Samstag, 31. Dezember 2016

Tschüss 2016

Übermorgen wird mein Blog 2 Jahre alt. Einen Jahresrückblick schenke ich mir. Interessierte Leser klicken sich einfach durch das Archiv. Da steht fast alles.

Aber ich möchte auf meine Lieblingsblogger verweisen (und ich rede hier nicht von innovativen Neuentdeckungen, sondern von Lieblingen), die ich in den letzten zwei Jahren entdeckt habe.


Celebrity Jane 
Ich habe alles getan, um diese äußerst begabte Schreiberin zu motivieren, mehr als einen Post pro Jahr zu bloggen. Es ist mir gelungen, sie immerhin auf zwei Beiträge zu pushen. Mir immer noch zu wenig, aber ich arbeite dran.. ich arbeite dran. 

Glumm
Was soll man zu diesem Mann sagen? Es gibt keinen, wirklich keinen, der so hinreißend seine Vergangenheit auferstehen lässt. Er schreibt so eindringlich, als wäre man dabei gewesen. Und seine lupenreine Drogenkarriere scheint nur wenig Hirnzellen in Mitleidenschaft gezogen zu haben.

Kiezneurotiker
Tja, ohne seine Lust, kleine, neue und unbekannte Blogs zu unterstützen, würde ich wohl in irgendeinem Eckchen vor mich hindümpeln. Dafür sage ich immer wieder gerne Danke.

Kiezschreiber
Als ich ihn entdeckte beim Kiezneurotiker war mir seine Schreibe zu unübersichtlich und ich ließ ihn längere Zeit links liegen. Ich kann aber nur jedem raten, ihn zu lesen, weil sich in jedem Post mindestens ein Satz für die Ewigkeit findet. Keine Ahnung, woher er die nimmt. Außerdem lacht er gerne über sich selbst, jedenfalls schont er sich nicht.

Kreuzberg Südost
Die liebe Tikerscherk. Sie schreibt so herzzerreißend und -erweichend über die Untiefen der Liebe, dsyfunktionale Familien und natürlich meinem Steckenpferd: Krankheiten. Ein mitfühlendes Geschöpf, der ich ein paar Jahre ohne Katastrophen wünsche. 

Misanthropin 
Von ganz anderem Schlag, diese Frau. Ihre "Börsenberichte", in denen sie ihre Blinddates rotzig verwurstest sind unerreicht. Leider hat sie derzeit die Faxen dicke, neue Männer kennenzulernen, was für uns alle ein großer Verlust ist.

Schrottpresse
Entdeckt bei Tikerscherk, die beiden flirten ziellos vor sich hin. In seinem eigenen Blog findet er eher handfeste Themen, die er mit klaren Worten behandelt. Sein anderes Ich lässt er in den Kommentarspalten aus dem Käfig und das oft brüllend komisch. Unbedingt lesen. 

Habt Dank für eure Kommentare, Mails, Verlinkungen und Verlobungsangebote. Rutscht alle gut (auch die, die ich heute nicht erwähnt habe). Und im neuen Jahr möge jeder das bekommen, was er zum Glücklichsein braucht.   

Freitag, 30. Dezember 2016

Passiv-aggressive Ehemänner

Wer sie kennt, weiß, dass man ihr am meisten Freude mit Schmuck macht. Ihr Mann ignoriert das und legte ihr in diesem Jahr ein paar DVDs unter den Weihnachtsbaum.

Ich habe mich vor lachen kaum eingekriegt, als sie mir ihre Schätze zeigte. All die liebe- und geschmackssicheren Geschenke für ihn straft er mit mehr oder weniger verhohlener Verachtung. Der erste Geburtstag, an dem sie ihn beschenkte, endete in einem Tränenmeer, weil er beschied, dass sie zuviel Geld ausgegeben habe, das man für anderes, sinnvolleres hätte ausgeben können, neue Gartenstühle oder einen Fliesenspiegel. Wohlgemerkt: sie ist eine gutverdienende Frau. 

Und nicht nur das: sie sieht fantastisch aus. Schon immer und inzwischen "für ihr Alter", das man ihr nicht im entferntesten ansieht. Wann immer ich mich wie ein ungeschlachter Klops fühlen möchte, muss ich mich nur mit ihr treffen. Ihr Mann hat für sich immer schon eine Frau reklamiert, die in jeder Lebenslage wie aus dem Ei gepellt aussieht und Fenster streifenfrei putzen kann.

Legendär ihr "Ich zieh mir mal rasch was bequemes an" und dann kommt Aphrodite um die Ecke; während man selbst den Fehler gemacht hat, etwas wirklich bequemes angezogen zu haben. Du kannst dieser Frau einen Kartoffelsack überziehen; drunter trägt sie in jedem Fall Wäsche von Agent Provocateur.

Sie ist die eierlegende Wollmilchsau unter den Frauen. Sie sieht nicht nur gut aus, sie springt von Klippen, klettert in den Dolomiten, ist nimmermüde und klagt nie. Sie kocht vorzüglich, sie renoviert wie ein Profi, sie ist sich für nichts zu fein, kann saufen wie ein Loch und keine sieht in einem schlichten schwarzen Wollkleid mit Rollkragen so sexy aus wie sie. Das liegt an ihren Mördertitten und an ihrem flachen Bauch, für den wir alle töten würden. 

Die ideale Gefährtin.

Was lag unterm Tannenbaum? "Mit eiserner Faust", Kirk Douglas in der Hauptrolle, der 2016 überlebt hat, jedenfalls habe ich nichts gegenteiliges gehört. Ob das auch ihrem Mann glücken wird, darf bezweifelt werden.

Montag, 26. Dezember 2016

Der Sommer kann kommen

Habt ihr schon mal darauf geachtet, ob ihr eine Treppe runtergehen könnt, ohne nach unten zu schauen?

