Montag, 28. Dezember 2015

Und es begab sich...

Der heutige Abend war von allen Weihnachtsverabredungen der Skurrilste.

Eingeladen bei einer Kollegin, die in einer riesigen vollgestopften Altbauwohnung lebt, die ich zuvor noch nie betreten habe. Alle anderen auch noch nicht oder das letzte Mal vor zehn Jahren.

Daher war erstmal Wohnungsbegehung angesagt. Ich schau mir ja liebend gerne die Wohnungen anderer Leute an, aber diesmal wurde uns die Geschichte eines jeden Wandtellers (örgs), eines jeden Reisemitbringsels erklärt. 

Nach anderthalb Stunden (auf 150 qm kann man eine Menge Ehe-Historie unterbringen, außerdem gehören sie zu Sammlern von Gedöns "alles mit Zertifikat") konnten wir uns endlich hinsetzen, die immer anwesende Schwiegermutter meinte trocken, dass sie doch noch einen Museumsbesuch wagen könne nach der heutigen Tortur Führung, auch mit ihren 92 Jahren. 

Das Essen war erwartungsgemäß toll und ich kann Menschen gar nicht genug wertschätzen, die sich den ganzen Tag in die Küche stellen, um für andere Leute ein mehrgängiges Menü zu zaubern. Ich bin da rustikaler, ich kann zwei, drei Sachen, die nach was aussehen, aber keinerlei Mühe machen und die gibt es seit Jahren. 

Dann lagen wir satt und matt in den Seilen und unterhielten uns. Die Schwiegermutter begann ein Gespräch mit mir über Flüchtlinge und die Hilfsbereitschaft der Menschen, die allerdings doch viel besser angelegt wäre in ehrenamtlicher Betreuung von alten Menschen in Pflegeheimen, erstmal sollte man doch "den eigenen Leuten" helfen und weshalb niemand für die Alten auf die Barrikaden ginge, die ein schreckliches Dasein in Altenheimen zu erdulden hätten. 

Ihr Sohn, das sah ich aus den Augenwinkeln, lief rot an, stand auf und holte sein Tablet. Dann, inzwischen auf 180, verbat er sich diese "fürchterlichen Gesprächsthemen" und kündigte an, dass er uns nun eine moderne Fassung der Weihnachtsgeschichte vorlesen werde. Sein Tablet stürzte zwischendrin immer wieder ab, was ihn noch wütender machte, seine Frau versuchte mit hysterischem Gelächter zu deeskalieren, was der Gesamtsituation keinen Gefallen tat. 

Nach Ende des Vortrags unterhielt ich mich nunmehr mit meiner Kollegin über eigentlich belanglose Dinge, was ihm aber auch nicht gefiel und er unterbrach uns brüsk, dass er weitere Geschichten vorzutragen gedenke, diesmal nahm er sich ein Buch zur Hand, das könne wenigstens nicht abstürzen. Es handelte sich um Geschichten, wie berühmte Literaten den Weihnachtsmann sehen, in deren Schreibe. 

Er fing mit Bukowskis Sicht auf den Weihnachtsmann an, wo es viel um Feuchtigkeit und eintauchen in eine gewisse Cindy oder Mary ging, was seine Mutter mit Contenance zur Kenntnis nahm, und endete mit Kolumbus, eine nicht enden wollende Geschichte, die in Echtzeit um 1492 bis zur Entdeckung des Weihnachtsmannes bei einem Landgang handelte - wir schliefen erkennbar ein, was meine Kollegin erneut zu hysterischem Gelächter animierte, um einerseits ihre Gäste wachzuhalten und andererseits ihren Mann so subtil wie möglich und ohne einen Gesichtsverlust für ihn zu riskieren, darauf hinzuweisen, dass er zum Ende kommen möge.

Verächtlich schnaufend und unbeirrt las der Hausherr weiter und als der blöde Kolumbus den blöden Weihnachtsmann endlich gefunden hatte, sprangen wir fast gleichzeitig auf, schützten Termine am nächsten Tag vor, leider, es war so ein schöner Abend, aber nun... es ist ja auch schon spät geworden. 

Ich fuhr ehrenamtlich die Schwiegermutter nach Hause.

Donnerstag, 24. Dezember 2015

It's so important to make someone happy

Heiligabend wird bei der Grauen Eminenz gefeiert, volles Haus, für das ein begnadeter Mensch sieben Gänge kocht. Leider beginnt das Essen erst gegen 21 Uhr und endet gegen 5 Uhr mit dem Dessert. 

