Montag, 11. Januar 2016

Oh, I'll be free

Im Harz fragten meine Freunde öfter, ob es mir gut gehe, ich sei so still wie nie zuvor, kaum wiederzuerkennen. So ist das, wenn man nichts hört. Man sitzt am Tisch und versucht, dem Gespräch zu folgen und weil das nicht möglich ist, hält man halt die Klappe.

Haltet euch mal die Ohren zu: so höre ich. Allet wie durch Watte. Andererseits hört man andere Sachen: das eigene Atmen, den Tinnitus, die eigene Stimme, den Herzschlag, ganz schön laut, so in einem drin. Da ist man mit beschäftigt. 

Nun machten sich meine Freunde nicht nur Sorgen, ob ich wohl neuerdings von einer insgesamt eher histrionischen Persönlichkeitstsruktur zum Asperger Syndrom gewechselt bin, sie machten sich auch Sorgen, dass ich überhaupt so taub bin, so lange schon. "Dass du so ruhig dabei bleibst!" Als wir uns trennten, musste ich jedem einzelnen in die Hand versprechen, dass ich mich umgehend zum Arzt begebe. Ich war irritiert, weil wir sind nicht so eine Köpfchen-Streichel-Fraktion. So fing auch ich an, mir Sorgen zu machen

Natürlich ging ich nicht gleich zum Arzt, ich war schließlich erst am 23.12. bei ihm, sondern nahm den heute geplanten Termin wahr. In der Ruhe liegt die Kraft. Am Freitag war ich ganz beglückt, denn rechts konnte ich plötzlich wieder hören, ich war dem Leben wiedergegeben. Ich nahm meine Gesprächsbereitschaft wieder auf und meine ursprüngliche Körperhaltung wieder ein (bye bye stirnrunzelnd nach vorne gebeugt). Freute mich auf heute, weil ich dem Arzt gute Neuigkeiten verkünden konnte. Endlich. Samstag war toll, Sonntag war toll.

Heute morgen wachte ich auf: stocktaub again. Ich bekam einen hypochondrischen Anfall, der mich so stresste, dass ich nachmittags sogar ein bisschen schluchzen musste. Es ist nämlich unheimlich anstrengend, nicht zu hören, ich bin auch nur ein Mensch.

Und bekam Angst vor dem Arztbesuch. Naja, erstmal der obligatorische Hörtest. Ich hörte nichts, behauptete aber, zu hören. Wenn man den Sehtest beim Augenarzt nur oft genug macht, kann man die Buchstaben auch irgendwann auswendig. Bei einem Hörtest ist das nicht viel anders. Ich kenn den in- und auswendig und weiß, wann ich die Hand zu heben habe. 

Mein Herz schlug immer schneller, denn ich kann zwar die Arzthelferin bescheißen, mich selbst aber nicht. Aber ich wollte keine stationäre Aufnahme, die - wie mir klar wurde  - unausweichlich sein würde. Und dann noch die Zufallsbefunde, ein einziges worst case Szenario. Nun ja.

Der Arzt meinte zwar, wenn es so weitergeht, muss ich ein Röhrchen ins Trommelfell bekommen (ich habe lieber nicht gefragt, wie er das eigentlich reinbekommt. Ich hoffe per Osmose), aber bis es soweit ist, soll ich einfach jeden Tag zum Druckausgleich kommen. Da wird einem mit einer Tankstellen-Pumpe Luft durch die Nase ins Gehirn gejagt, nichts für schwache Nerven. Das Gute daran: man hört wieder. Für ein paar Stunden. 

Auf der Rückfahrt machte ich das Autoradio an, man muss die Zeit schon nutzen. Nun ist auch noch Bowie tot. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand so exquisit getimt gestorben ist. Und so einen Clip hinterlässt. Unübertroffen würdevoll. 

Ich habe ja auch mein Bowie-Erlebnis, tangential-sekundär zwar (nein, ich erzähle jetzt nicht von alten Dschungel-Zeiten, und selbst wenn ich dort gewesen wäre, würde ich das nie zugeben, sonst wüsste auch der Letzte, dass ich nicht mehr 3xqglmpf bin, und das werde ich zu verhindern wissen), aber dennoch: Der longtime Bestseller "Die Kinder vom Bahnhof Zoo" ist ja wohl für jeden unterlegt mit der Musik von Bowie. Als ich noch im Buchhandel arbeitete, stand eines Tages eine Omma vor mir und wollte das Buch "Menschen im Zoo". Ich lachte für den Rest des Tages, weil es so rührend weltfremd war, dass sie das Buch zwar haben wollte, aber offenkundig keinen Schimmer hatte, worum es ging. 

Genau so wie ich lachte und nicht mehr aufhören könnte, als nach "Sidderat" von dem "berühmten Heinz Hesse", nach einem Kinderbuch von "dem bekannten Ernst Bülton" und, nicht zu vergessen, nach Martin Walsers "Der galoppierende Hengst" gefragt wurde. Aber das ist ja im Grunde ein anderes Thema.

6 Kommentare:

  1. Dass es hilft Luft ins Ohr zu blasen, um wieder besser zu hören, werte ich als ein gutes Zeichen. Luft ist ja genug da ud Durchhaltevermögen hast Du auch. Wird gut werden, ganz sicher.

    Ach, und Bowie. Am gleichen Tag wie ich geboren steht er mir seit frühester Jugend nah und nicht nur deshalb. Eon bestürzend guter und ehrlicher Clip, mit dem er sich verabschiedet hat.

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    1. Der Clip ist... Wie soll ich sagen, er haut mich um. Da kann man sich nur in Respekt verneigen.
      Falls ich mal sterben sollte, werde ich auch Theater machen, aber auf ungute Art.

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  2. DIY-Tipp.
    Habe ich auch beim Wechsel in höhere Gefilde. Mein alter Hausarzt, Gott hab' ihn selig, hat mir damals auch in die Nase geblasen dabei musste ich "Knack-Knack" sagen. Ich wurde mit dem Hinweis entlassen, dass es auch mit Nase zuhalten funktioniert. Stimmt.
    Nach längerem Training reicht nur "Knack-Knack".
    Die Blicke der Sitznachbarn sind sicher.

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    1. Im Selbstversuch klappt gar nix. Mir quellen schon die Augen raus.

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  3. Ein Blogstock wartet drüben bei mir auf Dich und Dein Ego.
    Hatte zuerst vergessen Dich zu nominieren, weil es zu naheliegend war, dass Du an erster Stelle der Nominierten stehen musst.

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