Ich erinnere mich, dass ich als Kind die Stufen im Treppenhaus runtergesprungen bin, mich gesteigert habe, erst zwei Stufen, dann drei und zum Schluß sechs. Oder mit Rollschuhen die Abfahrt runter, die unten noch eine Kurve machte. Wie ich anfangs überlegt habe, ob ich das schaffe und nach kurzer Zeit bin ich mit links da runter, ohne Helm und ohne Gurt. 

Ich beobachte Freunde und alle anderen Leute, wie sie die Treppen runter gehen. Mit Gottvertrauen hüpfen sie die Stufen runter. Verdammt. Frage mich, wann das bei mir aufgehört hat. Im Sommer bin ich Weltklasse gestürzt, auf der letzten Stufe einer Wendeltreppe, mit einem Gartenstuhl in der Hand, weil ich dachte, da ist keine Stufe mehr. Ob ich bis dahin noch... Oder fing es erst danach an, dass mein Blick vergewissernd nach unten geht, mit der Hand am Geländer? Oder kündigt sich das alte-Schachtel-Dasein ganz allgemein mit solchen Petitessen an?

Themawechsel. Weihnachten ist geschafft und blöderes Wetter ist selten gewesen. Ich habe meinen ersten Tannenbaum gekauft. An Heiligabend noch, damit das jüngste Familienmitglied was zum umreißen hat. Der Baum kann froh sein, bei mir zu sein, denn er hat hinten nix. Passt sich optimal der Wand an und von vorne gibt er die perfekte Premium-Tanne. 

Ich frage mich, wie viele Spinnen ich mir mit ihm ins Haus geholt habe.

Wir waren so entkräftet davon, uns nichts zu schenken, dass die Grippe leichtes Spiel mit uns hatte. Zeitgleich wurden wir dahingerafft, dennoch habe ich mich heute gezwungen, eine Stunde draußen rumzulaufen. Noch einen weiteren Tag sitzen und essen und ich hätte eine Thrombose bekommen; sehr gefährlich, wenn man kein Heparin in Petto hat. Das sollte aber zur Weihnachtszeit in jedem Haushalt vorrätig sein. 

So, und jetzt frei, also wirklich frei. Keine Pflichten mehr. Außer neue Tempos kaufen. Draußen braust der Sturm. Drinnen glimmt der Tannenbaum. Ich lese Alan Bennet


P.S: Noch ein guter Rat von Frau Lavendel: "Und wenn ich ein berühmter Musiker wäre, ich würde mich vorsorglich ganz vorsichtig bewegen und stets in der Nähe eines Notarztes aufhalten."

Tatort

To whom ist may concern: 

Die Auftragsmörderin hat das Drehbuch zum heutigen Weihnachts-Tatort geschrieben.

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Wir schenken uns nichts

Wenn ich bedenke, wie grundglücklich und stocktaub ich den letzten Dezember verbracht habe, auf's Sofa gefesselt von freundlichen Viren, jeden Tag Mittagsschlaf, sieht's dieses Jahr ganz anders aus. Wie ich schon erwähnt habe, ein Höllenritt bis zur letzten Minute. Ich hielt mich für schlau und machte zwei Tage Home Office bevor der Urlaub beginnt. Ich fantasierte, was ich dann alles schaffen werde, ganz nebenbei.

Nix da. Home Office bedeutet nur, dass ich mir den Weg spare. Außerdem mülle ich dann auch noch tagsüber die Wohnung zu. Und morgen kommt Besuch. Und hier sieht's aus (hysterische Betonung auf aus). 

Und dieses wir-schenken-uns-nichts-nur-den-Kindern, Mann Mann Mann, meine jüngste Schwester machte mir einen Strich durch die Rechnung. Letztes Wochenende im Kaff machte sie Bescherung, ihr Kind wollte unsere leuchtenden Gesichter sehen, wenn wir schon mal alle auf einen Haufen sitzen. Und sie wohl auch. Die beiden haben nämlich gebastelt. Sie haben mich benäht, ich will nicht in Einzelheiten gehen, aber ich geriet in Verzweiflung, wie ich mich bloß angemessen revanchieren kann, weil ich gar nicht aushalte, etwas so herzerwärmend Schönes unerwidert zu lassen.

Also saß ich gestern Nacht bis halb zwei morgens (hab ja Home Office und kann ausschlafen) und bastelte. Erinnert sich noch jemand an dieses metallische Gold-und Silberpapier? Ich schnitt tausend Kreise aus, halbierte sie, klebte sie zu kleinen Tütchen zusammen und dann wollte ich alles zusammenkleben; am Ende hat man ein völlig nutzloses und breihässliches... ja, wie soll ich das jetzt nennen? Eine Kugel halt, über die meine Schwester vor Rührung hätte weinen sollen, weil es eine Reminiszenz an unsere Kindheit ist, wo wir bis zur Ohnmacht gebastelt haben (Im Falle eines Falles klebt Uhu wirklich alles).



Aber ich hatte kein Uhu zuhause, gibt es das überhaupt noch? Nur so einen blöden Prittstift und deshalb klebten die kleinen Tütchen nicht aneinander fest und so war das nächtliche Unterfangen ganz umsonst. Ich drehte ihr einen kleinen Film von meinen sinnlosem Versuch, wenn sie schon nicht heulen würde, sollte sie wenigstens lachen. 

Ich habe festgestellt, dass zu meinen weniger liebenswerten Eigenschaften gehört, dass ich eine schlechte Schenkerin bin. Also ich schenke sehr gerne, bei manchen fällt mir ganz leicht, das Passende zu finden, und bei anderen sehr schwer. Letzteres bei meinen Schwestern, leider. Ich könnte jetzt behaupten, sie seien schwer zu beschenken, aber beide überraschen mich immer wieder mit Gaben, die derart ins Schwarze treffen, dass es mich umhaut vor Rührung. 

