Sonntag, 24. März 2019

Ein Nachruf

Als ich ihre Todesanzeige entdecke, haut es mich aus den Schuhen. 

In meinem ganzen Leben habe ich von keinen sinnloseren Todesfall hören müssen - nein, anders ausgedrückt: keiner war je so ungerecht, bitter und grausam für die Angehörigen.

Der Tagesspiegel berichtete schon mal 2007 über sie:  

"...Als die Frau mit der hellen, freundlichen Ausstrahlung vor 28 Jahren schwerstbehinderte Zwillinge bekam und klar war, dass die beiden Töchter sich nie allein würden anziehen oder ohne Hilfe essen können, war sie entschlossen, ihnen ein möglichst normales Leben zu schaffen. Sie schickte sie auf Regelschulen und ist sehr stolz darauf, dass beide es geschafft haben, Ärztinnen zu werden...." 

Da war sie beim Bundespräsidenten eingeladen, was sie im Nachhinein erwähnte, wie eine Nebensächlichkeit und ihre Bescheidenheit war nicht gespielt. Sie war unprätentiös, ohne jeden Dünkel und auf skandinavische Art bildschön. 

Ihre Töchter diskutierten oft mit, wenn sie dran war, den Lesekreis bei sich zuhause zu empfangen. Sie hatten schon immer alle Bücher vor uns gelesen. Manchmal scheuchte sie ihren Mann und die Mädchen aus dem Haus, ins Kino, wenn wir kamen. 

Ihr Mann, ein Naturwissenschaftler durch und durch, ging nicht stiften, als klar wurde, wie krank die Töchter sind. Vier Menschen, die das Beste aus allem machten. Die um die halbe Welt reisten, ein offenes Haus führten, in dem man köstlich bekocht wurde, in dem Jubel, Trubel und Heiterkeit herrschte und manchmal die Fetzen flogen. Größtmögliche Normalität, Herzenswärme und immer das beste Essen von allen.

Ich habe sie nie klagen hören; im Gegenteil, sie war immer gutgelaunt und das fand ich geradezu überirdisch. Habe mich immer gefragt, wo sie das alles lässt, aber es schien immer, als habe sie gar nichts irgendwo zu lassen; so, als ob es genau so wie es ist, gut ist. 

Als ob das nicht alles schon gereicht hätte, erkrankte ihr Mann. Er kämpft seit Jahren um sein Leben.

Und dann bekommt sie vor 14 Tagen wie aus dem Nichts schreckliche Schmerzen. Schleppt sich ins Krankenhaus. Drei Tage später ist sie tot. Einfach so. Ohne Ankündigung. Ohne Abschied. Viel zu früh, viel zu jung.

Die Kirche platzt bei der Trauerfeier aus allen Nähten; ich habe nichts anderes erwartet. Treffe meinen alten Lesekreis, zu dem ich zurückkehren werde, wenn nicht im neuen Lesekreis beim nächsten Treffen ein Wunder geschieht dergestalt, dass nicht nur ich das diesmal grauenhaft schlechte Buch (Becks letzter Sommer) gelesen haben werde. 

Ich weine eine Stunde lang ununterbrochen, ebenso wie mindestens die Hälfte der Anwesenden. 

Eine der Töchter hält eine Rede, erzählt, dass die Mutter immer sagte "Ihr müsst jeden Tag etwas Schönes machen, hört ihr?" und ich denke, das alles hätte sich nicht mal Rosamunde Pilcher auszudenken gewagt, so sehr drüber ist dieses Leben und dessen Ende, aber es ist doch genau so gelebt worden und lebt sich nun weiter, ohne sie - welch ein Verlust für die drei Übriggebliebenen, denen vom Leben schon im Übermaß in die Suppe gespuckt wurde.

Hier ist nichts Tröstliches, was man sich herbeireden kann. Es ist kein Sinn zu erkennen und es gibt keine Hoffnung am Horizont. 

Ich hätte gerne den Verantwortlichen gesprochen, damit ich ihm in die Fresse hauen kann.

 

Dienstag, 12. März 2019

Häppchen im Bundestag

Was ich in den letzten Wochen alles erlebt habe... 100 Jahre Frauenwahlrecht machen es möglich, dass ich mich von einer Veranstaltung zur anderen hangele, meistens eingeladen von der SPD, auf Bundesebene, Landesebene und lange wird es nicht mehr dauern, da kann ich Führungen durch den Bundestag anbieten. 

