Sonntag, 22. April 2018

Fräulein Annikas Gespür für Sonne

Der Mecklenburger an sich ist ein sperriger Mensch, wenn mir diese Verallgemeinerung erlaubt ist. Das habe ich jedenfalls in Erinnerung aus meiner Zeit im Außendienst, in der mir das Gebiet Mecklenburg-Vorpommern anvertraut war. Während mir ansonsten die Entfaltung meines Charmes schnell gelingt und auf das entsprechende Echo trifft, habe ich mir an diesem Menschenschlag ganz schön die Zähne ausbeißen müssen. Hernach sind sie treue Gefährten, aber ditte dauert.

So dachte ich schon an eine Sinnesspaltung, weil meine Mailnachfragen zum Ferienhaus in einem kleinen vergessenem Kaff so prombt wie freundlich beantwortet wurden. Auch sonst musste ich völlig neue Erfahrungen machen. Bis auf eine Ausnahme - wir ließen den Hund auf den ausgestorbenen Straßen frei laufen, weshalb beinah auf uns geschossen wurde - waren durchgehend alle Menschen, denen wir begegneten, von freundlicher Herzlichkeit und teils ausufernder Gesprächsbereitschaft. Der Mecklenburger ist grundlegend wesensverändert und jeder einzelne ist somit praktisch eine Marienerscheinung.

Das Haus, das wir bezogen, barg allen Luxus, den man sich nur wünschen konnte und war zudem entzückend möbliert. Das tröstete uns über die Einöde, in der sich ein Investor alle leerstehenden Gebäude unter den Nagel gerissen hat, um sie äußerst geschmackvoll herzurichten und Berlinern zu vermieten, die gerne mal wo hin fahren, wo sich Hase und Fuchs eine gute Nacht wünschen. 

Wir hatten abartiges Glück mit dem Wetter; es war so sommerlich warm, dass wir knackebraun zurückgekommen sind; was uns auch darüber hinweg tröstete, dass wir gar nicht am Meer waren und auch nicht an einem Bodden, sondern an einem Mini-Bodden, an dem es genau einen Zugang zum Wasser gab, an einer mittelkleinen Wiese, zu der wir uns erst durch den Wald schlagen mussten. Auf der Karte sah das alles ganz anders aus. 

Aufregung gab es nur am Montag, als wir uns wegen des an diesem Tag noch bescheidenen Wetters auf den Weg in die nächste größere Stadt, Ueckermünde, machten. Wir bummelten durch die Fußgängerzone, das eine und andere Wämslein wurde erworben und als wir wieder ins Auto stiegen - ich nach hinten, was mich schon auf der Hinfahrt denken ließ "Wenn mal was ist, habe ich hier keine Chance, heil rauszukommen", jedenfalls, kaum saßen wir alle auf unseren Plätzen und die Auftragsmörderin den Wagen startete, brüllte ich auch schon los: "Raus, raus, raus, es brennt, die Tür brennt!"

Nur der Hund blieb seelenruhig im Kofferraum sitzen, während die Dezemberaffaire, immer noch lädiert von ihrer Artistik-Einlage auf dem Pferd, versuchte, so schnell wie möglich wieder auszusteigen, während ich hinten um mein Leben bangte. Als ob es nicht schon gereicht hätte, dass unser Kaff kein Netz hat - für eine Hypochonderin ist es schon ein Survival-Urlaub, wenn sie nicht mal die Möglichkeit hat, in case of den Notarzt anzurufen.

Erstaunlich, wie schnell die Rauchentwicklung vonstatten ging. Tatsächlich war die Lampe unten an der Tür durchgeschmort und wie durch einen Kamin befeuert war in Sekundenschnelle das Auto voller Rauch. Immerhin ist es nicht explodiert und wir haben alle überlebt. Der ADAC kam und klemmte fachmännisch ab und wir dachten uns Zeitungsschlagzeilen aus. 

"Tod in Ueckermünde - nur der Hund hat überlebt"
"Drei Frauen in der Sommerfrische - sie hatten noch so viel vor"


Den Rest der Woche lagen wir rum und weiter gibt's auch schon nichts mehr zu erzählen. Ich war beschäftigt mit Juli Zeh: "Unterleuten". Mir wurde es von einem Freund zu Weihnachten geschenkt und zum Geburtstag gleich noch mal, so groß ist seine Begeisterung - jetzt weiß ich auch, warum. Ich kann nur jedem empfehlen, ein paar Tage im  Sommer (heiß muss es sein) in ein gottverlassens, abgeschiedenes Dorf ins Brandenburgische oder Mecklenburgische Umland zu fahren und sich dort auf einer Wiese in die Abgründe von Unterleuten zu vertiefen; das ist besser als Netflix.

Doch, eine Sache noch, an dem Abend, als ein Wolf Huskie über unseren Zaun sprang und umgehend und in provozierender Weise den Garten vollpisste markierte, was von unserem Hund verdutzt zur Kenntnis genommen wurde, aber nur zwei Sekunden lang. Dann wollte er spielen. Nach dieser kurzen Gefühlsverwirrung und aufgrund der Spiegelneuronen oder seiner Gene ergriff er die nötigen Maßnahmen und hatte sein eigenes Überlebenstraining.

Und wieder mal dachte ich, den will ich wirklich nicht zum Feind haben. 

Als wir am Samstag wieder in Berlin waren, konnten wir uns nicht trennen, was auf eine harmonische Zeit in der Diaspora hindeutet; deshalb fuhren wir gleich weiter zur Dezemberaffaire auf den Reiterhof und bevölkerten ihre 40qm Terasse bis zum heutigen Sonnenuntergang, untermalt von Hufgetrappel und mit schadenfrohen Blick auf die Wetter App. Ab morgen wird es kalt und regnerisch. Uns doch egal, wir hatten unseren Sommer. 

Keine Ahnung, was uns geritten hatte, mitten im April eine Reise an die Ostsee zu planen. Alles richtig gemacht.  

6 Kommentare:

  1. Du wirst Dich doch nicht gegenüber uns Meckelbörgern versündigen :D
    Die Wesensänderung kann ich mir nur so erklären: Es hat sich unters Urgestein ganz viel Neues gemischt :D

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich habe mich doch nicht versündigt, sondern ihnen ein Denkmal gesetzt! Ne du, es waren nur alte Menschen, da war nix Neues drunter. Die haben sich von ganz allein metamorphisiert.

      Auffällig aber Grüppchen von Mädchen, die äußerst grimmig in die Welt guckten. Man bekam direkt Angst.

      Löschen
    2. Alt UND metamorphisiert IM NORDEN?? Finde den Fehler! *kreisch*

      Löschen
    3. Wenn ich's doch sage! Spitzenvölkchen.

      Löschen
    4. Mein Kollege, seines Zeichnes auch Mecklenbörger, hat sich gekringelt vor kichern !

      Löschen
    5. Er hat also auch schon eine Metamorphose hinter sich...

      Löschen