Mein Chef kann alles
Mein Chef ist ein unerhört
wichtiger Mann. Ganz allein wegen ihm geht jeden Morgen die Sonne auf. Den
Tag versüße ich ihm mit Serienbriefen, in die ich seine Unterschrift nicht
einscanne, sondern die Unterschriftenmappe gefüllt mit 50 Anschreiben
identischen Inhalts vorlege. Befriedigt setzt er sich mir gegenüber, liest sich
jeden einzelnen Brief durch und erst nach genauer Prüfung setzt
er schwungvoll seine Unterschrift darunter. Leider weiß er nicht, was ein
Serienbrief ist und demzufolge auch nicht, dass ein Fehler entweder in jedem
Brief auftaucht oder überhaupt nicht. Aber er brütet so zufrieden über dem Büttenpapier, ergriffen von seiner
Betriebsamkeit, dass ich mir jeden Hinweis auf die Vergeblichkeit seiner Mühen
verkneife.
Die Inhalte der Serienbriefe
beschränken sich auf Vorschläge an die Kunden, was sie seiner Meinung nach
kaufen sollten. Am Telefon meldet er sich prinzipiell nur mit seinem eigenen
Nachnamen. Anrufer, die verwundert sagen „Ähh, ich glaube, ich habe mich
verwählt, ich wollte die Firma X sprechen.“ lassen bei ihm zu Recht
Unverständnis aufkommen. "Es dürfte wohl inzwischen hinlänglich bekannt
sein, wer ich bin. Ich versteh diese Leute nicht“.
Wünschen potentielle Kunden ein
Angebot und übersenden demzufolge eine Liste mit der Bitte, diese mit Preisen
zu versehen und zurückzusenden, erleben sie ihr blaues Wunder. Mein Chef kann
nicht tolerieren, dass in den Listen mitunter Dinge stehen, die er für restlos
überflüssig hält. Diese werden von ihm persönlich gestrichen und durch
Alternativvorschläge ersetzt. Die Kunden sind von seiner Umsicht schlichtweg
begeistert: „Frau Wagner war sehr angetan von meinem Angebot, sie ist richtig
glücklich, dass ich ihr so geholfen habe. Gleich kommt ihr Fax mit der
Bestellung.“ Das Fax kommt nicht. Es kommt heute nicht. Es kommt morgen nicht. Er
wird vertraulich: „Ich hab ja gleich gemerkt, dass diese Wagner eine
Querulantin ist.“
Auch das Personal bedarf
ständiger Aufsicht. Lückenlos muss die korrekte Ausführung aller Aufgaben
überwacht werden. Eine Herausforderung, die mein Chef nur allzu gern annimmt.
Durch eine günstige Fügung ist das Backoffice vollkommen verglast und vom
Kopierraum aus sind alle Mitarbeiter problemlos zu beobachten.
Private Telefonate können
selbstverständlich nicht geduldet werden. Aber auch dieses Problem hat mein Chef
beherzt in Angriff genommen. Er kontrolliert mit der erforderlichen Akribie die
Anruflisten, die monatlich kommen. Die siebzig Anschlüsse im Einzelnen zu
überprüfen dauert natürlich seine Zeit, und mir ist, ehrlich gesagt,
rätselhaft, woran er eine private Nummer erkennt – aber seien wir doch mal
ehrlich: wenn ich das wüsste, wäre ja wohl ich die Chefin.
Mein Chef wehrt sich
Als günstige Umstände mich an
meinen neuen Arbeitsplatz an die Seite meines Chefs führten, gab es einen
persönlichen Assistenten, Herrn B., dem bei seiner Einstellung die
Nachfolge als Geschäftsführer versprochen wurde. Herr B., ein sehr junger,
schüchterner Mann fand uneingeschränkte Zustimmung bei meinem Chef, weil er
eine wichtige Voraussetzung mitbrachte: keinerlei Bedrohungspotenzial.
Er wurde in einem Büro geparkt,
in dem er nach Herzenslust reglos auf den Bildschirm seines PCs starrte. Nach
einem Jahr wurde es Herrn B. fad und er schrieb einen Brief an meinen Chef, in
dem er ihn um mehr Kompetenzen bat. Er machte ihm einige Vorschläge, welche
Aufgaben er übernehmen könnte. Mein Chef geriet verständlicherweise außer sich.
Allerdings nicht vor Herrn B.
Er brachte ihn mit einer
saftigen Gehaltserhöhung zum Schweigen und suchte fortan hektisch nach Fehlern
in der Arbeit von Herrn B. Schwer genug, denn Herr B. tat ja nichts, also waren
auch keine Fehler zu finden. Mein Chef lamentierte erst täglich, später
stündlich, dass Herr B. für viel Geld den ganzen Tag nur in den PC starre,
wohlweislich verdrängend, dass genau diese Tatsache Herrn B. in besseren Zeiten
so liebenswürdig erscheinen ließ.
Ein Gespräch unter Männern ließ
sich nicht mehr vermeiden, denn „der unverschämte Brief“ saß wie ein Stachel im
Fleisch, der Aufrührer musste eliminiert werden. Leutselig wies mein Chef Herrn
B. darauf hin, dass es mit der Nachfolge nun doch nichts mehr werden könne, und
da wäre es doch am besten, er würde sich von einer gesicherten Position aus
einen neuen Job zu suchen. Herr B. war so perplex, dass er erstmal ein weiteres
halbes Jahr in den PC starrte. Erkennbare Aktivitäten blieben weiterhin
aus, gewünscht waren sie ja ohnehin nicht, boten in der letzten Konsequenz aber
einen lupenreinen Kündigungsgrund. Herr B. verschwand über Nacht gruß- u.
widerstandslos. Mein Chef war wieder mal eine Sorge los.
