Sonntag, 26. Mai 2019

Heul doch, Nichtraucherin!

Während unterdessen sowohl Niki Lauda als auch Wiglaf Droste gestorben sind, schlage ich mich mit den Auswirkungen meiner Nichtraucherei plus Schokoladenentzug herum.

Früher habe ich immer gesagt, das Gute am Rauchen ist doch, dass man weder ausfällig wird noch lila Sonnen sieht, sondern einfach nur still in einer zugigen Ecke steht und niemandem auf den Geist geht.

Nun, da ich selber gedetoxt bin, wird mir klar, dass ich vor allem mir selber nicht auf den Geist gegangen bin mit irgendwelchen Befindlichkeiten. Das hat sich jetzt geändert. Nikotin ist ein Nervengift, das hab ich nie bestritten. Aber die Auswirkungen - außer hochgradige Gefahr von Lungenkrebs - hielt ich für vernachlässigenswert. Ich spürte keine Auswirkungen, echt jetzt, manchmal Kopfschmerz, wenn ich übertrieben hatte, aber ansonsten: alles roger.

Naja. Jetzt, nach über 4 Monaten nichtrauchens und fast 8 Monaten ohne Schokolade stelle ich fest, dass ich eine tickende Zeitbombe bin, die sich ausnahmslos dysfunktionale Beziehungsgeflechte diagnostiziert, ja, sogar so weit geht, zu vermuten, alle langjährigen Begleiter und -innen sind überhaupt nur deshalb in meinem Leben, weil ich mir alle weniger liebenswerten Eigenheiten meiner beloved ones weggeraucht und/oder hübsch in Milka Vollmilch ersoffen habe. 

Also: ich fühle jetzt immerzu alles. Ich, die ich noch Anfang des Jahres ungerührt von allerschlimmsten Kümmernissen berichtet habe, als sprüche ich über eine andere, muss jetzt wegen jedem Scheiß heulen und alles am lebendigen Leib empfinden. Ist das scheiß anstrengend!

Und da fast alle meine Freunde (m/w/d) saufen wie die Löcher, ertragen die umgekehrt womöglich auch mich nur, weil sie zwar tagsüber alle einer geregelten Arbeit in hoffentlich nüchternem Zustand nachgehen, sich aber am Abend, wenn wir uns für gewöhnlich treffen, sofort rosa Cremant hinter die Binde gießen. Aber gut, das ist deren Problem. War nur so'n Gedanke. 

Anyway, ich habe Vollbeschäftigung mit all diesen Gefühlen und den daraus resultierenden Fragen, ob die eine oder andere verwandschaftliche oder freundschaftliche Beziehung im Grunde nicht längst auf den Misthaufen meiner Vita gehört. 

Neulich war ich über eine Sache so verstört, dass ich mich mit zwei landesweit bekannten Bloggerinnen extra in Leipzig getroffen habe, um mich mit ihnen darüber zu unterhalten. Ich versprach mir von unserer virtuellen Freundschaft (die aufgrund höchst seltener persönlicher Treffen noch keine Alltagsabnutzungserscheinungen hat) eine sehr objektive Sicht auf mein Dilemma und da hatte ich mich auch nicht getäuscht. Kluge Bloggerinnen sind auch in echt kluge Frauen und so saßen wir fünf Stunden an einem verregneten Samstag im Cafe Central und dann fuhr eine jede wieder heim. 

War das schön, Zeit mit Menschen zu verbringen, denen ich noch rein gar nichts übel nehmen konnte, weshalb ich auch nicht heulen musste bei der Erinnerung an frühere Verletzungen, weil sich ja bisher schlicht keine Gelegenheit für auch nur die kleinste Verfehlung gegen diverse Freundinnen-Kodexe ergab - bei dem nunmehr dritten Treffen in sieben Jahren (und die eine lernte ich an diesem Regentag sogar erst kennen.) Blütenreine Freundschaften - eine Labsal für meine entzündeten Nerven, die jetzt immerzu gekränkt sind, auch retrospektiv. Ich muss die beiden jetzt öfter treffen, es war zu schön!

Mir hat mal jmd. vor Jahren gesagt, keiner müsse sich einbilden, dass alles einfacher werde mit einem ehemaligen Suchtkranken, nur weil er nicht mehr trinke oder fresse oder sonstwas. Nein, wenn das alles weg sei, komme sein wahres Ich zum Vorschein und da wünscht sich manche/r das stets hackedichte Gegenüber zurück. 

Schätze, dass meine neue Überempfindlichkeit und meine dramatischen Ausrufe "Ich fühle jetzt andauernd alles, ist das ätzend!" viel Gleichmut erfordert von denen, die mit mir zu tun haben.