Für hilflose Menschen wie mich wurden Gutscheine erfunden. Kann man nix mit falsch machen. Da wir uns also nichts schenken, bin ich vorhin nach meiner mörderisch anstrengenden Home Office Session losgefahren und habe mich mit Gutscheinen eingedeckt und bis eben habe ich sie kunstvoll verpackt. Ich bin geschenketechnisch à jour.

Nur die Bude und ich selbst sind sanierungsbedürftig. Das Mütterle wird die Kemenate das erste Mal im natürlichen Zustand sehen. 

Ach ja, das wollte ich noch erzählen. Sie bekam eine Geburtstags-SMS, die sie uns vorlas und meinte "Das ist ja nett von diesem Null-Zwei-Team, dass die mir gratulieren."

Mittwoch, 21. Dezember 2016

Berlin

Der erste Tag im neuen Büro, alles ausgepackt, eingeräumt und plötzlich merke ich, dass ich allein bin. Ups.

Im Elfenbeinturm waren wir lange vor Ort und zum Abend hin wurde es stets muckelig. Irgendwer machte Musik an, einer verteilte Bier und Cola aus dem Kühlschrank, Türen standen offen, jeder wurschtelte maximal entspannt vor sich hin.

Am letzten Tag schickte einer einen kleinen Zusammenschnitt der schönsten Sonnenuntergänge und Begebenheiten unserer kleinen Peergroup rum. Ab jetzt eingemeindet in eine weit größere Abteilung und prophylaktisch melancholisch.

Hier denke ich, was denn, wo sind denn alle hin? Gehen die aber früh. Okay, wir kamen kaum vor 10 Uhr, dann bleibt man halt bis 19 Uhr, jedenfalls im Winter, da ist es sowieso immer dunkel. Socialising im Büro, jedoch ohne Privates zu erzählen. Wir sitzen jetzt weit auseinander. 

Die, mit denen ich jetzt zusammengewürfelt bin, verschwinden ab 16 Uhr. Hammer, das ist ja fast ein halber freier Tag. 

Dann werde ich traurig. Haben die etwa ein spektakuläres Privatleben, zu dem sie kaum erwarten können, zurückzukehren? Und ist meins ein Desaster, weil ich immer noch hier sitze? Und auch noch gerne? Stimmt was nicht mit mir?

Okay, ich saufe immer noch in Arbeit ab (vor allem, weil noch drei neue Sekretärinnen eingestellt werden müssen und ich solange drei Chefs verarzten muss, neben allem anderen), aber die bestimmt auch und trotzdem gehen sie. Kann ich was lernen von denen? Ist es egal, ob ich versuche, heute soviel wie möglich zu schaffen und was passiert eigentlch, wenn ich es nicht schaffe? Womöglich überhaupt nichts? 

Ich beschließe, dass ich auch ein Privatleben habe und simse die Doko-Gruppe um 19.40 Uhr an, ob denn genug da sind, denn ausnahmweise haben sie am Wochenende gespielt und das Weihnachtsfeier genannt, während ich im Kaff zu einem bedeutendem Geburtstag war. Ich packe meinen Kram und geh durch dunkle Flure.

Auf Höhe Bahnhof Zoo bekomme ich Antwort, ja es sind genug da. Gerade noch rechtzeitig biege ich nach links auf den Kudamm, fahre an der Gedächtniskirche vorbei. Ich höre ein unangenehmes Geräusch, das ich nicht einordnen kann, weil ich nichts passendes dazu sehe, fahre weiter und vergesse es sofort wieder.

Gegen 22 Uhr hole ich mein Handy raus und wundere mich. 23 Whatsapp-Nachrichten, was ist denn hier los? Alle sind besorgt um mich, selbst meine Cousine aus Hamburg, aber warum? Ich scrolle runter, lese "Anschlag", hole tief Luft, die anderen werden sauer, ey, pack mal das Ding weg und nimm deine Karten, Solo, wir spielen die Könige. Moment, sage ich, da ist was passiert. 

Die Polizei rät, zuhause zu bleiben. Ich bin recht weit weg von zuhause. Ich fahre los. Berlin ist wie immer. Fußgänger schlendern über Ampeln, die Straßen sind voller Autos. Alles wie immer. Berliner befolgen keine Ratschläge.

Zuhause mache ich den Fernseher an, seh die ewig gleichen Bilder, bekomme sms, schreibe welche, aber ich fühl mich merkwürdig fern von allem, überfüttert und unbeteiligt. Es ist passiert, was alle erwartet haben. So weit, so schlecht.

Irgendwann geh ich ins Bett, schlaflos, dann fällt es mir wieder ein, das Geräusch. Keinen Schimmer, ob es das war oder irgendwas anderes, völlig belangloses, es ist auch egal und letztlich uninteressant, aber ich beschließe, dass ich mich um mein Privatleben kümmern werde, denn nah dran war ich, zeitlich und räumlich. Eine kurze Zeitspanne und ein paar Meter haben mich bewahrt.

Das denke ich ohne jede Hysterie, es ist nur ein Fakt. Schon wenn ich es hätte mit ansehen müssen, wäre ich auf Jahre in Bonnies Ranch eingefahren und man kann Sanitätern und Polizisten nicht genug dafür bezahlen, dass sie schreckliches zu sehen, zu bergen und zu verdrängen bekommen. 

Heute morgen fahre ich sehr früh ins Büro, um den erwarteten Staus zuvor zu kommen, aber das war nicht nötig. Alles fließt und sieht aus wie immer. Im Büro wird so gut wie gar nicht drüber gesprochen. Die Üblichen, die drüber sprechen, kennen alle jemanden beim LKA, na klar, und plustern sich auf. Niemand will ihnen zuhören und schnell stehen sie wieder allein.

