Sonntag, 30. Oktober 2016

Du fehlst

Wir stehen an ihrem Grab.
"Ob noch was von ihr übrig ist?"
"Nee, nicht mehr nach dieser Zeit. Nur Knochen."

Unvorstellbar. Dabei wollten wir beide mit 90 aus Eifersucht im Bett erschlagen werden. Das war unser Ziel und unsere Beruhigung. Wir waren beide Hypochonder und wenn eine von uns die andere anrief "Ich glaube, ich hab'nen Schlaganfall." sagte die andere "Sei nicht hysterisch, sonst hau ich dir auf's Maul." Wir pflegten einen saloppen Umgang mit unseren Grillen.

Als ich mir spektakulär das Handgelenk brach, weil ich dachte, Schlittschuhlaufen verlernt man nicht, durften mich die Ärzte erst in Narkose versetzen, als sie in die Notaufnahme gehetzt kam. 

Nach einer Trennung, am Umzugstag, saßen wir kaputt in meiner neuen Wohnung und als alle gingen, sagte sie "Du kommst jetzt mit zu uns, nimmst ein Bad und schläfst dich erstmal aus." Sie war eine patente Seemannsbraut und tat oft das Richtige zur richtigen Zeit.

Weil sie nicht Fahrstuhl fahren konnte, bin ich mal mit ihr zu einem Termin in den 11. Stock des Steglitzer Kreisel gelaufen. Also weißt du, japste ich, du kannst in ein Flugzeug steigen und 10 Stunden drin bleiben, aber keine 30 Sekunden im Fahrstuhl aushalten. "Das ist doch was völlig anderes!"

Wir schauten alle Adelshochzeiten, mit Taschentüchern bewaffnet, aber bei 9/11 sagte sie kühl "Was soll das Gejaule? Im Afrika sterben jede Woche 3000 Menschen, da kräht kein Hahn nach."

Sie machte den besten Kartoffelsalat der Welt. Sie wollte eigentlich immer "Mittach essen" und kam an keiner Würstchenbude vorbei. Ihr Mann meinte, sie verplempert das Familienvermögen an Pommesbuden.

Ihr Tamagotchi hatte die weltlängste Lebenszeit und als es doch verstarb, war sie untröstlich. Ich hielt sie für bekloppt.  

In ihren Vierzigern rief sie "Titten auf den Tisch" und zog sich bis auf den BH aus, wenn wir Skipbo spielten, wegen aufsteigender Hitze. "Bald ist's Zeit für Tena Lady, führt kein Weg dran vorbei." Sie hatte überhaupt keine Angst vor dem Altwerden. Dinge, die man nicht ändern kann, nahm sie pragmatisch. 

Es war nicht immer einfach mit ihr. Sie liebte mich entweder überschwänglich oder gar nicht - zwischen beidem wechselte sie ohne äußere Anlässe hin und her. Mir wurde das eines Tages zuviel und wir entzweiten uns.

Wir sahen uns vier Jahre nicht. Dann trafen wir uns auf einem Fest wieder und nahmen wieder vorsichtig Kontakt auf. Es wurde nie wieder so eng wie früher, aber wir feierten Geburtstage zusammen, grillten, Spieleabende und all dieses Zeug.

An Silvester vor 5 Jahren rauchten wir auf dem Balkon und sie erzählte, dass sie seit Tagen nicht aufs Klo kann, das sei ja vielleicht bekloppt. Am nächsten Tag Notaufnahme, OP, bösartig, aber im Sommer sahen wir die Hochzeit von William und Kate. Alle dachten, jetzt sei es gut. Das blieb es nicht und mir brach das Herz. 

Sie ließ bis auf ganz wenige Menschen niemanden zu sich und dann ging es ganz schnell. Ich begriff das nicht. Nie wieder? Wir waren über 15 Jahre die engsten Freundinnen, selbst unser Zerwürfnis änderte nichts daran, dass sie einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben war.


Bei der Beerdigung platzte die große Trauerhalle aus allen Nähten, bis draußen standen sie. Sie war eine Vielgeliebte, trotz oder auch wegen ihrer zeitweiligen Ruppigkeit. 

