Montag, 27. Februar 2017

Wenn man "Rücken" hat, ...

... kann man nicht:

1) die Geschirrspülmaschine einräumen, geschweige denn ausräumen.
2) Waschmaschine, dito.
3) Falls man Punkt 2 doch geschafft hat,  kann man den vollen Wäschekorb nicht vom Boden hochheben.
4) Man kann sich fünf Staffeln einer beliebigen Serie holen,  die DVDs aber nicht in den Recorder schieben, weil der ungünstig platziert ist. Überhaupt wird klar, wie viele Dinge ungünstig platziert sind.
5) Man kann ohne Rollator nicht mehr aufstehen.
6) Da man keinen Rollator hat, müssen sämtliche Stühle in der ganzen Wohnung verteilt werden, um sich an ihnen hochzuziehen.
7) Man kann nicht mehr niesen, ohne anschließend ohnmächtig zu werden. Und ich muss viel niesen, denn einer meiner Besucher hatte Schnupfen. Und ich jetzt auch.
8) Man kann nicht mehr die Wohnung verlassen, weil man sich nicht mehr die Schuhe anziehen kann.
9) Falls man das wider Erwarten doch geschafft hat, müssen die Schuhe für immer angezogen bleiben, weil man sie sich nicht mehr ausziehen kann. Das gleiche gilt für Socken.
10) Man kann nichts mehr vom Boden aufheben und es ist erstaunlich, was einem alles so herunterfällt.
11) Man kann sich im Bett nicht mehr auf die andere Seite drehen, ohne das Bewusstsein zu verlieren.
12) Man freut sich nicht mehr auf das Frühstück, denn das Frühstück nimmt man - in meiner kleinen Welt - im sitzen ein. Sitzen geht gar nicht.
13) Noch schlimmer als sitzen ist das aufstehen. Siehe Punkt 5
14) Deshalb kann man auch nicht mehr bloggen, außer man diktiert - liegend - seinen Krempel ins Smartphone.

Weltabgeschiedene und sehnsüchtige Grüsse an alle beneidenswerte Geschöpfe, die sitzen können.  Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es habt. Wer sitzen kann, dem gehört die Welt.

@ Capt'n: ich mach mit. Sobald ich hier wieder rauskomme, werde ich mit dem Rad ins Büro fahren, jeden Tag 5 km laufen (in der Klasse für über 80-jährige) und wenn es warm genug ist, werde ich schwimmen gehen, jeden Morgen vor der Arbeit. Ich kann's kaum erwarten.

Mittwoch, 22. Februar 2017

Coming of Age

Als ich klein war, stellte ich mir den Übertritt ins Erwachsenenalter immer so vor, dass ich ab einem bestimmten Tag keine Ängste mehr (vor Monstern unterm Bett) und stattdessen alles im Griff haben werde. Auch war mir klar, dass ich später mal berühmt sein werde. Das war gesetzt. Anders ging es gar nicht. Also, ich würde mindestens Fernsehansagerin werden oder Eiskunstläuferin. 

Erwachsene waren damals noch Erwachsene und nahmen das sehr ernst. Kinder waren Kinder. Die nahm man nicht ernst. Die Welten überschnitten sich selten. Erwachsene taten alles, um sich möglichst oft von Kindern zu separieren. Sie belogen uns, ohne eine Sekunde darüber nachzudenken. 

Wenn wir im Hochsommer ins Bett gesteckt wurden, gaukelte uns das Verdunklungsrollo die Nacht vor. Als ich das erste Mal aufstand und heimlich das Rollo zur Seite schob, war mein Erstaunen nicht kleiner als die von Columbus bei der Entdeckung Amerikas. Die Sonne schien ja noch! Es war taghell! Sensationell! Ich könnte genauso gut auch noch draußen weiterspielen. Einer Riesensauerei kam ich so auf die Spur.

Jedenfalls, Erwachsene duldeten kein Widerwort. Sie wussten alles. Sie hielten uns aus allem raus, was uns bekümmert hätte; hatten aber andererseits wenig Hemmungen, selbst für Bekümmerung ihrer Kinder zu sorgen. Ihr Wille zählte. Es wurde gemacht, was sie wollten. Und sie hatten vor nichts und niemandem Angst.