Ist das nun typisch Berlin oder typisch Mensch?

Donnerstag, 15. Dezember 2016

Auf dem Zahnfleisch

In Hollywood wäre das jetzt ein Happy End: Das Change Management feiert seinen Höhepunkt mit einem Umzug. Alle Hühner werden von der Stange gescheucht und alle schauen zu, wo sie nach dem Geflattere wieder landen. Dabei beginnt jetzt der Horror, aber das verschweigt Hollywood ja auch immer.

Ich im dunkelsten Büro, das der Laden zu bieten hat, nicht direkt im Keller, aber aus ist es mit den spektakulären Sonnenuntergängen und dem Blick weit über Berlin. Kein Elfenbeinturm mehr. Abends keine Musikbeschallung mehr, ich sitze jetzt weit entfernt von meinen musikalischen Kollegen. (Memo an mich: so'n Dingens kaufen) Zukünftig sehe ich auf Fahrstühle. Nun ja.

Die letzten Tage geräumt, gepackt, weggeschmissen, nebenbei noch die neue Regierungsmannschaft in die Adressdatenbank eingehackt und die alten Haudegen deaktiviert. Alle fünf Jahre dasselbe Spiel. Und dann nennen sich die Senatsverwaltungen immer noch um, was die Mailadressen verändert, an die man auch erst kommen muss. Nicht zu vergessen, dass auch 97.000 Bezirksstadträte und Bezirksbürgermeister gewechselt haben. 

Jeden Morgen schicke ich mir aus dem E-Paper einer hiesigen Tageszeitung die wichtigen Artikel ins Büro, denn leider werden mir die Neuerungen nicht geliefert zum eintragen. Und zur Jahresanfangssause müssen die richtigen eingeladen werden, nicht dass ich noch im SPIEGEL lande, wie damals die arme Tippse, die irgendeinen Außenminister eingeladen hat, der seit 4 Tagen kein Außenminister mehr war. Was aus der wohl geworden ist? Ich hätte den Arsch, der so eine dumme Lappalie dem SPIEGEL steckt, gerne (beliebiges Kapitalverbrechen eintragen). 

Keinen Tag, den ich nicht mindestens 11 Stunden im Büro verbringe, seit Wochen, wegen der Sonderaufträge, die ich noch schnell erledigen soll, bevor ich keine Tippse mehr bin. Cheffe greint, wie soll ich nur ohne dich klarkommen? Das weiß ich auch nicht. Aber ich werde zumindest sehr gut ohne ihn klar kommen. Ich kann immer noch nicht fassen, was ich zukünftig alles nicht mehr machen muss. Das fühlt sich an wie Rehab.

Ich taumel jeden Abend hungrig und todmüde aus dem Laden, weiß kaum noch, wie ich meinen Namen buchstabieren soll und bin doch einigermaßen bewegt, wie tadellos ich mich halte, auch wenn mir ein Ticken zu oft gesagt wird, ich sähe angestrengt aus. Schnick Schnack, sowas darf man in der Nähe eines Hypochonders nicht mal denken. 

Manchmal träume ich mich in irgendeine Senatsverwaltung, wo ich durch lange Flure mit trüben Öllampen wandere, eine uralte Holztür öffne, hinter dem sich mein muffiges Büro befindet, in dem lauter klapprige und potthässliche Möbel stehen, dann schließe ich die Tür mit einem lauten Knall und dann ist Ruhe, weil niemand was von mir verlangt und schnell schon gar nicht, weil ich damit die Preise verderben würde, ich würde assimiliert werden und in kürzester Zeit Applikationspullover tragen, mir eine praktische Kurzhaarfrisur zulegen und mit dieser entspannt der Rente entgegen dämmern.

Bald habe ich frei und wie ich mich kenne, werde ich nach diesem Höllenritt erst mal nichts mit mir anzufangen wissen, verlottert werde ich auf dem Sofa liegen, ungewaschen und Vera am Mittag Drei Haselnüsse für Aschenbrösel gucken, mehr wird nicht drin sein. Vorher werde ich mir vornehmen, ganz viel Sport zu machen und bei dem Vorsatz wird es bleiben, weil erstmal will ich nur liegen bleiben, stelle ich mir heute so vor, aber ganz schnell werde ich Rückenschmerzen bekommen, worüber ich ins sinnieren kommen werde, dass alles besser wäre, wenn ich jetzt doch mit dem Sport anfinge und dann ist der Tag auch schon wieder rum. 

Nur eins ist klar: dieses Jahr halte ich mich an's Gebot, "wir schenken uns nichts". Da werden die ganz schön gucken, nehme ich an.

Wie versprochen: "Das ultimative Weihnachtsgeschenk"

Andy Bonetti – Inferno und Ekstase

Als E-Book bei Kindle. Hier der Cover-Text, mehr ist nicht zu sagen:

„Andy Bonetti hat es geschafft. Er gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart. Das ist seine Geschichte. Sie können es auch schaffen! Der Bonetti-Weg zum Erfolg. Werden Sie der König der Bahnhofsbuchhandlungen. Führen Sie ein Leben, wie es nur großen Künstlern vergönnt ist. Lernen Sie alles über den Umgang mit Verlegern, den Medien und Ihrem Publikum bei Lesungen. Wie schreibe ich einen Bestseller? Wie werden Figuren entwickelt, wie erzeuge ich Spannung durch eine packende Handlung? Jeder von uns kann Bonetti sein!“

Mit Bonus-Material und einem Centerfold, das Bonetti in einer anzüglichen Pose zeigt.
Bestellen Sie gleich zwei, dann haben Sie eins mehr.

Der stolze Autor
https://www.amazon.de/dp/B01N690BCI 

Auf dass die Milliönchen fließen.

