Donnerstag, 28. Juni 2018

Wie aus kurzen Affairen lange Freundschaften werden

"Gefangen habe ich mich dann erst wieder, als ich nach sechs Wochen aus der Geschlossenen rauskam", sagt er.

"Du warst in der Geschlossenen?"

"Habe ich dir das nie erzählt?"

"Nie. Du hast immer von einer etwas schwierigeren Pubertät erzählt, weil du Schnauze gestrichen voll und keine Lust mehr hattest auf Insulin spritzen."

"Naja, geht man ja auch nicht gerne mit hausieren. Nee du, ich war bestimmt 23 mal als Notfall in der Klinik, da haben die mich irgendwo auf der Straße aufgegabelt, völlig desorientiert und dann meinten sie, es reicht, der gefährdet sich selbst, jetzt schließen wir ihn mal eine Weile weg."

"Hast du mir nie erzählt. Und wann hast du dich wieder gefangen?"

"Was meinst du damit?" Er lächelt spöttisch. "Dass ich wieder arbeiten ging, oder eine Freundin hatte, oder eine Wohnung oder alles zusammen und damit etwa ein glücklicher Mann? Ganz ehrlich, es gibt keinen Tag, an dem ich nicht in eine Situation gerate, in der ich um mein Leben kämpfe. Ich wach manchmal nachts auf, weißt du, ich habe überall Süßigkeiten, aber manchmal weiß ich nicht mehr, dass das Süßigkeiten sind, die ich jetzt essen muss. Mein Herz rast und ich denke, schöne bunte Dinger, was muss ich jetzt machen, irgendwas stimmt nicht. Kein Spaß, sage ich dir. Manchmal tröstet mich nur, dass das Leben endlich ist."


"Das ist ein Trost? Hast Du denn keine Angst vorm Tod?" frage ich und neige mich ganz nach rechts, zu ihm, der neben mir auf der Bank sitzt, abends am Lietzensee, zu dem wir nach dem Sushi futtern hinspaziert sind. Ich schau ihn konzentriert an. 

"Nein. Und ich hoffe, ich sterbe allein. Ich will nicht, dass mir jemand dabei zusieht, wie ich mir womöglich noch in die Hosen scheiße. Das ist meine Privatsache. Wenn möglich will ich den Zeitpunkt selbst bestimmen."

"Selbst bestimmen? Ich will ü-ber-haupt nicht sterben."

"Warum denn nicht? Dann hat alles Leiden ein Ende."

"Aber es ist doch nicht nur Leiden, das Leben."

"Meistens aber schon. Oder bist du immer glücklich? Ich weiß jedenfalls, die Rente werde ich nicht erleben."

"Wieso das denn nicht?"
 Er ist einer der sportlichsten Männer, die ich kenne.

"Weil ich es weiß. Aber sag, bist du immer glücklich?"

"Nee, wer ist das schon? Früher war ich öfter glücklich, sehr leicht sogar, aber auch schnell unglücklich. Aber heute? Kein Zu-Tode-betrübt-himmelhochjauchzend mehr. Schade, echt schade. Ich bin so oft mit einer überirdisch guten Laune aufgewacht, mir hat die Welt gehört, schon morgens um 6 Uhr. Jetzt habe ich gar keine Laune mehr. Andere sagen mir Das geht mir schon mein ganzes Leben so und ich denke, man war das toll, als ich noch eine richtige Hysterikerin war."

"Aber früher wären wir nicht zum Lietzensee spaziert, du hättest darauf bestanden, mit dem Auto zu fahren."

"Stimmt, ich war nicht nur hysterisch, ich war auch neurotisch." 

"Ja, und weil ich das nicht wusste, habe ich mich auch gleich wieder von dir getrennt, weil ich dachte, du bist eine faule Socke. Mit meinem Bewegungsdrang, das wäre nie gut gegangen."

"Ich war eben eine heimliche Neurotikerin." 

"Hättest ja mal was sagen können."

"Du ja auch."


Sonntag, 24. Juni 2018

Shopping Desaster

Wenn es nach mir ginge, hätte ich eine persönliche Schneiderin, die mich mit neuen Klamotten eindecken würde. Sie hätte meine Maße, wüsste um meine Vorlieben und alle paar Monate käme eine neue Lieferung nach Hause.

