Samstag, 27. Januar 2018

Die Schönen und die Reichen

Wir sitzen uns im Restaurant gegenüber, wie immer beneide ich sie ein bisschen. Sie ist glücklich verheiratet mit einem ebenso wohlhabenden wie großzügigen Mann. Das sieht man ihr auch an. Ihre Klamotten sind ausgesucht, sehr geschmackvoll und sie macht im Ganzen den gewohnt gelassenen Eindruck.

Im Lauf des Abends, als wir alle Neuigkeiten ausgetauscht haben, erwähnt sie in einem Nebensatz, sie glaube, sie sei kaufsüchtig. Ehrlich gesagt, glaube ich das auch, sie hat Unmengen von Kleidung. Ich glaube, in 10 Jahren habe ich sie nicht zweimal in denselben Sachen gesehen. Ich sage das scherzhaft, aber sie bleibt ernst und dann ist Stunde der Wahrheit.

Sie erzählt, dass sie hochverschuldet ist, längst alle privaten Versicherungen aufgelöst hat, ihr Konto vollkommen überzogen ist, einen riesigen Kredit abbezahlen muss und dass ihr Mann bisher klaglos Geld an sie überweist, um ihre Konten auszugleichen. Dass sie Nachts wachliegt, und sich zwanghaft überlegt, was sie am nächsten Tag alles kaufen könnte. Dass sie die Dinge zuhause nicht mal auspackt, vieles nie getragen hat, die Schränke überquellen und sie einfach nicht mehr weiter weiß. Und dass sie panische Angst davor hat, eines Tages nicht mehr einkaufen zu können.

Ihr Mann habe übrigens auch ein Problem. Er trinkt. Sie spricht ihn nicht darauf an, so wie er sie nicht auf ihr Problem anspricht. Sie lassen sich "in Ruhe" damit. Sie vermutet, dass er schon an sein Vermögen gehen muss, um ihre Einkäufe zu bezahlen. Und traut sich nicht, ihm zu sagen, dass all ihre Rücklagen sinnlos verjubelt sind.

Sie sieht mich unglücklich an. "Verstehst du? Ich muss jetzt bei ihm bleiben. Wenn ich jetzt gehen würde, hätte ich später eine so geringe Rente, dass ich nicht von ihr leben könnte. Ich würde in die völlige Armut stürzen."

Ich werte nicht, ich verurteile nicht, aber ich bin völlig ratlos. Außer "such dir professionelle Hilfe und rede mit ihm" fällt mir nichts ein. Als ich nach dem Gespräch nach Hause komme, schlafe ich auf dem Sofa sofort ein und werde nachts um 3:00 Uhr wach bei laufendem Fernseher und Festbeleuchtung. Der Blick in den Abgrund war kraftraubend. Wie gut, dass ich fast nichts so sehr hasse, wie shoppen gehen.




7 Kommentare:

  1. Ich musste einmal bei einer Wohnungsauflösung als Zeugin dabei sein, eine Ärztin war untergetaucht und die Wohnung sollte geräumt werden. Da lagen noch verpackte 1000-Euro-Handtaschen, neue Schuhe und Kleidung, dazwischen Müll und Papier, auf Haufen, in Schränken gestapelt...Überall- ich dachte, von dem, was nun weggeworfen wurde, hätte man monatelang leben können. Alles kam in den Müllcontainer, samt Möbel und allem!
    Niemand hatte bemerkt, wie einsam und krank diese Frau war, die ja bis zum Verschwinden im Krankenhaus gearbeitet hatte.
    Es machte mich sehr betroffen, obwohl ich sie nicht kannte.

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    1. Das ist sehr bestürzend. Was sich hinter mancher Fassade verbirgt...

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  2. Ich glaub, ich zieh bald nach Nordkorea, nur um diesen Scheißkapitalismus loszuwerden, der uns alle so deformiert und unglücklich macht. Intelligente, erwachsene Menschen, bescheuerter als Kleinkinder, massenweise. Das muss man erst mal hinkriegen, so als Gesellschaftssystem.
    Nordkorea ist auch keine Lösung? Ach so.

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    1. Süchte und Zwänge gibt‘s wahrscheinlich auch ohne Kapitalismus. Da ist die Kindheit schuld.

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  3. Ich hatte vor Jahren mal eine Phase, in der ich Klamotten für das Leben gekauft habe, das ich gerne gelebt hätte. Nun nicht so exzessiv. Das war ein böses Erwachen, als mir bewusst wurde, dass da Kleider für den Tag X liegen, der wahrscheinlich nicht kommen wird. Seither frage ich mich immer: Willst du es oder brauchst du es? Besinnungsloses Shoppen war leichter... nur gut, dass ich auch fast nichts so sehr hasse wie Shopping. ;)

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    1. Jetzt bin ich neugierig. Was sind das für Klamotten gewesen für ein Leben, dass du gerne gelebt hättest? Business Anzüge? Abendkleider?

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    2. Ich passe. Die Antwort ließe zu tief blicken. Die Fassade muss gewahrt bleiben. ;)

      In meiner Mami-Phase (Junior ist nur gerannt, nie gelaufen, da waren flache Schuhe einfach sinnvoller) habe ich allerdings gerne mal Heels gekauft, in denen ich ohnehin kaum hätte gehen können... mit meinem angedätschten Sprunggelenk...^^

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