Sonntag, 23. Oktober 2016

Schwestern

Meine Mutter ist keine reisefreudige Frau. Sie musste früher meinem Vater folgen, wo auch immer es ihn beruflich hinverschlug; in den Ferien schnappte sie ihre Kinder, packte das Auto voll und während mein Vater uns alle in irgendwelche entlegenen Gegenden Deutschland fuhr, rauchte er dabei fröhlich Kette. Damals gab es noch keine Kenntnisse über die Gefahren des Rauchens und selbst wenn es die gegeben hätte, waren Kinder einfach kleine Menschen, aber ohne Menschenrechte.

Ich vertrug das ganz gut. Während meine Schwestern alle naselang kotzten, zählte ich die Autos, die uns überholten. Das waren nicht viele, denn mein Vater raste affenartig schnell durch die Republik. Ich war sehr stolz darauf, dass fast niemand so schnell war wie er.

So gab es auch ein Spiel, wenn wir zur Oma auf's Dorf fuhren: er beschleunigte, bis wir zum "Hubbel" (eine in meiner Erinnerung gewaltige Bodenschwelle) kamen, über die wir dann flogen (alles schrie verzückt, bis auf meine Mutter), dann nahm er das Gas raus und rollte weiter bis zum Dorf, durch alle Straßen, bis wir vor dem Haus meiner Oma ankamen, ohne dass er noch mal einen Gang einlegen musste. Dann war er zufrieden und wir auch. 

Später erweiterte er seinen Fuhrpark um ein Motorrad und sagte zu meiner Mutter: "Komm, wir fahren zu Doro, Kaffee trinken." Meine Tante Doro, Schwester meiner Mutter, lebt in Köln, 300 Kilometer entfernt. Meine Mutter sträubte sich, aber dann machte sie das Abenteuer doch mit. Zur Sicherheit zog sie aber gleich den orangenen Regenanzug über die Ledercombi. Die beiden brausten los und waren am Abend wieder zuhause. 

Ich habe noch eine andere Tante, die lebt im selben Kaff wie meine Mutter. Obwohl meine Mutter nicht besonders gern reist, pflegt sie im Gegensatz zu dieser Schwester dennoch einen geradezu draufgängerischen Lebensstil. Diese Tante nämlich hatte bald 20 Jahre ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Wirklich, so etwas gibt es. Ihre Neurosen wurden auf das zärtlichste gehegt und gepflegt von meinem Onkel, dem offenbar ganz recht war, dass er immer wusste, wo seine Frau war. Bis zu dem Tag, als er einfach tot umfiel.

Alle machten sich große Sorgen, was nun aus Tante Rita werden sollte. Meine Mutter übernahm das Kommando und mit ihr an der Hand machte sie die ersten Schritte auf die Straße. Überraschend schnell fand Rita Gefallen daran, langsam durch die Fußgängerzone zu bummeln und Tinnef zu erwerben. Mittlerweile braucht sie keine Begleitung mehr und kauft alle 1-Euro-Shops leer. 

Meine Mutter war bereit für ein erneutes Abenteuer Köln. Allein wäre sie freiwillig nie gefahren, aber wenn sie jemanden bei sich hat, auf den sie aufpassen muss, würde sie es wohl auch bis ans Ende der Welt schaffen. In Köln nämlich stand ein runder Geburtstag an und sie plante die Schwesternzusammenführung außerhalb von Niedersachsen; eine ganze Woche wollten sie bleiben.

Meine Cousine versorgte mich mit Fotos und als meine Mutter wieder zuhause war, erzählte sie mir, dass sie mit den beiden immer bummeln musste, in 1-Euro-Shops. Und dass Doro immer noch nicht kochen kann und es am ersten Abend eine Gulaschsuppe vom hiesigen Fleischer gab "In einem Plastikschlauch, stell dir das mal vor, es war grauenvoll." 

Doro ist auch ansonsten vom rheinischen Laissez-faire absorbiert (unter anderem auch deswegen war sie meine Lieblingstante, bei ihr durften Kinder Cola trinken und Mars essen, direkt vor dem Mittagessen) und nimmt es mit der Haushaltsführung nicht so genau. Einen Tag verbrachten die drei in der Küche und entsorgten Lebensmittel, die 2001 abgelaufen waren. Es soll sehr lustig gewesen sein. 

Aber die drei befruchten sich gegenseitig. Kürzlich begleitete meine Mutter doch mal wieder meine Tante Rita auf ihrer täglichen Einkaufstour und sie kamen in einen Laden, in dem man Gebrauchtes hinbringen oder für sehr wenig Geld erwerben kann. Da sah sie in einem Regal ein riesiges Depot ihres eigenen Geschirss, das im wahren Leben exorbitant teuer ist. 

Sie erwarb, wie sie mir elektrisiert erzählte, 6 Suppenschüsseln, 6 flache und  6 tiefe Teller, einen Kuchenteller und (den Rest habe ich vergessen) für "Stell dir vor, 70 Euro. Da bekomme ich normalerweise gerade mal zwei Teller für. Jetzt habe ich alles für 18 Leute!" 

Was ja immer eine Beruhigung ist.

6 Kommentare:

  1. tanten und onkel sind die spannendsten leute der welt.

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    1. leider hat bei uns niemand die olle Verwandtschaft beisammen gehalten, dabei glaube ich , hätte ich auch eine menge skuriler gestalten dabei...ich erinnere mich zumindest an eine immer etwas überkandidelt wirkende Großtante (?) Schwester meiner Oma, die den Bruder meines Opas geehelicht hat (ja wirklich), die war bei den Zeugen Jehovas. fand ich als Kind sehr furchteinflössend, wenn diese mit Ketten behangene Frau verkündete, das bald die Welt unterging (dabei wirkte sie null beeindruckt von dieser Nachricht epischen Ausmaßes). Oder eine Cousine meiner Mutter, die wir ebenfalls nur mal besuchten als ich selbst noch Kind war, die einen Sohn nahmens Eitel hatte. Was'n das für ein Name, dachte ich..und die andere Großtante, die nach Honduras ausgewandert war und zu der natürlich niemand ´Kontakt hatte....Deppisch sowas....wo hätten wir nicht überall mal Verwandten-Sightseeing machen können...Cousin in Australien, Onkel in North-Carolina, Honduras, Schweiz....

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    2. Finde sie und besuch sie. Die freuen sich, ganz bestimmt :)

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