Immer wenn meine Großtante Elsbeth aus der DDR auf Besuch zu uns nach Niedersachsen kam, sah ich sie mitleidig an und dachte mir "Die Arme, ihr Leben ist vorbei, während meins ein einziges Abenteuer ist." Dasselbe dachte ich auch beim Anblick meiner anderen Tanten und Onkel, denen ich jegliche Lebensfreude absprach.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass noch irgendwas nennenswert erfreuliches in ihrem Leben stattfindet - denn mit meinen langweiligen Eltern am Tisch zu sitzen und uns dabei zuzusehen, wir wir uns am späteren Abend aufmachten, um wirklich was zu erleben - das konnte ja kaum der Weisheit letzter Schluss sein.
Mein vor mir liegendes Leben erschien mir wie eine einzige Verheißung. Das der Alten wie eine ozeanische Ödnis.
Wenn man jung ist, ist man doof. Man weiß erst später, dass man nicht so weise war, wie man dachte. Das eigene Altern zeigt einem, wo der Frosch die Locken hat. Unter anderem findet man schön, mit Freunden am Tisch zu sitzen und deren Kindern dabei zuzusehen, wie sie sich in die Nacht empfehlen.
Aber darüber schweigt man. Über nichts wird soviel geschwiegen, wie über das eigene Altern und die grässlich banalen Auswirkungen und plötzlich auftretenden Hemmnisse, mit denen man zu kämpfen hat und die in der Gesamtsumme wirklich kein Spaß sind. Gottseidank ist man nicht allein damit, die Freunde altern mit und neugierig beobachtet man am anderen, wie er sich "entwickelt". Noch ist alles im grünen Bereich, die richtig schlimmen Sachen folgen noch, aber dass die Schwerkraft ihr übles Werk an uns verrichtet, haben wir bereits zu verkraften.
In den letzten Tagen wurde eine Menge Gutes und weniger Gutes zum Thema geblogt:
Der Kiezneurotiker machte den Anfang. Daraufhin schrieb das Narrenschiff erst eine - für meinen Geschmack - weinerlich anmutende Antwort und schob dann einen Text hinterher, dem ich begeistert zustimmte. Zuletzt schrieb Tikerscherk einen Post, mit dem ich mich ebenfalls vollumfänglich (das Wort wollte ich schon immer mal unterbringen) identifizieren kann.
Man kann Menschen wegen einiger Dinge verachten. Da würden mir ganze Romane einfallen. Geschenkt. Herabwürdigung aufgrund des biologisch nicht aufzuhaltenden Prozess des Alterns gehört nicht dazu.
Ja, wir werden alle alt – wenn wir Glück.. oder Pech haben – ein
jeder mag das sehen, wie er will. Und ja, wir werden nicht schöner und
eines Tages – wenn unser Milchsäurehaushalt vollends durcheinander
gerät, duften wir auch nicht mehr so gut.
Aber das ist nichts, was verachtenswürdig ist. Wir kommen auf die
Welt und brauchen Schutz und wenn wir alt werden, brauchen wir wieder
Schutz. Und jeder alte Mensch war mal ein junges glattes Ding, hat
geliebt, gestritten, gezweifelt. War schlau oder blöd, hatte Humor,
überlebte seine persönlichen Waterloos, wurde begehrt und verlassen und
die Summe all dessen sind Falten – so what?
Wir sind dazu verdammt, in der Lebensphase die meiste Kraft aufbringen zu müssen, in der wir am schwächsten sind und immer schwächer werden. Jeder alte Mensch führt einen mutigen Kampf, muss Einsamkeit aushalten, endlose Tage, Krankheiten, dieser ganze Dreck, der dazu gehört. Da noch Gülle drüber? Nö, muss nicht.
Danke für die Links ... besonders der Text in Kreuzbergsüdost geht mir unter die Haut. Und danke für deinen letzten Absatz ... Gerade wenn wir am Schwächsten sind, brauchen wir die meiste Kraft. Stimmt. Vollinhaltlich, um dein Wort zu klauen.
AntwortenLöschenNaja, eigentlich heißt es vollumfänglich :-)
LöschenDas hast Du sehr schön in Worte gefasst, und wie Du Dir denken kannst stimme ich Dir nun wiederum vollumfänglich zu.
AntwortenLöschenMein Beitrag, den Du hier verlinkt hat, bezieht sich übrigens nicht allein auf den Text von Mike. Ageism begegnet uns überall und die Geschichte, die meinem Freund K. passiert ist, fand ich ganz besonders mies.
Aber auch im öffentlichen Bereich werden alte Menschen häufig schlecht behandelt, nicht ernst genommen und wie Debile belächelt.
Und nicht nur die Alten, Dicke doch ebenso und andere, die man für weniger wert hält.
Mit der Maxime: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu,
wäre jede Art der Diffamierung und Diskriminierung vom Tisch.
Noch schöner ist es natürlich, wenn jemand einen so leibevollen und empathischen Blick wie Du auf die Stigmatisierten legt.
"Aging is not for cowards." (Mae West) - oder wie Bette Davies sagte: "Old age is no place for sissies."
AntwortenLöschenSo isses.
LöschenEs kommt nicht auf das einzelne Menschlein an, sondern auf gott, nicht auf den Hormonhaushalt, sondern das Himmelreich. Selbst dann, wenn es allen nicht in den Kram paßt.
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