Samstag, 28. Februar 2015

Velodrom oder wie ich versuchte, nach Hause zu finden

Zum Abschied eines sportaffinen Kollegen wurde arrangiert, dass er mit Werner Otto, der fantastisch erhaltenen 67jährigen Radfahrer-Legende, auf einem Tandem ein paar Runden im Velodrom fahren darf. Wir alle mit. Ich guck mir gerne Radfahrer an, wenn die so leichthin an mir vorbeiheizen, nur die Beine bewegen, nicht den Oberkörper, sieht schwerelos aus, fabelhaft. Andere sehen das anders, wegen der ungesitteten Idioten, die den Fußweg als Kampfzone nutzen. Aber einem semiprofessionellen Jedermann-Rennfahrer guck ich schon hinterher.

Da die Landsberger Allee sehr weit weg von meinem Grab im Grünen liegt, schloss ich mich dem anschließendem Besäufnis nicht an, sondern fahndete nach einem Drive-now Mini. Fand auch einen, 600 Meter entfernt. Ich reservierte und lief los, keine zwei Minuten später machte der Akku schlapp und ich stand im Nirgendwo und versuchte mich angestrengt zu erinnern, wo das Auto steht. Von der Conrad-Blenkle-Straße links auf die Landsberger Allee, dann die nächste rechts - meinte ich. Als ich in die Hausburgstraße einbog, wurde mir schwummrig. Ganz schön duster da.

Ich lief und lief, kein Auto da. Jedenfalls keins, an dem ein grünes Lämpchen brennt. Meine Schritte hallten durch die Dunkelheit und lange konnte es nicht mehr dauern, bis mich ein Kettensägenmörder wittert. Der Mensch hat nachts draußen nichts zu suchen. Es wurde immer gruseliger und ich drehte um. Wieder zurück auf die Landsberger Allee, links in die Ebertystraße, da war Leben auf der Straße, aber kein grünes Lämpchen.

Ich lief weiter, links in die Kochhannsstraße und schwupps war ich wieder in der scheißgruseligen Hausburgstraße. Ich versuchte es mit der Hermann-Blankenstein-Straße, in der es noch schlimmer wurde und dann bog ich nach links auf eine Art Feldweg ab, links neben mir eine Wiese, rechts eine Industriebrache - ich verzweifelte und sehnte mich nach meinen Kollegen, die jetzt alle traulich im "Leibarzt" sitzen und keine Gefahr liefen, abgemurkst zu werden. Ich war von Gott, der Welt und meinem Handy verlassen. Mich hatten sie vorhin das letzte Mal gesehen und am Sonntag wird in der Zeitung über meine mundgerechte Zerstückelung zu lesen sein; ob das dann auch in den Pressespiegel kommt?

Ich verfluchte, dass ich kein Auto habe und kein Handy, dass sich nicht gleich leersaugen lässt vom Navi und versprach mir, gleich morgen beides zu kaufen, falls ich diesen suizidalen Spaziergang überleben sollte.

Endlich wieder auf der Landsberger Allee angekommen, schien sie mir wie der vertrauenerweckendste Ort der Welt. Ich schaute mich suchend nach der S-Bahn um und hielt einen Radfahrer an, der mir freundlich alle Möglichkeiten erklärte, wie ich hier weg komme.

Eine Stunde später war ich zuhause. Wie durch ein Wunder habe ich überlebt. Und ein Foto von mir und Werner Otto. Ein übrigens ganz feiner Mann.

Mittwoch, 25. Februar 2015

Schon wieder verkackt

Irgendwas will mir das Universum sagen. Ich habe auch schon eine Ahnung, was. Dabei stand heute in meinem Horoskop:  

"Im Beruf können Sie derzeit nicht so toll punkten. Aufmunternde Ergebnisse werden Sie auf einem anderen Gebiet erhalten. Hinterfragen Sie nicht Ihre Emotionen. Lassen Sie sich heute einfach von Ihren Gefühlen leiten, die Sterne sind auf Ihrer Seite."

Setze mich ins Obergeschoss ans Fenster, oben im Bus ist nämlich immer schön warm und die Heizung bollert gemütlich zu meinen Füßen. Ich hol mein Buch raus und versenke mich in "Der Trafikant". Stellt sich jemand neben mich. Eine orange Steppjacke mit grüner Cordhose. 

"Darf ich mich setzen?" Verdutzt seh ich ihn an "Natürlich". 
"Hätte ja sein können, dass Sie jemanden den Platz freihalten."
"Nein." 

Die Cordhose ist ein großes Exemplar seiner Gattung, raumgreifend. Ich find das aber  entgegen meiner sonstigen Befindlichkeiten angenehm. Wir sitzen dicht beieinander, Arm an Arm. Wärme strahlt rüber. Lauschig das alles. Die Sterne sind auf meiner Seite. Ich lese weiter, die Nase tief nach unten gesteckt, allerhöschte Konzentration markierend.

"Was lesen Sie denn da?"
Ich zeige ihm den Buchtitel. 
"Kenne ich, mir hat's gefallen."
"Ich bin mir noch nicht sicher."

Meine Nase rutscht noch tiefer, ich bin in Alarmstimmung. Worüber könnte ich mit ihm reden? Offensichtlich hätte er ja nichts dagegen. Mir fällt nichts ein. Wir kuscheln so weiter vor uns hin. Ich rede doch sonst so viel, was ist nur mit mir los? Wie viele Männer sollen mir meine heimgegangenen Urahnen denn noch über den Weg schicken, bis ich mal in der Lage bin, einen vernünftigen Satz rauszukriegen? 

Du meine Güte, sitz ich gerne neben ihm. Fast will ich mich anlehnen, einfach so, ohne meine Emotionen zu hinterfragen. Aber da ich nicht von den Männern mit der weißen Weste abgeholt werden möchte, lasse ich mich lieber doch nicht von meinen Gefühlen leiten, obwohl er wirklich gut riecht. So ist ja auch ganz traulich, Arm an Arm, in wortloser Übereinkunft, den mitteleuropäischen Mindestabstand zur Feier des Tages auszuhebeln.