Heute trommelte uns ihr Mann zusammen, wir trafen uns in einem Café gegenüber des Friedhofs. Später spazierten wir zu ihr hin. Ich finde, sie hat einen 1 A Platz. Idyllisch, im Sommer hat sie Schatten, eine Bank direkt in der Nähe.

"Und der Sarg? Ist der noch da?"
"Nee, das Gewicht der Erde, alles platt."
"Auch das Adelsblättchen, dass wir ihr ins Grab geworfen haben?"
"Das war die GALA."
"Alles weg."

Beim gehen streichen wir kurz über den Grabstein.
"Tschüss, wo immer du bist."

Freitag, 28. Oktober 2016

sucked

Habe ich schon erwähnt, wie gut ich organisiert bin? 

Ich organisiere im Job und privat auch. Jahrestreffen. Veteranen aus früherer Zeit. Ist ja ganz leicht. Ein Lokal angerufen, Tisch reserviert, ein Mail an alle, fertig ist die Laube.

Eben klingelt das Telefon. "Wo bist'n du? Wir warten auf dich."

Vergessen, total vergessen. Ich fass es nicht. Ich bin so durch. Verficktes Change Management, seit einer Woche habe ich die Hölle auf Erden, weil ich eine Karte aus dem Kartenhaus gezogen habe. Ich wusste, das wird nicht schön für mich. Aber so schlimm? Nee.

Ich weiß ja, weshalb alle schweigen. Dass niemand den Mund aufmacht, weil es einer Selbstopferung gleichkommt. Dass sich die Bestimmer wie die Hyänen auf den stürzen, der blöd genug ist, laut zu sagen, so klappt das nicht. 

Wenn einer der Bosse sich wie irre auf eine Tippse stürzt, dann weiß ich zwar, dass er es aus Angst macht, weil ich mittel- bis langfristig weitaus gefährlicher für ihn bin, als er für mich. Aber mein angelesenes Psychokackehalbwissen nützt mir gar nichts, denn das Exempel, das kurzfristig an mir statuiert wird, zeigt allen anderen, dass Fresse halten in jeder Hinsicht alternativlos ist. 

Ich bin zu müde, um auch nur einem Menschen zu erzählen, was mir da gerade passiert. Viel zu anstrengend. Die Hintergründe zu schildern, ohne die man das Vordergründige nicht verstehen kann. Es wäre eine ellenlange langweilige Geschichte. 

Neulich schleppte mich jemand ins Kino, Bridget Jones Teil 3, bloß nichts anspruchvolles. Dieses zerstörte Gesicht von Renée Zellweger traf mich bis ins Mark, du meine Güte, wer weiß denn, was Leute denken, die mich 15 Jahre nicht gesehen haben. Wann immer ich in den Spiegel schaue, sehe ich ein angestrengtes, um Fassung ringendes Gesicht, da kann ich noch soviel lächeln, Furcht und Erschöpfung springen mich an.

Ich habe zum ersten Mal Existenzängste. Nimmt mich Cheffe heute konspirativ zur Seite, schaut sanft auf mich runter: "Also, was ich dir mal sagen wollte, du bist so dermaßen gut in deinem Job, du würdest doch auch in einem anderen Laden einer super Karriere machen."

So so.

Mein Psychokackehalbwissen sagt mir, dass er keine Lust hat, sich für seine vorlaute Tippse zu verkämpfen. Da kann er mich noch so schätzen, mir in allen Punkten recht geben, aber der Chef einer unversehens an die Öffentlichkeit gezerrten und demontierten Mitarbeiterin zu sein, kann und will er sich nicht antun. Bei allem Einvernehmen, das ab jetzt keinen Pfifferling mehr wert ist. Ich kann mir allerdings nicht leisten, auf seine Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen.

Ich schau ebenso sanft zurück: "Du weißt schon, wie alt ich bin? Ich mach nirgendwo mehr Karriere." 

Kein Wunder, dass ich schlimmer aussehe als Renée Zellweger.

Mittwoch, 26. Oktober 2016

Von Telefonanbietern lernen, heißt siegen lernen

Weil ich so fabelhaft gut organisiert bin, kündige ich alle Verträge, die ich abschließe, eine Woche nach der Unterschrift. Damit ich bloß in zwei Jahren nicht den Zeitpunkt verpasse. 

So auch mit dem Handy. Ich bekam ein Diensthandy, schenkte das alte dem Mütterle und sagte, bis Ende September läuft das Ding, viel Spaß damit.