Neulich hat sogar ein Minister mit mir geflirtet, ich war ganz irritiert, habe ihn natürlich ignoriert und gedacht Träum weiter, ich unterhielt mich lieber mit einer Staatssekretärin a.D., die ich gerade kennengelernt hatte, denn netzwerken können die Sozen, das kann ich bezeugen und sie sind herzlich dabei. 

Auf all diesen Veranstaltungen zu Ehren der Frauen kreuzen immer auch ein paar Männer aus der ersten Reihe auf, wie beispielsweise oben genannter Herr, wohl weil die kein Zuhause haben oder einem hier die gebratenen Häppchen direkt in den Mund fliegen oder weil eventuell mal eine sehr junge hübsche Frau (direkt von der Uni) zu beeindrucken ist. 

Einer begegnet mir immer wieder und stets neigt er sich vertraulich einer dieser Praktikantinnen oder Referentinnen zu und säuselt in ihr Ohr und ich denke, so dumm wird sie doch nicht sein, er könnte ihr Opa sein und so mächtig ist er auch wieder nicht, dass sich das lohnen würde - nicht jeder ist ein Müntefering. 

Heute nun in der FES, 30 Jahre Friedliche Revolution, und das hätte mir eine Warnung sein sollen, denn ich nenne das eigentlich immer nur "Wende" oder "Mauerfall" - was aber politisch nicht korrekt ist, wie ich erfahren muss. Ich war mit drei "West"-Frauen vor Ort, was noch wichtig wird, denn letztlich handelte es sich um eine Hommage an die "Ostfrau" - wogegen ich nichts habe, nur hätte das im Vorfeld etwas deutlicher werden können.

Mir war ja bis heute Abend nicht bewusst, wie toll die Ostfrauen gewesen sind und wie bescheuert hingegen die Westfrauen. Ostfrauen hatten ganz tolle Mütter und Großmütter, die ein selbstbestimmtes Leben hatten und abtreiben konnten, wann immer sie wollten. Ich wollte schon laut rufen "Wir im Westen konnten auch abtreiben, wann immer wir es wollten, hallo? Und eure tolle Ober-Ostfrau schafft es nicht mal, den 219a zu kippen!" Huch, dachte ich, wie rede denke ich denn?

Eine Iranerin aus dem Publikum stand auf und sagte zu der jungen Frau auf dem Podium, die nach dem Mauerfall geboren wurde, sich dennoch als "Ostfrau" fühlt, dann sei sie wohl nicht integriert, denn wenn sie eine Tochter hätte, die sie vor 30 Jahren in Deutschland geboren hätte und die würde sagen,.sie fühle sich wie eine Iranerin, dann wäre diese offenbar nicht integriert.

Meine Sitznachbarin spöttelte "Ich sag doch auch nicht, ich bin eine Südfrau, weil ich aus München komme." Eine weitere Frau aus dem Publikum ergriff das Mikrofon und sagte, dass es sich doch um eine Feierlichkeit anlässlich des Internationalen Frauentags handele und dass ihr diese einseitige Fokussierung auf Ostfrauen doch allzu provinziell erscheine und dass Frauen heutzutage allerhand wichtigere Probleme zu lösen haben, als vermeintliche Alleinstellungsmerkmale zu feiern, bzw. anzuprangern.

Die Ostfrauen auf dem Podium waren echt sauer, eine Keilerei wurde letztlich verhindert bzw. geschmeidig abmoderiert von der anwesenden Ministerpräsidentin, die bestimmt mal eine Ausbildung zur Mediatorin gemacht hat oder aber ein beeindruckendes Naturtalent besitzt, hochgekochte Volksseelen zu beschwichtigen und eine 1 a Feel Good Stimmung zu erschaffen. Chapeau Manuela!

Ich muss ehrlich sagen, die Sozen haben klasse Frauen aufzubieten, und zwar aus allen Himmelsrichtungen.

Montag, 4. März 2019

Nervöse Fische

Seitdem ich neulich auf der Berlinale war, bin ich doch Mitglied eines Lesekreises und am letzten Wochenende war es soweit: das erste Treffen, an dem ich teilnahm.

Eilig las ich den ganzen Samstag von morgens bis abends noch das letzte Drittel des Buches (Steinfest; Nervöse Fische), bevor ich mich auf den Weg machte in ein koreanisches Restaurant in Schöneberg. Die Frau von der Berlinale, die mich so herzlich eingeladen hatte in diesen Kreis, hatte ein paar Tage zuvor geschrieben, dass sie nicht erscheinen werde, wegen familiärer Verpflichtungen. So kannte ich wirklich keine Menschenseele und wusste daher nicht im geringsten, was mich erwarten würde.

