Samstag, 20. August 2016

Mysterium Vater

Die graue Eminenz sagte mal "Geil, ich werde Vater von Töchtern, dann kann ich ein Arschloch sein und werde trotzdem geliebt." 

Grund für die kurzfristige Anpassung seiner Lebenspläne war ein Kurzbesuch meines Vaters in Berlin und meine hektische Order von Cola, dem erklärten Lieblingsgetränk meines alten Herrn ("Mit Cola wird der Durst erst schön"). Dabei war Kurzbesuch durchaus wörtlich zu nehmen, er blieb für genau eine halbe Stunde und kam erst 12 Jahre später wieder, als meine Nichte konfirmiert wurde. Seitdem hat er Berliner Boden nicht mehr betreten. 

Ein Umstand, der wenig Raum für Interpretationen lässt. 

Dennoch stets beleidigt, dass seine Brut ihm nicht ausreichend huldigte, wenn wir ins Kaff fuhren. Wie durch ein Wunder bekam er immer spitz, wenn eine von uns unser Muttertier behelligte, das er nach allen Regeln der Kunst mit Eintritt in die midlife-crisis verließ. 

Meine Schwestern, aus anderem Schrot und Korn gemacht als ich, haben sehr früh die Reißleine gezogen und ihn wegen verschiedener Unsäglichkeiten aus Herz und Leben gemerzt, mit genau derselben Kaltblütigkeit, die er ihnen vererbt hat. 

Ich hingegen, die autodidaktisch geschulte Familientherapeutin, nahm die zwei Anrufe im Jahr (Geburtstag und Weihnachten) ergeben entgegen und seine zweite Frage galt immer ihnen, wann sie sich "endlich wieder einkriegen". Geduldig erklärte ich ihm, dass es sinnvoller sei, sie selbst danach zu fragen (was zugegeben ein schwieriges Unterfangen ist, denn sie pflegen wortlos aufzulegen, sobald sie seine Stimme hören) und dann erklärte ich es ihm doch, was er sofort wieder vergaß. 

Mein letztes Telefonat mit ihm war an Irrationalität nicht zu übertreffen. Und der Schlusspunkt unter eine wechselvolle Vater-Tochter-Beziehung. Ich habe nur eine wichtige Sache von ihm gelernt: Der Beschleunigunsgstreifen ist zum beschleunigen da.


***

Mich erreichte ein Anruf einer Freundin, ihr Vater läge im Sterben. Ein Mann, der die Familie verließ, als sie drei war. Unzuverlässig, desinteressiert, nicht vorhanden im Leben, außer in ihren Phantasien. Er lebt weit entfernt. Ich habe ihn einmal gesehen, zur Beerdigung seiner Ex-Schwiegermutter, ein alter, schwerer Mann, der nur Augen für seine bildschöne Nichte hatte. 

In den letzten Jahren wurde er krank und erinnerte sich, eine Tochter zu haben. Er kam ab und an nach Berlin und sie versuchte, seine plötzliche Aufmerksamkeit geräuschlos in ihren Gefühlshaushalt zu integrieren. Besser spät als nie, meinte sie lakonisch.

Anfang des Jahres kam er ins Krankenhaus, sie blieb recht gelassen, meinte, sie kenne ihn praktisch gar nicht, das sei der Lauf der Dinge, nun ja. 

Jetzt, wo es ans sterben geht, ist sie - wie aus dem Nichts - gefällt wie ein Baum.


***

Ein Freund, der seinen Vater so sehr hasste, dass er - nur um sich zu rächen - Sozialpädagogik anstatt Ingenieurswissenschaften studiert hat, obwohl man ihn phänotypisch eher auf der Reeperbahn verorten würde, aber genau darum ging's ja, erzählte mir, dass er beim letzen Besuch am Krankenbett die furchtbare Angst in seinen Augen gesehen hat, das Flehen, er möge bleiben, aber es ihm nicht möglich war, länger als eine Stunde zu bleiben, wissentlich, dass der Vater noch in der Nacht sterben würde, was er dann auch tatsächlich tat. 

