selbst für blöd zu verkaufen. ;)

    @P.P.S: Weißt du, wovor ich wirklich Angst habe? Dass ich in einigen Jahren all das auf einen Haufen zurückbekomme, worüber ich früher gelästert habe. Ich hoffe, das Karma ist blind und blöd oder andwerweitig beschäftigt...

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    1. ich glaube, wir müssen uns alle ziemlich oft Dinge schön reden, das bleibt wohl nicht aus, wenn man nicht nur bibbernd vor dem was kommen wird, auf dem Sofa sitzen will. Verdrängung ist schon was Feines.

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  2. Aus genau diesem Grund, schaffe ich es nicht mehr, mich über Geburtstage zu freuen oder diese gar noch zu feiern!

    Den Tag, der mir nur erzählt, daß mein Körper weitere zwölf Monate Verfall hinter sich hat, weitere zwölf Monate sich deutlicher und tiefer in mein Gesicht und in meine Haut geschrieben haben. Zu wissen, das was jetzt ist, ist der Optimalzustand, alles was jetzt noch kommt wird nichts mehr verbessern, sondern nur noch Schwerkraft und Alter widerspiegeln... I hate it!

    Und Männer ruhen sich immer so aus auf der Meinung, sie würden nicht älter, sondern interessanter. Dabei hat sich das Bild längst gewandelt. Jenseits der 50 wird auch bei Männern von Frauen in erster Linie das Alter wahrgenommen und nicht irgendeine Form von "reifer Attraktivität" oder Charisma.

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    1. ja, wenn man den Zenit überschritten hat, das ist nicht schön. Glaube übrigens gar nicht, dass es Männern soviel besser geht. Im Grunde.

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    2. Geh nicht in Umkleiden.
      Das ist ganz schlecht.
      Mach das nicht. Wirklich.
      Und wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann nur mit Sonnenbrille.
      Oder unter Drogeneinfluss.
      Niemals nie und nimmer nicht Bademode in Umkleiden anprobieren.
      Akute Suizidgefahr.

      Selber nähen oder Geschenktes auftragen.
      Guckt doch eh keiner mehr.
      Liebe Grüße.

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    3. Das werde ich beherzigen. Jedes Mal fühle ich mich zwanzig Jahre älter und meiner Würde beraubt.

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  3. Hund M ... die ALLERSCHLIMMSTE. Es gibt leider nur wenige Umkleiden, die eine Größe 44/46 nicht in Suizidnähe und 42/44 nicht in stationäre Therapie treiben. Wir sind also psychisch extrem stark, wenn wir sie trotzdem nutzen. Die Alternativen allerdings, nicht shoppen zu gehen, oder im Versand zu bestellen, zu unmöglich unpassenden Öffnungszeiten in einer viel zu kleinen Postfiliale Schlange zu stehen, die schwere "Beute" heimzuschleppen und kurz darauf (siehe Öffnungszeiten/Schlange) das Unpassende wieder zurück ... nun ja. Also Kabine. Denn selbst genäht ist bei meiner handwerklichen Begabung eher in die Waldorfschule einzuordnen. Und Geschenktes scheitert meist daran, dass die Schenkenden zwei Größen weniger tragen ...

    Wenn ich allerdings überlege, an welchen Punkt meines "Zenits" ich mein Leben gerne zurückdrehen würde, ist da immer ein Haar in der Suppe. JETZT leben und dabei schlanker, fitter und geliebter ... das wäre die Lösung. Aber die guten Feen sind ja bekanntlich a) ausgestorben und b) zickig ...

    P.S. Der Zenit ... dazu schreibe ich auch noch was.

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  4. @Rollringelpiez: Oh nein. Ich weigere mich, das zu glauben. Okay, die guten Feen sind vielleicht zickig, aber sie sind nicht ausgestorben. Irgendeinen Hoffnungsschimmer muss es doch geben. ;))

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  5. Ich trainiere nicht, ich seufze. Und schaue mir selbst beim verwelken zu...

    Meine Liebe, das ist so wahr. So prosaisch. So schön. Ich könnte Sie knutschen!

    In großer Freude, dass kommentieren nun klappt:
    F. Windkraft

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  6. Ums mal mit Frances McDormand aus dem wunderbaren Film "Fargo" zu sagen: Jesses!
    http://www.google.de/imgres?imgurl=http://img2.timeinc.net/people/i/2014/news/141027/frances-mcdormand-1-768.jpg&imgrefurl=http://www.people.com/article/frances-mcdormand-hates-plastic-surgery&h=1024&w=768&tbnid=nkYsoiK_hOgVsM:&zoom=1&tbnh=105&tbnw=79&usg=__nCy4q4aHalu3o9s7HZyV9rDlH-8=&docid=eGw5OO8tBUGqOM

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    1. Sehr schön. Ich würde das auch gerne so sehen (können). Sie ist mir weit voraus.

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