Anscheinend bin ich weitaus verhaltensorigineller als ich gedacht habe. Kürzlich schrieb mir ein Kollege dies (als Geschenk zum Geburtstag):
AKT 1: Der Tisch
Sobald ich das Restaurant als Erster betrete und mich hinsetze, gleich wo, weiß ich, dass ich dort nicht lange sitzen bleibe. Annika, das Restaurant nach mir betretend, wird mich dort sitzen sehen und sofort fragen, ob wir nicht woanders sitzen wollen. Immer. Absolut immer. Im Prinzip brauche ich mich gar nicht hinzusetzen. Ich sollte also besser im Türrahmen des Eingangsbereichs stehen bleiben und Ihre Sitz-Wünsche, sobald sie das Restaurant betritt, entgegennehmen und mich danach richten.
Wie auch immer, es läuft dann so: "Wollen wir dahin? Oder ist es da nicht besser? Oder nein, da hinten, das wäre doch auch schön. Oder vielleicht doch woanders noch?" Ich muss in diesem Moment nur abwarten. Meine Antwort, meine Wahl, hier oder da, würde jetzt nur genau zur gegenteiligen Entscheidung führen. Hört sie nichts von mir, kommt sie auch zum Ergebnis und wir setzen uns an die von ihr gewünschte/vorgegebene Stelle. Es ist vermutlich der Ort, wo ich mich sonst selbst hingesetzt hätte.
Ja, Annika nimmt nichts hin, sie ist eine Gestalterin, sie will verändern. Immer. Hat der von mir ausgesuchte Tisch keine Sonne, muss es ein sonniger Tisch sein. Hat mein Tisch wiederum Sonne, ist es da viel zu heiß und es blendet. Irgendetwas ist immer, irgendwas kann man immer verändern. Ich werde also wieder und wieder umziehen oder dort sitzen müssen, wo sie hinwill. Am Eingang warten hilft.
AKT 2: Die Bestellung
Annika bestellt nie gelangweilt oder irgendwie was. Sie ist bei jeder Bestellung aufgeregt und erwartet Großes. Eine Bestellung durch Annika ist wie eine kleine Feier für die Welt. Sie lächelt die Bedienung zumeist mit ihrem breitesten Lächeln und glänzenden Zähnen an und zeigt dieser, dass man es in diesem schönen Restaurant mit einem absolut tollen und besonderen Gast zu tun hat, der das Gebotene auch zu schätzen weiß. Denn Annika würde nie irgendwo hingehen, wo man tolle Gäste nicht zu schätzen weiß.
Aber dem Restaurant sollte auch klar sein, dass man diesem Premium-Gast auch wirklich etwas bieten sollte, Annika ist schließlich eine Frau von Welt. Würde man Annika in einen Döner-Imbiss stellen, auch bei allergrößtem Hunger, sie würde sofort und auf der Stelle Ausschlag bekommen und erklären: „Hier kann ich nicht bleiben!“. Ihr Körper ist einfach für das Schöne gemacht.
AKT 3: Das Essen kommt!
Sobald das Essen angekommen und serviert worden ist, ist bei Annika regelmäßig die Freude groß. Die Bedienung kann sich wiederum auf ein breites Lächeln freuen, denn eines kann Annika: Unwiderstehlich lächeln. Sie lächelt die nette Bedienung an, den Barkeeper, die Dame, die kurz an ihr vorbeiwill, um auf Toilette zu gehen und auch den Hund, der angeleint am Nebentisch vor sich hindämmert. Für jeden hat die gutgelaunte Annika ein Lächeln übrig. Das schöne Lächeln...es hat allerdings einen gewissen, sagen wir mal, "zeitlichen Horizont". Dazu im Folgenden.
AKT 4: Erste Unzufriedenheit
Man kann die Uhr danach stellen. 1,2,3...noch schaut sie ganz begeistert, redet mit mir, Zähne blinken, sie lächelt, tolle Stimmung, verheißungsvolle Erwartung, und nun schiebt sie sich die erste Gabel in den Mund. 4,5,6...sie kaut... (Pause) Irgendwo dann bei
…9,10 stutzt Annika. Kein Ton mehr. Kein Lüftlein regt sich. Gefühltes Vakuum. Irgendwas stimmt hier nicht. Sie verdreht die Augen. Kein Lächeln mehr. Was ist passiert? Natürlich Folgendes: Die Konsistenz, der Geschmack ist ganz anders beschaffen als die gleiche Essens-Bestellung bei einem Besuch zuvor! Und die war doch so toll!
BREAK. Ich beobachte und warte nun ab. Es gibt in diesem 9,10-Moment viele Dinge, was das Essen angeht, die Annikas Lächeln zum Erlöschen bringen könnten: Es mag zu wenig Soße auf dem Fleisch sein oder der Flammkuchen, den sie bestellte, hat zu wenig Schmand obendrauf, ist zu trocken, zu klein oder sonst was. Und sie hatte doch ohne Zwiebeln bestellt, oder mit?
Egal. Und während ich vorsichtig und lautlos weiter esse, um seitens der anderen Gäste keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen, stoppt der Vorgang auf der gegenüberliegenden Seite des Tischs komplett. Sie sagt noch nichts, aber ich höre in Gedanken: „Nein, das ist nicht gut! Das ist gar nicht gut. Das ist nicht mein Essen.“ Und das soll die Bedienung nun auch unbedingt erfahren! Sofort.
Annika wird die Bedienung nun ansprechen. Mit einem strahlend-lebensbejahenden Lächeln als Vorhut und einem sich daran anschließenden großen "ABER" als Kavallerie. Kann Annika „vielleicht noch etwas mehr Soße bekommen“ ist in diesem Moment die angenehmere Alternative zu "das kann ich nicht essen, das ist völlig ungenießbar! Gucken/probieren Sie mal!".
