Montag, 17. April 2017

Berlin versus Kaff

Als ich aus Berlin losfahre, stehe ich schon nach 20 Minuten im Stau, bis auf weiteres. Keinen Schimmer gehabt von der Mörderbaustelle und das ändert natürlich den Ablauf. Im Geiste quittiere ich den Plan, einen Blogger am Wegesrand zu besuchen, denn die Rückfahrt werde ich in die frühen Morgenstunden legen, damit mir dieser Mist erspart bleibt. 

Trotzdem freue ich mich, dass mein fortschreitendes Alter dafür sorgt, mir die Stunden im Stau mit kontemplativen Gleichmut, hart an der Grenze zur Gleichgültigkeit, zu versüßen. Das wäre früher ganz anders gewesen. Zeter und Mordio. Segensreich ist auch die Halbautomatik. Im Kaff angekommen, bin ich so gechillt wie nach einem Wochenende im Schweigekloster.

Besuche meine Freundin mit den Grübchen, wir schlendern durch das Dorf, auch am Haus meiner verstorbenen Großmutter vorbei, das ein vermögender Arzt zu einem Schmuckstück saniert hat. Ich seh kein einziges Kind auf den Straßen, das Kaulquappen aus dem Bach in ein Einweckglas fischt (wie wir früher und dann den ganzen Sonntag Nachmittag darauf gewartet haben, dass ein Frosch draus wird, vergeblich). 

      

Das erste Mal beachte ich ihren Hund, den ich all die Jahre wegen Desinteresse ignoriert habe. Aber seit dem Leihhund begegne ich allen Hunden aufgeschlossen. Er ist recht klein und haart nicht und mir wird klar, falls ich mir mal einen zulege, muss es ein Großer sein, so wie der Leihhund, der Geschwindigkeitsrekorde aufstellt und Kettensägenmörder von mir fernhält. Ihr Hund ist erst zwei, aber schon in Pension. Gutmütig trottet er neben uns her und entfernt sich höchstens fünf Meter, obwohl er nicht angeleint ist. 

In ihrem Haus hat sich etwas verändert, zwei riesige Trumm von miteinander verbundenen Fernsehsesseln stehen in der guten Stube. Man versinkt in ihnen und mag nie wieder aufstehen. Schläfrig liegen wir einander zugewandt und erzählen uns Neuigkeiten. Wenn das mächtige Polster-Konglomerat auch ästhetisch ansprechend wäre, liefe ich morgen ins Möbelhaus, um ähnliches zu erwerben. Besuch würde ich nie wieder loswerden, wir würden einschlafen und später vom Leihhund gefressen werden. 

Beim Besuch meiner Schwester erwartet mich eine Überraschung. Meine Nichte, knapp dreizehn, von ihrer Mutter zeitlebens auf die Farben ocker, schlamm und dunkelblau geeicht, hat sich finally durchgesetzt und so betrete ich ein grau-rosa Mädchenzimmer in den kürzlich bezogenen, neuen Gemächern. Das Kind setzt sich zum Spaziergang gar eine rosa Glitzermütze auf. Eine Marienerscheinung.


Lurex in the Park

Wir erwischen die regenfreie Zeit beim Gang durch das Städtchen, um 18 Uhr läuten die Glocken. Ich werde melancholisch, wie immer, wenn Samstag abend um 18 Uhr Glocken läuten. Hach, seufze ich, und erzähle, dass früher, als wir noch alle zuhause lebten, das Geläute die reinste Verheißung war, auf "Wetten dass" und gezuckerte Erdbeeren im heißen Vanillepudding, Gelümmel auf dem riesigen braunen Sofa und manchmal ein Glas Cola.

Wieder zuhause gehe ich auf die Terasse, um zu rauchen. Da muss ich lächeln. Meine Mutter, das Seelchen, neigt nicht zu Deko-Katastrophen. Einer ihrer Vorteile. Was sie aber (nein, kein aber) macht, sie verteilt im ganzen Haus Blumen und Zweige aus dem Garten. Und dabei ist ihr kein Gefäß zu klein. 

 Niedersächsisches Ikebana

















Auf dem Rückweg keine Staus und abends beim Thai in der Hauptstraße sieht es dann wieder so aus

Tja

8 Kommentare:

  1. Niedersächsiches Ikebana...

    Dafür liebe ick Dir!

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  2. Ach Annika,
    ich bin ja vom Kaff und bin immer ganz angetan von der Großstadt, wenn ich mal dort bin. Nach drei Tagen habe ich dann genug Stadtluft geschnuppert und freue mich auf mein Dorf ��.
    Und als erfahrene Kleinhundebesitzerin: auch kleine Hunde flitzen sehr gerne ����, nur nicht im Dorf, sondern in der Feldmark...
    Es ist sooo schön sich mit einer langjährigen Freundin zum Quatschen u treffen und da steht die Gemütlichkeit eindeutig im Vordergrund ������

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    1. Ihr habt die Trumms also extra für mich angeschafft? Bravo!

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    2. Ja, haben wir:-)))

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  3. besuche zuhause in der Beschaulichkeit der provinz erübrigen sich für mich, da ich immer noch zuhause in der provinz lebe. ich würde mich ja sozusagen selber besuchen. tja.

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    1. Ich denke immer, was wäre aus mir geworden, wenn ich geblieben wäre? In Berlin ist ja immer alles neu. Neue Staus, Baustellen, Leute.

      Im Kaff scheint die Zeit stehengeblieben und auch wieder nicht. Die richtig kleinen Dörfer sind größtenteils luxussaniert, die kleinen Städte sind wie leergefegt, eine stets sonntäglich schauerliche Ödnis voller Geisterhäsuer.

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  4. Bei uns gab es Sahne auf die Erdbeeren 😊
    Sonst fast identisch

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