Ich bekam auch eine Kündigungsbestätigung und zig Mails, ob ich den Vertrag nicht doch verlängern möchte, man habe da ein super günstiges Angebot, etc. blabla.

Kurz vor Ende September bekam ich eine Mail, dass der Mobilfunkanbieter einen neuen Besitzer hat, aber es würde sich "für meine Konditionen" nichts ändern. Ich antwortete, man möge bitte bedenken, dass mein Vertrag in drei Tagen ausläuft. Keine Antwort.

Anfang Oktober bekam ich eine Rechnung von dem neuen Anbieter, da dachte ich noch, ist sicher eine Abschlussrechnung. Heute bekam ich eine erneute Rechnung. Ich drückte auf "Rechung anschauen" und wurde dann zu einer Seite geleitet, auf der ich Nummer und Passwort eingeben soll. Nummer weiß ich noch, PW habe ich alles ausprobiert, was ich so nutze - nichts nada niente.

Die Seite bot mir das übliche an: ich könne ein neues Passwort anfordern. Tat ich. "Das neue Passwort wird an Ihr Handy verschickt". Nur ist das ja in Niedersachsen und bei Mütterles Gründlichkeit ist bestimmt schon die SIM Karte entsorgt - ich werde diese sms also nie erhalten. 

Auf der Website gibt es einen Live-Chat, zum Probleme besprechen, aber nur bis 20 Uhr. Service-Telefon bis 22 Uhr. Eine Prüfung, wo ich doch immer alles sofort erledigen will. Eine Mailadresse gibt es nicht. Ich finde den Zettel mit den Kennwörtern nicht. Bin mir nicht mal sicher, ob es so einen Zettel überhaupt gibt. Die Kündigungsbestätigung finde ich auch nicht mehr. 

Fürchte, die Eigenwahrnehmung bezüglich meines Organisationstalentes bedarf einer selbstkritischen Überprüfung.

Dienstag, 25. Oktober 2016

Keep me searching for an Fahrzeugbrief

Eigentlich bin ich ganz gut organisiert. Ich sammle alle Papiere über 5 Jahre in einer Kiste, alle zwei Jahre befreie ich die Kiste von dem, was weggeschmissen werden kann, weil die Kiste zu voll wird und schon drei Jahre später sortiere ich alles in Ordner. 

Morgen muss mein Auto zum TÜV. Also nahm ich mir die Kiste zur Hand. Allein, der Fahrzeugbrief ist unauffindbar. Dabei sehe ich ihn die ganze Zeit vor mir. Will sagen, neulich erst, meine ich ihn gesehen zu haben.

Diese nervenzerrüttende Suchaktion korreliert mit einem auch ansonsten schlimmen Tag. Vor Wochen bestellte ich mir für heute einen Handwerker ins Haus, eine ganz kleine Sache nur, die dann aber doch drei Stunden dauerte. Weshalb ich das so genau weiß? Normalerweise hätte ich mich im Büro versteckt und hätte von dem Elend nichts mitbekommen.

Aber da ich heute früh aufwachte und mir am Frühstückstisch die Tränen kullerten, weil im Büro.... ach, lassen wir das... wie ich da so saß und heulte, beschloss ich, ich melde mich krank. Der Handwerker würde eine halbe Stunde brauchen, dachte ich da noch und dann nur noch schnell die Kiste nach dem Fahrzeugschein durchsuchen und der Rest des Tages in Frieden heulen und langsam wieder ins Gleichgewicht kommen.

Soweit der Plan. 

Der Handwerker kam. Ich musste ihm natürlich helfen, sonst hätte es noch länger gedauert. Er musste sägen und bohren und dübeln und dann hat er sich auch noch vermessen und mussste weiter bohren und ich stand neben der Leiter und saugte an der Decke, neben dem Bohrer. Mit heulen war schon mal nix.

Als er ging, war es schon 18 Uhr und überlegte, wie ich mich jetzt wieder in die befreiend tränenselige Stimmung vom frühen Morgen bringen kann, aber natürlich erst, nachdem ich den Fahrzeugbrief gefunden habe. Ich habe noch keine Träne geweint, denn ich suche seit zweieinhalb Stunden. Ich habe alles durchforstet. Er ist nicht da. Alles, was mit diesem Auto zu tun hat, ist nicht da. Kein Versicherungsschein, nichts. 

