Sonntag, 12. Juli 2015

Roman einer versunkenen Firma I




In einer Kneipe sah ich diesen Beutel auf einer Bank liegen, schwatzte ihn dem Besitzer 
ab und überlegte, ob ich bloggen kann, dass ich in dieser weltbesten Buchhandlung 
gearbeitet habe. Beschloss, ja, es geht, seit über 10 Jahren ist der Laden dicht. Als die 
Firma ins Schlingern geriet, kam ein Unternehmensberater, dessen erste Idee war, uns 
"am Berliner Markt zu etablieren" - da wusste ich, dass wir verloren waren.

Unser Admin schuf eine Mitarbeiter Website, das war damals noch ganz neuartig, zum 
Austausch für alle 300 versprengten Kollegen. Nach ganz kurzer Zeit fingen ein paar an, unabhängig voneinander, in kurzen Sentenzen (anonym) einen Schlüsselroman zu 
schreiben. 

Bis heute weiß niemand, wer welche Passagen geschrieben hat. Die gelungensten setze ich 
heute hier rein, beschränke mich dabei aber ausschließlich auf den Unternehmensberater
'Hauder Kocz', der natürlich anders hieß.


+++ Und dann war er da. Das erste, was ihr auffiel war, dass Hauder Kocz offensichtlich seine 
Hemden selber bügelte. Bisher hatte sie eher die anderen Männer bewundert, die ihren Frauen 
klargemacht hatten, dass man einen Manager am rund gebügelten Hemdsärmel erkannte, also an 
Hemden ohne hässliche Bügelfalte. Und selbst wenn dies nicht das Ergebnis bügelnder Ehefrauen 
war, so kam ja nur noch in Frage, dass diese Manager ihre Hemden in die Reinigung gaben, wo 
man sie ebenfalls rund wiederbekam; was ja eigentlich noch besser war, da es auf ledige Männer 
mit angemessenem Einkommen hinwies. Ja bisher hatte für sie alles darauf hingedeutet, dass 
Männer mit rund gebügelten Hemden zu bewundern seien, aber hier saß nun einer, der nicht nur 
eine Bügelfalte am Ärmel hatte, sondern mindestens drei und unten an der Manschette, wo es 
schwieriger wurde, konnte man die Falten gar nicht mehr zählen, aber er faszinierte sie trotzdem. 
Warum war ihr bisher nicht klar. Hm, dieser Mann bügelte also selber. 

+++ Es war bald Weihnachten! Hauder Kocz platzte nur so vor Stolz, da so viel gekauft wurde. Ihm, 
nur ihm, war das zu verdanken. Die Branche überschlug sich. In Zukunft würde er dieses, sein, 
Phänomen "Weihnachtsgeschäft" nennen. Diesen Begriff musste er sich unbedingt patentieren 
lassen. Die Idee war Gold wert. Bald würden alle diesen Begriff verwenden. 

+++ Hauder Kocz vermied, wann immer es ging, schriftliche Erstkontakte. In erster Linie - glaubte 
er - weil er sich als Mann des Wortes empfand, der beim Reden seine Gedanken verfertigte (womit 
er ungemein gewandt auf Änderungen der Laufrichtung eines Gespräches reagieren konnte) und 
daher persönlich und telefonisch seine Wirkung am besten entfaltete. Telefonisch sogar noch 
besser, ja man könnte fast sagen, dass das Telefon für ihn ideal war, da hier seine Erscheinung 
nicht ablenkte vom imposanten Tenor, seiner eloquenten Argumentation, seinen hypotaktisch 
mäandernden Satzflußdelten (war das der Plural von Delta?), sei es drum, dann eben 
Satzflutwelten, ach, jetzt dachte, ja dachte! er sich sogar schon in Ekstase! 

+++ Na ja, und dann war da natürlich noch das Namensproblem: Jeder, aber auch ausnahmslos 
jeder, sprach seinen Namen falsch aus, wenn er ihn zunächst nur geschrieben sah. Das hatte dazu 
geführt, dass er bei Grenzkontrollen zuerst seinen Reisepass übergab, dann gleich seine Hand 
zur Begrüßung ausstreckte und "Gudntag, Kotsch!" sagte, was die Grenzer selten zu mehr als 
einem skeptischen Augenbrauen zucken veranlasste, aber für ihn, Hauder, war es schon wichtig, 
dass sie nach erfolgreicher Kontrolle nicht sagten: "Gute Weiterfahrt, Herr Kotz."

Dabei war der Name eigentlich ganz einfach und daher war er froh, dass er nun endlich einen 
Einsatzort in der Nähe der polnischen Grenze, in Berlin, hatte, wo man annehmen konnte, dass 
die Kenntnisse der osteuropäischen Zischlaute verbreiteter waren als in seiner norddeutschen 
Kleinstadt, in der Smörebröd und Kluiver zwar die Aussprache auch verwaschen hatten, sich aber 
die komischen Laute doch eher im Rachenraum abspielten, was seinem Namen nicht half.

Im Grunde wurde es Zeit, dass er endlich den Sprung nach Amerika schaffte, wo man neuen 
Trends aufgeschlossener gegenüberstand. Das Namensproblem gäbe es dort auch nicht mehr. 
Die konnten eh nur Kotsch sagen und Hauder würden die zu Ed machen und dann wäre er da 
Ed Kotsch. Hatte was. Kam ihm schon fast wie ein eingeführter Markenartikel vor. 

+++ Hauder Kocz verließ Berlin Hals über Kopf in einer kalten Februarnacht, weil er einsehen 
musste, dass er mit der Halbierung seines Gehaltes zwar einen großen Beitrag zur Rettung 
des Unternehmens generierte, in letzter Konsequenz aber vergaß, dass die damit 
einhergehende verringerte Arbeitszeit auf ein Fünftel die angestrebte Konsolidierung dann doch 
eher verhinderte als vorantrieb.

5 Kommentare:

  1. Antworten
    1. Nicht wahr? Die größten Fans der Seite waren die "Mitbewerber", die einerseits erschrocken, andererseits gierig dem Untergang zusahen und sich bepissten über die tapferen Buchhändler, die die gesamte Führungscrew mit viel Witz und Nonchalance öffentlich demontierten.

      Aber mehr wirds hier nicht geben, sonst verletze ich Persönlichkeitsrechte :)

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  2. Schade...ich bin amüsiert (gar köstlich!) ^^

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    1. Na, einer geht vielleicht noch. Ich denk drüber nach.

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    2. Oh ja, bitte. Es ist herrlich - wenngleich traurig.

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