Montag, 26. Februar 2018

Auch eine kaputte Uhr zeigt zweimal am Tag die richtige Zeit an (Tony Soprano)

Nachdem ich mich in der vorletzten Woche schon in Sachen Kultur auf den Weg gemacht hatte und mir völlig übermüdet auf einem Berlinale Empfang die Beine in den Bauch stand, ging es letzte Woche erfreulich spektakulär weiter.

Auf dem Weg ins Büro rief eine Freundin an, sie brauche dringend am Abend eine Begleitung in die Philharmonie. Sir Simon Rattle dirigiert und Daniel Barenboim spielt Klavier. Nein, sagte ich, sag bloß, es spielen die Berliner Philharmoniker? Ich sagte sofort zu, obwohl ich mich ja kenne: Morgens sage ich alles zu und am frühen Abend frage ich mich "Wie konntest du nur?"

Ich geh ja für mein Leben gerne in die Philharmonie, nicht weil ich so einen erlesenen Musikgeschmack oder von irgendwas eine Ahnung hätte, aber ich lass mich halt gerne ergreifen. Die Philharmoniker habe ich erst zweimal gehört und jedes Mal schauerte es mir den Rücken rauf und runter, aber auf eine gute Art.

Hab keine Ahnung, was die machen und wie sie es machen, aber selbst so eine Landpomeranze wie ich merkt den Unterschied. Vor allem, wenn viel Blech dabei ist und es sehr laut wird, bleibt einem das Herz stehen. Und wenn sie leise sind, dann fühle ich mich, als läge ich in einer wogenden Blumenwiese; ach was: ich bin die Blumenwiese!

Erst Dvořák und seine Slawischen Tänze, recht leichte Kost und zu Herzen gehend vor allem die unfassbar freundliche Ausstrahlung von Simon Rattle. Und dann Bela Bartók, Klavierkonzert Nr. 1, Auftritt Barenboim. Huch, dachte ich, der spielt ja was ganz anderes als das Orchester. Eigentlich spielte jeder Musiker was ganz anderes. Ich war ratlos. Jetzt seh ich einmal den Barenboim und dann sowas. Wikipedia schreibt "...vermied allerdings jegliche Verknüpfung mit dem Stil und der Ästhetik des romantischen Klavierkonzerts", ich hätt's nicht schöner schreiben können.

Zum Trost spielte er als Zugabe etwas von Debussy und da musste ich natürlich weinen, so überirdisch war das. 

Dann Janáček, den ich nicht kannte, der in dem 5. Stück seiner Sinfonetta op. 60 einen Schluss komponierte, der nix für schwache Nerven ist. Mir blieb die Luft weg und heulen musste ich auch schon wieder. Es hustete auch niemand wie sonst, wenn es still wird, es wurde nur hörbar und kollektiv laut ausgeatmet. Pfffffhhhh. 

Ich zupfte mir die Blumen aus den Haaren und fuhr glücklich heim. 

Am Wochenende ging es kulturell ebenfalls hoch her. Die Dezemberaffaire kam am Samstag zu mir, Serien gucken. Wir entschieden uns für die Sopranos; die hatten wir zwar schon gesehen, aber das ist ja auch schon wieder Jahre her. 

Um 17 Uhr lagen wir auf dem Sofa, erneut beglückwünschte ich mich zu diesem Trumm, auf dem bequem zwei Menschen liegen können, ohne sich ins Gehege zu kommen. Gegen 22 Uhr beschloss sie, bei mir zu übernachten. Nach dem Frühstück am Sonntag fanden wir nicht die rechte Energie für's Duschen und anziehen, also schleppten wir uns im Schlafanzug gleich wieder auf die Couch und gegen 16 Uhr meinte sie "Ich glaub, ich schlaf heute auch noch bei dir." 

Wir versündigten uns am Wetter, denn draußen schien die Sonne. Die Nachbarin kam rüber, um uns zum spazierengehen im Wald zu überreden. Sie brachte eisige Kälte mit rein. Wir winkten ab, wir waren gefangen in mafiösen Strukturen und außerdem hätten wir uns dann anziehen müssen. Ich bekam zwar zwischendurch Angst, dass wir eine Thrombose bekommen, aber das Risiko ging ich ein. Später rief die Auftragsmörderin an, ob wir nicht nach Kreuzberg kommen wollen, zum Doko spielen. Aber ich hatte erst am Freitag bis drei Uhr morgens gespielt und Christopher Moltisanti stieg gerade ins Filmgeschäft ein.