Dienstag, 13. Dezember 2016

Baby Content

Das Kind meiner Nichte sollte asap zum Ausgleichssport angemeldet werden oder Ritalin Eierlikör bekommen. Kaum ein Jahr alt, robbt es in Redneck-Manier durch die Wohnung, zerlegt energisch die Wohnung und hetzt das verstörte Haustier.

Schon direkt nach der Geburt meinte die Ärztin, mit dieser kleinen Person werde man noch viel Spaß haben, eine Körperspannung vom feinsten. Ich glaube, dass es nicht von dieser Welt oder in irgendeinen Topf gefallen ist, jedenfalls scheint sich stets etwas Bahn brechen zu wollen.

Ich bedauerte meine Nichte neulich, dass sie niemals die Erfahrung machen wird, wie es ist, ein Kind im Arm zu halten, wie sie eins war. Immer schläfrig blinzelte sie in die Welt und ließ sich in alle Arme sinken, die sich anboten. Dort blieb sie, bis sie zum schlafen ins Bett gelegt wurde. Ein außergewöhnlich sanftmütiges Kind.

Ihr eigenes hat von außen voll in den Genpool des Vaters gegriffen und von innen... man weiß es nicht. Es ist natürlich das objektiv hübscheste Kind der Welt, aber wenn man es auf dem Schoß hat, denkt man, es ist Orang-Utan-Klaus.

Irgendwann wurde es müde und so schnappte ich es mir, weil ich nie etwas gegen einen kleinen Power Nap habe. Erst nuckelte es noch zufrieden an der Flasche, dann ließ sich nicht mehr ignorieren, dass ich nicht die Mutter bin. Es fing an zu weinen, dann zu schreien. Ich nahm es auf den Arm, fand den Nuckel und legte mich mit dem kleinen Hulk auf dem Bauch vorsichtig wieder hin.

Es schlief sofort ein und ich erinnerte mich an letztes Jahr. 

Ähnlich selig wie seinerzeit musste ich nicht mehr darauf achten, ob es noch atmet, eigentlich brauchte ich Oropax, um es nicht schnaufen zu hören. Ich hielt es vorsichtig fest, damit es nicht von mir runterkullert. Nach ein paar Minuten schwanden mir die Sinne, denn das Köpfchen lag direkt auf meinem Kehlkopf, aber ich war trotzdem sehr glücklich.

Wie kriegt man einen Lagerungswechsel hin, ohne dass das Kind es bemerkt? 

Gar nicht. 

Dieses Kind hat einen leichten Schlaf (ein Fluchttier, darin der Oma - meiner Schwester - ähnlich, die schon früh mehr als einmal ihren kleinen roten Pappkoffer packte und auszog, weil es ihr bei uns nicht mehr gefiel. Sie trappste los, heimlich von mir bewundert für ihre cosmopolitische Ader und klingelte bei der Nachbarin, die das schon kannte und sie freundlich in Empfang nahm. Eine halbe Stunde später holte sie meine Mutter wieder ab, gegen ihren erbitterten Widerstand). 

Als meine Vitalfunktionen immer schwächer wurden, ließ ich es sanft neben mich gleiten, das Köpfchen lag nun auf meiner Schulter, aber dann bekam ich den Klammergriff zu spüren, von dem ich schon gehört hatte: die kleine Hand suchte und fand die kleine Einbuchtung an meiner Kehle. Ich lief langsam blau an, war aber immer noch glücklich. 

Solch kleinen Menschen verzeiht man ja alles.

Samstag, 10. Dezember 2016

Periculum in mora

PROLOG

Ich weiß, sie sind immer da. Auch wenn ich sie nicht sehe. Ich mach mir nix vor. 

***
Komm nach Hause, setz mich auf's Sofa, mach die Beine lang. Plötzlich, eine Gedanke, ich bin nicht allein. Irgendwas ist hinter mir. Kann nicht sein, hinter mir ist nur die Wand. 

Hab das Tablet in der Hand, lese, wurschtel mit meinen Haaren, die mir ins Gesicht fallen. Ich dreh mir einen Hipster-Dutt, aber sie rutschen immer wieder über die Sofakissen, zwischen Lehne und Wand. Ich rutsche auch immer tiefer, werde müde und denke, es wird Zeit, ab ins Bett. 

Steh auf, geh zur Tür, dreh mich noch mal um, bevor ich das Licht lösche.


Da sehe ich sie.

Eine riesige, fette Spinne, ein Monsterexemplar, das genau dort, wo mein Kopf die ganze Zeit war, an der Wand sitzt. Seelenruhig. Dieses degenerierte Miststück, why the hell sitzt sie nicht in irgendeiner Ritze, wie es sich gehört?

Möchte gepflegt überschnappen, aber dazu fehlt mir die Zeit.

Meine größte Sorge: dass die Ausgeburt der Hölle hinter dem Sofa verschwindet, wo ich sie nie wieder finde. Dann muss ich ausziehen, noch heute Nacht. 

Ich kann jetzt keine Gefangenen machen und entgegen meiner üblichen Gepflogenheiten, das Tier mit einem Glas und einer Postkarte zu fangen und auf dem Balkon zu entsorgen, renne ich los zu meiner elektrischen Fliegenklatsche und grille das Riesenviech. 

Fall ins Bett und hab unruhige Träume.


EPILOG

Lag vielleicht auch an der besten Gänsebrust meines Lebens. Unbedingt empfehlenswert: Die Schnitzelei in Charlottenburg. Weltbester Service, affenartig schnell, professionell und zum verlieben charmant.

Freitag, 9. Dezember 2016

Das bisschen Haushalt

Tja, sagte mein Kollege, dann kommst du aber nicht mehr an all diese Geheiminfos ran, wenn du ab Januar keine Sekretärin mehr bist. Du bist dann abgeschnitten von allem.