Er holt sein Handy raus, ich linse rüber. Kein Ehering. Hat der schöne Hände. Also, keine Pianistenhände, eher so vertrauenerweckende Hände, die auch meine demnächst zu erwerbende Geschirrspülmaschine anschließen könnten. Ob ich ihn mal frage, ob er heute Abend mit mir zum Saturn geht? Er sieht so fachmännisch aus. Das wäre dann auch ein aufmunterndes Ergebnis. 

Das alles denke ich, während ich so tue, als ob ich lese. Ich hoffe, dass wir zufällig gemeinsam aussteigen müssen. Müssen wir aber nicht. Natürlich nicht. Alles können meine Großmütter im Himmel auch nicht richten. 

Er steht auf. "Schönen Tag wünsche ich Ihnen." - "Ihnen auch." Dann ist er weg. An meiner linken Seite wird es kalt. Wie bedauerlich. Eine Busfahrt ist zu kurz. 

Wenn ich bedenke, welche Winzigkeiten ich für bemerkenswert genug halte, um sie hier auszubreiten und vergleiche mit den Zeiten, als ich eine Kalaschnikow brauchte, um mir die Tür freizuschießen, dann.... dann befürchte ich, dass ich.... dass ich langsam ulkig werde. Sollte ich eines Tages erwägen, mir eine Katze zuzulegen, erschießt mich bitte. 

Montag, 23. Februar 2015

Life sucks

Eigentlich habe ich schon im Bett gelegen, weil ich mich manchmal früh ins Bett lege, wenn ich mich verkriechen will. Glotze an, Wärmflasche an den Füßen, Rüdiger neben mir, mein Seitenschläferkissen, die Stütze meiner Nächte.

Aber nun bin ich wieder aufgestanden vor lauter Ärger, denn im Bett ist es auch nicht besser. Meine kleine Glotze ist kaputt. Nix da mit Berieselung bis in den Schlaf. Ich guck so selten fern, aber dann will ich mal und dann ist die Möhre im Eimer.  Es ist ja wohl unglaublich, dass mir hier ein Gerät nach dem anderen Adieu sagt. Noch bin ich in einem Alter, wo sich ein Neukauf lohnt, aber seit Monaten seh ich tatenlos und irgendwie interessiert zu, wie hier alles sukzessive den Geist aufgibt. Ist wie ein Experiment, zurück zu den Wurzeln.

Der ganze Tag war so blöde. Auf einer Feier anderthalb (!) Stunden stehend (!) Reden gelauscht, ich wusste gar nicht, ob ich jetzt Rückenschmerzen oder Gliederschmerzen habe. Dann ein zweistündiges elend langweiliges und überflüssiges, da ergebnisloses Meeting, in dem eine Vorlage nach der anderen vorgelesen wurde, um am Ende zu beschließen, dass da 'noch mal drüber' geschaut werden muss. Wie oft über eine Sache drübergeschaut wird, anstatt gleich Nägel mit Köpfen zu machen, es ist ein Kreuz. Wir sind wie der BER. Da wird auch nix draus.

Nach Feierabend zum Kollegentreffen, in einem grausigen Laden, grauenvolles Essen, grauenvolle Cocktails, grausig laute Musik (aber den Fraß gibt es montags zwischen 18 und 20 Uhr für die Hälfte, ein schlagendes Argument für vitale, lebenshungrige Kollegen) und ein bedauernswertes, plärrendes Baby am Nebentisch - wer erlaubt Eltern eigentlich am Abend Kleinstkinder solch einem Horror auszusetzen, den ich als Erwachsene kaum in der Lage bin auszuhalten? Man kann sich nicht unterhalten, die Lautsprecher direkt über meinem Kopf, ich setzte eine interessierte Miene auf, nicke hier und da und versteh kein Wort.

Ich verkrümel mich früh, geh zum Bus, der nächste kommt in 14 Minuten, es regnet, ich habe keinen Schirm dabei. Steige in einen anderen ein, der mich in die Nähe des Zielortes bringt, steige um in einen BMW von Drive Now ein, halte in der Nähe des Taxistandes an, am Rande des Geschäftsgebietes, bin dann endlich zuhause um 21 Uhr und fühl mich frustig.

Dieses Gezeter tippe ich mühsam auf dem iPad, denn mein Rechner wäre ja erst in zwei Tagen hochgefahren. Was meine Laune jetzt auch nicht verbessert hat. Gnaah.

Samstag, 21. Februar 2015

Fifty ways to stay alone



Bei dem Wetter kann eine Frau in mittleren Jahren nicht anders, als in den Selbstfürsorge-Modus zu schalten, sonst wird sie für den Rest des Tages ihres Lebens nicht mehr froh. Letztes Wochenende habe ich die Laufsaison eröffnet, mehr als 10 Minuten am Stück joggen war aber nicht drin. 

Heute ging’s besser, 25 Minuten halte ich durch, aber da passiert es: ich höre mein Herz im Kopf klopfen (wie immer auf der linken Seite). Ich erstarre zur Salzsäule. Das Aneurysma, da ist es wieder. Oder ein Tumor. Zufallsdiagnose beim Laufen, wer kennt das nicht?

Mir wird schlecht vor Angst, schwindelig, Adrenalin flutet mich, wie schaffe ich nur die zwei Kilometer zurück? Hypochondrie macht aus einer eben noch vernunftbegabten Frau innert Sekunden ein menschliches Wrack am Abgrund. Einige Körperfunktionen stellen ihren Dienst ein, andere drehen am Rad. 

Kurz vor meinem sicheren Ende kommt ein Läufer rechts von der Wiese auf mich zu, gesellt sich zu mir „Na, ist das nicht ein herrliches Wetter?“ 

Das Leben verarscht mich mal wieder. In letzter Sekunde schickt es mir einen Mann, dem ich bestätigen soll, wie schön das Wetter ist. Mir. Ungeduscht, ungeschminkt, mit fettigen Haaren. 