Niemand hat die Absicht, um 5 Uhr ein Dessert zu essen. 

Zwischendurch verkleidet sich die Gastgeberin (mal erscheint sie in einem Krankenschwester-Outfit aus Plastik, mal als tiefdekolletierter Porno-Engel) und zelebriert die Geschenkeübergabe. Man könnte Eintritt für sie nehmen. 

Gescheitert ist sie nur mal an Harald Schmidt, den sie anbetet und als sie ihn eines Tages in einer Bar sah, sagte sie zur Eminenz "Da geh ich jetzt hin und sage ihm, was ich ihm schon immer sagen wollte." Die Eminenz lächelte wissend, "Wie du meinst." Sie kam zurück wie ein geprügelter Hund, denn Harald Schmidt hatte sie nur gelangweilt angesehen und "Ach ja?" gesagt, als sie ihn informierte, dass sie die einzige Frau ist, die... - aber das kann sie viel besser erzählen.

Tagsüber denke ich darüber nach, was ich anziehe. Das ist wichtig, denn ich treffe dort immer die kürzeste Liebe meines Lebens. Nichts mehr, was mich sonderlich anficht. Meine Gefühle haben sich zu bedauerndem Mitleid transformiert, was ich hoffentlich erfolgreich verberge. Er hat einen mit Vorsatz selbst herbeigeführten Weltklasse Absturz hingelegt - Paradedisziplin eines jeden großen Koksers.

Als ich mich in ihn verliebte, deutete er auf einen vorübergehenden Obdachlosen und meinte "Schau hin, meine Zukunft". Das war sehr hellsichtig von ihm, denn es deutete nichts auf existenzielle Probleme hin; im Gegenteil, er war der große Kaiser Maximus von Moskau Berlin Mitte. Ich ahnte nichts von Kokain, gleichwohl mich die Eminenz für seine Verhältnisse eindringlich vor ihm warnte, es "könne schwierig werden". 

Er richtete dann auch ein Massaker an meinem Herzen an, wovon er aber nichts wusste. Er hatte keinen Schimmer, wie sehr ich mich ihm verbunden fühlte (das erzählte ich ihm erst Jahre später, als Anekdote), vor allem seitdem er sagte, ich spiel dir mal was Tolles vor und ohne mit der Wimper zu zucken den bekannten Independent Künstler James Last auflegte. Als es soweit war, zog ich mich wortlos zurück, was ich noch heute für eins meiner Glanzstücke halte.

Unterdessen berät er mich bei der Balkonbepflanzung, denn er hat, was man auf den ersten Blick nicht vermutet, ein profundes Wissen über Gräser. Als ich mal mit ihm bei Pflanzen Kölle war, trafen wir zufällig Freunde von mir und ich erschrak, als ich ihn mit ihren Augen sah: objektiv gesehen mussten sie denken, dass ich mich mit einem versoffenen Brandenburger Nazi herumtreibe. Koks kann er sich nicht mehr leisten und so versteckt er sich vor der Welt und gibt nur noch sporadisch den großen Zampano.

Anyway, was ziehe ich heute an? 

Allen anderen: Make someone happy


Dienstag, 22. Dezember 2015

Zuhause in Davos

Ach, was hab ich geschluchzt. WO BIST DU fragt Kai Pflaume und findet verschollene Verwandte, die sich nach 50 Jahren umhalsen, heulen und heulen und ich gleich mit. Ich muss mich für mich selber fremdschämen, aber in Maßen. Heulen ist gesund.

Ja, die Luft brennt bei mir. Ich kränkel, also schaue ich viel fern. Ich komm nicht viel rum und bin nicht mal schlecht drauf, obwohl bald Weihnachten ist, das soll mir erst mal einer nachmachen. Mir ist seit Wochen, als säße ich am Ufer eines Sees in der warmen Abendsonne, ich blinzel mit den Augen, hab keine Eile und genieße die Ruhe, um mal meine Grundstimmung zu beschreiben. 

Wahlweise liege ich in Davos unter einer warmen Decke auf der Terasse inmitten von blütenweißem Schnee und mir bringt jemand heiße Schokolade - im letzten Jahrhundert die ultimative Heilmethode bei Pneumothorax. In Wahrheit habe ich natürlich keinen Alpenblick, aber dafür labert mich auch Settembrini nicht voll.

