Wann in meinem Leben habe ich mich bedroht gefühlt?
Als Sechsjährige öffnete ich die Tür, weil es klingelte. Vor mir standen zwei Zeugen Jehovas. Ob die Mama da sei, oder der Papa. Nein. Sie fingen gleich mit der Infiltrierung an. Wenn ich also meine Eltern nicht davon überzeugen könne, an Jehova zu glauben, hätte das leider zur Folge, dass ich sie im Himmel nicht wieder treffen würde, wenn der Weltuntergang kommt; und der kommt bald. Ob ich das nicht sehr traurig finde?
Ich war allerdings tagelang traurig, konnte meine Eltern jedoch nicht von der Dringlichkeit meines Anliegens überzeugen. Ich stellte mir vor, wie ich im Himmel ganz allein sein werde, ohne meine Eltern. Alles nur, weil sie nicht an Jehova glauben wollten.
In der RAF Zeit war ich noch zu jung, um zu ermessen, ob ich in Gefahr war. Es kann auch daran gelegen haben, dass Eltern damals derartige Dinge nicht vor Kindern erörterten. Da hatten wir es ziemlich gut. Kinder hatten zwar nichts zu melden, aber auch nichts zu wissen.
Tschernobyl. Ich lag noch tagelang auf meiner Decke auf der Wiese, bis ich begriff, dass ich sie schleunigst zu entsorgen habe. Eine Kollegin war schwanger und bangte um ihr Kind. Ich kaufte Dosenfutter und nahm mir vor, nie wieder Pilze zu essen. Ich lernte das Wort "Fall out".
Als am 11.9. ein Kollege in mein Büro gerannt kam und rief, mach das Internet an, die bombardieren Amerika, durchflutete mich eine Welle von Angst allein wegen seiner Worte. Wenn "die" Amerika bombardieren, sogar das Pentagon (das Pentagon? Heilige Scheiße!), dann lag wirklich etwas sehr im Argen. Jahre später erzählte mir der Ex-Ami, dass er zu dem Zeitpunkt in einem Gym trainiert hatte und die Bilder auf dem Bildschirm für den Trailer eines neuen Spielberg-Films hielt.
Dann wurde der Irak bombardiert, ich saß vor dem Fernseher und dachte, das kann nicht gut ausgehen, die legen einen Flächenbrand, der nicht mehr zu löschen sein wird. Ich war Schröder dankbar, dass er sich weigerte, mitzumachen. Derweil fackelten die Ölquellen ab und verdunkelten den Himmel. Ich fügte "Kollateralschaden" meinem aktiven Sprachschatz hinzu.
Es traten Taliban und Al Quaida auf den Plan; ein neues Wort nahm die Runde: 'Asymmetrische Kriegsführung', auch wenn sie in der Mehrzahl ihre eigenen Glaubensbrüder abschlachteten.
Ich kürze mal ab: Es wurde gestern in der Glotze darüber diskutiert, ob es eine Form von Narzissmus sei, sich als freier und reicher Mitteleuropäer bedroht zu fühlen, bzw. Terroranschläge zu fürchten. Und ob es nicht an der penetranten Berichterstattung läge, die den Zuschauer in einen Zustand von permanenter Furcht versetzt; ja versetzen soll, aus Gründen.
Das mag sein. Aber ich glaube auch an den Werther Effekt. Ich fürchte, es fühlen sich Menschen motiviert, die psychisch instabil sind, sich ein eigenes Denkmal zu setzen. Nichts gegen psychische Instabilität, die erwischt fast jeden Menschen einmal im Lauf seines Lebens in unterschiedlichen Ausprägungen und Spielarten.
Aber ich rede von denen, die aus einer persönlichen Ohnmacht heraus aus dem Ruder laufen, weil ich ganz sicher bin, dass nur sich restlos ohnmächtig fühlende Menschen einen Reiz darin finden können, sich hirnverbrannten Ideologien als Exit-Strategie anzudienen. Damit lagern sie meiner Meinung nach ihre Ohnmachtsgefühle aus und transformieren sie, in dem sie die Möglichkeit ergreifen, andere in Ohnmacht zu stürzen.
Ob ich nun viel TV sehe oder wenig (und ich schau so gut wie gar nicht), angekommen ist bei mir, dass es keinen sicheren Ort mehr gibt. Strandpromenaden, Züge, Kirchen. Ich weiß gar nicht, wie sachlich und besonnen Berichterstattung sein soll, damit ich nicht das Gefühl bekomme, das hier etwas passiert, was erst der Anfang ist.
Da können mir noch soviele freundliche Statistiken ins Haus flattern, dass die Bedrohungslage und die tatsächliche Bedrohung "früher" um ein vielfaches höher war. Das ist nett gemeint und eventuell sogar sauber recherchiert. Allein, es ist mir zu abstrakt. Ich lebe auch nicht früher, sondern heute. Und heute schaffen einige monströse Fakten.
Ich habe nicht so sehr Angst vor IS, AfD & co. Aber vor Menschen, die sich schwach fühlen und eine pervertierte Vorstellung von Stärke haben.
Zugegeben, der Werther-Effekt ist bestimmt da.
AntwortenLöschenIch würde deswegen den Tätern viel weniger Platz in den Medien einräumen wollen.
Und das andere was nervt, ist die Gleichzeitigkeit und die Beliebigkeit.
Ob das jetzt Schüsse vom Dach sind oder Flugzeuge deren Piloten nicht gestoppt werden können.
Terror oder Amok.
Letzten Endes nimmt es sich nichts. Arschloch ist Arschloch. Da gibt es nichts zu beschönigen. Und Verstehen? Mit meinem Otto-Normalverbraucher-Hirn sehe ich wenig Chancen, mich in die Welt des quadrierten Schwachsinns zu denken.
Und so bin ich in gewisser Weise dankbar, in der New-York Times endlich einen Artikel über die Opfer diverser Anschläge gefunden zu haben, nebenbei: zu 60 % Moslems... Verschiedenste Personen. Unterschiedliche Nationalitäten. Ihnen gehört das Denkmal gesetzt für Teilnahme am Leben, nicht den Tätern.
Und ich hätte auch gerne weiter ein unerschrockenes Leben.
Bei der RAF wußte man wenigstens, man war nicht unmittelbar betroffen, weil man, durch welche Umstände auch immer, einfach mal kein Arbeitgeberpräsident war.
Das hat sich geändert.
Es kann jeden treffen, überall und Vorsoge ist nicht möglich.
Tröstlich insofern: ich bin nicht "schuld" wenn es mich trifft. Anders als bei den Krankheiten wie Krebs etc., wo einem im Vorsogewahn immer ein unterschwelliges "Bist ja selber schuld, wenn du krank wirst", suggerriert wird - kann ich hier nichts, aber auch gar nichts tun. (Du weißt schon, dieses ewige: "Hättest du mehr/ weniger/ kein ... gegessen/getrunken/geraucht, wäre das bestimmt nicht passiert- das weiß doch JEDER!").
Wo sonst ist man heutzutage noch einmal so richtig unschuldig. Nirgends. Und komm mir jetzt nicht mit der Erbsünde!
Also bleibe ich unerschrocken. Denn mal ehrlich: Ich fahre Fahrrad in Berlin - wovor soll ich mich noch fürchten?!
Mich solltest du fürchten , ich habe ein UM - Kennzeichen...
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