So aber muss ich selber einkaufen gehen. In einer Woche gehe ich wohin und habe nichts anzuziehen. Ich steh also unter Zeitdruck. Als ich nach meiner Tasche greife, finde ich das Portemonnaie nicht - sogleich erinnere ich, dass ich es in meiner Jacke im Büro vergessen habe. 

Rüber zu meiner Freundin, 100 € geliehen und in Ermangelung einer Geldbörse den Schein in den BH gesteckt. 

Komme gegen Mittag in so einem Kaufhaus an, in dem es praktischerweise alles gibt. Kleidung, Schuhe, Wäsche. Ich probiere und probiere und probiere. Ich finde kein Kleid, keinen Rock, keine Hose. Ach, denke ich, Schuhe brauchst du auch. Ich probiere und probiere und probiere. Ich finde nix. 

Eine Verkäuferin mit einem dämlichen Glitzer-Deutschland-Hütchen auf dem Kopf kommt auf mich zu und nimmt mich vertraulich zur Seite. "Wenn Sie was gefunden haben, kommen Sie dann bitte zu mir? Dann kann ich das abhaken und dann wissen die an der Kasse, dass ich Sie beraten habe." 

Die Höhe! Die mich beraten? Kein Mensch berät einen in Kaufhäusern. Die stehen nur im Pulk und quatschen und unsereiner muss sich allen Krempel selber anschleppen. Danke für nichts, du Schnepfe. 

Ach, denke ich, kaufst du dir wenigstens einen BH. Ich probiere und so weiter und so weiter. Ich finde nix. 

By the way: einen BH zu kaufen ist der Oberhorror. Erstmal muss man auf den Knien rutschen, um seine Größe zu finden, die maximal versteckt angebracht ist. BHs werden praktisch zu ebener Erde feilgeboten. Hat man welche ergattert, die man probieren möchte, sind diese Anti-Klau-Dinger direkt am Verschluss angebracht. Das BH-Business bräuchte mal eine Prozessmodellierung.

Mir wird auch langsam blümerant, weil es schon 15.30 Uhr ist und ich schon seit zweieinhalb Stunden ununterbrochen probiere und erst gefrühstückt habe. Ich wanke aus dem Kaufhaus, in Richtung Auto und da wird mir schon ein bissel schwindelig. Bin total unterzuckert und ich habe doch diese niedrige Hungerattacken-Toleranz. Hoffentlich schaffe ich noch den Weg zum Auto, ohne voher zu kollabieren. Das Ende ist nah.

Dann wird mir siedendheiß. Wo ist der 100€  Schein? Oh Gott. Ich haste zurück und bin erstaunt, welche Reserven in mir stecken. Fast könnte man sagen, ich renne. Und das mit Unterzuckerung. In mir steckt doch noch die gute alte Hochleistungssportlerin. Ich laufe die Rolltreppe hoch und da kommt mir oben das Glitzerhütchen entgegen.

"Ihich hahabe mein Geheld verlohoren, in der Uhmukleidekabihine" japse ich.
Die Schnepfe lächelt mich freundlich an. "Das habe ich gefunden, liegt an Kasse 2 im Untergeschos."

Ich will sie küssen, denn hätte ich einen 100€ Schein in einer Umkleidekabine gefunden... ich weiß nicht. Wir diskutieren abends beim Fußballgucken drüber. Die Meinungen waren fifty, fifty. Da meine Mutter nicht zugegen war (die auch einen 5 € Schein brav zurückbringen würde), nehme ich an, die eine Hälfte hat gelogen. 

Mein Problem hat sich indessen nicht gelöst. Ich muss wohin und habe nichts anzuziehen.



Donnerstag, 21. Juni 2018

Der längste Tag

Ist es nicht verrückt, dass ausgerechnet heute, am längsten Tag des Jahres, der Sommer ein Ende findet? Seit Mitte April ...and the living is easy... und heute, zur Sommersonnenwende, an dem die Sonne über 16 Stunden scheinen könnte, wenn sie wollte, schüttet es kurz wie aus Eimern, stürmt es wie im Herbst und jetzt um 21.45 Uhr ist es zwar noch hell, aber schauerlich kühl. 