Ich erschrak. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Stimmt, als Tippse weiß man alles, lange, bevor es andere wissen und manchmal erfahren es andere nie. Man muss soviel schweigen und verschweigen können, manchmal ist man den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt, als Dinge zu verheimlichen.

Aber dann fiel mir ein, was ich zukünftig alles nicht mehr machen muss:
  • Post (cool, demnächst wird mir meine gebracht)
  • Telefondienst (boah, ich stelle jetzt meinen Apparat um, jawoll)
  • Terminplanung (Mäusemelken ist schöner, da nützt auch doodle nix)
  • Reisen buchen und abrechnen (die Hölle, wenn es nach Uganda Bugundi ging - am liebsten wollte Cheffe, dass ich auch noch für ihn zum impfen gehe)
  • Budgetplanung und -controlling (Quadratur des Kreises am lebendigen Leib)
  • Rechnungen kontieren und schreiben (und wehe du hast den richtigen Kostenräger aber die falsche Kostenart ausgewählt)
  • Kassenanweisungen (auch 50 Cent Parktickets müssen erstattet werden. Von nix kommt nix)
  • Evaluation von Prozessbeschreibungen (und in die Access-Datenbank der Hölle eintragen)
  • Handouts zusammenstellen (Cheffe kann nicht drucken)
  • Präsis basteln (Power Point auch nicht)
  • Tische reservieren (nichts sagen Chefs so gerne wie "Buch mir mal'nen Tisch im Dings.")
  • Weihnachtsfeiern planen (am Ende sind sich alle spinnefeind, weil nicht jeder nur einer klettern gehen will)
  • Geburtstagsgeschenke und Blumen besorgen (und immer Geschenkpapier auf Lager haben. Und Tempos, Tampons und Tabletten)
  • Wasserkästen für alle bestellen (wenn es geliefert wird, hat keiner Geld dabei)
  • Dokumente vorbereiten (und zwar so, dass Cheffe nur noch unterschreiben muss, egal um was es sich handelt)
  • Protokolle führen (verdammt zum zuhören)
  • Dienstpläne schreiben (sobald ich alles eingetragen habe, fängt das tauschen an)
  • Büromaterial bestellen (kein Schwein sagt Piep, wenn er die letzten Heftklammern gemopst hat)
  • Nie wieder "Denk bitte hier dran, vergiss das nicht."
  • Kein "Doch, ich hab dir die Unterlagen auf den Tisch gelegt. Sie liegen... Okay, ich druck's dir nochmal aus."

Was für eine Erleichterung! Ich werde ganz frohsinnig. Die arme Socke, die meine Nachfolgerin wird.

Ich frag mich, was ich den ganzen Tag machen werde. Doch, mir fällt's wieder ein. Whow. Nur noch Konzentration auf eine Sache. Ausgezeichnet.

Mittwoch, 7. Dezember 2016

The more medicated, the more dedicated

Ich hab ja nun schon öfter erwähnt, dass meine Drogenkarriere nie begonnen wurde und daher vollständig ausgefallen ist. Das heißt aber nicht, dass um mich herum nicht gesoffen und anderes wird, bis der Arzt kommt, ich scheine Menschen mit dieser Disposition anzuziehen wie Motten das Licht.

Es geht immer so: erst werde ich bestaunt wie eine urzeitliche Ausgrabung, dann werde ich bewundert, als würde ich täglich einen unermesslichen Kraftakt vollführen (ein Freund doziert an der Humboldt-Uni über Sucht und überführt die Adoleszenz-Gruppendruck-Theorie anhand meiner Person als unwirksam). Einigen gehe ich später auf die Nerven, weil sie sich wohler fühlen, wenn ich mitsaufen würde und ganz am Ende werde ich verdächtigt, dass ich mitzählen würde, was sich andere hinter die Binde kippen, dabei ist es mir völlig gleich, was andere Erwachsene tun; sie sind ja schon groß und entscheiden das bitte für sich alleine. Not my circus, not my monkeys.

Tikerscherk will alles über meine Zeit in Neukölln wissen. Also noch dies.

Ich wohnte nun also am Reuterplatz im vierten Stock und bekam Besuch von einem Ex, der schon zu Jugendzeiten kokste, was das Zeug hielt. Er kam aus Niedersachsen angereist, eine Frischgetrennte besucht man gern, womöglich lässt sie sich trösten. Gleich als er zur Tür reinkam, erzählte er stolz, dass er vom Koks ganz weg sei; er ging mir aber verdächtig oft aufs Klo und klang verschnupft, ohne Schnupfen zu haben.

Später am Abend meinte er, er hätte was im Auto vergessen. Natürlich. Kurze Zeit später kam er wieder hoch, sein Auto sei geklaut worden. Ich rief nach der Bombe also schon wieder die Polizei. Er wurde sehr nervös. Ich meinte, er soll sich nicht so haben, der Wagen sei doch versichert. 

Er druckste herum. "Was ist denn los mit dir?"

Es kam, wie es kommen musste, das ganze Auto voller Koks. Für den Privatgebrauch. Für einen Freund. Für einen Bekannten des Freundes. 

Als die Polizisten kamen, bewunderte ich deren Menschenkenntnis, denn nachdem er harmlos schilderte, dass er erst vor ein paar Stunden in Berlin angekommen sei, fragten die gleich, ob Drogen im Auto sind. Ich starrte sie fasziniert an. Woher wussten die das? (Ich Dummerchen) Er stritt das lahm ab, sie glaubten ihm nicht.

Dann wurde ich sauer. Weil ich doch jetzt bestimmt auch auf so einer Verdächtigen-Liste landete, wahrscheinlich würde ich jetzt observiert, erst die Bombendrohung, jetzt ein Junkie in meinen vier Wänden. Muss sowas immer mir passieren, der geburtscleansten Frau der Welt?

Ob sich Drogen in der Wohnung befinden? 