„Ja, aber ganz schön anstrengend."
„Stimmt. Aber macht auch Spaß, oder?
„Und wie! Es macht so einen Spaß. Man muss es sich nur einreden.“
„Sind Sie Ski-Läuferin?“
Ich lache „Wonach sieht’s denn aus?“
„Es sieht ganz danach aus.“

Verdammt, der will reden. Blind ist er auch. Und nett. Und sieht gut aus. Ein Sechser im Lotto, in meiner Sterbestunde. Mein Herz hämmert. Gleich fall ich um. Ich kann nicht gleichzeitig sterben und einen Mann kennen lernen. 

Er geht weiter neben mir her, sieht mich freundlich an. Ich wechsle in die Schnappatmung und habe alle Mühe, das zu verbergen. Mit mir geht es unaufhaltsam zu Ende und ich möchte mich jetzt ungestört meinem locked-in-Syndrom überantworten. 

Das lässt er nicht zu und bleibt weiter zugewandt. Er macht alles richtig. Ich mach alles falsch, aber immerhin gehöre ich ja auch ins Hospiz. Herrje, meine Skifahrer Karriere, zu spät, was hätt' nicht alles aus mir werden können. Mir gelingen irgendwie Antworten, die einen kläglichen Rest meines eigentlich wachen Geistes erahnen lassen. Die rudimentären Reste schrecken ihn nicht.

„Laufen wir zusammen weiter?“
„Das geht nicht, ich bin zu langsam.“
„Wollen wir’s nicht versuchen?
„Nein, wirklich, aber danke für den Plausch.“
„Vielleicht sieht man sich mal wieder?“
„Das wär schön.“

Er läuft los und ich rufe „Sie sind aber schnell!“
Er stoppt, dreht sich um „Wollen Sie doch mitlaufen? Letzter Versuch?“
Ich winke ab, so freundlich man eben in Agonie lächeln kann.

Ich bin allein und kann mich meinem Hirntumor widmen. 

Nachdem ich die kleine Krise überwunden habe und mein Verstand wieder einschaltet, weiß ich, dass ich für den Rest des Tages meines Lebens nicht mehr froh werde.

Mittwoch, 18. Februar 2015

Neues vom Praktikanten

Der Kugelblitz wird in die Annalen eingehen, ich spür das; schon jetzt eine interaktive  Legende. 

Wir gehen gemeinsam in den Fahrstuhl. Er lehnt sich lässig an die Wand, betrachtet mich sinnend mit halb geschlossenen Augen (Ich hatte sie alle), "Und? Wie geht's uns heute?" Ich fang an zu lachen. Er: "Ich mein ja nur. Frag ich halt nicht mehr, wie's dir geht." - "Kannste schon, aber wir sind ja nicht bei der Visite."

Ausnahmsweise Mittagspause mit einer Kollegin. Normalerweise hasse ich das. Will nix sehen, hören oder reden. Ich geh nicht aus strategischen Gründen essen. Nur mit Leuten, die ich gerne habe und nicht nerven. Sitze also in der Kantine mit Blingbling, einer Kollegin, die von Hacke bis Nacke appliziert ist mit schauerlichem Glimmerzeug, aber sie ist ein Seelchen, man muss sie gern haben und so schimmert sie vor sich hin und wir erfreuen uns an unserem Schwatz. Wie aus dem Nichts segelt der Praktikant auf uns zu "Ich hab euch gar nicht gesehen!", empört er sich und setzt sich zu uns, ohne zu fragen, ob er stört. Ich nehme an, seine Eltern haben ihm eingetrichtert, dass er allerliebst und jedem Mitmenschen ein Quell der Freude ist. Wir gucken irritiert, unser Gespräch stockt, sind aber sowieso kurz vor dem Aufbruch. "Wir gehen dann mal." - Er sieht auf: "Dann geht mit Gott, aber geht." Häää?

Veranstaltung, ich steh am Empfang mit meinen Helferlein in einer Reihe. Bringe kurz einen VIP an den VIP-Tisch, komme zurück, da steht der Praktikant an meinem Platz. Rührt sich keinen Millimeter weg. "Würdest du bitte?" - "Der Dings hat gesagt, ich soll mich hier hinstellen." - "Aha. Jetzt bin ich aber wieder hier." - "Er hat aber gesagt, dass ich mich hier hinstellen soll, damit ich den Ablauf mitbekomme." Als ob man zwei Meter weiter weg den Ablauf nicht auch mitbekommen würde. Und was will man schon mitkriegen? Gäste kommen, Gäste gehen, so ist das Leben. Ich aber muss an mein Tablet, um sie elektronisch abzuhaken. Er rührt sich nicht vom Fleck, ich kann ihn schlecht vor allen Leuten mit einer Rechts-Links-Kombination niederstrecken. Ich quetsche mich dazwischen, er ruht stoisch wie ein Fels in der Brandung. Ich versuche, nicht zu schreien.

Ich steh in der Küche und schnippel Obst. Er schleicht sich von hinten ganz dicht ran, ich erschreck mich zu Tode, "Darf ich mal?" und zupft mir Haare vom Rücken. Ich dreh mich um und seh ihn mordlustig an. "Ich mein ja nur." 

Demnächst mehr in diesem Theater. Falls er überlebt.

Montag, 16. Februar 2015

Männerbekanntschaften 2

Als ich mich gerade so schön versenkt hatte in den sinnlichen Mund und mir immerzu Feuer geben ließ, in dieser menschenfreundlichen Kneipe, in der man rauchen darf, ging die Tür auf und ein weiterer Mann setzte sich an den Tisch. 

Ganz anderes Kaliber: groß, BMI suboptimal, längere Haare, aber auf eine unkleidsame Art, grimmiger Blick, wunderbar konterkariert durch je einen goldenen Armreifen an jedem Handgelenk. Solche Armreifen trug meine Mutter in den 70ern; ungewöhnlich für einen Mann seiner Statur im Jahre 2015 (Männer müssen zwecks Strahlkraft nicht zwangsläufig schön sein, aber wenn schon Schmuck, dann sollten sie sicheren Geschmack beweisen. Und natürlich gepflegte Hände).