Dieser kleine Exkurs nur mal so als Warnung an alle, die aufhören wollen zu rauchen: Macht euch auf etwas gefasst! 


P.S. Die schönsten Nachrufe zu Wiglaf Droste gibt es hier


PPS: Ich bin jetzt doch eine ekelhaft militante Ex-Raucherin geworden. Noch halte ich zwar keine Volksreden über die Gefahren und das habe ich auch nicht vor, aber natürlich darf kein Mensch mehr in meiner Wohnung rauchen. Und ich bin sogar soweit gegangen, dass ich dreiviertel meiner Bücher im Laufe von 14 Tagen in so eine Bücher-Telefonzelle geschleppt habe - weil die einfach nach 30 Jahren Zugequalme so dermaßen stinken, dass ich's jetzt, mit meiner neuen Intoleranz einfach nicht mehr ertragen kann. Und ich bin sehr stolz, dass meine Bücher am jeweils nächsten Tag fast immer komplett weg waren. Kein Wunder, war ja Qualitätsware...

19 Kommentare:

  1. Ich beobachte an mir selbst, dass große Veränderungen Auswirkungen auf die seelische Hygiene haben. Ich habe aber das Gefühl, dass sich das wieder etwas normalisiert, sobald man sich an die neue Situation gewöhnt hat.
    Liebe Grüße
    Bettina

    AntwortenLöschen
  2. Ja, ich kann mir zumindest vorstellen, dass so ein Entzug auf der einen Seite eine völlig unerwartete Reaktion in einem bisher nicht beachteten Bereich auslöst.
    Und ich weiß noch, wie ich vor Jahr und Tag auf deinem Balkon rauchen wollte, weil ich selbst fand, drei Leute qualmend im Wohnzimmer ist vielleicht ein bissl viel.......
    Ich ziehe immer noch meinen Hut vor dir, obwohl ich mir kaum vorstellen kann, ÜBERHAUPT kein Laster(chen) mehr zu haben.....zumal du ja auch nie einen gepichelt hast......Seuzf. Da bin ich jahrmillionen von entfernt.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hatten wir nicht alle vier geraucht?

      Du musst keinen Hut ziehen, wirklich nicht. Ich habe jetzt natürlich andere Laster. Studentenfutter.

      Löschen
    2. Nein, Miri raucht doch nicht?!! Studentenfutter ist nun wirklich kein Laster...ich ernähre mich ja sowieso von Nüssen und Saaten also ist das auch kein Laster ;o)))

      Löschen
    3. Die Vierte war bis zur Ankunft Nichtraucherin, die auf der Rückfahrt dann einen kalten Entzug erlebte. ;))

      Löschen
  3. Ja doch, ich kann das nachvollziehen. Mir selbst geht es nicht mit dem Rauchen, sondern mit dem Trinken so, aber das Fazit ist sehr ähnlich. Mein Mann hat vor einigen Monaten mit dem Rauchen aufgehört, und ihm geht's auch nicht anders. Sein Werkzeug gegen den Kopfstau sind die sogenannten "Morning Pages". Man schreibt jeden Morgen sofort nach dem Aufstehen drei Seiten lang all die Gedanken raus, die sich in der Zwischenzeit so als Biofilm über die Psyche gelegt haben. Ich beobachte das von außen staunend und wundere mich, wie effektiv das für ihn ist.

    Zuckerentzug kann ich mir für mich persönlich noch immer nicht vorstellen. Der bloße Gedanke bringt mich schon fast zum Heulen. Was vermutlich Bände spricht.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Jeden Morgen drei Seiten schreiben? Das wär nix für mich und ich wüsste auch nicht recht, wofür es gut wäre.

      Zuckerentzug ist hart, viel härter als Nikotinentzug.
      Aber ich habe eine Keksrezept, dass mich durch dunkle Stunden bringt:

      Mandelmehl, diverse kleingehackte Nüsse, etwas Butter, etwas Algaven-Dicksaft, 1 Eigelb, 4 kleingehackte Datteln. 100 Gr. = 80 Kal. und nur 2,5 Gr. Kohlehydrate. Damit kommt man durch.

      Löschen
    2. Aber da fehlt doch Schokolade! Um Gottes Willen!

      Ich glaube, Zuckerentzug werde ich niemals hinkriegen. Wie lange machst du das denn schon und warum und wird es jemals besser?