Leider musste ich um Mitternacht ins Bett, wegen eines frühen Termins heute. Wir haben es bis zur 2. Staffel, Folge 8 geschafft und nachts träumte ich von Tony Soprano. 

Ein wunderbares Wochenende.


Mittwoch, 21. Februar 2018

Dünnbrettbohrerin

Das bloggen lehrt mich einiges. Ich bin nicht die, die ich dachte zu sein. Ich nahm immer an, dass ich Dinge zum Ende bringe, dran bleibe, wenn ich mal was angefangen habe. Langer, ruhiger Fluss und so.

Stimmt nicht. Ich habe ja offenbar immer nur Phasen. Sportliche Phasen, in denen ich morgens um 7 Uhr im Wald laufe und jede feie Minute im Freibad schwimme. Hausfrauliche Phasen, in denen ich Brot backe und Marmelade einkoche. Phasen, in denen ich versuche, reiten zu lernen. Phasen, in denen ich Berlin grundsätzlich nur mit dem Rad durchquere, so lange, bis mir kein Berg mehr etwas ausmacht. Ich bin dann ganztägig beglückt und kann mir nicht vorstellen, jemals wieder etwas anderes zu machen.

Bis ich damit wieder aufhöre. Das Brot wieder kaufe, für 100 Meter das Auto benutze und den Wald nur im Vorbeifahren sehe. Ob ich ADHS habe?

Jetzt habe ich schon eine ziemlich lange Phase, in der ich mir vornehme, demnächst wieder zu laufen, zu schwimmen und voller Selbstfürsorge als zweites Frühstück nur Paprika mit Quark zu essen. Ich denke oft daran, wie gut mir das tun würde. Und hoffe inbrünstig, dass diese Phase des Vornehmes einen harmonischen Übergang in eine brandneue Aktivität findet.


Das Fernseh-Sonderangebot ist es schon mal nicht. Zwei Abende binge watching und schwups ist diese Phase auch schon wieder vorbei. Ich bin überfordert mit dieser Angebotsfülle. Und dann hatte ich auch vergessen, dass ich per se selten vor der Glotze liege. Ich mach lieber andere sinnlose Sachen.


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Das einzige Hobby, dessen ich nicht müde werde, ist: vorauszusehen, wer sich weshalb demnächst trennen wird oder wer zusammenbleibt, wer seine Kinder in den Wahnsinn treibt, wer seinen Job verlieren wird, wer falsche oder richtige Entscheidungen getroffen haben wird, wer weshalb unglücklich ist und was er tun könnte, um dem abzuhelfen; ich meine sogar zu wissen, weshalb manche Chefs so ekelhaft sind, wie sie sind. Ich seh sie förmlich vor mir als kleine Jungs, die unter klapsköpfigen Müttern und Vätern leiden, weshalb sie dann zu empathielosen Monstern heranwachsen. Natürlich behalte ich das alles für mich, außer ich werde gefragt.

Ich kann mich in so gut wie jede menschliche Regung hineindenken und im Grunde damit die Weltherrschaft übernehmen. Aber wie jeder guter Prophet im eigenen Lande habe ich bei mir selbst nicht viel zu melden.

Was mich betrifft bin ich stocktaub und blind wie ein Maulwurf. Und außerdem vergesslich, denn alles, was mir schon mal geraten wurde, kann man mir ein Jahr später erneut raten; ich werde es mit derselben Begeisterung aufnehmen, als hätte ich noch nie so etwas Kluges gehört. 

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Mein alter Biologielehrer hat sich mal dazu hinreißen lassen, jedem einzelnen von uns auf den Kopf zuzusagen, was er von ihm hält. Mir sagte er, ich sei eine Dünnbrettbohrerin. Ich werde mich in meinem ganzen Leben niemals für etwas richtig anstrengen. Nie dahin gehen, wo es richtig schwer wird. Damals, mit dreizehn Jahren konnte ich mit seiner Aussage nichts anfangen. Ich war bekümmert, dass er so wenig von mir hält. Heute denke ich, er war ein Arschloch, der den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Ein Arschloch deshalb, weil ich schon dort war, wo es richtig schwer ist. Ich hatte wirklich keine Kapazitäten für Photosynthese. 


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Nee, ich suche wirklich selten Herausforderungen. Aber die Herausforderungen suchen mich. Die restliche Zeit investiere ich ins vornehmen.

