Mittwoch, 27. September 2017

Mein Vater

Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich eines Tages erfahren werde, dass mein alter Herr nicht mehr unter uns weilt, wahrscheinlich einige Wochen nach seiner Beerdigung, ohne die Möglichkeit, Abschied zu nehmen. Das liegt an Maike Kohl-Richter seiner Frau.

Abseits dessen ist es gelebte Familientradition, dass man auf keinen Fall Nachricht bekommt, um "niemanden zu beunruhigen". Und so habe ich einige meiner Altvorderen um Stunden oder Tage verpasst; es wäre noch Zeit gewesen, sich schnell ins Auto zu setzen, aber andere entschieden, die innerfamiliäre Tradition nicht zu brechen. Schon einige Male war ich weiß vor Wut, dass mir diese Entscheidung abgenommen wurde.

Anyway, ich wusste also immer, der Tag wird kommen und vorher werde ich ihn nicht mehr sehen, weil schon immer alles recht schwierig war mit ihm und im letzten Jahr um diese Zeit ein Telefonat der Schlusspunkt war (obwohl ich mich lange nicht entscheiden konnte, ob das nun eine beginnende Demenz gewesen ist oder doch nur altersbedingte Unlust, aus seinem Herzen weiterhin eine Mördergrube zu machen). 

Aber wie reagiert man, wenn ein Anruf kommt, der von einem äußerst dramatisch auftretenden Krankheitsgeschehen berichtet; nicht von ihm selbst natürlich, denn - ganz alte Schule - hatte er eine Nachrichtensperre verhängt.

Die hat er nun aufgehoben und ich erfuhr aus informierten Kreisen, dass er in den letzten Wochen einen Leidensweg hinter sich gebracht hat, den vorzustellen mir das Herz bricht - vor allem deshalb, weil er so nüchtern wie mitleidlos mit sich selbst darauf bestand, das allein mit seiner Frau durchzustehen. Offenbar war er aber überzeugt, dass es ihm wieder besser gehen würde, der Tag also kommen wird, an dem er das Informationsverbot höchstpersönlich wieder aufhebt - was dann auch wieder typisch für ihn ist. 

Ich brauchte über eine Woche zur Entscheidungsfindung: nehme ich Kontakt auf oder nicht? Wieviel Zeit bleibt mir noch? Und wie wird er reagieren? Tu ich das für mich oder für ihn? Sollte ich nicht einfach aufgeben, loslassen, akzeptieren, kapitulieren? Kapieren, dass es manchmal keine Antworten gibt und auch keinen Abschied?

Am Ende stellte ich mir nur noch eine Frage. Wie werde ich damit klarkommen, wenn es zu spät ist und ich keinen Versuch gemacht habe, ihn zu sprechen?

Ich rief ihn an, ängstlich, was mich erwarten würde. 

Er hat sich echt gefreut und nun höre ich die Geschichte aus seinem Mund. Mein ewig berufsjugendlicher Vater, der auch mit knapp 80 keinen Tag älter als 65 aussieht, auf seine alten Tage behinderten Kindern das Schwimmen beibringt (während er uns seinerzeit ins Wasser geschmissen hat, weil er davon ausging, dass wir schon nicht untergehen würden) und noch im Sommer meiner Nichte vorführte, wie man mit Köpper ins Wasser springt und das gesamte Becken durchtaucht (obwohl es ihm schon reichlich dreckig gegangen sein muss), dieser unverwüstliche und von jeglicher Selbstreflektion, Reue und Schuldgefühlen befreite Mann hat nun drei Bypässe und eine neue Aortenklappe. 

Er ist ganz plötzlich herzkrank geworden. Sozusagen ein Zufallsbefund, denn er lag auf dem OP Tisch wegen einer anderen Sache, als sein Herz ernstlich schlappmachte, genauer gesagt, den Dienst einstellte. Und dann ging die Scheiße erst richtig los. 