Dann kam mir die zündende Idee: Vielleicht ist der Brief im Auto. Tja. Ich fand auch gleich so eine Mappe mit allem möglichen drin, nur der Brief fehlte. Ich habe sogar eine Radiokarte und alle TÜV Berichte der Vorbesitzer. Bis das Auto in meinem Besitz überging, war es sogar checkheftgepflegt, wie ich eben erfahren habe. Solche Traditionen führe ich nie fort. Ich bin zufrieden, wenn ich viermal im Jahr in die Waschanlage fahre, Pflege deluxe.

Während ich suchte, überlegte ich schon, dass ich das verbloggen werde, wie ich den Fahrzeugbrief dann doch noch gefunden haben werde.

to be continued

edit 21.21 Uhr: Ich habe die Kiste ein zweites Mal durchsucht. Habe den USB-Stick für die Glotze gefunden. Kein Fahrzeugbrief. 

edit 26.10.: Glück im Unglück: Der TÜV-Prüfer ist heute einfach nicht erschienen in der Tanke meines Vertrauens (die deshalb mein Vertrauen hat, weil es dort einen freundlichen, winzig kleinen Schrauber gibt, der ein Fachmann für mein winzig kleines Auto ist und zudem winzig kleines Geld nimmt).

Sonntag, 23. Oktober 2016

Schwestern

Meine Mutter ist keine reisefreudige Frau. Sie musste früher meinem Vater folgen, wo auch immer es ihn beruflich hinverschlug; in den Ferien schnappte sie ihre Kinder, packte das Auto voll und während mein Vater uns alle in irgendwelche entlegenen Gegenden Deutschland fuhr, rauchte er dabei fröhlich Kette. Damals gab es noch keine Kenntnisse über die Gefahren des Rauchens und selbst wenn es die gegeben hätte, waren Kinder einfach kleine Menschen, aber ohne Menschenrechte.

Ich vertrug das ganz gut. Während meine Schwestern alle naselang kotzten, zählte ich die Autos, die uns überholten. Das waren nicht viele, denn mein Vater raste affenartig schnell durch die Republik. Ich war sehr stolz darauf, dass fast niemand so schnell war wie er.

So gab es auch ein Spiel, wenn wir zur Oma auf's Dorf fuhren: er beschleunigte, bis wir zum "Hubbel" (eine in meiner Erinnerung gewaltige Bodenschwelle) kamen, über die wir dann flogen (alles schrie verzückt, bis auf meine Mutter), dann nahm er das Gas raus und rollte weiter bis zum Dorf, durch alle Straßen, bis wir vor dem Haus meiner Oma ankamen, ohne dass er noch mal einen Gang einlegen musste. Dann war er zufrieden und wir auch. 

Später erweiterte er seinen Fuhrpark um ein Motorrad und sagte zu meiner Mutter: "Komm, wir fahren zu Doro, Kaffee trinken." Meine Tante Doro, Schwester meiner Mutter, lebt in Köln, 300 Kilometer entfernt. Meine Mutter sträubte sich, aber dann machte sie das Abenteuer doch mit. Zur Sicherheit zog sie aber gleich den orangenen Regenanzug über die Ledercombi. Die beiden brausten los und waren am Abend wieder zuhause. 

Ich habe noch eine andere Tante, die lebt im selben Kaff wie meine Mutter. Obwohl meine Mutter nicht besonders gern reist, pflegt sie im Gegensatz zu dieser Schwester dennoch einen geradezu draufgängerischen Lebensstil. Diese Tante nämlich hatte bald 20 Jahre ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Wirklich, so etwas gibt es. Ihre Neurosen wurden auf das zärtlichste gehegt und gepflegt von meinem Onkel, dem offenbar ganz recht war, dass er immer wusste, wo seine Frau war. Bis zu dem Tag, als er einfach tot umfiel.

Alle machten sich große Sorgen, was nun aus Tante Rita werden sollte. Meine Mutter übernahm das Kommando und mit ihr an der Hand machte sie die ersten Schritte auf die Straße. Überraschend schnell fand Rita Gefallen daran, langsam durch die Fußgängerzone zu bummeln und Tinnef zu erwerben. Mittlerweile braucht sie keine Begleitung mehr und kauft alle 1-Euro-Shops leer. 