Er begrüßte auch gleich die Frau, die neben ihm saß "Ah, die Nazi-Versteherin aus dem Osten!" Sie jammerte und erzählte, dass sie ein paar Tage zuvor hart angegangen wurde, weil sie die These vertrat, dass nicht jeder Pegida-Heini automatisch ein Nazi sei, nein, so könne man das nicht sagen, da seien auch ganz normale Leute drunter. "Fängste schon wieder an?" bellte er sie nieder. Sie wand sich und verstummte. 

Dann verstieg er sich mit dem sinnlichen Mund in eine Diskusssion über den Briefwechsel zwischen Wollschläger und Arno Schmidt und die "arme Alice" könne einem auch nur leid tun. Mein Blick ging von links nach rechts, als sähe ich einem Tennisspiel zu. Ich verstand nur Bahnhof. Die Frau fragte mich, ob ich wüsste, worüber die beiden reden, ich sagte, keinen Schimmer, was die zwei zum lachen brachte und der Goldjunge dröhnte "Wir machen das doch nur für euch!" 

Er wandte sich wieder an den sinnlichen Mund "Weißt du eigentlich, dass Karl May zur Hochliteratur gehört?" - "Unbedingt! Die haben doch seine ganzen Romane kindgerecht zusammengekürzt, bis nichts mehr von übrig war, wenn du die Originale liest..." - Sag ich doch!" - "Und dann kam dieses Schwein Rudolf Lebius und machte ihn fertig. Da hat er sich nie wieder von erholt." - "Genau. Zwingt der ihn vor Gericht, englisch zu sprechen, aber er konnte ja kein englisch." - "Furchtbare Sache. War der nun verrückt oder nicht?" - "Der war verrückt. Hat aber trotzdem gut geschrieben."

"Todesliste!" brüllte es von der anderen Seite des Tisches. "Romy Schneider, wenn ich das Stimmchen schon höre, dieses gewollt sanfte, kindliche. Grau-en-voll! Die kommt ganz oben auf die Todesliste!" Allgemeines Echauffieren über Romy Schneider schwappte zu uns rüber und die Frau gegenüber flüsterte "Sissi seh ich immer noch gerne." - "Und tot ist sie obendrein, ihr kann nichts mehr passieren", wisperte ich zurück. 

Der Goldjunge redete sich nun in Rage über seine finanziellen Verhältnisse "Ich hab ja Geld. Gebe ich gern zu. Hab ich kein Problem mit." und erzählte, wie er bei dem "berühmtesten Dingsbums der Welt", wohnhaft Central Park, Upper East Side, zu Gast war und im Fahrstuhl Dingens begegnete, die ihn freundlich fragte, ob er nachher auch auf der Party sei und da... da sei er schon beeindruckt gewesen, obwohl er eigentlich kaum noch zu beeindrucken sei. 

Inzwischen war ich mir sicher, dass ich das alles träume. 

Weiter ging die Tour de force zu Raumschiff Enterprise. Ich konnte auch mal punkten, weil ich den zweiten Vornamen von Capt'n Kirk wusste, Tiberius.Und als ich von der Anfangssequenz des Blade Runners schwafelte, da versprach mir der Goldjunge anerkennend, mich zum thanksgiving bei irgendeiner stinkreichen Erbin mitzunehmen, natürlich, natürlich, ich freu mich heute schon drauf, wie gut, dass ich den Blade Runner gut finde, lasst Männer meines Alters um mich sein!. Es sind die Kleinigkeiten, die entscheiden. Kurz darauf stand er auf und ging, er hätte zu arbeiten. 

Als ich gegen drei Uhr morgens an die Theke ging, um zu bezahlen, stellte sich raus, dass der Goldjunge bereits die gesamte Zeche übernommen hatte. Da freuten sich alle.

Männerbekanntschaften 1
Männerbekanntschaften 3

Samstag, 14. Februar 2015

Männerbekanntschaften 1

Seit zig Jahren bin ich in einem Lesekreis, der besteht bereits so lange, dass schon zwei weggestorben sind, allerdings weit vor der Zeit. Wenn alles seinen natürlichen Gang nimmt, werde ich alle überleben, ich bin die Jüngste. Von der Nächstälteren trennen mich 10 Jahre und die Älteste hat 23 Jahre mehr auf dem Buckel als ich. Ich bin ja gerne die Jüngste, lange Zeit meines Lebens war ich das auch, aber nun ist der Lesekreis der einzige Ort, an dem ich das definitiv einzig anwesende Küken bin und zum Beweis benehme ich mich dann auch gleich so.

Ich unterhalte die Damen gerne mit prickelnden Details aus meinem fabelhaften Leben und heute erzählte ich ihnen von einem außergewöhnlichen Mann, den ich kürzlich kennengelernt habe. Außergewöhnlich deshalb, weil er völlig gegensätzliche Wesenszüge in sich vereint: er sammelt Kunst und Bücher (er kauft 40 Exemplare ein und desselben Buches und wenn ihn jemand bittet, ihm eins davon zu geben, rennt er am nächsten Tag los und kauft eins nach, damit es wieder die ursprünglichen 40 Exemplare sind) und arbeitet als Programmierer, er entwickelt Apps.

Jetzt stellt man sich so einen verschrobenen Nerd vor, ist er aber nicht, er hat so ungefähr den sinnlichsten Mund ever, erzählt lebhaft und selbstironisch von seinen manischen Büchereinkäufen und lacht sehr viel und herzlich. Obwohl er nicht raucht, zückt er sofort sein Feuerzeug, wenn sich jemand eine Zigarette anzündet, er hält das für einen notwendigen Akt der Höflichkeit und außerdem liebt er den Duft von Rauch. Er wirkt vollständig dem Leben zugewandt, aus seiner Passion leite ich jedoch das Gegenteil ab.