Er wollte nach dem aufwachen gleich nach Hause, klar, aber das konnten sie ihm ausreden. Der Kardiologe sagte, er muss in spätestens vier Stunden operiert werden, die ihn aufpäppelnden Ärzte sagten, frühestens in vier Wochen. Man einigte sich auf acht Tage. Er hat's überstanden. 

Unkraut vergeht nicht, sagte er mir. Da hätte ich gerne ein bisschen mehr von ihm.

Dienstag, 19. September 2017

Gute Stühle, schlechte Stühle

Trump will Nord Korea kaputtmachen, ich muss das verdrängen und bleibe gedanklich streng in meinem Mikrokosmos.

Heute musste ich in eine Senatsverwaltung.

Ehrlich gesagt habe ich immer noch so eine Vision von mir, wie eine berufliche Veränderung mich in eine muckelige kleine Verwaltungsbude verschlägt, wo mein Büro in einem langen Gang hinter einer der zahlreichen und immer knallenden Holztüren versteckt liegt, drinnen möbliert aus Resten einer vorherigen imperialen Zeit, als Chefs noch Brillen trugen wie Jaruzelski und alles riecht nach Bohnerwachs und wenn ich hinter dieser Tür verschwände, würde keiner mehr was von mir wollen und ich könnte in Ruhe ein von der Welt unbehelligtes Faktotum mit einer Bi-Color-Frisur werden. 

Als ich den Raum betrat, mit zwei Kollegen, standen drei unterschiedliche Stühle um den Schreibtisch, zusammengeschleppt aus den Nachbarbüros, damit wir nicht stehen müssen.

Mich traf der Blitz.


Man sieht das auf dem Foto nicht so genau. Ein einladender Stuhl, groß und samtig und puristisch. Der muss mal im Büro eines Bezirksbürgermeisters, wenn nicht sogar eines Senators gestanden haben: seine besten Zeiten hinter sich, aber immer noch... glanzvoll.

Allein: es setzte sich sofort der Kollege drauf, der andere ergatterte sich den Drehstuhl und ich nahm auf einem klapprigen Holzstuhl Platz, obwohl ich mit dem Rad gekommen bin, wegen der Sonne und weil nichts soviel Spaß macht, als an einem warmen Herbsttag den 17. Juni runterzuradeln, durch das Brandenburger Tor und später dann auf der Leipziger Straße entlang (ab da macht es dann allerdings keinen Spaß mehr). 

Ich hätte es also verdient auf diesem Stuhl zu sitzen. Nachdem die Besprechung beendet war, fragte ich nach dem Stuhl, ob der wohl zu verkaufen wäre. Nein, sagte unser Gastgeber, der ist nur zu verschenken und es stehen noch drei Stühle nebenan, ob ich auch vier nehmen würde. Sprach's und rief sofort die Dame an, die für's Möbelverschenken zuständig ist. Glücklich kam sie angerast, Sie wollen die wirklich haben, aber gerne doch, alle vier, na klar, wir sind froh, wenn wir sie nicht entsorgen müssen, aber Sie müssen sie selber abholen. Deal, sagte ich zu ihr aufschauend, denn inzwischen saß ich festgeschmiegt auf dem Stuhl, der sich perfekt anfühlte. 

Perfekte Stühle werden allgemein unterschätzt, aber nicht von mir. Bequem sitzen ist so wichtig, ich sag das immer wieder, aber ich gebe zu, dass ich keinen anderen Menschen außer mir kenne, dem das so ein Herzensanliegen ist. Freunde behaupten, das habe bei mir pathologische Züge. Ich antworte denen, ich halte eine Menge aus, manchmal viel mehr, als andere auszuhalten bereit sind, aber bei Stühlen hört die Freundschaft aus. 

Mit sowas darf man mir nicht kommen

Euphorisch radelte ich zurück in mein Büro. Da sollen sie nämlich hin, um den Besprechungstisch drapiert. Mal sehen, was unser Facility Manager dazu sagt, bestenfalls hält er mich für bekloppt und lässt mich gewähren. Falls nicht, kommen zwei in meine Küche und die anderen zwei verschenke ich weiter, aber nur in gute Hände.