Das wurde immer bunter, aber Gottseidank hatte er sich schon alles auf dem Klo einverleibt, drum musste er ja auch runter zum Auto, wegen des Nachschubs. Diese Frage konnten wir beide mit Festigkeit in der Stimme verneinen. 

Sie zogen wieder ab, ohne weitere Maßnahmen zu ergreifen, kein Wunder, mir quoll die Harmlosigkeit aus allen Poren und wahrscheinlich bescheinigten sie ihm deshalb eine günstige Sozialprognose, aber als sie weg waren, hatte es sich gründlich ausgetröstet.

Dienstag, 6. Dezember 2016

Das Beste im Mann

Neulich wusste ich nicht, ob ich die Polizei anrufen darf. Wo doch alle Zeitungen davon schreiben, dass zuviele Idioten den Polizeinotruf missbrauchen. Ich fuhr auf der Straße, es war schon abends, also dunkel. Auf einmal wurde es noch dunkler und gerade als ich überlegte, ob ich wohl einer plötzlich einsetzende Makula-Degeneration zum Opfer falle, bemerkte ich, dass auch alle Ampeln ihren Dienst eingestellt hatten und das alles trug sich zu auf einer sehr großen, befahrenen Straße.

Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass die meisten Autofahrer in der Lage sind, das mit mit links zu handeln. Aber als ich vorsichtig auf eine Kreuzung zufuhr und mich erst mal orientierte, wer Vorfahrt hat, ließ ich eine Fußgängerin rüber, die vom Auto neben mir beinahe über den Haufen gefahren wurde. Mit einem großen Satz rettete sie sich aus der Gefahrenzone. Da beschloss ich, dass es vielleicht doch eine lebensrettende Maßnahme sein könnte, die Hüter des Gesetzes in Kenntnis zu setzen. 

Aber dann traute ich mich nicht: ist das jetzt ein missbräuchlicher Anruf? Oder ist genug Gefahr in Verzug? Ich versuchte mich zu erinnern an diese andere Nummer, die man besser anrufen soll, irgendwas mit 4 und 6, aber dann nahm ich mir ein Herz und wählte 110. Als gleich jemand abnahm, hoffte ich, dass der nicht merkt, dass ich aus einem fahrenden Auto anrufe. Ist ja auch verboten. Und dann haben die mich gleich wegen zweier Verbrechen dran: aufdringliche Anrufe während des fahrens. Was das wieder für Punkte gibt. Wo ich erst letzte Woche geblitzt wurde, weil ich so in Gedanken war.

Wider Erwarten war der Mann vom Notruf außerordentlich interessiert, ob denn auch die Wohnungen um die Straße herum im Dunklen liegen, wollte er wissen. Da musste ich improvisieren, ich war ja schon längst weit weg und hatte nicht darauf geachtet. Ich beschloss, die Situation nicht ärger zu machen als sie ist, nein in den Wohnungen hätte Licht gebrannt. Er bedankte sich überschwänglich und mir wurde klar, dass ich es mit diesem Anruf nicht in den Twitter Account #Bekloppte Anrufe der Berliner Polizei schaffen würde. 

Ich fuhr weiter und hoffte, dass nicht unterdessen andere Fußgänger umgenietet wurden.

Edit: Hier noch die Geschichte, als ich die Polizei mal wegen einer Bombe angerufen habe. Ich war noch neu in Neukölln, unter mir ein Mieter, der die ganze Nacht „Oooodin, Oooooodin“ brüllte und dazu tägliche Anrufe einer verzweifelten Frau, die nach dem Verbleib eines gewissen Ali fragte. Sie glaubte mir von Tag zu Tag weniger, dass sich bei mir definitiv kein Ali aufhält, eine gewisse bedrohliche Schärfe legte sich in ihre Stimme.

Eines Abends gegen 21 Uhr ein klingeln an meiner Haustür im 4. Stock. Ich fragte, wer da sei.
„Chich habe Post fierr Sie. Bittä machen Sie Tierr auf.“
Ich dachte gar nicht daran. Post um 21 Uhr?
„Chich läge Pakkät vor Tür aap“

Meine Nerven waren schon sehr entzündet von Oooodin und Ali. Ich steigerte mich in eine akute Lebensgefahr rein und rief erst mal meine beste Freundin an. Ob ihr Mann mal kommen könne, der sich aber strikt weigerte, ich hörte nur, wie er im Hintergrund einen Lachkrampf bekam. Also rief ich die Polizei an. Hysterisch schilderte ich, dass vor meiner Tür wahrscheinlich eine Bombe liegt und weshalb man mir versehentlich nach dem Leben trachtet, wegen eines Ali, den ich aber gar nicht kenne.

Die Polizei kam nach 10 Minuten. Sie klingelten, ich öffnete. Zwei Herren standen vor mir. Der eine hatte die Bombe in der Hand, die in Wahrheit das Leseexemplar eines Berliner Verlages war, der seinen Fahrer offenbar gebeten hatte, noch am Abend derlei auszuliefern.

Das ist die zweitpeinlichste Geschichte meines Lebens.


Später beim Doppelkopf kam es zu einer Eskalation. Einer von uns neigt zu gewaltigen Wutausbrüchen, wenn er beschissene Karten bekommt oder wenn er seine Mitspieler für unfähig hält. Die bezichtigt er ausdauernd, selbst wenn er am Ende mit ebendiesem minderwertigem Geschöpf haushoch gewinnt. Was da alles rauskommt an Wut, reicht für eine Feldstudie. Er ist mir dennoch der Liebste von allen mit seinem Mantra "Scheiß die Wand an!" Wenn er mich anbrüllt, erwidere ich vornehm "Sorge bitte dafür, dass ich dich auch weiterhin interessant finde." Dabei sehe ich ihn eindringlich an und dann ist er abgelenkt und kriegt sich wieder ein.