Dann fragen die Damen natürlich gleich, ob der nicht was für mich wäre. Das wird man als Single immer gefragt, sobald man von einem Mann erzählt, was ich nervtötend finde, weil nicht jeder interessante Mann auch gleich zum Objekt der Begierde taugt. Der Mann an sich ist nicht automatisch eine Option, leider, ganz im Gegenteil, Weihnachten ist öfter als die Verlieberei. Was interessant ist, ist oft auch schräg, weit weg von mir, weshalb ich es ja so interessant finde, erzählenswert, aber der Sektor den-will-ich-haben wird deshalb nicht zwangsläufig berührt.

Um die Damen nicht mit meiner Genervtheit zu konfrontieren und dem Abend damit eine unnötige Schwere aufzuerlegen, sage ich: "In seiner Wohnung gibt es nichts was rot ist, aus Prinzip - deshalb wird es keine gemeinsame Zukunft für uns geben, denn in meiner Wohnung ist sehr vieles rot, abgesehen davon, dass ich am liebsten rote Getränke zu mir nehme."

"Der ist ja verrückt!" tönt es unisono. Mag sein. Aber auch nicht verrückter als der Mann der einen, der Pathologe ist. Da muss man ja auch irgendwie für geboren sein. Einen Mann, der tagsüber an Leichen rumschnippelt, möchte ich nachts nicht neben mir liegen haben. Nachher träumt der mal schlecht und filettiert mich versehentlich.

Dienstag, 10. Februar 2015

Time is money

Jeden Abend, wenn ich das Büro verlasse, teste ich, ob Gott mich liebt. Ich hol mein Handy aus der Tasche und tippe auf die App "Drive now". Meistens habe ich Pech. Von allen Göttern verlassen gehe ich dann zur Bushaltestelle und ergebe mich in mein Schicksal. Schon fünf Monate habe ich kein Auto mehr und das ist länger, als alle Freunde und ich selbst mir zugetraut haben. 

Heute hatte ich Glück. 500 Meter entfernt steht eins. Ich könnte jetzt auf "reservieren" tippen, bin aber zu geizig, denn die Zeit, die ich dahin latsche, muss ich auch schon bezahlen. Es wird nicht nach Kilometern abgerechnet, sondern nach Zeit, die man den Wagen occupiert. Nachher bricht mir jemand ein Bein, ich werde vom Krankenwagen eingesammelt und habe hernach nichts mehr zu vererben, weil ich die Reservierung nicht mehr rückgängig machen konnte.

Nachteil: ich stand schon mal vor einem Wagen, fummelte umständlich die Chipkarte raus und da reserviert doch in der Sekunde jemand aus der Ferne, herzlichen Glückwunsch. Seitdem trage ich die Karte zwischen den Zähnen, sobald ich das Haus verlasse. Ich bin ja nicht blöd.

Ich komme an, der Himmel blieb mir gnädig. Ich steige ein und entspanne augenblicklich. Endlich mal wieder in meinem natürlichen Lebensraum. Ich fahre, also bin ich. Aber nur kurz, leider fahren ja auch andere und die sind immer im Weg und schleichen durch die Gegend. Ich werde arm wie eine Kirchenmaus wegen dieser Bekloppten, die seelenruhig die Straßen verstopfen.

Diese brandneuen Minis haben alles, was man sich wünscht, nur keine Uhr. Die Uhrzeit ist wichtig, weil ich dann die Centstücke vor meinem inneren Auge fallen sehe, direkt in die Portokasse der BMW Hauptzentrale.

Die erste Ampel ist geschafft, die zweite folgt sogleich, wen wundert's, wir sind in Berlin, zügig geht woanders, hier ist immer Stau. Vom Geiz zerfressen wechsel ich auf die Busspur, die ist wie für mich gemacht, ich rase über die dunkelgelbe Ampeln, was soll's, um die Zeit haben Kinder nichts auf der Straße verloren, Geschichte wird gemacht, es geht voran. 

Ich muss in die Eisen, weil ein Gehirnamputierter ausparkt, hab ich ihm das überhaupt erlaubt? Wieder so eine Blindschleiche vor mir und für Überholmanöver ist der Gegenverkehr zu ignorant, wo wollen die nur alle hin?

Endlich ruhigere Gefilde, kaum Ampeln, Zeit für Kontemplation, mein Atem wird gleichmäßiger, hm, die Rückenlehne hatte ich vergessen einzustellen, wo verdammich ist diese Kurbel? Ich sitze wie ein Affe auf dem Schleifstein, was sollen denn die Leute denken? Ich fummel hier, ich fummel da, mein Missempfinden steigert sich ins Unermessliche, scheiß der Hund drauf, da ist auch schon die letzte Ampel und nach dieser muss ich nur noch einen Parkplatz suchen. 

Die Ampelphase dauert. Und dauert. Und dauert. Ich werd verrückt, die überspringt eine Grünphase, ich werd mir bald nichts mehr zu essen kaufen können. Experimente beim Veganer? Nicht mehr drin.Tröpcheninfektionen beim Friseur? Nie wieder. Die gibt's nur noch gratis im Kollegenkreis.

Schweißgebadet steige ich aus, mein Handy macht pling, Guten Tag, danke, dass du Drive now benutzt hast, wir werden 9,83 € einziehen. Zeit gespart? Nö. Das Gelatsche zum Auto und von dort zur Wohnung (wohne ja außerhalb des Geschäftsbereich) dauert solange wie die Busfahrt. Ich bin ja wohl blöd. 

Montag, 9. Februar 2015

Generation Praktikum

Wir haben einen neuen Praktikanten (Jedes Mal, wenn ich die Bewerbungsunterlagen sichte, denke ich, Jesus Christus bewirbt sich - was die in ihren jungen Jahren schon alles gemacht haben... und unsereiner ist immer noch bewegt, dass er es aus einem Kaff in Niedersachsen nach Berlin geschafft hat).

Dieser hier ist schon äußerlich eine Marke für sich: eine Mischung aus aufgepumpten Muskeln bei gleichzeitiger Verfettung und seine Attitude ist die eines servilen Klassenkaspers. Sein zweiter Name ist proaktiv. Das muss er mal irgendwo aufgesaugt haben, dass das eine gaaanz wichtige Eigenschaft ist im Kampf um eine Festanstellung. 