Sonntag, 18. Februar 2018

Berlinale und zwei Hunde

Als ich am Dienstag heim kam, schrieb ich meiner Perle, dass wenn ich im Lotto gewönne, sie jeden Tag kommen müsse und nicht nur zweimal im Monat, wie es meine derzeitige finanzielle Ausstattung erlaubt. Sie hatte einen derart guten Job gemacht, dass man aus meiner Wohnung sofort ein zeitgenössisches Museum hätte machen können. Alles schien unberührt, es roch frisch und abends, als ich ins frischbezogene Bett sank, schwor ich mir, diesmal diesen Zustand zu erhalten. 

Und das schaffte ich auch bis Samstag. Jeden Tag, den ich nach Hause kam, war alles so unberührt, wie am Tag zuvor; es war die reine Freude; ist doch gar nicht so schwer, alles gleich wegzuräumen. Ich kann mich nämlich nur so richtig entspannen, wenn es nicht wie in einer Bruchbude mit einigermaßen geschmackvoller Möblierung aussieht. 

Sobald ich die Räume wieder in das übliche Chaos verwandelt habe, kann ich nur mit unguten Gefühlen entspannen, im Grunde gar nicht, weil ich immer ganz gereizt daran denken muss, endlich aufzuräumen. Natürlich denke ich nicht mal im Traum daran, mein Vorhaben auch umzusetzen. 

Am Freitag begleitete ich die Auftragsmörderin zur Verleihung des Deutschen Drehbuchpreises in die Landesvertretung Schleswig-Holstein, oder war es Rheinland-Pfalz? Ich finde es immer reizend, wenn sie mich mitnimmt, gleichwohl finde ich wenig Genussvolles an proppenvollen Stehempfängen. Und Filmleute reden besonders viel Unsinn. 

"Du, ich habe deinen Film nicht geliked, weil ich ihn erstmal ansehen musste, aber das habe ich inzswischen, ich like ihn noch, versprochen."
 "Ach, dass du ihn gefunden hast, das wundert mich." 

"Wie findest du meine Idee?"
"Ich habe drüber nachgedacht und ich denke immer noch nach."
"Aber jetzt erst mal einen Wein."
"Genau, nichts geht über Wein."

Als ich auf die Toilette verschwinde, putzt sich in der Nachbarkabine eine Frau die Nase. Sie trompetet ausgiebig und ohrenbetäubend; ich denke, was muss das für eine Walküre sein? Kurz danach begegnen wir uns beim Händewaschen. Sie ist eine überirdisch schöne Elfe, die mich freundlich anlächelt. Ich stelle mir den Mann vor, der in Ohnmacht fällt, wenn er sie sieht und dann zwei Tage später seinen Freunden erzählt "Das ging gar nicht, wie die sich die Nase putzt, da fallen die Mauern von Jericho um." Es zählen ja heutzutage die kleinen Dinge bei der Beziehungsanbahnungsverhinderung. Ich selber könnte eine Enzyklopädie damit füllen, was mir alles nicht gefällt.. 

Ich blieb also nicht allzu lang, außerdem hatte ich wegen des Empfangs extra bis 20 Uhr im Büro ausgeharrt und das am Freitag... und dann auch noch gleich weggehen, das hält die stärkste Seemannsbraut nicht aus.

Ich hatte die Nase voll von der glamourösen Filmwelt, die ja doch nur aus geschwätzigen Hipstern und verlebten Gesichtsruinen besteht, wo ich immer nur denke, gut, dass ich mit denen nicht schlafen muss, deshalb lieh ich mir am nächsten Tag ihren Hund aus. Zurück zur Natur - ich wollte ihn bekannt machen mit dem neuen Welpen aus meinem Haus und ansonsten niemanden mehr sehen. Bei zukünftigten Ausleihaktionen können die sich artgerecht beschäftigen. Treffpunkt auf neutralem Gebiet, denn meine Wohnung ist praktisch seine Wohnung; nicht, dass er den Welpen gleich massakriert. 



Nachdem der Hund auch im Garten gezeigt hat, wer der Herr auf der Wiese ist, obwohl genau gesehen er ja der Gast ist und nicht der Welpe, ging ich mit beiden Hunden - nachdem mir der Welpenbesitzer versichert hatte, dass der Welpe nicht mehr in die Wohnung kackt - in meine immer noch unberührte, blitzsaubere Wohnung. Binnen fünf Minuten lag alles in Schutt und Asche. 