Der 21. Juni ist ein magischer Tag. Für mich, die klimatechnisch entweder in der Vergangenheit lebt oder die Zukunft herbeisehnt (oder fürchtet - je nachdem) ist es ein Datum, vor dem ich schon wochenlang die Tage zähle "bis es wieder schlechter wird". Ich mag am beginnenden Jahr, dass dann alles besser (= heller) wird und dann, auf dem Höhepunkt ist alles schon wieder vorbei und ich nehme gedanklich den November vorweg. 

Dieses Jahr ist das anders, weil schon so lange die Sonne scheint und ich denke, endlich mal genug von allem: Wärme, Grünzeug, Spargel, DoKo draußen, überhaupt alles draußen, besser geht's nicht. 

Ich habe mich sogar mit der Hitze abgefunden. Mensch, tadelte ich mich, komm doch mal runter, was ist schon dabei, dein Büro ist klimatisiert, dein Auto auch und daheim setzt du dich halt vor den Ventilator, so what? Und weil ich nicht mehr in meinen Garten darf, war ich an den heißen Abenden sogar in der Stadt unterwegs und saß woanders draußen rum und ich hab's überlebt genossen.

Und jetzt, wo ich endlich die nötige Gemütsruhe für heiße Sommertage habe, soll's schon wieder vorbei sein? Ausgerechnet heute? 

In Wahrheit geht mir was ganz anderes im Kopf herum. Ich erzähl's mal so verklausuliert wie möglich. Gestern ruft mich spät am Abend eine Freundin an. Sie hat eine riesige Schweinerei in ihrer Firma angeprangert, ist bis zur höchstens Stelle gegangen. Ich bewunderte damals ihren Mut. Wie sich jetzt zeigt, hat sie sich Todfeinde damit gemacht; also, das wusste ich auch schon vorher, aber jetzt benehmen sich die Todfeinde auch wie Todfeinde. Sie haben ein bisschen gewartet, Gras über die Sache wachsen lassen und schlagen jetzt erbarmungslos zu. Ihre Existenz wird vernichtet. Sie hat keine Arbeitsrechtsschutzversicherung, sie ist nicht in der Gewerkschaft, sie ist am Arsch. 

Ich habe ein Häufchen Elend in der Leitung. Ich kenne sie nur lebenslustig, mit Kodderschnauze, dem Herz am rechten Fleck, aber davon ist nichts mehr übrig. Sie kann nichts mehr essen und nicht mehr schlafen.

Heute spreche ich mit einer befreundeten Anwältin. Sie saugt die Luft hörbar ein und sagt "Scheeeeiiiiße, sie hat WAS gemacht?" Mir fällt das Herz in die Hose. So schlimm? Ja, so schlimm. Ja, klar kann sie das machen, aber dann hat man sein Todesurteil unterschrieben, so ist das und wenn sie hundertmal Recht hat. Sowas verzeihen die einem nicht und dann suchen sie und sie werden was finden. 

Diese kleine Person mit Löwenmut.... she fucked the wrong person.

Sonntag, 17. Juni 2018

Männer, die sich immer wieder melden (2)

"Wie geht es dir? Meld dich doch mal." oder "Du meldest dich gar nicht zurück. Wie geht es dir?" oder "Hast du eine neue Handynummer? Du antwortest gar nicht auf meine whatsapp Nachrichten."

Ich finde kaum etwas beleidigender als solche Nachrichten. Es gibt ja so'ne und solche Trennungen, einige sind gute bis sehr gute Freunde geblieben. Aber dann gibt es auch die anderen und das sind stets die, die sich melden, wenn ihnen laaaangweilig ist. 

Memo an Männer, die sich immer wieder melden:

Wenn ihr euch langweilt, ruft euren Friseur an. Grabt keine Ex-Freundin aus, aus deren Herz ihr einst Hackfleisch gemacht habt. Wahrscheinlich schreibt ihr an solchen Abenden ja ohnehin mehreren Exen oder anderen potentiellen Probantinnen und dann bereut ihr das am nächsten Morgen. 

Eine Frau, die bei Trost ist, antwortet nicht darauf, vor allem, wenn diese Nachrichten am Wochenende spätabends geschrieben werden. Am Dienstag wär das was anderes, aber am Dienstag schreibt ja niemand, weil da braucht niemand etwas zum stabilisieren des Egos, da ist man im Büro und hat Vollbeschäftigung. 