Sowas finde ich meist gut. Ich überlege dann immer, dass ich mich ja völlig neu erfinden könnte. Mir rasch eine völlig neue Identität oder wenigstens einen Spitznamen zulegen könnte, aber dann bin ich doch immer bodenständig durch und durch, so dass ich mich ganz authentisch gebe und kreuzbrav den Namen nenne, auf den ich getauft wurde... also..., dass ich im Grunde meines Herzens eine femme fatale bin, weiß wirklich nur ich.

Ich wurde freundlich aufgenommen in der Runde, die aus einem Mann und vier Frauen bestand. Der Mann hätte Buchhändler sein können, denn Männer, die lesen, sind immer eher blutleere Geschöpfe, das weiß ich aus Erfahrung. Es gibt nur wenige Ausnahmen, beispielsweise der Belletristik-Leiter meiner früheren Wirkungsstätte. Der war unfassbar schön und beißend spöttisch, praktisch eine Legende, aber ein Verlust für alle Frauen, denn natürlich liebt diese Lichtgestalt nur seinesgleichen. 

Männer, die lesen, sind eine ganz eigene Kategorie und dieser hier passte recht gut in meine Vorurteile-Schublade. Freundlich und sanft und ein ganz klein bisschen quengelig. Also nur den Eindruck von quengelig vermittelte er, in Wahrheit quengelte er kein bisschen. Die Frauen hingegen alle unauffällig herzlich und auf den ersten Blick kompatibel mit Gott und der Welt (also so ähnlich wie ich).

Jedenfalls lasen wir angestrengt die koreanische Speisekarte. Ich wusste mit all den unaussprechlichen Namen nichts anzufangen und die anderen Gottseidank ebenfalls nicht - man will ja nicht gleich als Trottel dastehen, weil man keinen Schimmer hat, was BimDimSan (o.s.ä.) ist. Die Fotos gaben auch keinen Aufschluss, außer dass alles schmerzhaft gesund aussah. Ich entschied mich für Süßkartoffel-Glasnudeln mit mariniertem Rindfleisch, die sich später als der Glücksgriff überhaupt erwiesen, aber das soll hier kein Thema sein.

Nachdem nun endlich alle bestellt hatten, wurde gebeichtet. Es hatte nämlich niemand der Anwesenden das Buch gelesen, bis auf eine andere, aber die hatte den Schluss nicht mehr geschafft. Die anderen hatten es gekauft, mitgebracht aber nicht angerührt.

Ich war einerseits amüsiert und auch erleichtert, weil auf den eigentlichen Sinn des Treffens offenbar sehr nachlässig bestanden wird - mir also in Zukunft niemand übel nehmen wird, wenn ich es auch mal nicht schaffe. Andererseits war das doch ein sehr hektisches Lesen den gesamten Samstag gewesen; im Grunde hatte es mir den Tag versaut, denn der fulminante Anfang des Buches, hinüber zu einem vielversprechendem Mittelteil hielt sein Versprechen nicht: ein maues, nicht enden wollendes Ende ödete vor sich hin. Ich blätterte eilig Seite um Seite um und dachte "Oh nee, nicht noch eine blöde Finte, irgendwann muss doch mal Schluss sein" und lieber hätte ich stattdessen andere Dinge gemacht.

Dann wurde ich aufgefordert, über das Buch zu sprechen, wenn ich es schon mal gelesen habe. Haha, sehr witzig. Ich rede ja gerne und zuweilen höre ich mich sogar gerne reden, aber der Koreaner hatte eine schlechte Akustisk und war brechend voll, obwohl alle auf Bänken ohne Lehne sitzen müssen. Kurz: ich musste gegen einige Dezibel anbrüllen und da geht ja der feinste Satzbau unter. Und es machte auch sonst keinen Sinn und Spaß schon gar nicht, vor lauter letztlich wildfremden Menschen über ein Buch zu referieren, das niemand gelesen hat.

Aber ich bin zuversichtlich, denn sie waren wirklich alle ausgesprochen nett und in meiner Welt ist nett nicht die kleine Schwester von Scheiße, sondern einfach nett. Bin gespannt, ob beim nächsten Termin wenigstens ein paar andere das neue Buch gelesen haben werden. 




P.S. "Nervöse Fische" möchte ich unbedingt empfehlen. Sätze für die Ewigkeit drin, en masse. Und wenn jmd. gut schreibt, ist mir die Handlung fast egal.