      Löschen
  4. Meine Liebe! Das Ende der Raucherei ist ein gar schröckliches. Dazu noch keine Schokolade - das grenzt geradezu an Tollkühnheit. Da liegen die Nerven blank und eine Empfindung jagt die nächste. Das Dasein als "Hochsensibelchen" ist nicht das Erbsprinzesschenleben, das man sich vorstellt, sondern ein Knochenjob. Gut, dass du in Leipzig warst. Ich liebe diese Stadt bereits seit meinem 4. Lebensjahr und habe dort immer noch Verwandschaft. Hach. Biste mitm Zug gereist? Nur eine Stunde ab Südkreuz. Das ist sensationell!!! Der Cospudener See ist auch immer eine Straßenbahnfahrt wert und der Clara Zetkin Park.... Ach ich muss da auch mal wieder hin. Lass es dir gut gehen! :o)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. "...Da liegen die Nerven blank und eine Empfindung jagt die nächste..."

      Du sagst es! Wenn ich noch im Chor sänge, käme ich aus dem Heulen überhaupt nicht mehr raus. Gestern musste ich sogar bei der Konfirmation meiner Nichte bei popeligen 70er Jahre Kirchen-Schmachtfetzen heulen. Es ist ein Kreuz, diese ewige Überwältigung.

      Von Leipzig habe ich wenig gesehen, es hat auch geschüttet wie aus Eimern.

      Löschen
  5. Und ich habe gerade letztens erst gelesen, dass der Nikotinentzug die neurologische Basis der Selbstkontrolle stört, weil es die Verbindung zweier Nervennetzwerke unterbindet. Also ist das wohl mitnichten das "wahre Selbst" was da zum Vorschein kommt, sondern vielleicht ein eher enthemmtes Selbst. :) Vielleicht sollten wir ein weiteres Treffen entsprechend auf die Dringlichkeitsliste setzen. ;)



    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Hm, interessante Theorie. Auf nach Leipzsch. Habe schon weitere 1 A Konflikte!

      Löschen
  6. Du bist heute mal wieder sowas von simon(e)borowiakesk, das ist fast schon beängstigend.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das ist das tollste Kompliment ever! Tausend Dank.
      *heul*

      Löschen
  7. Ich rauch seit 6 Jahren nicht mehr, und das, was du beschreibst, geht nach einer Weile einfach vorbei. Am Anfang, wobei der Anfang gut 2 Jahre bei mir gedauert hat, ist es immer wieder mal passiert, dass ich irgendwelchen wildfremden Rauchern, die sich an der Haltestelle neben mir eine angesteckt haben, am liebsten die Fluppe aus der Fresse getreten hätte, nach dem Motto: Du weißt doch gar nicht, was du da tust! Schenk dir die blöde Kippe, und komm rüber ins Nichtraucherlager, ich schmeiß auch ne ladung Studentenfutter. Tja. Ist vorbei. Meinetwegen kann sich jeder ein Loch in den Kopp qualmen, ist mir schnuppe, ich kriege es kaum noch mit. Nur vor etwas hab ich Muffen: dass die 30 Jahre, die ich Van Nelle Halfzware geschlotet hab, dann doch zu viel waren.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mir ist Gottseidank schon jetzt völlig schnuppe, ob andere rauchen. Die sind alle schon groß und wissen, was sie tun.
      Aber deine Muffe ist auch meine Muffe...

      Löschen
  8. Als ich noch rauchte, fragte ich einmal meinen Hautarzt, ob Rauchen wirklich so schädlich für die Haut sei, wie viele behaupteten. Da guckte der mich nur kurz an, und meinte dann trocken: wenn Sie rauchen, dann rauchen sie richtig. Ende der Durchsage. Nennt man wohl paradoxe Intervention, hat aber enorm geholfen, obwohl ich in meiner verwirrten Begriffsstutzigkeit noch eine Weile gebraucht hatte, um zu kapieren, was er meinte. Nach inzwischen über 20 Jahren ohne Zigaretten hab ich aber noch immer ein Herz für Raucher aller Geschlechter, denn natürlich helfen und halfen Drogen schon immer beim Aushalten der Welt. Ohne sie ists halt schwerer, mit ihnen gefährlicher, kann sich jeder das seine aussuchen. Nur zu Prügelknaben/mädels sollte man sie nicht hernehmen.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich bin auch begriffsstutzig: was meinte der Arzt?

      "denn natürlich helfen und halfen Drogen schon immer beim Aushalten der Welt. Ohne sie ists halt schwerer, mit ihnen gefährlicher" - so ein wahrer Satz.

      Löschen
    2. Richtig rauchen im Sinne von: im Wissen um die Risiken gerne rauchen, nicht mit schlechtem Gewissen oder hadernd, oder eben, wenn‘s nicht geht: aufhören. Der Arzt hat einfach die Verantwortung über diese Entscheidung an den Patienten zurück gegeben; in meinen Augen das einzig richtige.

      Löschen