Dienstag, 15. Januar 2019

Führen und folgen (Tango für Anfänger)

Gewisse Umstände haben mich in ein Wochenend-Tango-Workshop gespült. Noch vor kurzem hätte ich die Hände für mich ins Feuer gelegt, dass ich dergleichen niemals zu berichten haben werde. 

Mich interessiert Paartanz nicht. Ich kann mich nicht führen lassen und bin sicher kein Quell der Freude, wenn man mich an der Backe hat. Und diese körperliche Nähe zu wildfremden Menschen - och nö. Um jemanden näher als die europäische Armlänge zu ertragen ist unabdingbar, dass ich ihn/sie sehr gerne habe. Alle anderen bleiben mir bitte vom Leib.

Leider es nützt nichts, mit vertrauter Begleitung zu erscheinen: alleweil müssen die Tanzpartner*innen gewechselt werden. 

Aber mal zum wesentlichen: Tango ist ein interessanter Tanz, der ein bisschen wie Bodenarbeit mit dem Pferd ist. Da muss ich auch nonverbal führen und das Pferd muss meine Signale so gut verstehen, dass es mir folgt.  Wenn es mir nicht folgt, bin ich nicht deutlich genug.

Führen und folgen, darum geht es beim Tango. Hört sich einfach an, ist sauschwer. 

  • Part 1: Arme im rechten Winkel ausstrecken, das Gegenüber legt seine spiegelgleich obenauf. Der untere Arm führt. (sehr schwer)
  • Part 2: Arme auf die Schultern des Gegenübers legen. Das Gegenüber führt und hat dabei seine eigenen Arme hinter seinem Rücken verschränkt. (sauschwer)
  • Part 3: Übliche Tanzhaltung (fast nicht zu schaffen)

Nun sah das alles eher aus wie Schränke schieben und meistens habe ich mich auch so gefühlt. Entweder war ich der Schrank oder ich schob einen, mit heiligem Ernst. Viel zu lachen hat man obendrein nicht, weil a) hat es nichts mit tanzen zu tun und b) soll man auch nicht schunkeln oder hüpfen, sondern statuengleich und schnörkellos geradeaus oder höchstens im rechten Winkel zur Seite gehen.

Dennoch geht es soviel um Kommunikation, Missverständnisse, Fehlannahmen, Neubeginn (=Milchtritt), Anlehnung, etc. - wie ich schon immer über diesen Tanz dachte: ein jeder birgt in drei Minuten eine zehnjährige Beziehung von Anfang bis Ende. 

So wie ich also monatelang versucht habe, ein Pferd wort-und berührungslos von links nach rechts zu bewegen, so mühte ich mich jetzt mit verschiedenen Menschen ab. Und die waren aber auch verschieden! 

Ein schwuler Mann beschwerte sich bei mir, dass er tags zuvor auf einer Milonga war, wo "leider" auch Heterosexuelle waren. Dabei schürzte er leicht angewidert die Lippen. Ich sah ihn schuldbewusst an. 

Das Küken, höchstens 22, tanzte mit geschlossenen Augen; egal, ob sie führte oder folgte. Sagenhaft intuitiv war sie, als ob sie in einem früheren Leben schon einmal Schleiertämze aufgeführt hätte. 

Eine Frau sah alle ihre anderen Tanzpartner beim tanzen unverwandt an, bis auf den Seelengrund starrte sie und korrigierte immer in so einem leichten Domina-Ton, der merkwürdig konterkarierte mit ihrem goldbelockten Engelsgesicht: "Du haust mir schon wieder ab". Dann kam die Tanzlehrerin und bestätigte, dass ich stets mit dem Oberkörper zurückweiche. Ich fand das nur logisch. Wenn ich mit Blicken so aufgespießt werde, ich bitt' euch! Ich will selbst entscheiden, mit wem ich ernstgemeint und unmissverständlich Augenkontakt aufnehme. Ich kann gucken, da wächst kein Gras mehr. Wenn ich will. 

Fazit: ich empfehle es jedem, aber werde das nicht weiter verfolgen. Bis das mal gut aussieht, vergehen Jahre. Ich schau lieber zu, im Sommer, im Mon Bijou Park.

8 Kommentare:

  1. Zwei Fragen:
    1. Was waren die gewissen Umstände?
    2. Was ist ein "Milchtritt"?
    3. Okay, vielleicht nur der Milchtritt.

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    1. https://de.wikipedia.org/wiki/Milchtritt
      Hier ist aber gemeint, mit einem sanften auf der Stelle treten wieder in den Takt kommen.

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  2. Ich tanze nur deshalb Flamenco, weil die herrschenden Moralvorstellungen zur Zeit und am Ort seiner Entstehung keine Berührungen der Partner zuließen. Das macht vieles leichter.

    geschichtenundmeer (mal sehen, ob das so mit dem Kommentieren klappt)

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    1. Es hat geklappt.

      Ob ausgerechnet Flamenco die Sache leichter macht? Scheint mir doch ein sehr komplexer Tanz zu sein. Im Gegensatz zu "The Hustle", den ich doch erst neulich bei einer anderen Gelegenheit hören durfte, beglückt auf die Tanzfläche stürmte und dann nicht zum Zuge kam, weil da gleich so eine Formation kam, die eine bestimmte Schrittfolge synchron tanzte. :))

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    2. du meinst so eine LInedance Formation? An sich ja auch eine lustige Sache - wir haben auf der Insel hier einen Trupp, der gnadenlos zu jedem Lied auf jeder Feier Linedance macht, mit bierernsten Gesichtern....hej Leute, dass soll Spaß machen!
      Bei der letzten Feier hab ich quasi einfach mal mitgemacht, die Schritte bei denen waren wirklich nicht schwer und ich hab einfach Spiegelverkehrt getanzt.....
      Ich glaub aber, die mögen mich jetzt nicht mehr so...

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  3. och wie schade, dass du wieder aufhörst, es las sich zumindest sehr spannend und interessant, schon wegen der Teilnehmer, das hätte Stoff für Monate bedeutet! Mit Sicherheit.

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    1. Das hätte es, in der Tat. Leider bin ich minderbegabt. Oder zu ungeduldig.

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  4. Und wieder kommen verdrängte Erinnerungen hoch. Ein Jahr in der Tanzschule war ein Jahr in der Hölle. Ich konnte Foxtrott auf den Takt eines Wiener Walzers tanzen. Oder umgekehrt. Die Details sind mir dankenswerter Weise gänzlich entfallen.

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