Sowas ähnliches habe ich demnächst vor. Ich fahre in ein einsames Försterhaus. 

Ich bin immer wieder überrascht, wie leichtfertig ich meinen Urlaub mit Freunden in Nichtraucher-Ferienhäusern verplane. Einer schlägt vor "Silvester an der Dingsbumsküste?" - dann kommen wir an und mir wird klar, die nächsten fünf Tage rauche ich bei klirrender Kälte und eisigem Ostwind allein vor der Tür. Nun, in diesem Jahr wohl eher bei Vogelgezwitscher, aber das ändert nichts daran, dass ich lieber drin und im sitzen rauche. 

Überhaupt: sitzen in Ferienhäusern. Da bieten die ein Haus für 15 Leute an, im Wohnzimmer steht aber nur ein Zweisitzer plus Sessel. Was denken die sich dabei? 
Dass die Gäste sowieso jeden Abend unterwegs sind? (Na-hein, Leute, die ein Ferienhaus buchen, sind über dieses Stadium längst hinaus, die kochen abends zusammen und dann wollen sie höchstens noch verdauen) Im letzten Jahr stand der Esstisch unter einer unbeleuchteten(!) Dachschräge, weshalb vier von uns anschließend zum Physiotherapeuten mussten.

Nach dem Desaster werde ich diesmal mit einer neuen Stufe unbeugsamer Schrulligkeit aufwarten: meine Lafuma Gartenliege kommt mit. Da sollen die sich drüber lustig machen, mir egal. Die saufen und kiffen sich das Mobiliar schön, während ich wegen meiner japanischen Gene bei vollem Bewusstsein auf einem harten Küchenstuhl leiden muss. Nein. Nie wieder. Solange ich auf diesem Ding liege, kann neben mir die Welt untergehen. Ich werde Frantzen und Henschel lesen und wenn das Wlan funktioniert, darüber berichten.

Freitag, 18. Dezember 2015

Fehlgeleitete Mütter in der Drogerie

"Mama, ich will den Nagellack" quakt eine Fünfjährige. 
"Nein, den bekommst du nicht." flötet die Mutter zurück.

Kind wird sauer.

"Ich will den Nagellack."
"Hör mal, Mama hat noch ganz viele Termine, wir müssen jetzt in den Kindergarten."
"Ich will aber den Nagellack."
"Also wenn du jetzt schlechte Laune bekommst, dann kann ich dich nicht mehr vor der Kita mit in die Drogerie nehmen, dann war das heute das letzte Mal." droht die Mutter in mädchenhafter Tonlage, ganz weit oben, fast flüsternd, Geduld vortäuschend. 

Mir bluten die Ohren. Diese Stimme! Und dieser Scheiß, den sie erzählt. In welchem Universum fühlen sich Kinder vernachlässigt, wenn sie vor der Kita nicht mit der Mutter zum Einkaufen hetzen müssen?

"Ich will den Nagellack."
"Komm jetzt, wir müssen los."
"Ich will aber nicht."
"Dann gehe ich jetzt ohne dich."

Kind rührt sich nicht. Mutter geht genau einen Schritt. Dann piepst sie:

"Ich geh jetzt aber wirklich."

Mutter bewegt sich aber keinen Millimeter. Kind kennt das Spiel schon.
 
"Willst du dir was anderes aussuchen?"  

Hä? Geht's noch? Findet das Kind auch.

"Nein, ich will den Nagellack."
"Spätzchen, du hast schon Nagellack zuhause."
"Ich will aber den."
"Die warten schon in der Kita auf dich."
"Gar nicht."
"Gut, ich geh dann jetzt los."

Mutter geht immer noch nicht los. Ich stöhne leise auf. Fast will ich sie am Arm vor die Tür zerren, als Erkenntnisgewinn für das Kind. Kind schaut wie der Anti Christ. Böse, böse, böse. Das kann die Mutter nicht verkraften. Sie kauft den verdammten Nagellack.

Ich bin für die Wiedereinführung der Prügelstrafe. Also, für die Mutter.

66.666

Das erste Blog-Jahr ist noch nicht rum, aber an dieser Schnapszahl komme ich nicht vorbei. Komme ich nie. 


Äh, was wollte ich sagen? 66.666 Seitenaufrufe.