Wenn ihr schon unbedingt schreiben müsst, dann habt Respekt vor dem was war. Eine Ex-Freundin habt ihr bestenfalls mal geliebt und womöglich hattet ihr eine richtig gute Zeit mit ihr. Sie hat am allerwenigsten verdient, als Ego-Booster herzuhalten. Was bringen solche kargen Ein-Satz-Mails überhaupt, außer mittelschwere Disaster, für den Fall, dass sie antwortet?

Eigentlich kennt ihr diese Frau richtig gut, ihr wisst, wie sie tickt, ihr habt sie mal umworben, mit ihr gelebt und ihr wisst, was ihr weh tut. Wenn ihr mal nachts heimgesucht werdet von innerer Ruhelosigkeit, dann überlegt euch sehr gut, ob ihr ausgerechnet sie anruft - hat sie verdient, dass ihr alten Wunden womöglich neue hinzufügt? 

Denn wo soll das hinführen? Ihr habt doch nicht etwa festgestellt, dass ihr sie immer noch aufrichtig liebt und ohne sie nicht leben könnt? Denn das wäre das einzige Motiv, was einen Anruf erlauben würde - zwar ohne Erfolgsgarantie, aber ein Versuch wär's wert. Aber nur dann. Alle anderen Gründe sind zu vernachlässigen und verbieten sich von selbst.


Mittwoch, 13. Juni 2018

Homo Avarus

Geburtstagseinladung bei Bling-Bling, meiner überaus großzügigen Kollegin. Ich kenne niemanden sonst, der so ausschweifend feiert und dabei keine Kosten scheut. Ein jeder wird gebeten, sich genau das auszusuchen, was er essen und trinken mag, ohne Limit.

Seit Jahren nehme ich entsetzt zur Kenntnis, wie sie und ihr Mann ausgenommen werden wie die Weihnachtsgänse. Ob es sich um Verwandte, Freunde oder Kollegen handelt - in jeder Peergroup ist mindestens eine Person dabei, die stets das teuerste Gericht bestellt, sich ungeniert vollstopft, Cocktails säuft und sich nicht zu schade ist, beleidigende Geschenke auf den Gabentisch zu legen.

Gestern war einer dabei, ein recht bekannter Autor, von dem ich sogar ein Buch im Regal zu stehen habe, weit länger schon, als ich ihn kenne, der brachte allen Ernstes einen vergilbten Chagall Bildband aus seinem eigenen Fundus mit, lieblos eingeschlagen in so etwas ähnlichem wie Wurstpapier. Er schlug sich den Magen voll und mit dem letzten Bissen vom Dessert stand er auf und sagte, er müsse nun gehen, da er frühmorgens einen Termin habe. Ich hätte ihm gerne die alte Chagall-Schwarte auf den Kopf gehauen.

Der Schlimmste von allen, ein Doktor der Physik, brachte eines Tages tatsächlich ein von ihm selbstgemaltes Bild seiner Katze mit, das seit 20 Jahren an seiner Wand hing. Ich starrte diesen Heini fassungslos an und bewunderte die Gastgeber ob ihrer Haltung. Sie steckten diesen beleidigenden Schlag ohne jede Regung weg. Ferner sitzt dieser Holzkopf stets regungs- und wortlos mit Hackfresse am Tisch - ich habe keine Ahnung, weshalb sie diese Napfsülze immer einladen. 

Eine Cousine ist auch immer mit dabei, die Übelgelaunt nur Augen für das Essen hat, dass sie sich ununterbrochen einverleibt; wenn sie überhaupt etwas sagt, dann ist es ein Gezeter, dass der Heimweg ja sehr beschwerlich sein wird mit dem Bus - ein Wink mit dem Holzzaun an den Gastgeber, der sie dann nach Hause zu fahren hat. 

Ihr alter Studienfreund stellt immer schon vorher Bedingungen, er fröstele leicht, man möge doch einen Tisch fern vom Fenster reservieren. Kaum ist das Essen auf den Tisch, bemängelt er, dass sein Fleisch leider etwas "zu" durch ist. Und das Dessert leider etwas "zu" üppig. Ein Mensch, der leider neben mir sitzt und den ganzen Abend klagt, dass er keine Freunde habe und ob ich nicht mal zusammen mit den Gastgebern zum Raclette kommen möge. Ich fange auch an zu frösteln.

