Sonntag, 23. Juli 2017

Mütterle versus Elementarversicherung

Das Mütterle ist bis an die Zähne versichert. Als sie das erste Mal vom Klimawandel hörte, hat sie gleich noch eine Elementarversicherung gegen Unwetterschäden aller Art abgeschlossen. Obwohl von all den einst im Garten stehenden Bäumen inkl. eingepflanzter Weihnachtsbäume, aus denen im Lauf der Jahre mächtige Tannen wurden, längst alle gefällt worden sind, damit sie nicht unkoordiniert umfallen können. 

Bis auf das kleine Apfelbäumchen, das schon lange keine Früchte mehr trägt, aber an dem possierlich eine Kletterrose rankt, steht nix mehr, was bei Sturm entwurzeln und umliegende Dächer in Klump und Asche legen könnte. Letzte Woche bei dem Unwetter aber ist es nun umgekippt. Auf den Zaun des Nachbarn. 

Das tat ihr zwar ein bisschen leid, weil im Sommer immer die Hängematte drin hängt, für ihre leichtgewichtigen Enkelkinder, die allesamt Leseratten sind und gerne dort verweilen, derweil sie in der Küche steht und alle Lieblingsessen ihrer Brut zubereitet. Aber sie rief die Versicherung an, mit ruhiger Gewissheit, dass sie gut vorgesorgt hatte.

"Nein, den Schaden übernehmen wir nicht. Der Baum ist auf den Zaun gefallen, dann hängt er ja zur Hälfte in das Grundstück Ihres Nachbarn und für seinen Schaden kommen wir nicht auf. Nur wenn auf Íhrem Grundstück was kaputt geht, zahlen wir."

"Naja, das macht ja auch nix, ich bin ja haftplichtversichert."

"Nein, das übernimmt die Haftpflichtversicheurng auch nicht, denn es handelt sich hier um höhere Gewalt; sowas übernimmt nur die Unwetter-Versicherung."

"Und nun?"

"Ihr Nachbar muss seine Versicherung anrufen und die wendet sich dann an uns. Sagen Sie mal, wie windig war es denn?"

"Das weiß ich doch nicht. Sehr windig, als das Unwetter war, ist es passiert."

"War der Baum nicht vielleicht morsch? Wenn er hohl war, tragen Sie die Schuld, das ist Ihnen doch klar? Und Sie müssen uns schon beweisen, dass es während des Unwetters passiert ist. Der kann ja auch einfach so umgefallen sein."

"Und können Sie mir mal sagen, weshalb ich all diese Versicherungen bei Ihnen abgeschlossen habe?"

"Wenn Sie uns jetzt 1200 Euro überweisen, kann ich Ihre Versicherung upgraden und den Selbstbehalt von 400 Euro noch dazu überweisen, übernehmen wir den Schaden." 

Sie legte grußlos auf, zu größerer Unfreundlichkeit ist sie nicht fähig. Außerdem hat sie einen Deichbauer beauftragt, da ihr klar ist, dass sich die Versicherung um die Schadensübernahme im Falle zugelaufener Keller ebenfalls drücken wird.

Meine Meinung: höchste Zeit für einen Waffenschein.

Andere reagieren so:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie fordern eine Begründung wie es dazu kam, dass mein Zaun von einem Sturm zerstört worden ist. Nach anfänglicher Ratlosigkeit, was man da wohl schreiben soll, ich dennoch gezwungen bin zu antworten, um meinen Pflichten als Versicherungsnehmerin nachzukommen, trage ich nun ordnungsgemäß vor:

"Die Sonne wärmt die Luft weltweit unterschiedlich. Wo sie senkrecht auf die Erde trifft (am Äquator), wärmt sie stärker als da, wo sie schräg auftrifft (Nord- und Südpol).

Und über Land wärmt sie stärker als über dem Meer. Aufgewärmte Luft dehnt sich aus, der Luftdruck wird an diesen Stellen höher (man nennt das "Hochs"). An kühleren Stellen bleibt der Luftdruck niedrig ("Tiefs").

Die Luft versucht, diese Druckunterschiede wieder auszugleichen: Sie strömt von Gebieten mit hohem Luftdruck in Gebiete mit niedrigem Luftdruck, je größer die Druckunterschiede sind, umso schneller bewegt sich die Luft mit 6 km/h, nennt man das Wind. Ab 75 km/h nennt man diese Bewegung Sturm, ab 118 km/h Orkan. So schnell ist die Luft aber nur bei extremen Druckunterschieden. Ein solcher Druckunterschied lag am Schadenstag über Deutschland vor.

Zur Unglückszeit passierte schnelle Luft den Großraum Hessen, wobei sie auch durch Asterode und an meinem Haus vorbeikam. Da mein Haus der schnellen Luft im Wege stand, sollte es weggepustet werden. Das jedoch ließ mein treuer Zaun nicht zu. Um das Haus zu schützen, hat sich mein armer Zaun mit aller Kraft gegen die schnelle Luft gestemmt. Es gelang ihm zunächst, sich und das Haus erfolgreich zu verteidigen, so dass die schnelle Luft gezwungen war, den Weg durch das Nachbarhaus zu nehmen. 


Als das große Dach des Nachbarhauses in einem Stück vorbeigeflogen kam, was nur in sehr seltenen Fällen vorkommt, muss mein Zaun erschrocken oder zumindest kurz abgelenkt gewesen sein. Die schnelle Luft hat ihre Chance sofort genutzt und meinen treuen Zaun heimtückisch niedergedrückt. Der Held brach zusammen und starb noch am Boden liegend vor dem Haus, welches er jedoch immerhin erfolgreich beschützt hatte."

Das ist meiner Ansicht nach der Vorgang, so wie er sich real zugetragen hat. Es könnte jedoch auch weniger dramatisch gewesen sein und der Fall ist als ganz gewöhnlicher Sturmschaden zu behandeln, dem nichts hinzuzufügen ist, außer das an dem Tag in Asterode - wie in ganz Deutschland - Sturm war.

Sollte weiterer Vortrag notwendig sein, Zeugenaussagen begehrt oder Ihrer Ansicht nach eine Obduktion des Zaunes erforderlich sein, stehe ich gerne zur Verfügung.

Hochachtungsvoll ... 

4 Kommentare:

  1. Gibt einen guten Filmtitel ab: "Mein Held, der Zaun". Köstlich.

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  2. Wenn die Versicherung da nicht bezahlt ... ;-)

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  3. Dieser Brief kursiert schon lange im Netz, aber jedes Mal, wenn ich ihn lese, muss ich wieder lachen.

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  4. Das sind in etwa die Gründe, die mich vom Anschließen solcher Versicherungen abhalten :) Am Ende findet der Versicherer immer ein Schlupfloch, warum er, gerade in diesem Fall, leider... nicht zahlen kann (muss).

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