Danke an alle, die hier so zahlreich Seiten aufrufen. Danke für freundliche Kommentare, für Verlinkungen und Aufnahme in Blogrolls. Ich freu mich sehr darüber.

Edit aus aktuellem Anlass: spezieller Dank an Herrn Stevenson. :)

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Beschauliche Tage

Die stillste Vorweihnachtszeit meines Lebens. Kein Stress, kein Gehetze, kein gar nichts. Als ich mich neulich so erregte über Cheffe, wünschte ich mir insgeheim eine kleine, nicht lebensbedrohliche Krankheit, die dafür sorgt, dass ich ihn bis zum Weihnachtsurlaub nicht mehr sehen muss. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll von zwar vorhersehbaren, aber immer schwerer zu verdrängenden Jahresend-Kränkungen. 

Ich wurde erhört: das Knie. Dann wurde ich auch noch taub. Also zum Arzt, schon wieder. Eine ungewöhnliche Häufung. Der stellte ein paar spektakuläre Sachen fest und schickte mich mit gelben Schein und Antibiotikum nach Hause; ich war erleichtert. Weitere Tage, in denen meine Wut in aller Weltabgeschiedenheit verrauchen konnte. 

Gestern erkundigte er sich per sms, wie es denn so aussieht. Kaum hatte ich eine ausweichende Antwort formuliert und versandt, bekam ich Schüttelfrost, Halsweh und kurbelte die Tempo-Industrie an. Die Ohren, die seit gerade mal zwei Stunden ihren Dienst wiederaufgenommen hatten, quittierten ihn umgehend. Dafür ging es dem Knie besser. 

Das Schöne an einer Grippe ist, viel zu schlafen. Aber nicht, wenn man schon seit anderthalb Wochen viel schläft. Ich habe auch keinen Wunsch nach weiteren ruhigen Tagen. Ich habe schon soviel in die Luft geguckt, geatmet, meine Mitte gesucht und bin dabei ganz ruhig geworden; im Selbststudium zur Zen-Meisterin. Das geht ganz einfach, man muss nur die Glotze anmachen.

Ich habe stundenlang einem sportlichen Schweizer auf 3 Sat zugeschaut, wie er sein Land erkundet, seitdem sehe ich die Schweiz mit ganz anderen Augen. Ich sah Tierpflegern bei der Fütterung von Hyänen zu, sogar den Tatort am Sonntag habe ich mir angesehen und bedauert, dass ausser einem Wangetätscheln kurz vorm Ableben nichts zwischen Ulrike Folkerts und Jürgen Vogel passiert ist, was sicher daran lag, dass er nie gelächelt hat, denn wenn er lächelt, ist schon ein Wangetätscheln unzumutbar.

Ich zappe sogar zu TV Berlin, soweit ist es schon mit mir gekommen; sehe zufällig einen Journalisten, von dem ich weiß, dass er einen historischen Moment hatte, den man in seinem Beruf wohl nur einmal im Leben hat. Als er kürzlich zu einer Veranstaltung kam, begrüßte ich ihn und schleppte ihn kurzerhand zu den Azubis, die mir beim Empfang helfen. 

"Alle mal herhören, ich stelle Ihnen jetzt eine historische Person vor. Sie wissen doch, damals, als Schabowski versehentlich die Mauer geöffnet hat...." ich schau in fragende, dann unsicher nickende Gesichter, kein Wunder, sie sind ja noch so klein jung... "Also, als Schabowski sagte, dass die Reisefreiheit beschlossen wurde, da stellte dieser Herr hier die alles entscheidende Frage Gilt das ab sofort? Der Rest ist Geschichte, können Sie sich auf Youtube angucken."

So, ich muss jetzt weiteratmen, die ganze restliche Woche noch. Und dann ist schon Weihnachten. Noch mehr freie Tage. Herrje.

Samstag, 12. Dezember 2015

Who let the Dogs out?

Nochmal zurück zum Knie. Dem ging es schon wieder ganz gut. Nach all dem Hochgelege, Rumgeliege, der verordneten Schonhaltung. Ich konnte schon wieder aufstehen ohne Rollator, die Beine zwar nicht elegant aber immerhin übereinanderschlagen und gestern sogar eine Runde durch den Park.