Als er die Nachricht bekam, heulte er den ganzen Tag und die folgende Nacht wie ein Schlosshund. 

***

Väter können die größten Armleuchter sein, die beschissensten Egoisten, empathielose Monster, aber eins ist ihnen gewiss: sie werden ausgiebig beweint.  

9 Kommentare:

  1. Grund der trauernden Erschütterung ist wahrscheinlich das Begreifen um den nie gelebten, guten Vater und der endgültig verlorenen Chance auf den inneren Frieden. Man weint um sich selbst. Auch wenn man versucht, die Prägung des Vaters (oder der Mutter) zu verstehen... Ich möchte nicht wissen, ob meine Stief-u. Väter gestorben sind. Alle in ehemals guten Positionen und dennoch nur für mich mit (lebenslangen) Konsequenzen: missbraucht, misshandelt und von eigenen Vater ersehnt und doch zeitlebens ignoriert. Meine Mutter hat sich, aus Schande vor sich selbst, von mir, damals noch minderjährig, "familiengelöst". Nur ihr habe ich verziehen (ursächlich ist eine pädagogisch sehr verhärtete, uneinsichtige DDR-Nachkriegsgeneration- sie selbst war u.a. Pädagogin). Manche Bekannte, und es sind mehr als man ahnt, wurden wenigstens finanziell mit "Schweigegeld" von den Eltern "entschädigt". Das Bewusstein ist jedoch zutiefst beschädigt, auch wenn man lernt, sich lebensfroh zu kaschieren... Ich bin froh, keinen Kontakt mehr zu haben- für mich sind sie tot und eine (dünne Membran) Ruhe ist eingetreten. Andere müssen es noch zeitlebens aushalten...

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    1. "Grund der trauernden Erschütterung ist wahrscheinlich das Begreifen um den nie gelebten, guten Vater und der endgültig verlorenen Chance auf den inneren Frieden. Man weint um sich selbst."
      Ein wahres Wort. Danke für deine Ausführungen.

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  2. Mein Vater war früher ein großer, starker Mann. Heute ist er immer noch 1,71cm groß und auf einmal kleiner als ich und gebrechlich, obwohl er aufrecht geht wie eh und je. Er war immer schweigsam, er ist es bis heute. Er war distanziert und kritisch, heute ist er vorsichtig.

    Es ist faszinierend und erschütternd zugleich, wie bedächtig er die steile alte Holztreppe zur Küche besteigt und wie umsichtig er hinter sich tastet, bevor er sich auf der Eckbank niederlässt. Noch immer macht er keinen Finger im Haushalt krumm, schweigend und kritisch schaut er meiner Mutter dabei zu, wie sie ihn bedient.

    Er war kein guter Vater, dazu war er zu abwesend, er war ein guter Vater, denn er war verlässlich und stark und schweigsam. Er hat uns nie umarmt. Er hat uns verdroschen, wenn er es für notwendig hielt, zum Glück war das nicht oft der Fall.

    Ich habe Glück gehabt mit meinen Eltern, denn sie haben nichts von mir erwartet. Und ich letzten Endes auch nichts von ihnen.

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    1. Das ist sehr schön beschrieben. Es rührt mich. Danke.

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    2. ich bezweifle, dass meine eltern nie etwas von mir erwartet haben, aber sie haben früh genug eingesehen, dass es keinen sinn machte, von mir etwas zu erwarten. so kommt man über die runden. auch wenn wir uns bis zum schluss gegenseitig ein rätsel blieben.

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    3. Ich bezweifle, dass deine Eltern dir ein Rätsel geblieben sind, denn du beschreibst sie so feinfühlig und respektvoll, als hättest du eine Menge begriffen.
      Und wenn sie erkannt haben, dass es keinen Sinn hat, etwas von dir zu erwarten, haben sie dich auch begriffen, wenn auch eventuell nicht verstanden.

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  3. Dieser Text hat mich getroffen wie ein Tritt ins Gesicht.

    Danke dafür. Sehr ehrlich gemeint.

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    1. Ui, das ist aber ein Bild: ein Tritt ins Gesicht.
      Das wollte ich ja nun nicht... :)

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