Samstag, 21. Februar 2015

Fifty ways to stay alone



Bei dem Wetter kann eine Frau in mittleren Jahren nicht anders, als in den Selbstfürsorge-Modus zu schalten, sonst wird sie für den Rest des Tages ihres Lebens nicht mehr froh. Letztes Wochenende habe ich die Laufsaison eröffnet, mehr als 10 Minuten am Stück joggen war aber nicht drin. 

Heute ging’s besser, 25 Minuten halte ich durch, aber da passiert es: ich höre mein Herz im Kopf klopfen (wie immer auf der linken Seite). Ich erstarre zur Salzsäule. Das Aneurysma, da ist es wieder. Oder ein Tumor. Zufallsdiagnose beim Laufen, wer kennt das nicht?

Mir wird schlecht vor Angst, schwindelig, Adrenalin flutet mich, wie schaffe ich nur die zwei Kilometer zurück? Hypochondrie macht aus einer eben noch vernunftbegabten Frau innert Sekunden ein menschliches Wrack am Abgrund. Einige Körperfunktionen stellen ihren Dienst ein, andere drehen am Rad. 

Kurz vor meinem sicheren Ende kommt ein Läufer rechts von der Wiese auf mich zu, gesellt sich zu mir „Na, ist das nicht ein herrliches Wetter?“ 

Das Leben verarscht mich mal wieder. In letzter Sekunde schickt es mir einen Mann, dem ich bestätigen soll, wie schön das Wetter ist. Mir. Ungeduscht, ungeschminkt, mit fettigen Haaren. 

„Ja, aber ganz schön anstrengend."
„Stimmt. Aber macht auch Spaß, oder?
„Und wie! Es macht so einen Spaß. Man muss es sich nur einreden.“
„Sind Sie Ski-Läuferin?“
Ich lache „Wonach sieht’s denn aus?“
„Es sieht ganz danach aus.“

Verdammt, der will reden. Blind ist er auch. Und nett. Und sieht gut aus. Ein Sechser im Lotto, in meiner Sterbestunde. Mein Herz hämmert. Gleich fall ich um. Ich kann nicht gleichzeitig sterben und einen Mann kennen lernen. 

Er geht weiter neben mir her, sieht mich freundlich an. Ich wechsle in die Schnappatmung und habe alle Mühe, das zu verbergen. Mit mir geht es unaufhaltsam zu Ende und ich möchte mich jetzt ungestört meinem locked-in-Syndrom überantworten. 

Das lässt er nicht zu und bleibt weiter zugewandt. Er macht alles richtig. Ich mach alles falsch, aber immerhin gehöre ich ja auch ins Hospiz. Herrje, meine Skifahrer Karriere, zu spät, was hätt' nicht alles aus mir werden können. Mir gelingen irgendwie Antworten, die einen kläglichen Rest meines eigentlich wachen Geistes erahnen lassen. Die rudimentären Reste schrecken ihn nicht.

„Laufen wir zusammen weiter?“
„Das geht nicht, ich bin zu langsam.“
„Wollen wir’s nicht versuchen?
„Nein, wirklich, aber danke für den Plausch.“
„Vielleicht sieht man sich mal wieder?“
„Das wär schön.“

Er läuft los und ich rufe „Sie sind aber schnell!“
Er stoppt, dreht sich um „Wollen Sie doch mitlaufen? Letzter Versuch?“
Ich winke ab, so freundlich man eben in Agonie lächeln kann.

Ich bin allein und kann mich meinem Hirntumor widmen. 

Nachdem ich die kleine Krise überwunden habe und mein Verstand wieder einschaltet, weiß ich, dass ich für den Rest des Tages meines Lebens nicht mehr froh werde.

3 Kommentare:

  1. Jau ... der könnte von mir sein! Da hülfe nur, immer wieder die gleiche Strecke zu laufen, geschniegelt und gestylt ... und ihm dann ggfs. wieder zu begegnen und ihn mit Mascara und Marathonqualitäten zu becircen ;-))

    So'n Driss, dass frau in der Situation immer erstmal auf der Leitung Platz nimmt, anstatt zu schalten :-(

    AntwortenLöschen
  2. Beim sporadischen Frühlings-Joggen ist ja auch der letzte Zeitpunkt, an dem frau einen Mann (auch noch einen sportlichen) kennenlernen möchte. Hochroter Kopf, keuchend und schwitzend, dabei die Füße mit Elektromagneten mit dem Erdkern verbunden.
    Ich verschanze mich immer hinter einer überdimensionalen Sonnenbrille, leider verdeckt die nicht die periorale Blässe, die sich bei mir nach 30 Sekunden einstellt. :/

    AntwortenLöschen
  3. Das gönge alles noch, aber ich war am sterben, dabei geht jede Souveränität futsch.

    AntwortenLöschen