Meine Mutter war bereit für ein erneutes Abenteuer Köln. Allein wäre sie freiwillig nie gefahren, aber wenn sie jemanden bei sich hat, auf den sie aufpassen muss, würde sie es wohl auch bis ans Ende der Welt schaffen. In Köln nämlich stand ein runder Geburtstag an und sie plante die Schwesternzusammenführung außerhalb von Niedersachsen; eine ganze Woche wollten sie bleiben.

Meine Cousine versorgte mich mit Fotos und als meine Mutter wieder zuhause war, erzählte sie mir, dass sie mit den beiden immer bummeln musste, in 1-Euro-Shops. Und dass Doro immer noch nicht kochen kann und es am ersten Abend eine Gulaschsuppe vom hiesigen Fleischer gab "In einem Plastikschlauch, stell dir das mal vor, es war grauenvoll." 

Doro ist auch ansonsten vom rheinischen Laissez-faire absorbiert (unter anderem auch deswegen war sie meine Lieblingstante, bei ihr durften Kinder Cola trinken und Mars essen, direkt vor dem Mittagessen) und nimmt es mit der Haushaltsführung nicht so genau. Einen Tag verbrachten die drei in der Küche und entsorgten Lebensmittel, die 2001 abgelaufen waren. Es soll sehr lustig gewesen sein. 

Aber die drei befruchten sich gegenseitig. Kürzlich begleitete meine Mutter doch mal wieder meine Tante Rita auf ihrer täglichen Einkaufstour und sie kamen in einen Laden, in dem man Gebrauchtes hinbringen oder für sehr wenig Geld erwerben kann. Da sah sie in einem Regal ein riesiges Depot ihres eigenen Geschirss, das im wahren Leben exorbitant teuer ist. 

Sie erwarb, wie sie mir elektrisiert erzählte, 6 Suppenschüsseln, 6 flache und  6 tiefe Teller, einen Kuchenteller und (den Rest habe ich vergessen) für "Stell dir vor, 70 Euro. Da bekomme ich normalerweise gerade mal zwei Teller für. Jetzt habe ich alles für 18 Leute!" 

Was ja immer eine Beruhigung ist.

Dienstag, 18. Oktober 2016

Wer noch niemals in lauschiger Nacht...

... ein Change Management mitgemacht.

Kein Stein bleibt auf dem anderen, das ist das erklärte Ziel. Was genau ist der Grund? 

Nun ja, der ist immer und überall auf der Welt derselbe. Ein paar Leute, die ganz nach oben wollen (genauer: dorthin, wo jetzt der sitzt, der schon ganz oben ist), und das nur zu schaffen glauben, indem sie inflationär mit Begriffen wie Diversity, Sustainability, Stakeholder Value und Key Performance Indicator um sich schmeißen, es leider nicht beim Mind fucking belassen, sondern den ganz oben davon überzeugen, dass all der hohle Quark auch umgesetzt werden muss. Der ganz oben hat - schätze ich - Angst, dass die ihn vor der Zeit plattmachen, wenn er nicht mitmacht. 

Also übt er nachts heimlich all diese Worte auswendig, so wie auch das verschreckte Volk (inklusive mir) beginnt, den Sinn dieser Worte in irgendeinem Wiki zu ergründen, man will ja irgendwie mithalten, aber das verhindert natürlich auch nicht, dass man zur Schlachtbank geführt wird. 

Als erstes wird einem jedem einmal mehr klar gemacht:
  • Es ist egal, was du kannst. Du bist nicht oben, also kann es nichts Besonderes sein
  • Du sträubst dich? Um so besser, genau so wird's gemacht
  • Die neue Software funktioniert nicht? Wahrscheinlich bist du nur zu blöd, sie zu bedienen 
  • Du denkst, du hast gute Argumente? Irrelevant, behalt sie für dich
  • Du bist richtig gut in deinem Job? Wie niedlich, jeder Idiot kann das besser als du
  • Du meinst, dein Wissen ist unverzichtbar? Glaub mir, dich kennt hier niemand  
Und dann werden Jobs und Abteilungen mit der Brechstange zerschlagen, wider besseren Wissens und ohne Aussicht, je wieder an einen Punkt zu gelangen, an dem der Job Sinn hat oder Spaß macht. 

