Samstag, 17. Oktober 2015

„Was machen Sie, wenn Sie im Zug sitzen?“ (Gastbeitrag)


Die Deutsche Bahn fragt: „Was machen Sie, wenn Sie im Zug sitzen?“


Halb fünf aufgestanden, schlechter Start in den Tag für eine Eule. Dienstreise nach X und das am Freitag. Draußen Nieselregen. Ganz mein Ding. 

Auf der Fahrt zum Bahnhof überlege ich angestrengt, wie ich auf die Fragen meines Chefs antworten werde. Ehrlich, wie es meine Art ist, oder diplomatisch, was mir theoretisch gegeben ist, bei diesem Thema aber schwer fällt. Ich hadere mit meinem Schicksal. 

Umsteigen am Bahnhof Zoo. Mein üblicher Umsteigeweg - verbaut. Zum Ausweichen biege ich um die Ecke in die Kantstraße.

Stocke, glotze, bin irritiert.

Cirka 20 Obdachlose liegen unter der S-Bahn-Brücke und schlafen. Regen, dicht befahrene Straße, der Gehweg voller Menschen, 06:15 Uhr. In den Schlafsäcken rührt sich nichts.

27 Jahre Berlin und ich bin noch zu erschüttern. Ist eben immer alles klar in meinem Leben, kennt man - bis es vor einem liegt. 

Gedanke 1: „Scheiße, halt bloß das Maul heute. Das geht schneller als du denkst.“

Gedanke 2: „ Dagegen sind deine Probleme doch echt Panne.“

Wetze zur S-Bahn. 

Anstrengender Tag. Ich halte nicht die Klappe. Das Thema ist mir wichtig. Ungutes Gefühl auf der Rückfahrt.

Die Strecke von X nach B. ist empfangstechnisch Dunkeldeutschland. Hay Day zur Ablenkung fällt aus. Hole mir was zu futtern. Voller Bauch denkt nicht viel. 

Mümmel und schau aus dem Fenster. 

Drei Vögel auf einer Stromleitung. Was passiert, wenn einer tot von der Leitung fällt? Sehen ihm die anderen beim Fallen nach? Überlegen sie, was er noch wollte in seinem Leben? Reißen Vögel schlechte Witze, wenn es einen von ihnen erwischt? War der Vogel wichtig? Hatte sein Leben einen Sinn? Warum gab es ihn überhaupt? Macht es was, wenn so ein Vogel von der Stange fällt?

Beiß noch mal ab und bin bei mir. Mist! Scheiß auf das Leben nach dem Tod. Mit der Frage muss sich doch keiner beschäftigen. Das ist ja noch hin, im besten Fall. 

Ich sollte mich damit beschäftigen warum ich / wir / die und überhaupt jedes blöde Blatt auf dieser Welt ist. Bin sicher nicht die erste mit diesem Gedanken. Sehe mich im Alter Vorträgen zu diesem Thema lauschen. Vorher habe ich keine Zeit dazu. Bin überzeugt davon, dass so Gott entstand. Das ist ja auch zu hoch für einen Menschen allein.

Vielleicht nicht für den Vogel, wer weiß. Vielleicht wusste der mehr.

Dreh mich im Kreis und denke, schreib's auf. Dann ist es erst mal raus aus der Birne.

Tut gut. Der Tag hatte es in sich.

Aus der Reihe "Freunde, die Zug fahren" 

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