Ich finde dieses Praktikanten-verfeuern unsäglich. Wenn genug Arbeit da ist, soll man ihnen verdammt noch mal einen Arbeitsvertrag mit vollem Gehalt geben, wie sich das gehört. Dass da also jemand alles versucht, um endlich zum bezahlten Personal zu gehören.. geschenkt.

Der Neue übertreibt ein wenig. Wenn man ihm sagt "Kommst du nachher mit in die Konferenz?", weil ein Praktikant alles sehen soll, was wir zu bieten haben, dann ist er nicht mehr in seinem Zimmer, wenn man losgehen will. "Wo isser denn?" Unauffindbar. Ich geh also allein los und wen seh ich da, interessiert in der Nähe der Teilnehmer stehend, die nicht wissen, was sie mit ihm anfangen sollen? Der Kugelblitz.

Was macht der hier? "Ich wollte pünktlich sein und da bin ich schon 5 Minuten früher los." - "Hömma, alleine loslaufen is nich, noch nicht. Wenn ich sage, kommst du mit, dann heißt das, du kommst mit." - "Hattich so nicht verstanden." Dann wechselt er ins Vater-Fach mit therapeutischem Timbre. "Du kannst mich jederzeit ausbremsen, das ist schon okay." Wirklich? Dann bin ich ja beruhigt.

Ich schlepp ihn mit zum Empfang, ich geb die Grüßaugustine und da soll er dabei sein. Nun gibt es auf jeder Veranstaltung die sogenannten Fresser. So werden Männer im Spät-Winter ihres Lebens bezeichnet, die weder eingeladen wurden, noch etwas beizutragen haben, aber dank eines ausgeklügelten Berliner-Fresser-Netzwerks immer Wind davon bekommen, wenn es irgendwo umsonst Häppchen gibt. Aus Greisenhänden werden einem Presseausweise unter die Nase gehalten und man muss ihnen sinnlose Fragen stellen, in wessen Auftrag sie kommen, für wen sie zu schreiben gedenken, dann werden einem Websites genannt, die nicht existieren und dann wird mit wichtiger Miene erzählt, dass das Internet gerade kaputt ist... es ist ein Kreuz.

Es kommt ein allseits bekanntes, betagtes Opachen die Treppe heruntergewankt und da ich ihn nicht so herzlich begrüße wie die anderen zuvor, übernimmt, bevor ich Piep sagen kann, der Praktikant das Ruder. Warmherzig erklärt er ihm, die 'vergessene' Einladung sei überhaupt kein Problem, er solle sich nur auf dieser Liste eintragen und dann viel Vergnügen. Ich steh mit Schnappatmung daneben. 

"Hömma, du bist gerade mal 20 Minuten bei uns und hast keinen Schimmer von gar nichts, bitte einfach nur gucken und lernen." - "Ja, aber wenn der mich so freundlich grüßt, dann muss ich doch freundlich zurückgrüßen." - "Kein Mensch hat was gegen Guten-Tag sagen, aber du entscheidest nicht, wer hier rein kommt, vielleicht in drei Monaten, heute noch nicht."

Er schluckt. Und findet zurück zur Familienaufstellung nach Hellinger. Streckt sich und sagt mit säuselnder Stimme  "Ich seh schon, ich erhöhe deinen Stresslevel. Das tut mir echt leid. Das darf nicht passieren. Botschaft verstanden. Du darfst mich ausbremsen, wann immer du es für nötig hältst. Das ist schon okay."

Darf ich das? Dann ist ja alles gut.

Sonntag, 8. Februar 2015

Die Kinder von Golzow

Kennt jemand diese Langzeitdokumentation?

http://www.kinder-von-golzow.de/

Früher wurde die ab und an mal die ganze Nacht auf RBB gezeigt und wann immer ich das Glück hatte, zufällig reinzuzappen, sind das schlaflose Nächte geworden, weil ich mich dem Sog der ungeschulten Sprecherstimme, den langen Einstellungen und den oft stockenden Erzählungen der Schüler und später jugendlichen und erwachsenen Protagonisten nicht entziehen konnte. Es wurde nichts kommentiert, nur gezeigt. So gut wie alle Lebensverläufe sind mehr oder weniger missglückt. 

Vor einiger Zeit war ich auf einer Veranstaltung, auf der ich im Vorbeigehen den inzwischen uralten Regisseur Winfried Junge erkannte (ich hab ein umfassendes Gedächtnis für so einen Kram, während ich den Namen eines jeden, der mir vorgestellt wird, augenblicklich wieder vergesse). Praktisch im Affekt sprach ich ihn an und schwärmte in epischer Breite von meinen durchwachten Nächten. "Das ist aber ungewöhnlich für jemanden, der nicht aus dem Osten kommt." 

Und wie ungewöhnlich erst, dass im Osten sozialisierte Menschen auch heute noch jeden Wessi aus 20 Kilometer Entfernung riechen. Mir gelingt das nur, wenn er aus Sachsen kommt oder in den ersten fünf Sätzen irgendwas mit "Meine Mutti" zum Besten gibt. "Urst" sagt ja kein Mensch mehr.

Verkackt hab ich's trotzdem, als er erkennbar erfreut einen Mann zu sich winkte und ihn mir begeistert vorstellte "Das ist der Jürgen." Jürgen, Jürgen, brat mir 'nen Storch, muss ich den kennen? Offenbar, denn seine Gesichtszüge froren ein und Jürgen sah mich hilflos lächelnd an. Ich begriff, Jürgen war eins der Kinder von Golzow, aber so genau hatte ich die Mitwirkenden nun auch wieder nicht auf der Kappe. Ist mindestens schon 10 Jahre her, dass ich das letzte Mal beim Zappen Glück hatte. So herzlich ich dann Jürgen auch begrüßte, mein Fauxpas war nicht mehr gutzumachen.