Es geht nur um eins: Machtzuwachs durch potemkische Dörfer. 

Die Anzahl der Meetings steigt ins Unermessliche. Dabei ist gar nicht erwünscht, dass man irgendwas zum besten gibt, in einer der zahllosen und gleichermaßen absurden Besprechungen. Abnicken oder nicht abnicken, das ist hier die Frage. Kein Schwein kommt mehr zum operativen Geschäft, was den Druck erhöht. 

Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass die sogenannten High Potentials den Frust der 75%, die den Laden in Wahrheit schmeißen, nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern willentlich potenzieren. Vielleicht weil sie die ganze Zeit die Hosen voll haben, dass ihnen die Bude um die Ohren fliegt, denn bei all dem Mist, den sie entscheiden, können sie nichts anderes als Panik haben. Also, ich hätte Tag und Nacht eine Scheißangst, wenn ich mich aus Karrieregründen gezwungen sähe, derlei Hara Kiri zu erfinden und dann auch noch zu implementieren. 

Also ist es ihnen lieber, wir haben Angst. Besser eine innerlich gekündigte Belegschaft ohne Rückrat, als eine, die noch Kraft und Mut aufbringt, sich diesem Wahnsinn entgegenzustemmen.

Und schneller, als ich es je für möglich gehalten habe, ist mein erklärtes und einziges, leider noch in Ferne liegendes Ziel, zu einer neuen inneren Haltung zu gelangen: es ist nur ein Job.

Sonntag, 16. Oktober 2016

Die Erlkönigin

Die Chefin vom Reitstall hat ein ganz klares Menschenbild.
  1. Einen Lebensberechtigungsschein haben nur Leute, die Privatpferde in ihrem Stall stehen haben und selbst auf ihnen reiten. 
  2. Leute, die auf (sowieso inakzeptablen) Schulpferden reiten lernen, werden zähneknirschend toleriert, weil sie Geld bringen, aber richtige Menschen sind sie eigentlich nicht. 
  3. Leute, die Bodenarbeit machen, haben automatisch jedes Lebensrecht verwirkt. 
  4. Menschen wie ich, die aufgrund der Großzügigkeit einer *siehe 1* auf einem Privatpferd lernen dürfen, existieren praktisch nicht und die *siehe 1* läuft Gefahr, sich wegen ihrer bedenkenswert sozialromantischen Ader in Kategorie 2&3 zu katapultieren.

Das hat zur Folge, dass wir auf die guten Plätze oder in die Halle nur dürfen, wenn niemand in der Nähe ist. Also verschwinden wir auf irgendwelche Randplätze, die tagsüber Aufenthaltsorte für Pferde sind, weil die doch lieber in einer Herde an der frischen Luft ihre Freizeit verbringen anstatt blöde in der Box zu stehen. 

Diese Randplätze sind nicht beleuchtet und da beginnt in dieser Jahreszeit das Dilemma. Ich komme in der beginnenden Dämmerung an und versuche affenartig schnell, mit dem satteln zurande zu kommen, aber da sich meine Idee mit den Klettverschlüssen noch nicht durchgesetzt hat, dauert es Stunden und bis ich endlich im Sattel sitze, ist die halbe Nacht rum. 

Die Trainerin, die mir jede Stunde Neues abverlangt und vor allem die Dinge, vor denen mir am meisten graut, lässt mich allein bis zum Randplatz in Timbuktu reiten, geht nur neben mir her, während ich quasi meinen ersten Ausritt ins Gelände mache. Das hatte ich eigentlich erst in fünf Jahren vor. Beunruhigt nehme ich zur Kenntnis, dass eine Wildschweinrotte die gesamte Wiese vor dem Platz vertikutiert hat. Die sind also irgendwo in der Nähe.

Kaum bin ich auf dem Platz, verlässt mich die Trainerin und stellt sich draußen vor den Zaun. Ich mutterseelenallein mit dem 600 Kilo Brummer unter mir. Es ist 18.45 Uhr, jeder weiß, wie dunkel es dann schon ist. Tapfer reite ich Runde um Runde, Volte um Volte und ich bin tatsächlich tapfer, denn der Brummer ist gedanklich längst im Feierabend und zeigt das nicht eben subtil.

