Mittwoch, 22. Februar 2017

Coming of Age

Als ich klein war, stellte ich mir den Übertritt ins Erwachsenenalter immer so vor, dass ich ab einem bestimmten Tag keine Ängste mehr (vor Monstern unterm Bett) und stattdessen alles im Griff haben werde. Auch war mir klar, dass ich später mal berühmt sein werde. Das war gesetzt. Anders ging es gar nicht. Also, ich würde mindestens Fernsehansagerin werden oder Eiskunstläuferin. 

Erwachsene waren damals noch Erwachsene und nahmen das sehr ernst. Kinder waren Kinder. Die nahm man nicht ernst. Die Welten überschnitten sich selten. Erwachsene taten alles, um sich möglichst oft von Kindern zu separieren. Sie belogen uns, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken. 

Wenn wir im Hochsommer ins Bett gesteckt wurden, gaukelte uns das Verdunklungsrollo die Nacht vor. Als ich das erste Mal aufstand und heimlich das Rollo zur Seite schob, war mein Erstaunen nicht kleiner als die von Columbus bei der Entdeckung Amerikas. Die Sonne schien ja noch! Es war taghell! Sensationell! Ich könnte genauso gut auch noch draußen weiterspielen. Einer Riesensauerei kam ich so auf die Spur.

Jedenfalls, Erwachsene duldeten kein Widerwort. Sie wussten alles. Sie hielten uns aus allem raus, was uns bekümmert hätte; hatten aber andererseits wenig Hemmungen, selbst für Bekümmerung ihrer Kinder zu sorgen. Ihr Wille zählte. Es wurde gemacht, was sie wollten. Und sie hatten vor nichts und niemandem Angst.

Das wollte ich eines Tages auch alles sein, wissen und können. Groß werden hieß, selbst zu bestimmen, wann ich im Frühling das erste Mal Kniestrümpfe anziehe. Oder bis zur Geisterstunde aufzubleiben. Oder Cola zu trinken. Oder Federball zu spielen, bis es stockdunkel ist. 

Als ich größer wurde, 13, 14, 15, 16, wartete ich immer  noch auf den Moment, an dem sich alle meine Probleme in Luft auflösen würden und ich mit derselben Sicherheit durchs Leben gehen würde, wie meine Eltern und die Eltern meiner Freunde. Nichts geschah. Spätestens mit 18 wusste ich, das würde nie passieren. 

Verdammt, ich würde also mein Leben lang Angst vor Krankheiten und dem Tod haben? Das hatte ich nämlich schon früh entwickelt, dank einer Großmutter, die bei jedem Besuch beinahe starb oder stündlich einen Herzinfarkt erwartete (sie starb recht munter mit 88, aber das konnte ich damals noch nicht ahnen. Ihr Leben schien stets am seidenen Faden zu hängen und zur Sicherheit behielt ich sie immer gut im Blick). Meine Oma war die personifizierte Endlichkeit.

In meinen Zwanzigern wurde mir auch klar, dass es mit der Berühmtheit nichts wird. Nichts an mir deutete auf späteren Weltruhm hin. Kein Talent, kein Plan, keine Passion. Ich war doch sehr verwundert über mich.

Dann hatte ich doch noch einen Moment des Erwachsenwerdens. Als ich meine erste Wohnung bezog, kaufte ich Kram ein, unter anderem meine erste eigene Nagelfeile. Etwas, das es bei meinen Eltern immer gab, worüber ich mir nie Gedanken gemacht hatte, etwas, für das ich nie sorgen musste. An Banalität nicht zu übertreffen und doch machte mir dieser Kauf klar, dass ich ab jetzt für mich allein sorgen muss. 

Ich saß an meinem Küchentisch, sah auf die Nagelfeile und für einen Moment überfluteten mich Panik und Depression. Sollte das jetzt immer so weitergehen? Ein Abgrund tat sich vor mir auf. Ich fühlte mich entwurzelt und gleichzeitig waren mir meine Eltern so fremd, dass mich nichts dazu gebracht hätte, unter ihre Fittiche zu kriechen, nicht mal für zwei Stunden. Ich kam nicht mal auf die Idee. Aber ich hatte auch keine davon, zu wem ich sonst hätte flüchten können. 

Dieser Moment hielt nur ca. drei Minuten an, war aber in seiner Wucht bis heute unvergesslich. 

Es stellte sich heraus, dass ich doch zwei Talente vereinte, die widersprüchlicher nicht sein können:

1) Ich hatte Spaß, jede Menge davon, ganz entspannt im Hier und Jetzt
2) Ich wuchs zu einer Weltklasse-Hypochonderin aus

Ich war und bin eine meist entspannte Hysterikerin. Das war ich im Grunde schon mit sechs Jahren und bis heute hat sich nix dran geändert. Da hat das ganze Erwachsenwerden nichts genutzt. Hätte ich ja auch gleich jung bleiben können.

10 Kommentare:

  1. Sie haben es geschafft bereits erwachsen zu werden? Okay... jetzt bin wirklich so richtig neidisch. Ist mir bis heute nicht gelungen.

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  2. Kindermund:
    Frauen werden mit 35 erwachsen, Männer nie!
    Herr MiM, es gibt also eine Erklärung

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    1. Und ab 35 fühlen sich Frauen den Rest ihres Lebens wie 35. Höchstens!

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    2. Ähm, jein. Ab 50 entwickelt der Körper ein ungutes Eigenleben und haut eine geriatrische Nerverei nach der nächsten heraus.
      Kannste drauf warten *malziöses Lächeln*.
      Aber vorher sterben ist auch nicht erstrebenswert, also alles halb so schlimm!

      Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist!

      LG,
      Marie

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  3. Bizarr! Exakt den selben Nagelfeilen-Moment hatte ich auch!
    Na gut, es war ein Set aus Nagelfeile und Nagelschere, gekauft als ich die erste Studienwohnung bezog. In einem dm, den ich davor oder danach nie wieder betreten habe, als hätte sich seine komplette Bedeutung für mich im Kauf dieses braunen Mäppchens für immer erschöpft. Aber die Symbolik bleibt gleich.

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  4. Also für mich war die erste eigene Wohnung ein Befreiungsschlag. Bis ich merkte, dass das Dorf inkl. meiner Eltern trotzdem wussten wie lange ich schlafe

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  5. Kinder sind das Gewürz des Lebens ...

    Ach Borglady , die Medienwelt ist hart, Mutti sein ist erfülllender !

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