Das wollte ich eines Tages auch alles sein, wissen und können. Groß werden hieß, selbst zu bestimmen, wann ich im Frühling das erste Mal Kniestrümpfe anziehe. Oder bis zur Geisterstunde aufzubleiben. Oder Cola zu trinken. Oder Federball zu spielen, bis es stockdunkel ist. 

Als ich größer wurde, 13, 14, 15, 16, wartete ich immer  noch auf den Moment, an dem sich alle meine Probleme in Luft auflösen würden und ich mit derselben Sicherheit durchs Leben gehen würde, wie meine Eltern und die Eltern meiner Freunde. Nichts geschah. Spätestens mit 18 wusste ich, das würde nie passieren. 

Verdammt, ich würde also mein Leben lang Angst vor Krankheiten und dem Tod haben? Das hatte ich nämlich schon früh entwickelt, dank einer Großmutter, die bei jedem Besuch beinahe starb oder stündlich einen Herzinfarkt erwartete (sie starb recht munter mit 88, aber das konnte ich damals noch nicht ahnen. Ihr Leben schien stets am seidenen Faden zu hängen und zur Sicherheit behielt ich sie immer gut im Blick). Meine Oma war die personifizierte Endlichkeit.

In meinen Zwanzigern wurde mir auch klar, dass es mit der Berühmtheit nichts wird. Nichts an mir deutete auf späteren Weltruhm hin. Kein Talent, kein Plan, keine Passion. Ich war doch sehr verwundert über mich.

Dann hatte ich doch noch einen Moment des Erwachsenwerdens. Als ich meine erste Wohnung bezog, kaufte ich Kram ein, unter anderem meine erste eigene Nagelfeile. Etwas, das es bei meinen Eltern immer gab, worüber ich mir nie Gedanken gemacht hatte, etwas, für das ich nie sorgen musste. An Banalität nicht zu übertreffen und doch machte mir dieser Kauf klar, dass ich ab jetzt für mich allein sorgen muss. 

Ich saß an meinem Küchentisch, sah auf die Nagelfeile und für einen Moment überfluteten mich Panik und Depression. Sollte das jetzt immer so weitergehen? Ein Abgrund tat sich vor mir auf. Ich fühlte mich entwurzelt und gleichzeitig waren mir meine Eltern so fremd, dass mich nichts dazu gebracht hätte, unter ihre Fittiche zu kriechen, nicht mal für zwei Stunden. Ich kam nicht mal auf die Idee. Aber ich hatte auch keine davon, zu wem ich sonst hätte flüchten können. 

Dieser Moment hielt nur ca. drei Minuten an, war aber in seiner Wucht bis heute unvergesslich. 

Es stellte sich heraus, dass ich doch zwei Talente vereinte, die widersprüchlicher nicht sein können:

1) Ich hatte Spaß, jede Menge davon, ganz entspannt im Hier und Jetzt
2) Ich wuchs zu einer Weltklasse-Hypochonderin aus

Ich war und bin eine meist entspannte Hysterikerin. Das war ich im Grunde schon mit sechs Jahren und bis heute hat sich nix dran geändert. Da hat das ganze Erwachsenwerden nichts genutzt. Hätte ich ja auch gleich jung bleiben können.

Montag, 20. Februar 2017

Mein wunderbares Privatleben

Gestern beschloss ich, endlich den Fokus auf mein Privatleben zu legen. Also, nicht nur davon zu reden, dass ich es tun müsste, sondern wirklich nach achtheinhalb Tagen Stunden das Büro zu verlassen, in der Hoffnung, dass ich mich langsam wieder daran gewöhne, wie ein normaler Mensch zu leben.

Heute früh sah ich auf meinem Kalender, dass ich den ersten Termin um 9 Uhr habe und den letzten, anderthalbstündigen ab 17 Uhr. Das ist natürlich höhere Gewalt. Ich schnappte mir meine Tasche und da passierte es: Hexenschuss. Ich nenne das extra verniedlichend Hexenschuss, weil ich keinen Bandscheibenvorfall haben will, wobei alle Symptome dafür sprechen. Ich kann nicht sitzen und noch schlimmer ist es, wenn ich versuche aufzustehen.