Selbst als er wirklich sauer wird und den Kopf wild nach unten und oben schlägt (normalerweise holt er sich so den nötigen Schwung fürs angaloppieren) und ich meine Mühe und Not habe, die Zügel in der Hand zu behalten, bleibe ich schön sitzen und versuche weiter, ihn zum traben zu bringen, aber nach fünf Schritten geht er wieder im Schritt. Nichts zu machen. Kein Wunder, nachtschwarz ist es inzwischen.

"Du willst es einfach nicht und das merkt er, deshalb macht er's auch nicht", tönt es aus der Dunkelheit über den Zaun rüber. Wohl will ich traben, aber ich seh nichts mehr, das Pferd sieht nichts mehr - das kann uns niemand vorwerfen. 

Auf dem Rückweg zum Stall greift die Trainerin nach den Zügeln und gibt mir Anweisungen für das, was jetzt eventuell passiert. Es sei nämlich dunkel und da sei ein Pferd schreckhaft und falls jetzt... soll ich einfach tief im Sattel sitzen bleiben. Hä?

"Du machst mir ja Mut!"
"Naja, er kann hier nichts mehr sehen auf dem Weg und falls irgendwas aus dem Busch kommt... ich will dich ja nur vorbereiten."

Hallo? Ich bin eben eine Stunde in völliger Finsternis allein auf dem Platz geritten, da konnte es sich nicht erschrecken?

Nächste Woche schnalle ich mir eine Grubenlampe um und um das Pferd drapiere ich eine Lichterkette.

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Keine Kippen und gelegentlicher Geschlechtsverkehr in der Autowaschstraße

Sehr kollegial vom Kiezschreiber, dass er mir diese verlockende Überschrift auf dem Silbertablett serviert. Nichts wird mehr angeklickt als Titel, die in Aussicht stellen, ich würde jetzt aber mal endlich ausgepackt haben über diverse Aspekte meines Lebens, die ich ansonsten ausspare. 

Wenn ich nur mal selber auf so tolle Titel käme. @ Herr Bonetti, Verehrtester... das kann so gerne weitergehen. 

Ich war schon in der Schule am besten, wenn ich Aufsätze auf Zuruf schreiben durfte, oder anders ausgedrückt: der Lehrer gab ein Thema vor, indem er nur einen Satz an die Tafel schrieb. Zum Beispiel "Der letzte Mensch der Erde sitzt in einem Zimmer. Plötzlich geht die Tür auf."

Da schrob ich dann mit 15 Jahren drauflos, schuf eine depressiv-apokalyptische Welt, obwohl es sowas damals noch gar nicht gab, jedenfalls nicht in Niedersachsen, da gab es nur die Ostzone gleich nebenan und das war dann auch schon unser ganzes Problem.

Ich erklärte also seitenweise, weshalb der letzte Mensch überhaupt der letzte Mensch war (Kurzform: keine Arbeit mehr, keine Krankheiten, genug Geld für alle, Menschen studieren zum Zeitvertreib. Nachteil: Erde kracht bald in sich zusammen, wegen der Aushöhlung. Ja, Aushöhlung durch Abbau von Kohle, Gas, Öl, etc. Menschen sehen dem gleichgültig zu, weil sie nur noch zum Spaß leben müssen, haben sie alle Depressionen) - ich schrieb diese Gefühlsgemengelage exemplarisch dem eingangs erwähnten zukünftig letzten Menschen zu und machte aus ihm einen lebensmüden Trauerkloß, der den Verfall um sich herum nonchalant zur Kenntnis nahm.

Der Planet kracht also so vor sich hin, hier wird eine Stadt verschluckt, dort tut sich ein Spalt auf, es brennt und explodiert so vor sich hin und dann kam ich langsam zum Schluss und schrieb den letzten Satz meines Machwerks: "Der letzte Mensch sitzt in einem Zimmer und plötzlich geht die Tür auf." 

Wie ich im Lauf der Jahre feststellen durfte, ist die Grundidee dieses Aufsatzes in mehreren Blockbustern verwurstet worden, aber ich bekomme keine Tantiemen.