Mein Chef verreist
Manchmal muss mein Chef
verreisen.
Neugierig
sieht er sich den Terminplan an, der wöchentlich von der Hauptzentrale versandt
wird. Dort sind alle Termine aller Geschäftsführer vermerkt, die nach M.
eingeladen werden, weil es wichtige Dinge zu besprechen gibt.
In 90% aller Fälle wird er nicht
dazu geladen, aber er kennt natürlich den wahren Grund, weshalb auf ihn
verzichtet wird: Sein Laden läuft hervorragend und somit gibt es nichts zu
besprechen. Die anderen, die immerzu nach M. gebeten werden, sind im Grunde
Pechvögel.
Hin und wieder wird er doch
eingeladen, dann befällt ihn hektische Betriebsamkeit und ich muss Flüge und
Hotelzimmer buchen. Das Hotel wird eigentlich von der Sekretärin in M. gebucht,
aber das kommt für ihn nicht in Frage. Er nächtigt niemals dort, wo alle
übernachten. Zwei Tage vor der Abreise wird er meist wieder ausgeladen, worauf
er tapfer behauptet, dass ihm das nur recht wäre. Aber so ein- bis zweimal
im Jahr muss er eben doch sein Geschäft sich selbst überlassen und macht sich
auf den Weg.
Sein erster Anruf ereilt mich
gegen 8 Uhr morgens. „Irgendwas Besonderes?“ fragt er. Um diese Zeit ist noch
nichts Besonderes passiert, wie auch später am Tag nichts Besonderes passieren
wird. Aber das hätte keinerlei beruhigende Wirkung auf ihn, wie man vielleicht
annehmen würde, sondern ließe ihn vielmehr an meiner sittlichen Reife und
Festigung zweifeln.
Also präsentiere ich ihm etwas
besonderes, denn nichts macht er so gerne, wie in einem Zugabteil zu sitzen und
wichtige Geschäftstelefonate mit mir zu führen. Ich muss nur sagen „Von der
Frankfurter Universität ist eine Bestellung gekommen“ und sofort ergießt sich
auf seine Mitreisenden ein Vortrag darüber, dass er das ja schon weiß, er hätte
ja erst gestern mit dem Vizepräsidenten telefoniert, ja, der hätte ihm das
schon angekündigt, das wäre natürlich eine erfreuliche Nachricht, wie gut, dass
er mit dem Vizepräsidenten….“.
Der zweite Anruf erfolgt gegen Mittag,
in einer kurzen Besprechungspause teilt er mir mit, dass alle ganz begeistert
von seinen Ausführungen sind und von seiner Erfahrung profitieren, und alle
bedauern, dass er so selten dabei sei, ja das haben Sie ihm auch vor Dr. L.
gesagt, und der hätte aber geguckt, wie ein Auto hätte der geguckt, ab jetzt
werde er bestimmt immer eingeladen. Und ob es was Besonderes gäbe?
Ich berichte ihm von einem
mittelschweren Unfall einer Mitarbeiterin, was seine Laune sinken lässt
"Ach die, die macht doch gleich wieder sechs Wochen krank, ich kenn doch
das Spiel, ist doch immer das Gleiche." Meinen Hinweis, dass so
ein Beinbruch nun mal seine Zeit dauert und Frau K. ja auch nichts dafür kann,
dass ein Radfahrer sie umgefahren hat, hört er schon gar nicht mehr, sondern
beauftragt mich, in der Buchhaltung nach der Privatadresse der Verunfallten zu
forschen, da könne man doch jeden Morgen einen der Fahrer hinschicken, dann
kann der die mitnehmen ins Büro, zum Fakturieren braucht sie schließlich nicht
die Beine.
Sein letzter Anruf erfolgt kurz
vor 17 Uhr, die Besprechung wäre hanebüchen und überflüssig gewesen, was die
wieder für Ideen ausgeheckt haben, das braucht kein Mensch, er habe das auch
sehr deutlich gemacht, was er davon halte, kein Blatt habe er vor den Mund
genommen, dieser ganze Quatsch, alles Mumpitz dieser elektronische Kram.
Sein
Hotelzimmer hätte er auch abgesagt, er würde noch heute den letzten Flug
nehmen, so weit käme das noch, mit diesen so genannten „Herren“ das übliche
Besäufnis zu erdulden. "Ja, und am Ende stellen sie wieder die Kellnerin
ein", nein, nein, gleich nach Ende der Konferenz hätte er zum allgemeinen
Bedauern seine sofortige Abreise nach B. verkündet.
Dies ist ein sehr alter Text, den ich hier ausgekramt habe. Verrückte Chefs sind immer ein schönes Thema, wie ich finde.
Verrückte Chefs -so beschrieben- sind definitiv ein schönes Thema... wenn's nicht die eigenen Chefs sind. ;D
AntwortenLöschenGott sei Dank ist er nicht mehr mein eigener... Aber fast war er besser zu ertragen, als der jetzige.
AntwortenLöschenSehr hübsch trotz älteren Datums! Beschissene Chefs heizen deine Kreativität an, das ist mal amtlich.
AntwortenLöschenWem sachste das, liebe Dinah. Da könnte ich Enzyklopädien anlegen. Chefs sind mein Schicksal.
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