Wenn da nicht immer ein paar Kollegen dabei wären, würde ich mich in einem Parallel-Universum wähnen. Aber selbst in unserem Kreis ist eine dabei, die reich geerbt hat und von daher mit dem angemessenem Understatement, aber erkennbar ausgesucht gekleidet und mit dem dazugehörigem Perlenschmuck behangen ist. Leider kann sie kaum mehr als 9,80 € für ein läppisches Taschenbuch erübrigen. Gestern kam sie reingerauscht "Es tut mir leid, ich habe gar nichts für dich, es war einfach zu stressig die letzten Tage." Setzt sich an Tisch und bestellt Champagner. Sie ist grandios dünkelhaft.

Sie folgt mir zum Rauchen nach draußen und ich sage scheinheilig (und um Bling Bling zu rächen) "Du siehst irgendwie anders aus." Natürlich ist mir gleich aufgefallen, dass sie eine OP hatte, die offenkundig schief gegangen ist. Die Frau ist fast nicht wiederzuerkennen. Sie beeilt sich zu erklären, dass medizinische Gründe vorlagen, natürlich. "Aber so schlimm seh ich doch nicht aus, oder?" Aber nein, lüge ich. ("Nimm dies, du Schnepfe", denke ich)  Ihre Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. 

Andere Möglichkeiten zur Satisfaktion des entehrten Geburtstagskindes ergaben sich leider nicht.

Sonntag, 10. Juni 2018

Every breathe you take

Nun war ich in der Zwischenzeit in Dresden. Dort ist es teurer als in Berlin, allerdings hat man dort einen anständigen Fluss. Nichts kommt mit der Elbmündung mit, aber wenn sie durch Dresden fließt, entwickelt sie auch schon Charme. Die Spree ist ein Schiss dagegen. 

Seminar also. Zwei aus Dresden waren auch dabei, die gaben uns Tipps, wo man gut essen kann, denn das Vier Sterne Hotel fütterte uns mit Convenience Food ab, kredenzt von einem Kellner, der lustig sein wollte, es aber nicht war und dazu einen starken Tremor hatte, wahrscheinlich aus Angst, dass wir ihm das Essen um die Ohren hauen. 

"Gähd doch mol zu "Oma und Opa", die hobn gude deudsche Güche, orber imme mid so'm gleenen Bfiff dobei."

Das Essen dort war noch schlimmer als im Hotel. Ich war bald auf Null Diät. Ich musste zum Lidl um die Ecke gehen und mir unverderbliche Waren kaufen, denn der kleine Kühlschrank auf dem Zimmer war vom Strom abgeklemmt. Also ging nur Schokolade. Damit konnte ich eventuellen Gewichtsabnahmen vorbeugen.

Am letzten Abend schlenderten wir am Elbufer lang, setzten uns in einen Biergarten direkt gegenüber vom Zwinger („Do hobd ihr dän bässeren Bligg auf die obendliche Beleuchdung“). Ich zahlte für eine Bebbsi Gola und eine Brezel 9 Euro. Hier wird man arm und stirbt an Hunger. Schee war's aber doch. Dieser Sommer macht ja alles irgendwie schön.

Zurück in Berlin fraß ich mich abends durch die Lokale, spielte Doko bis in die späte Nacht und am nächsten Abend gleich noch ma. Ein paar Meter von uns entfernt saßen diese Art gutmütiger Anfangzwanziger, die (offenbar Kirchentagserprobt) Lieder sangen. Irgendjemand von denen hatte einen dieser bassigen Lautsprecher dabei, auf denen sich trefflich Spotify Playlists runterdudeln lassen. 

Irgendwann sagte ich: Ich hör Police.
Ein U30er an unserem Tisch (gebürtig aus Dresden) meinte: "Das ist doch voll das Stalker Lied. Hör doch mal hin."


Every breath you take
Every move you make
Every bond you break
Every step you take
I'll be watching you


Das war mir nie aufgefallen. Ich muss meine Jugend völlig neu bewerten.  

"Tja, damals habt ihr wahrscheinlich gedacht, es ist ein Liebeslied, oder ein Trennungslied, aber in Wahrheit ist es das Psychopathenlied überhaupt."