Die sensibelsten Momente eines Essens im Restaurant mit Annika sind immer die ersten Bissen. Aber: Wenn es wider Erwarten besser gelaufen sein sollte, also das Essen für sie akzeptabel war, darf man auch überschwängliche Freude und Komplimente für die Bedienung erwarten. Denn auch das ist Annika: Das Gesinde wird großzügig komplimentiert.
Letzter AKT: Der NachtischEs gibt bei Annika kein Essen ohne Nachtisch. Der Nachtisch ist bei ihr etwas für die Seele. Hat das Essen aller Wahrscheinlichkeit entgegen gemundet, möchte sie das Geschmackserlebnis noch einmal veredeln. Ansonsten soll der Nachtisch Annikas Traurigkeit über ein vermasseltes Essen mindern. Gerne darf es dabei auch etwas Süßes sein.
Aber auch an dieser Stelle nimmt sie nicht irgendwas, was vielleicht übriggeblieben ist, denn sie ist wählerisch. Es müssten also am Tresen schon einige Küchlein zur Auswahl stehen, damit Annika, die Gestalterin, wählen kann. Ohne Wahl keine Annika. Ein einsames Küchlein hat es da schwer als Trostinstanz. Annika schaut das Küchlein an, das Küchlein blickt zurück. "Nimm mich doch, sagt das Küchlein, du hast doch noch Appetit!" Ja, das hat sie. Aber, weißt du, Küchlein, du bist ein Rest, du stehst hier ganz allein und bist deshalb ein Rest. Reste akzeptiert Annika nicht. Das musst du verstehen. Egal wie lecker du schmeckst.
Annika würde in dieser Situation also mit enttäuschter Miene verzichten, als ob es dieses Küchlein, das sich ihr Freudestrahlend angeboten hat, niemals gegeben hat. Und während letzteres im Hintergrund abgelehnt und traurig süße Tränen weint, zieht Annika ihren Mantel stolz und fest um sich, um nun aufzubrechen.
Ende.
Entspricht seine Darstellung der Realität?
AntwortenLöschenIch hoffe nicht.
LöschenNachtisch nehme ich nie. Aber er hat's herrlich überzogen.
*gnihihihi* Wenn man es liest, isses lustig. Aber wenn man mit so jemandem im Restaurant sitzt - öhm, ja... Eine Freundin von mir tickte ähnlich. Ich bin sehr bald dazu übergegangen, mit ihr nur noch Kaffee zu trinken, da konnte nicht so viel schiefgehen.
AntwortenLöschen"mit so jemandem"
LöschenIch darf doch wohl bitten...
oha. Annika ist Single und bleibt Single. Jetzt ist klar warum.
AntwortenLöschenHört, hört!
LöschenDanke, Annika, fürs Teilen, ich habe herzhaft lachen müssen...
AntwortenLöschenLiebe Grüsse von Silke
Ich auch!
LöschenDer Kollege ist bekannt für seine Geburtstagsbriefe; alle zittern immer ein bissel.
Nun kommt ein hübscher Erinnerungsnebel auf an unzählige Weißweinschorlen, Rotweinflecken, Butterbrezeln, Sonderwünsche und das ganze Heiteitei einer ersten Konzertpause. Sozusagen die Stalingradschicht mit Kerzenschein auf Bistrotischen. Noch einen Orangensaft? Wer hat das Wasser versteckt? Warum ist der Apfelsaft nicht kalt gestellt? Ist der überhaupt vegan? Und gibt es vielleicht etwas Warmes? Annika ist allzeitbereit, geduldig, strahlend bei der Sache; selbst gegenüber Laktoseintoleranzen und der Dinkelfraktion. Hach, wenn ich das nur auch könnte.
AntwortenLöschenEpilog
Mit Annika Tresenschlamperei betreiben?! Sofort. Jederzeit. Immer und immer wieder gerne. Wer ist das Mimöschen über das "der Andere" da schreibt? Doch nicht Annika, die unkomplizierte Heldin der Theke. Soll "der Andere" mal in sich gehen. Vielleicht liegt's an ihm. Oder ist Annika gar doch die Frau mit den (mindestens) tausend Gesichtern?
Rätsel über Rätsel
:o)
Ach, war'n das schöne Zeiten, meine Liebe.
LöschenIch brauche einen neuen Chor, habe ich mir gerade gedacht.
Sieht doch nach solider Abendunterhaltung aus. Einfach essen gehen ist doch für Spießer...
AntwortenLöschenUnd du wirst lachen: so benehme ich mich schon in einer ganz gewöhnlichen Mittagspause ;)
LöschenBei 30 Minuten bleibt dann aber nicht viel Zeit, um tatsächlich was zu essen...
AntwortenLöschenAber bei 60
LöschenIch hab das gar nicht so in Erinnerung....lach. Wir waren bei einem Araberessen, Latinssani......ein bißchen mißtrauisch warst du schon....aber natürlich nicht sooooo, lach
AntwortenLöschenIch weiß, da habe ich dann das erste Mal Halloumi gegessen und war soooo enttäuscht. Hat nur gequietscht und nach nichts geschmeckt.
LöschenWir sollten mal zusammen essen gehen. Ich nehm Nudeln.
AntwortenLöschenJederzeit!
LöschenNimmt sie etwa das Essen à la Carte so einfach hin und gestaltet sie ihr erwähltes Gericht bei der Bestellung nicht durch allerlei Abänderungswünsche um, wie es viele Frauensleute gerne tun, die dem Koch sein Können nicht gönnen können? ...
AntwortenLöschenSo eine bin ich nicht, Meister Zebulon.
LöschenGibt's dich also auch noch!