Dass sich gewisse Animositäten zwischen Ost und West bis heute nicht aus der Welt räumen lassen, daran habe ich wohl meinen Anteil. Das Gegenteil von 'gut' ist und bleibt 'gut gemeint'.

Donnerstag, 5. Februar 2015

Nackte Nachbarn

Anästhesisten verzeihe ich so einiges. Selbst, wenn sie bei meinem Anblick im OP "Ach du Scheiße!" rufen, was aber nur daran gelegen hat, dass ich die beste Freundin der Schwester seiner Frau war und er es nun mal hasste, Freunde oder Verwandte ins Schlummerland zu schicken, was wunderbar korrespondierte mit seiner zunehmenden Angst, fremde Menschen zu betäuben, überhaupt irgendjemanden zu betäuben, fiel ihm von Tag zu Tag schwerer. (Außerdem sind das hinterher immer die schönsten Erinnerungen "Und dann komme ich in den OP und da ruft jemand 'Ach du Scheiße' und ich dreh mich um und seh in sein entgeistertes Gesicht, ein Träumchen sag ich, und dann sag ich 'Steht's so schlimm um mich?' - "Quatsch, die Galle macht bei uns der Hausmeister, reg dich nicht auf"... aber zurück zum Thema.)

Wenn also jemand Anästhesist ist oder war, es aber durch widrige Umstände geschafft hat, in praktisch jederlei Bezug zur persona non grata zu werden, dann wendet man sich nicht nur mit Grauen ab, sondern ins Grauen mischt sich gewissermaßen eine anerkennende Würdigung seiner von Tragik umflorten Lebensgestaltung. Immerhin war er früher mal Anästhesist. Der, der mich heute früh mit einem lauten Poltern direkt aus dem Bad vor meine Wohnungstür lockte.

Ich putzte mir gerade die Zähne, als es im Hausflur rummste. Ich öffnete erschrocken die Tür und zu meinen Füßen lag der Nachbar, der es geschafft hat, in sieben Jahren kein einziges Wort mit mir zu wechseln, dicht wie eine Haubitze, nur in eine Schießer-Feinripp gekleidet und eine Mülltüte umklammernd, moserte er mich an "MahannsedeDürssu, ssofohd, Dürsssuuuu!" - "Aber, kann ich..." - "Düüüürssuuu!"

Seine Schießer-Feinripp kenne ich, damit sitzt er immer auf dem Balkon und grüßt nicht zurück. Wie eine Sphinx sitzt er in der Sonne, braungebrannt, weißes Haar, stumm, Hass im Blick. Ich habe ihn noch nie auf der Straße oder im Hausflur getroffen. Sein Lebensgefährte redet dafür um so mehr. Jeden neuen Mieter warnt er vor den entsetzlichen Zuständen in unseren Haus und dass es nicht mehr lange dauert bis zu ihrem Auszug, wegen der unzumutbaren Gesamtsituation, von der ich noch nichts gemerkt habe. Meine Vermieter schicken mir zu Weihnachten Briefe mit guten Wünschen für mein berufliches und privates Glück und packen noch Schokolade rein, was ich eher für paradiesisch halte.

Jedenfalls gehorchte ich ihm und schloss die Tür. Er war ja früher mal Anästhesist. Und so ein bißchen Autorität strahlte er immer noch aus, in seinem beklagenswerten Zustand zu meinen Füßen. Ich horchte hinter der Tür und überlegte, die Feuerwehr anzurufen, aber dann krosch sich seine herbeigeeilte bessere Hälfte schon in Rage "Was machst du denn da? Was sind denn das für Zustände hier?" 

Da haben wir's wieder, eine lupenreine Projektion. Ausziehen will er schon, wegen der Umstände. Aber seine Umstände nimmt man eben immer mit.

Mittwoch, 4. Februar 2015

Auftragsmörderin

Tjaa, kaum einen Monat hier, schon übe ich mich im Empfehlungsmarketing:

https://auftragsmoerderin.wordpress.com

Ist ein Blog, nee, ein Blog-Baby, gerade mal einen Tag alt, aber ihre Besitzerin werde ich nicht müde als "meine Grimme-Preis-Freundin" vorzustellen - die Landpomeranze in mir ist  übermächtig und bricht sich bei jeder Gelegenheit Bahn, obwohl ich nicht mal Tatort gucke oder Krimis lese.  

Kennt jemand den Tatort "Nie wieder frei sein"? Ihr Werk. Ihr zuliebe habe ich ihn mir angesehen und sah sie danach nachdenklich an. Wie kommt man nur darauf, sich so etwas auszudenken? Und wie eklig der Mörder war. Und die Staatsanwältin auch. Und wie gut zu erfahren, dass die im wahren Leben total nette Leute sind. Aber ich greife vor. Es sind ja IHRE Hintergrundinformationen, nicht meine. 

Also Dinah: Glück auf. Petri Heil. Oder was man sonst so sagt in der Filmbrangsche.



Montag, 2. Februar 2015

Olli allein zuhaus


Olli ist vor zwei Jahren direkt gegenüber eingezogen. Wieder eingezogen. Es ist sein Elternhaus, er hat nur sechs Jahre seines knapp 50jährigen Lebens außerhalb des Dunstkreises seiner Eltern gelebt. Er kam jeden Tag nach der Arbeit vorbei, denn Mutti kochte für ihn und quartierte ihn anschließend auf der Terasse ein, hüllte ihn in eine Decke und befahl ein Nickerchen. 

Vatti schnitt derweilen den Rasen mit der Nagelschere. Zweimal im Jahr fuhren die drei einträchtig in den Urlaub und Sonntags machten sie Ausflüge in die nähere Umgebung. Sie tragen alle drei grudegraue Gesichter und schlammfarbene Kleidung, nur manchmal schleicht sich ein verwegener schlamm-lila Ton in die diversen Ensembles.