Dachte ich mir: leihe ich mir heute mal den Hund, dann ist es weniger langweilig, durch den nebligen, nassen Wald zu latschen. Als ich ihn abhole, kriegt er sich kaum ein vor Begeisterung. Die Spiegelneuronen sorgen auch bei mir für Gemütsaufhellung. Ich denke an den maliziösen Bericht in der FAS, dass Hundebesitzer glückliche Menschen sind, weil die Ausschüttung von Oxytocin nicht nur nach der spätestens vierten Nacht mit einem Mann  für Verliebtheit sorgt, sondern auch durch ganz banales streicheln von Hunden veranlasst wird.

Es ist erstaunlich, wieviel Leute man kennenlernt, wenn man mit einem Hund unterwegs ist. Jedenfalls, wenn es ein großer Hund ist. Kleine Kläffer sind in der Hierarchie ganz unten und ihre Besitzerinnen meist ängstliche Ommas, die ihre Hunde wie englische Kronjuwelen bewachen.

Führt man einen großen Hund mit sich, ist man automatisch ein geschätzter Gesprächspartner. Es gibt ein stilles Agreement, dass man zum wertvolleren Menschenmaterial gehört, je größer das domestizierte Haustier ist.

Man hält im Park nicht Abstand voneinander, sondern läuft direkt aufeinander zu; bzw. erledigen das zunächst die Hunde, die immer auf der Suche nach Artgenossen sind, mit denen sie Geschwindigkeitsrekorde aufstellen können. Dann stehen die Besitzer nebeneinander, sehen den Tieren zu, wie sie wie eine Horde Affen durch's Unterholz rasen und dann wird gefachsimpelt. 

"Labrador?" Tja, keine Ahnung, es ist ein Hund. "Ich denke schon", erinnere ich mich dunkel.
"Wie alt?" Örgs, wie lange kenne ich ihn? Seit der Villa, das war im August. Da war er schon 12 Wochen alt. Ich rechne mühselig und behaupte "Ein Baby, kein halbes Jahr."

Das Baby spielt mit "Magic", dessen Besitzer ein frustrierter Lehrer ist, der in jeder Freistunde seine Promenadenmischung ausführt, denn sein Sohn, der ihm versprochen hat "Papa, ich kümmer mich, du hast nichts mit ihm zu tun", hat natürlich längst andere Prioritäten.

Dann kommt ein Ungetüm namens "Buster" angaloppiert, der meinen Leihhund fast zu Tode hetzt und dabei sehr grobmotorisch zu Werke geht. Ich denke gerade "Bis einer heult" und schon rasen sie auf mich zu und donnern mir ans Knie. Leihhund jault und sucht Schutz hinter und unter mir, ich bin bin mittendrin im Getümmel und erst jetzt setzt die sehr resolute Besitzerin in Barbour-Wachstuch dem Treiben ein Ende und pfeift Mike Tyson zurück. 

Mein Knie meldet sich mit Macht zurück und ich befürchte Komplikationen. Nein, so darf ich nicht denken, die Energie folgt der Aufmerksamkeit. Ich werde es doch mit Quark versuchen.

Zuhause angekommen, legt sich der Hund nicht etwa schlafen, sondern fängt an zu fiepen. Herrje, er will heim. Oder will er pinkeln? Ich geh schnell mit ihm raus, ohne Mantel und vergesse den Schlüssel drin. Der Hund guckt mich interessiert an. Ich fiepe. Und schon denke ich, am Ende ist die kaputte Nasenscheidewand meines frisch operierten Nachbarn doch zu etwas gut: er ist zuhause und hat meinen Ersatzschlüssel. Noch mal gutgegangen. 

Wir gehen wieder rein, der Hund fiept weiter. Mein Knie tut Hölle weh. Ich will mich gesund schlafen. Der Hund will nach Hause. Oder will er nochmal pinkeln? Noch mal vor die Tür, den Schlüssel fest in der Hand. Ich geh mit ihm nach hinten in den Garten, da liegt ein Ball, mit dem spielt er selbstvergessen, ich schau ihm zu und denke: wann pinkelt er endlich und stehen kann ich jetzt auch nicht mehr. 

Wieder drin ziehe ich neue Methoden auf. Mit strenger Stimme befehle ich "Sitz" und "Platz" und dann lege ich mich hin und er legt sich auch hin und endlich ist Ruhe im Karton. Er schläft ein, ich schlafe ein. 