Nach fast drei Jahren Bekanntschaft mit dem Hund hatte ich vormittags eine Hundedecke erworben und obwohl er sie erst zwei Sekunden kannte, wusste er genau, dass es seine Decke ist und nicht die des Welpen, was der Kleine aber nicht noch wusste. Ich musste gleich ein Blutbad verhindern und ich bin doch immer wieder erschrocken, was für ein Gebiss der Hund hat und wie gefährlich er wirkt, wenn er mit den Zähnen fletscht. Ich durfte mich dem Welpen auch nicht nähern, weil das sofort Eifersuchtsdramen nach sich zog. 

Der Welpe zeigte sich von alldem recht unbeeindruckt, er machte zur rechten Zeit die nötigen Unterwerfungsgesten, aber die waren nur gespielt, dann ging er gleich wieder in den Angriffsmodus über; er wollte sich unbedingt befreunden. 

Ich machte mir etwas zu essen und obwohl ich schwören könnte, dass mir beide Hunde gebannt dabei zusahen, muss es einen unbeobachteten Moment gegeben haben. Als ich mit dem Teller ins Wohnzimmer kam, dachte ich noch, Mensch, hat der Hund wieder gefurzt, da vergeht einem ja der Appetit. 

Dann sah ich was komisches auf dem matt-hellgrünen und sehr langflorigen Teppich vor dem Sofa. Was soll ich sagen, der Welpe kackt doch noch in die Wohnung und zwar gewaltig. Ein kapitaler Dünnschisshaufen krönte das Ambiente und als ich schnell in die Küche lief, sah ich, dass er auch im Flur auf die idiotischerweise ebenso hellgrüne Schmutzmatte sein Geschäft gemacht hatte.

Ich fluchte, während ich ergebnislos rumputzte; warum nur habe ich keinen Laubsauger? Beide Teppiche dann über die Balkonbrüstung gelegt, Hände desinfiziert, denn natürlich habe ich keine Gummihandschuhe und dann war das Essen kalt. Ich rief den Nachbarn ab, er möge bitte seinen Welpen abholen.

Dann legte ich mich erschöpft auf's Sofa, das Wohnzimmer war unterdessen mehr oder weniger verwüstet und die Küche letztlich auch. Ich nahm mir eine 0.33 Colaflasche, öffnete sie und obwohl ich sie tagelang im Kühlschrank liegen hatte, hatte sie nichts besseres zu tun, als vorzugeben, ich hätte sie ausgiebig geschüttelt. Die Hälte des Inhalts auf mir und dem Sofa. Vor Schreck kippte auch noch der Aschenbecher um und ich gab das Projekt "Blütenreine Wohnung forever" endgültig auf. 

Ich suchte mir im Fernsehsonderangebot eine schöne Serie aus und suchte mein Heil in Ablenkung; der Hund durfte zu mir auf's Sofa, nun war auch schon alles egal. Eng aneinandergeschmiegt sahen wir fern. Nach 23 Uhr klingelte es. Es kann auch ein Nachteil sein, eng mit Freunden zu wohnen. "Ich hab noch Licht bei dir gesehen." Ich brauche Verdunkelungsrollos.  

Nach einem Schwatz machten wir zusammen den letzten Spaziergang um Mitternacht, eine halbe Stunde ums Carrée. Kein Kettensägenmörder hätte eine Chance bei diesem Hund, dachte ich befriedigt; ich hatte ja nachmittags gesehen, dass er im Grunde doch keine lebende Wärmflasche ist, sondern ein brandgefährliches Raubtier. 

Da kann er mich noch so lieb anschauen; ich weiß jetzt, was in ihm steckt. 


Samstag, 10. Februar 2018

Mariechen saß weinend in Goslar

Im Zuge der SPD Tragödie frage ich mich, was wird nur aus Mariechen? 

Ich stell mir das so vor: Papa Sigmar kommt nach Hause und setzt sich an den Frühstückstisch. Er erörtert die politische Gemengelage mit seiner Frau und Mariechen diskutiert mit. Wenn er doch nun öfter daheim ist, das sei für die ganze Familie schön. Er findet das auch gut und sagt gleich die Sicherheitskonferenz in München ab. Wahrscheinlich reicht er einen Home Office Tag ein, so ein Minister kann das bestimmt ganz unproblematisch machen. 

Dann gibt er ein gesalzenes Interview, Mariechen wird zitiert und deshalb ist im Grunde sie schuld daran, dass Schulz doch kein Außenminister wird. Historiker werden später ihre tragende Rolle analysieren. Sie wird dem Spiegel und der Zeit Interviews geben, zusammen mit den Enkelkindern von Martin Schulz. Vielleicht kommen auch noch die Urenkel von Kohl dazu. 