Von uns allen unbemerkt zogen die Eltern eines Tages aus, in die Wohnung ihres Kronensohns und Olli zog in das Elternhaus. Große Ereignisse warfen ihre Schatten voraus. Riesiges Gerät parkte vor dem Haus auf der Straße, über die Länge des Gartenzauns und direkt vor meinem Haus wurden Halteverbotsschilder aufgestellt. Kein Stein blieb auf dem anderen. Vatti bewachte tagein, tagaus die Handwerker. Er ließ es sich nicht nehmen, ein großes Schild am Zaun aufzustellen, das jederman informierte, dass er der Bauherr ist. 

Zusätzlich wurden Kameras aufgestellt, um die Gewerke lückenlos zu überwachen. Das brachte die direkten Nachbarn auf den Plan, denn dass auf den Hammergrundstücken nichts mehr unbemerkt blieb, erschien pathologisch. Die Kameras wurden neu justiert und fokussiert, Kopfschütteln blieb. 

Als alles fertig war und wir wieder unsere Ruhe hatten, sah man fortan Olli den Rasen mit der Nagelschere schneiden, tagsüber patroullierten weiterhin seine Eltern übers Grundstück und schnippelten beflissen alles weg, was Olli übersehen hatte.

Kein Blatt passt zwischen die Drei. Auch keine Frau für Olli. Er hat furchtbare Angst vor Frauen, was bei den Erfahrungen mit seiner energisch zupackenden Mutter auch kein Wunder ist. Letzten Sommer parkte plötzlich ein Mercedes Cabrio vor seinem Gartentor und ein Traum von Frau stieg aus. Sie klingelte, beide stiegen in ihr Auto und fuhren weg. 

Später am Abend kamen sie zurück, beide stiegen aus und er zeigte ihr irgendwas Weltbewegendes in seiner Garage. Sie tänzelte um ihn herum, er wich immer wieder zurück, sie blieb ihm auf den Fersen - wir fragten uns, was will sie von dem schlammfarbenen Olli und wo hatte sie ihn aufgetan?

Ist es sein mit Erdwärme beheiztes Haus? Kann Olli Kunststückchen, die außerhalb unserer Vorstellungskraft liegen? Jedenfalls wiederholte sich dieser Tanz vor seiner Garage einige Wochen. Es war nichts zu machen. Sie rückte ihm auf die Pelle, er wich panisch zurück. Sie gurrte, er stammelte. Ins Haus durfte sie nie und dann gab sie auf.

Olli fand nach diesem Ausflug in die Welt der Beziehungsanbahnung wieder zurück zu seiner einzigen Leidenschaft, dem vertikutieren. Er kaufte sich einen Rasenmäher-Roboter und der nervte uns den Rest des Sommers mit leisem Gebrumme, Tag und Nacht, bis wir uns durchsetzten "Olli, nicht nach 20 Uhr, das geht wirklich nicht."

Zu seiner Entschuldigung klingelte er ein paar Tage später bei allen umliegenden Nachbarn und schenkte jedem strahlend ein Foto. Er hatte sich nämlich eine Drohne bestellt, mit der er Luftaufnahmen seines Grundstückes und auch gleich der Nachbargrundstücke hatte machen lassen. Er sah allenthalben in betretene Gesichter, seine Begeisterung konnte niemand teilen. "Ich mein, wenn man schon mal eine Drohne hat", erklärte er. "Und wo ist die Drohne jetzt?" - "Wieder weg." Wir glaubten ihm nicht. 

Außerdem hat er auf einen abgeschnittenen Baum eine riesige, lebensechte Eule installiert. Wir fühlen uns von dem Viech beobachtet. Die Richtmikrofone müssen wir noch finden.

Sonntag, 1. Februar 2015

Mein Dealer aus Stockholm

"Möchtest du schlafen und keine Angst haben oder wach sein und keine Angst haben? Ist alles möglich" 

Seit Menschengedenken arbeiten sich Freunde und Lebensabschnittsgefährten an meiner Flugangst ab. Ich bin hornalt und habe noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Selbst innige Liebe ist kein Ansporn. Mein Ex-Ami häte mir gerne seine Heimat Dallas gezeigt, die Hochzeit meiner besten Freundin in Maine habe ich nicht miterlebt, alle meine LAGs mussten mich so doll lieben, dass sie ihren Urlaub an der Ost- und Nordsee verbringen, ohne Klagelieder zu singen, an den innereuropäischen Betriebsausflügen zu Pfingsten und anderen verlängerten Wochenenden nehme ich nicht teil und ehrlich gesagt, mir persönlich fehlt rein gar nix. Ich find's schön auf Hiddensee oder in Dänemark.

Aber zu einer urbanen, modernen Persönlichkeit gehört fliegen dazu und da versage ich kläglich. Allein der Gedanke, mich in so ein Ding zu setzen... Ich vertraue der Technik, habe keine Angst vor Entführungen, stelle es mir schön vor, die Welt von oben zu sehen und in einer Großstadt nachts zu landen, triebe mir wahrscheinlich ergriffen Tränen in die Augen. 

Ich hab nur ein Problem: ich kann da nicht raus. So oft ich mir vorstelle, wie sich die Tür schließt, dreh ich im Geiste gleich schon mal durch. Ich würde es schaffen, in 10.00 Meter die Tür zu öffnen, um mal an die frische Luft zu kommen, das walte Hugo. Die müssten mich mit einem Vorschlaghammer narkotisieren, um mich zu hindern. Und dann werde ich einen Herzinfarkt bekommen, weil sie mich nicht mit einem Hammer beruhigen, sondern wahrscheinlich knebeln und fesseln und mein Puls wird konstant bei 250 bleiben und das hält kein Mensch lange durch, das weiß man doch und dann werde ich sterben. 

Zurück zum Dealer. Ein Mediziner, ein Fachmann, der Liebste einer Freundin. Lebt in Stockholm, zieht aber dieser Tage zurück nach Berlin. Und macht mir dieses Angebot. Ist wirklich der Meinung, es gibt Pillen, die mich im Zaum halten. Ich für meinen Teil denke, er ist naiv, diese Pille muss erst noch erfunden werden, die kann es gar nicht geben. Aber er ist sich ganz sicher. Ich kann  schlafen oder wach sein und werde keine Angst haben. Aber was ist, wenn er sich täuscht?