Oh can't you see
You belong to me


Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Dresdner sind nicht zu unterschätzen.

Samstag, 2. Juni 2018

Gutes Unwetter, schlechtes Unwetter

Eine Wohnung zur Ostseite zu haben, kann einen dieser Tage an den Rand des Abgrunds bringen. Es gibt kein Entrinnen. Ab 5 Uhr morgens brettert mir die Sonne das Hirn weg, ich werde gegrillt, während ich noch schlafe und wache mit Matschbirne auf (außer du bist geistesgegenwärtig um 4 Uhr aufgewacht und hast alle Jalousien runtergezogen. Machst du aber nicht, da du frühestens um 1 Uhr einschlafen kannst bei dieser Wärme). 

Jetzt kommt mir nicht mit "Westseite ist noch schlimmer" - hatte ich, ist nicht schlimmer. Denn wenn der Tag schon beginnt, in dem du gekocht wirst, kommst du aus der Nummer nicht mehr raus. 

Vorgestern hatte ich Home Office, abends stand ein Geburtstag im Garten an - mir graute davor, die Wohnung zu verlassen. Später am Tag wurde es dunkel, Wolken zogen auf, allein: kein Regentropfen nirgends. Ich sah Nachrichten im Fernsehen von Unwettern im ganzen Land und beneidete alle, die in Sturzbächen standen.

Gegen 19 Uhr fuhr ich los und als ich die Wohnung verließ, wusste ich, dass es ein großer Fehler war, sie nicht früher verlassen zu haben. Draußen war es nämlich kühler als drinnen und als ich bei der Geburstagsgesellschaft eintraf, wurde mir berichtet von dem Unwetter, das ein paar Stunden zuvor und keine 10 Kilometer von mir entfernt stattgefunden hatte.

Erzählt mehr davon, sagte ich. So ein Ärger, dass ich nicht dabei war. Erzählt noch mal von vorn. Es hat gehagelt? Wirklich? Das ist ja himmlisch! Und ihr durftet dabei sein.

Am darauffolgenden Tag wurde es 34 Grad. Mein einziger Trost ist das klimatisierte Büro. Sicherheitshalber treffe ich schon morgens um 8 Uhr ein und gehe nicht vor 19 Uhr - da bin ich safe und lagere kein Wasser ein. 

Heute immer noch 34 Grad. Abends DoKo. Ich denke nicht ernsthaft daran, hinzufahren, sondern plane, im Büro zu übernachten. Es sagen auch einige ab und ich bin heilfroh und sage auch ab. Gegen 18 Uhr klingelt das Telefon und ich werde von drei Spielern aufgespürt, sie brauchen mich dringend, wo ich denn bliebe? Da ich eine gute Kameradin bin, mache ich mich auf den Weg und als ich ankomme, tröpfelt es vom Himmel und 10 Minuten später beginnt ein Unwetter und ich bin endlich live dabei. 

Die Auftragsmörderin ist hingegen ein Opfer des Unwetters. Auf dem Rückweg von Malle kreiste das Flugzeug über Berlin und bekam keine Landeerlaubnis und bevor der Sprit alle war. sind die zurück nach Leipzig geflogen - dort sitzt sie jetzt seit 6 Stunden auf dem Rollfeld, kein Ende abzusehen. Man wisse nicht, wann aufgetankt wird. Die Klimanalage funktioniert, aber es gibt keine Getränke, weil am Boden keine Getränke verkauft werden dürfen. Nur eine Mitreisende mit Panikattacke hat einen Becher Wasser bekommen.

Ist das zu fassen? Verstößt das nicht gegen die Genfer Menschenrechtskonventionen? Sie brauchen ihren Kram ja nicht verkaufen. Verschenken wäre hier das Mittel der Wahl und zwar pronto oder spielen die Landshut nach? Ich hätte schon so einen Tobsuchtsanfall bekommen, dass die mich hätten aussteigen lassen, das walte Hugo! 

P.S. Eben bekomme ich Nachricht. Der Flug ist gecancelt, sie warten jetzt auf einen Bus, der sie zum Terminal bringt und wie es dann weitergeht, weiß kein Schwein. Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, einen Bus nach Berlin zu chartern, denn die Autobahn ist wegen absaufens auch schon gesperrt. 

Schließen wir sie also in unsere Nachtgebete ein.