Sie wird ein Buch geschrieben haben "Wie ich die SPD in Schutt und Asche legte", das pünktlich zur Buchmesse 2038 erscheinen wird, in dem sie im Kapitel "Pathogene Familienstrukturen" mit ihrem Vater abrechnen wird, der sich unter anderem geweigert haben wird, sie zum Traualtar zu führen, weil ihr Zukünftiger nur einen fusseligen Vollbart und wenig kleidsames Haupthaar vorzuweisen hatte. 

Ferner wird sie im Kapitel "Würselen - Goslar: eine Analyse" beschreiben, dass er ihr letztlich nie verziehen hat, dass er am Ende wegen ihrer unbedachten Äußerung als Außenminister auch nicht weiter machen durfte und deshalb die meiste Zeit in Goslar entweder vor ihrer Kita oder in der Zahnarztpraxis seiner Frau herumlungerte. Das war für die Familie eine schwere Zeit, was wir ihr alle glauben werden.


***

Als ich so acht, neun Jahre alt war, haben meine Eltern nicht im Traum daran gedacht, mich für ihr berufliches Fortkommen zu instrumentalisieren. Das habe ich selbst in die Hände nehmen müssen. Tagelang hatte mein Vater von seinem bescheuerten Chef erzählt. Ich sagte dazu nichts, weil meine Meinung nicht gefragt war, aber als eben dieser Chef bei uns zuhause anrief, ging ich ans Telefon. 

"Papa, der blöde Idiot ist dran!" rief ich durch's Haus. 

Mein Vater war nicht so begeistert von mir wie Sigmar Gabriel von Mariechen. Es waren ja die Siebziger und mein Vater gehörte nicht zu den progressiven 68ern, sondern war einer der letzten, dafür um so eifrigeren Anhänger der schwarzen Pädagogik, retrospektiv betrachtet. 

Er twitterte daher meinen Ausspruch nicht, gab auch keine Interviews, in denen er mich lobte, weil ich seinem Leben mit meiner kindlichen Weisheit eine ganz neue Richtung gegeben hatte (obwohl er sich kurz danach selbständig machte, wodurch er solch einen Haufen Kohle verdiente, dass er mit 50 seinen Laden verkaufte und fortan von den Zinsen lebte), sondern erörterte völlig undankbar mit meiner Mutter die Modalitäten meiner Adoptionsfreigabe. Ich konnte tagelang nicht schlafen.

Ach, es ist halt eine neue Vätergeneration herangewachsen.

Montag, 5. Februar 2018

Take the right Choice

Als ich ihn kennenlernte, vor einigen Jahren, bei einem "Reiterwochenende für Ängstliche", war er schon 70 Jahre alt und ich war in der Gruppe mit ihm und noch zwei anderen Teilnehmern natürlich die einzige, die wirklich Angst hatte. Was andere so unter Angst verstehen, würde ich unter "leichtes Unbehagen" kategorisieren, oder aber es handelt sich um äußerst mutige Menschen, die ihrer Furcht eisig ins Gesicht schauen und nicht so verpimpelt sind wie ich.

Ich bewunderte, dass er in seinem Alter reiten lernen wollte. Ich fand mich ja selber viel zu alt für so einen Quatsch, dabei trennte uns fast ein Vierteljahrhundert. Jedenfalls übte er vollkommen angstbefreit alles, was uns die Trainerin befahl und später brachte ihm seine Frau Kuchen; so lernte ich sie kennen, denn der Kuchen wurde an uns alle verteilt. Wir saßen in der Sonne und sie erzählte von ihrem Pferd, das auch auf dem Hof stand. Sie war ungefähr in meinem Alter - und das war der Grund für seine Ambitionen. Er wollte ein gemeinsames Hobby mit ihr.

Während ich bei meinem ersten Versuch, die Reiterei zu erlernen, kläglich auf dem Wachkoma-Schuldpferd scheiterte, kaufte er sich binnen kurzem ein eigenes Pferd und galoppierte durchs Gelände. Zur Übung hatte er noch ein paar Einzelstunden gebucht und dann fand er, er könne alles. 

Meine Nachbarin, deren Tochter auch auf dem Hof reitet, raunte mir zu "Naja, mit reiten hat das nicht viel zu tun, was er da macht." - aber ich schalt sie, darauf kommt es nicht an, wenn man mit 70 das erste Mal auf einem Pferd sitzt, finde ich. Oben bleiben und Spaß haben, was will man mehr?