Aber anfangs war es noch nicht sooo schlimm. Das erste Meeting schaffte ich noch ohne gutturales Gestöhne. Beim zweiten, direkt im Anschluss, kam ich schon nicht mehr ohne fremde Hilfe vom Stuhl hoch. 


Ich humpelte in mein Büro und informierte alle, dass ich jetzt nach Hause fahre. Ich wurde bombardiert mit Ratschlägen. Arzt (no way), Spritze (never ever), Ibuprofen (seit ich bei der Grippe einen Kollaps 10 Minuten nach Einnahme bekam: nope), Kartoffeln kochen, quetschen und mit in den Rücken legen (sehr gerne) und: auf den Boden legen, die Beine im rechten Winkel auf's Sofa (hört sich gut an).

Die Kartoffeln hätte ich mal lieber essen sollen. Ich schlief ein bißchen auf dem Sofa ein, nachdem ich fünf Minuten gebraucht hatte, aus meinen Schuhen zu kommen. Als ich wach wurde, war draußen anscheinend der Frühling ausgebrochen und drinnen alles viel zu warm. Vorsichtig brachte ich mich zum stehen, nach ein paar Schritten ging es besser. Ich machte alle Heizungen aus und riss die Balkontür auf. 

Dann fuhr ich zur Apotheke, Wärmepflaster kaufen. Die Kartoffeln im Rücken waren auch schon kalt. Dann zum ReWe, ein paar Sachen einkaufen. Am Obststand griff ich mir eine.. na, wie heißt die, Pomelo, Pamela, dieses riesige gelbe Apfelsine. Mir kullerten dabei ein paar auf den Boden und ich sah ihnen verzweifelt hinterher. Da komme ich nie runter, das wusste ich und bei meinen Versuchen sprach mich eine Kundin an, ob alles okay mit mir sei. Sie hob mir die Dinger auf und ich humpelte weiter. 

Ich ging zu meinem Lieblingsjoghurt und starrte ihn sehnsüchtig an. Unerreichbar. Ich verrenkte mich, machte mehrere Anläufe, bis eine andere Kundin kam und ihn mir aus dem Fach holte. Sie kenne das, sie habe auch schon einen Bandscheibenvorfall gehabt. Psst, meinte ich, das ist nur ein Hexenschuss.

Nachdem ich den anderen Kram einigermaßen unfallfrei und ohne fremde Hilfe in der Hand hatte (einen Einkaufswagen sparte ich mir, da hätte ich mich nie runterbeugen können, um den Krempel aufs Kassenband zu leben), fuhr ich erleichtert nach Hause. 

Das Wärmepflaster angebracht, leider nicht punktgenau, aber egal. Dann also auf den Boden gelegt und die Füße auf's Sofa. Als ich endlich lag, wurde mir klar, dass ich nie wieder hochkomme. Also blieb ich einfach liegen. Tat dem Rücken wirklich gut. 

Um mir neuen Lebensmut zu geben, verabredete ich mich für Sonntag mit dem sinnlichen Mund. Man muss Ziele haben im Leben und solange das Handy in meiner Hand liegt, kann ich immer noch Pläne machen.

Nach einer Weile wurde mir kalt, an eine Decke hatte ich nicht gedacht und nun war es zu spät. Sie lag außer Reichweite. Als meine Füße Eisklötze waren, startete ich den Versuch, aufzustehen. Ich sah weißes Licht.

Was soll ich sagen, nach 10 Minuten und Geräuschen, die nur Frauen machen, deren Gebärmuttermund acht Zentimeter geöffnet ist, stand ich wieder auf den Beinen, bleich und kotzübel war mir dazu. Aber dieser Höllenschmerz macht es mir jetzt einigermaßen leicht, am Rechner zu sitzen, auf einem harten Stuhl, ohne mich anzulehnen, und diese heiße Story aus meinem brandneuen Privatleben niederzuschreiben, oder zu teilen, wie man neudeutsch sagt. 

Immerhin war ich schon um 13 Uhr zuhause. Ein vielversprechender Anfang, wie ich finde.