Jedenfalls wurde er wegen irgendeinem Pipifax so sauer, dass er die Karten hinschmiss und immer irgendeine auf den Stapel warf, ohne zu schauen, welche sich verbirgt. "Scheiße kann ich auch spielen!", bellte er. Ich fand das recht unterhaltend, aber mir kommt es auch nichts auf's gewinnen an, obwohl ich ein extrem gutes Blatt hatte, dass er mir zerschoss mit seiner albernen Rumpelstilzchen-Einlage. Spielen bringt halt das Beste oder das Schlechteste in uns zum Vorschein.

Eine Mitspielerin mit weniger Frustrationstoleranz stand auf, dozierte grimmig, dass sie die Schnauze voll hat und verließ schulmeisterlich das Lokal. Ich kann so eine Ernsthaftigkeit nicht verstehen. Ist doch nur ein Spiel. Jeder wie er kann.

Freitag, 2. Dezember 2016

Die Hobbys einsamer Kolleginnen

Sie sticht heraus, passt nicht ins Ganze. Ein Unikat. Ruht in sich selbst, trotz oder wegen ihrer Bi-Color-Frisur, die an eine Faschingsperücke erinnert, ihrem unerschöpflichen Vorrat an Lurex-und Pailletten-Kleidern in Size Zero, worauf sie besonders stolz ist. Bisher dachte ich, dass ihre vorrangige Freizeitbeschäftigung sei, ins Solarium zu gehen. Sie ist tief gebräunt und sieht - obwohl jünger als ich - wie eine sehr alte Frau aus, mit tiefen Schluchten im ledrigen Gesicht. 

Im Sommer überrascht sie täglich auf's Neue mit tiefdekolletierten oder hochgeschlitzten Kleidern à la Ivana Trump der Älteren, nur dass diese sich damit an der Cote d'Azur herumtreibt, während wir blind werden, wenn sie weithin glitzernd, stolz wie eine Pharaonin und so dünn wie Wallis Simpson an uns vorbeischreitet. Kurz gesagt trägt sie Abendmode von Harald Glööckler oder einem anderen Verkaufssender im Büro. 

Sie schwebt morgens in die Firma und lässt sich zunächst in männermordenden Posen (oder was sie dafür hält) vom Azubi fotografieren, sie dreht und wendet sich wie Christine Neubauer, nur dass sie keinen peruanischen oder chilenischen Fotografen aushält. 

Wann immer man sie trifft, erzählt sie ungefragt von ekstatisch durchtanzten Nächten im Café Keese und dann denke ich immer, sie ist jünger als ich, was muss passiert sein, dass sie solche Etablissements besucht, aber scheinbar hat sie dort einen Lauf und wird ständig per Tischtelefon zum tanzen aufgefordert. Wahrscheinlich ist sie der Burner mit ihren fantasievollen Bekleidungen. 

Als ich heute in ihr Büro kam, schien sie verändert. Für ihre Verhältnisse in gedeckten Farben (gelb-ocker-schwarz), mit einer fast normalen Gesichtsfarbe, erzählte sie mir eifrig von ihrem neuesten Hobby: irgendeine virtuelle Farm, die sie bestückt, aber nicht nur das: sie hackt diese Programme und sorgt dafür, dass ihre Community kostenlos(!) mit Wasser für die Farmtiere und Pflanzen versorgt werden. 

Ganz fremd ist mir das Thema nicht, weil ich eine Freundin habe, die sich, wo sie geht und steht, der Ernte, Fütterung und Bewässerung ihrer hayday Farm hingibt, sehr zum Ärger ihres Freundes, der ihr das Versprechen abgenommen hat, wenigstens kein echtes Geld für die Komplettierung ihres quietschbunt animierten Bauernhofes zu verjubeln. Soweit, so absurd, aber ich sach ja immer, leben und leben lassen.

Sie redete sich in einen Rausch und bot mir keine Gelegenheit zur Flucht. Sie hätte soviel Anfragen und würde andere trainieren, damit die ebenso kostenlos an Wasser kommen. 

"Ja", sagt sie mit heiligem Ernst, "die ganzen Anfragen arbeite ich dann am Wochenende ab. Ich geh nur noch Freitags tanzen. Dann sitze ich schon mal von 22 Uhr bis 4 Uhr morgens vor dem Rechner und begieße 50 Farmen. Sie sind mir ja alle so dankbar."

Demnächst hat sie ein Treffen geplant, denn alle wollen diese Wohltäterin kennenlernen, sie hat einen Konferenzsaal gebucht "Stell dir vor, für unter 500 € habe ich einen gefunden, aber da nehme ich nichts für, nur auf Spendenbasis, verstehst du, da sitzen ja viele arme und alte Leute vor dem Rechner, manche im Rollstuhl, die können sich das gar nicht leisten, aber die wollen ja auch ein bisschen Spaß haben."

Jetzt rührt sie mich. Ich finde das alles hochgradig bekloppt, aber diese Form von Beklopptheit rührt mich, es grenzt ja an ehrenamtliches Engagement und wodurch Leute am Ende glücklich werden, ist letztlich wurscht. 

"Tja, nur Männer habe ich keine mehr und weißte, wahrscheinlich bin ich inzwischen auch viel zu eigen und ich hab am Wochenende echt genug zu tun mit den Anfragen und Trainings, weißte, ich produziere ja auch lauter Lehrfilme. Naja, nur mit dem einen, leider verheiratet, unglücklich, aber so'n Techtel-Mechtel ist schon drin." Sie lacht schallend. 

Ich fliehe zurück aus diesem Wurmloch in meine eigene Welt. Meine Hay-day-süchtige Freundin muss ich wohl stärker im Auge behalten, nicht dass die auch anfängt, Programme zu hacken und nachts anderer Leuts virtuelle Kühe melken.