Dienstag, 31. Oktober 2017

Der Kutscher kennt den Weg


  


Das hier ist war der attraktivste Kutscher von Hiddensee. Die eingeborenen Männer auf Hiddensee sind durch die Bank schwere Trinker, die im Sommer halb dun kutschieren, im Winter durchgehend saufen und ihre Ehefrauen unglücklich machen. 

Dieser hier war sicher keine Ausnahme, aber er sah gut aus, oder sagen wir: einigermassen unbeschadet. Sein Equipment  war ganz auf Individualtourismus ausgerichtet. Das Pferd rabenschwarz (alle anderen sind hell beige). Die Kutsche ein Vintage-Ding, in das nur vier Leute passten, unterschied sich ebenfalls von den üblichen Anhängern mit Zeltplanen für die Massenabfertigung. Mit dem Habitus eines einsamen Wolfes, gutmütig aber gedankenverloren flirtend, manifestierte sich sein Ruf.

Als wir ihn mal  für eine Kutschfahrt buchten, erzählte er uns seine Lebensgeschichte. Er sei "nicht von hier". Woher er denn käme, fragten wir. Mit einer ausladenden Geste deutete er in die Ferne. "Von Rügen komme ich", dramatisierte er die fünf Kilometer, die ihn vom Festland trennten, als sei er aus einem unendlich fernen Land gekommen. Unterdrücktes Gelächter unsererseits. 

Dann erzählte er uns, wie er von seiner Frau verlassen wurde, für einen Mann, der Kardiologe und Gynäkologe und Rechtsanwalt ist. Hört, hört! Ein Wunder der Technik und was hat dem ein Kutscher schon entgegenzusetzen? Aber "Nach zwei Tagen war ich schon drüber weg". Drei Wochen später lag er zwar im Krankenhaus, mit zwei aufeinanderfolgenden Herzinfarkten, mit nicht mal 40 Jahren. Aber da sah er keinen Zusammenhang.  

Nun war eine Freundin im Herbst auf der Insel und brachte die Nachricht mit, dass er nicht mehr lebt. Man wisse nicht genau, was genau passiert ist, nur dass sein Pferd durchgegangen ist. Das ist per se keine angenehme Sache, mit einer Kutsche hintendran  sind Tier und Mensch schnell verloren. 

Hiddensee ist um eine Attraktion ärmer.