Ich scheiterte also vor mich hin und brach dann wegen einer Fernbeziehung ab; die Wochenenden waren fortan der Liebe und ihren Abgründen vorbehalten und das Wachkomapferd hatte seine Ruhe vor meiner Stümperei. 

Sporadisch brachte ich die Tochter meiner Nachbarin in den Reitstall und es war immer ein großes Hallo, wenn ich ihn traf. Wie begrüßten uns herzlich und ich bewunderte, wie unverdrossen er tagein, tagaus durch die Landschaft ritt. 

Dann kam es zu meinem zweiten Versuch, mir das reiten doch noch beizubringen; erstmal über die Bodenarbeit, wie hier schon beschrieben und die wunderbare Pferdebesitzerin, die ich schon oft erwähnte, ist niemand anderes als seine Frau. Man kann das gar nicht genug schätzen, dass sie mich auf ihrem eigenen Pferd dilettieren ließ. Aber ihr Pferd ist gefragt in jeder Hinsicht. Es trägt Mädchen durch die Gegend, die Handstand auf ihm machen, es lässt sich vor eine Kutsche schnallen, es bleibt ruhig, wenn alles rundherum in Panik ausbricht und sogar, dass es in seiner Herde gemobbt wird, weil es einfach nicht rumzicken mag, ficht es nicht an. 

Einmal habe ich beobachtet, wie zwei Wallache auf die Nachbarweide gebracht wurden. Ich wurde Zeugin einer Stampede; alle Stuten galoppierten wie angestochen direkt auf mich zu, die ich zufällig am Zaun stand und bogen kurz vor mir ab, das war sehr beeindruckend; mir klopfte das Herz - allein dieses durch wahrlich nichts zu beeindruckende Pferd blieb desinteressiert am Rand stehen.

Es hat auch meine Versuche, es zu trensen, geduldig ertragen, wie es überhaupt alles mit Engelsgeduld über sich ergehen lässt, und obwohl dem Goldstück nachgesagt wird, sich am liebsten überhaupt nicht zu bewegen, hat es noch eine andere Seite, von der niemand eine Ahnung hatte, bis der feurige Italiener auftrat, unter dem es jeden Samstag morgen im gestreckten Galopp über die Felder rast. Und ja, selbst sein Springtalent wurde entdeckt, als die Tochter meiner Nachbarin eine Weile auf ihm ritt. Eine eierlegende Wollmilchsau. Was sag ich, ein One-Million-Dollar Pferd.

Aber zurück zu ihm, dem unverdrossenen Reiter, der nun immer älter und älter wurde, was ihn weiterhin nicht hinderte, mutterseelenallein ins Gelände zu gehen, was man eigentlich nicht tun sollte, auch in jüngeren Jahren nicht. Er ließ kein Zipperlein gelten, das ihm die Jahre bescherte. Und sein Pferd, das einen gewissen unwirschen Charakter hat, machte es ihm nie leicht. Zwei Sturköpfe, die sich nichts schenkten. 

Neulich jedoch wollte es mitten im Wald mit ihm durchgehen. Mit aller Kraftanstrengung vereitelte er drei Versuche, dann bekam er das erste Mal Angst, stieg ab, was in so einer Situation fast noch gefährlicher ist, als oben zu bleiben, denn ein Pferd, dass die Biege machen will, wittert die Chance sofort. Der Moment, wo man zwischen Himmel und Erde schwebt, wird gerne genutzt, Gas zu geben, ungeachtet dessen, dass man den Reiter im Steigbübel hängend hinter sich herzieht. Er hatte aber Glück und machte sich auf den langen Fußmarsch zurück in den Stall, der seinem Alter entsprechend leider viel zu lang und kraftraubend war. 

Seiner Frau murmelte er zu "Ich glaub, ich steig nie wieder auf." Drei Tage später wurde er todkrank ins Krankenhaus gebracht. Niemand weiß, was er hat, die Ärzte finden keine richtige Erklärung für sein Leiden. 

Ich glaube, er ist gegen das Alter angeritten und nun muss er sich entscheiden, ob er sein Leben auch noch gut findet, wenn er nicht mehr über die Felder galoppieren kann. Ich hoffe sehr, dass er es vergnüglich genug findet, sein Pferd zu striegeln. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das völlig ausreichend ist.