Donnerstag, 16. Februar 2017

Der goldene Schnitt


Nun komme ich ja aus einem kleinen Kaff. Aber auch da gab's geheimnisvolle Typen, jedenfalls geheimnisvoll genug für mich. 

Eines Tages trat einer auf den Plan, der der Geheimnisvollste von allen war. Er war bei völlig unscheinbarem Äußeren Karatelehrer und Fotograf. Fotografiert wurde damals ja endlos. Er war total gelassen, wie jeder Leistungssportler. Der niedrige Ruhepuls, schätze ich.



Wegen ihm also rannte ich (und viele andere) in die Turnhalle und übte Karate. Ich kam über diesen Entengang, bei dem wir laut ausatmen mussten und die Fäuste im Wechsel in die Luft vor uns stoßen sollten, nicht hinaus. Eine rundum peinliche Angelegenheit. Ich kam nicht mal in die Nähe des weißen Gurtes. 

So konnte ich ihn natürlich nicht für mich gewinnen. Das Rennen machte eine andere, die sich unsterblich in ihn verliebte und ihm noch Jahre nachhing, selbst als sie verheiratet war und zwei Kinder hatte, mit einem anderen, ein guter Freund von ihm und der letztlich viel beeindruckender war. Aber da hatte sie keinen Blick für.

Aber wir befreundeten uns gut und als er eines Tages nach Berlin zog, um zu studieren, war er der Grund für meinen ersten Berlin Besuch, zusammen mit dem größten Stones Fan aller Zeiten

Ich war erschüttert über die Kargheit seiner Wohnung im Wedding. Er hatte sie von einer alten Oma übernommen, möbliert, falls man das so nennen kann.


Später zog er nach Kreuzberg, Yorck- Ecke Kreuzbergstraße. Ich besuchte ihn erneut, auf der Flucht vor meinem absurd anstrengendem Liebesleben mit dem Stones Fan. Als ich so auf dem Fensterbrett saß und auf die Straße herabschaute, beschloss ich, meinen Lebensmittelpunkt nach Berlin zu verlegen. 

Das war so eine Augenblicksentscheidung. Ich plane ja nie. Ich nahm mir das Telefonbuch und suchte nach Buchhandlungen. Ich rief die mit der größten Anzeige an. Einen Tag später hatte ich einen Job und fuhr zitternd zurück ins Kaff, mich fragend, was mich da nur geritten hat. 

Ich war ja zufrieden im Kaff. Die reinste Drogenhölle, durch die ich stocknüchtern tapste, frei von Gruppenzwang. Wenn da nicht die leidige Sache mit den ewigen Rache-Affairen gewesen wäre, mit denen ich meinerseits versuchte, das kalte Herz des Stones Fan zu ermorden. Das war viel zu anstrengend für mich und man muss ja immer bedenken, dass ich mein Leid nicht im Suff ertränken konnte. Kreislaufprobleme brauchte ich nicht auch noch. 

Nach cirka einem Jahr zog er zurück ins Kaff, wir waren alle erstaunt. Er zog zu seinen Eltern, in sein altes Kinderzimmer. Wir begriffen es nicht. Er machte jetzt in Kunst. Malte wie besessen. Der Hobbykeller im Elternhaus wurde seine Wirkungsstätte. Seine Coolness litt doch ein wenig darunter. 

Auf Heimatbesuchen sah ich ihn noch sporadisch; er hielt Hof im Hause seiner gebeutelten Eltern, die sich bestimmt anderes für ihren Kronensohn gewünscht hatten. Sie machten immer einen bescheidenen und zutiefst unglücklichen Eindruck, wohl weil sie wussten, dass sie ihn niemals loswerden würden. Ihnen war er fremd, der Künstlersohn, der im Keller werkelte. Wir wussten auch nicht, wovon er lebte. Sein Studium hatte er abgebrochen, ab und an gab er Karate-Unterricht; inzwischen für Kinder. Wahrscheinlich bekam er Taschengeld.

Ich verlor ihn aus den Augen. Gestern schrieb er mich über ein Soziales Netzwerk an. Nach zig Jahren. Ein Satz nur, er erinnere sich gerade an seine Schulzeit, viele Grüße. Dabei bin ich nie mit ihm zur Schule gegangen.