Der Deutschlehrer jedenfalls war begeistert von diesem Kniff und hielt fortan große Stücke auf mich. Physik-, Mathe- und Chemielehrer waren unbeeidruckt. Ebenso die Geschichtslehrerin, der ich auf die Frage nach der Drei-Stände-Gemeinschaft der alten Germanen antwortete "Vater, Mutter, Kind". Das las sie beim Verteilen der Klassenarbeiten auch gleich laut vor und konnte sich bis zum Ende der Stunde nicht mehr beruhigen.


So, und nun zu 'Keine Kippen und gelegentlicher Geschlechtsverkehr in der Autowaschstraße': Was soll ich sagen? Viel ist da nicht zu berichten. Ohne Kippen habe ich nie Geschlechtsverkehr in der Autowaschstraße.

Dienstag, 11. Oktober 2016

Schlechter Sex und Dosenbier

Schlechter Sex und Dosenbier

Sie schreibt so selten, es ist zum weinen. Aber es lohnt die Mühe, mit dem ersten Eintrag zu beginnen und sich bis heute durchzulesen.

Sonntag, 9. Oktober 2016

Prag

Die Verliebtheit in Städte ist meine Sache nicht. Am Ende stehen da ikonographische Bauwerke, an denen man sich mit Millionen anderen Touristen vorbeiquetscht. 



Ich bin empfänglich für Stimmungen, für ein bestimmtes Licht, für einzelne Gebäude oder Flüsse an malerischen Ufern oder meinetwegen für in Stein gehauene frühere Top-Models. 


Am liebsten sitze ich in Cafés und lass den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich war mit meinem Wunsch in der Unterzahl, es goss auch ohne Unterlass, also latschten wir geschlagene acht Stunden vom Kloster durch die Altstadt über die Karlsbrücke, hoch zu dieser gigantischen Burg, die in der Hand von Starbucks ist. 

Auf diesen Sims, von dem es tief abwärts ging, kletterten immer wieder Mädchen und machten halsbrecherische Bewerbungsfotos für Heidi Klum.


Wieder runter, zu einer kurzen Verschnaufpause in einem Schiff auf der Moldau, im Hintergrund lief irgendwann auch Smetana, aber erst nachdem in der ersten halben Stunde in fünf Sprachen die Sehenswürdigkeiten am Uferrand abgefrühstückt wurden.

Nachdem wir abends Ente mit Rotkohl und Klößen gegesssen hatten, dauerbeschallt von heimischen Schlagern, lagen wir erschöpft auf dem Bett und sahen Pulp Fiction auf tschechisch. Die anderen drei tranken zur Verdauung Becherovka, den sie eigentlich als Mitbringsel erworben hatten.

Was ist an Prag besonders? Auch Nachts ist es taghell, jedenfalls dort, wo unser Appartment lag, direkt neben dem Kloster Anežsky - die Stadt hat Geld für umfassende Illumination. Der Blick aus meinem Bett war dementsprechend romantisch.



Um drei Uhr Nachts wurde ich von Lärm wach und schaute neugierig aus dem Fenster. Unter mir drückten sich drei volltrunkene Männer in einer dunklen hellen Ecke herum und versorgten sich mit Koks, das sie sich in Ermangelung eines Tisches oder eines Spiegels direkt von der Hand in die Nase zu befördern versuchten. Zwei schlugen sich gegenseitig auf die Brust, dabei stimmten sie Gesänge an, wahrscheinlich handelte es sich um ein tschechisches Volkslied. 

Kurz bevor es eskalierte, kamen drei Frauen herbeigetorkelt und wurden schwankend umworben. Dann kam die Polizei, aber es war gar nicht die Polizei, sondern die Straßenreinigung, die sofort den Rückwärtsgang einlegte und sich vom Acker machte, sobald sie den drogengeschwängerten Paarungsritualen angesichtig wurde. 

So wie zuvor das Koks größtenteils auf dem Kopfsteinpflaster landete, war auch die Balzerei letztlich nicht von Erfolg gekrönt. Die Damen empfahlen sich und einige Zeit später verschwanden auch die drei Siegertypen in der Dunkelheit Helligkeit und es wurde wieder still.

Heute, am Sonntag(!), wurden wir um 8 Uhr wach, weil die Straßenreinigung mit einer Flex das Unkraut auf dem Kopfsteinpflaster massakrierte. Diese Stadt schläft nie.