Dann guckt er mich wach. Er ist schon recht groß und es ist kein Spaß, wachzuwerden mit so einem schwarzen Fellgesicht direkt vor der Nase. Er fiept auch nicht dabei, sondern sieht mich ruhig an. Wie meine jüngste Schwester, die hat früher auch alle wachgekuckt. Wir sind auf einer Höhe, nicht dass er mich jetzt doch beißt, weil er einfach nicht zuhause sein darf. Schnell rappel ich mich auf. Jetzt bloß keine Angst zeigen, nachher kippt die Gesamtsituation und ich werde zerfleischt. Ich erkenne die Vorteile kleiner Hunde.

Später fahre ich ihn zurück und da verarscht er mich noch mal: ich lasse ihn zu Füßen des Beifahrersitz ins Auto und als ich meine Tür aufmache, hat er es sich schon auf dem Fahrersitz bequem gemacht. Wie kriegt man so eine Masse Hund da weg, ohne Gewalt anzuwenden? Gar nicht. Ich muss ihn schieben und schubsen und fürchte, jetzt werde ich doch noch zu Hackfleisch verarbeitet. Solche Grobheiten ist er von mir nicht gewohnt und wer weiß, wie niedrig seine Frustrationstoleranz ist. Meinem Knie gefällt diese Aktion auch nicht. 

Ich will jetzt doch keinen Hund mehr.

Dienstag, 8. Dezember 2015

Mama 4.0

Seit meine Mutter mein altes Smartphone bekommen hat, hat sich die Frequenz unserer Kontaktaufnahmen vom wöchentlichen Telefonat zu fast täglichen kurzen Nachrichten gesteigert. Man kann sagen, sie lässt mich an ihrem Leben teilhaben. Das war ja auch so gedacht. 

Sie schreibt Emails, verziert mit Smileys und Blümchen, als ob sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht hat. Einzig die Leerzeichen-Taste hat sie noch nicht gefunden - eine völlig neue Definition von Fließtext, aber Rom ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.

Als sie erwähnte, dass diese Mini-Tastatur doch ein bißchen anstrengend ist, war sie reif für die nächste Stufe. Ich kaufte ihr ein Tablet. Und natürlich musste ich es ihr vor Weihnachten schenken, damit sie es auch bedienen kann - dieses Jahr feiert sie in Niedersachsen und ich in Berlin.

Als sie zur Huldigung des Babys eintraf, überreichte ich ihr das Geschenk. Sie protestierte traditionsbewusst, es sei noch nicht Weihnachten. Ich so: "Widerstand ist zwecklos." Sie packte es aus und fing an zu jammern, sie habe sich doch gerade an das Smartphone gewöhnt, was das jetzt wieder soll, sie wolle das nicht. "Das Smartphone wolltest du auch nicht und jetzt kannst du gar nicht mehr ohne, oder?"

Ich erklärte ihr die Funktionen, sie saß seufzend neben mir, angespannt und unwillig und ich bekam schon langsam Angst, dass ich sie diesmal nicht überzeugt bekomme. Erst als ich ihr Sudoku und Kreuzworträtsel runterlud, war das Eis gebrochen. Sie fing sofort an zu spielen und als wir später einen Film sahen und ich in der Werbepause auf dem Balkon rauchte, sah ich gerührt, dass sie sich auf Sudoku konzentrierte.

Am nächsten Morgen bat sie mich, ihr zu zeigen, wie sie auf die Website "mit der Baumpflanzung" kommt (vor einigen Jahren hat sie mit alten Mitschülern auf dem Schulhof feierlich einen Baum gepflanzt und damit hat sie es sogar in die Zeitung geschafft - wie das so ist in einem Kaff, da bekommt früher oder später jeder seine 15 Minuten Ruhm). 

Als ich ihr das Tablet rüberreichte mit den Fotos der Baumpflanzung, rief sie begeistert aus:
"Das ist ja toll. Dann kann ich jetzt auch prüfen, ob Opa in der Waffen SS war!"
"Mama???"
"Ja, ich hab einen Waffenschein gefunden in seinen alten Unterlagen."
"Waffen SS?"
"Ich weiß auch nicht, ob das was zu bedeuten hat, aber das werde ich prüfen."
"Waffen SS?"
"Reg dich nicht auf, ich werde das prüfen."

Opa Berlin, der mir zwar nie ein goldenes Kleid geschickt hat, aber doch von vornehmer Noblesse umweht war, der soll in der Waffen SS... Familiengeheimnisse, die die Welt nicht braucht. Bisher wusste ich von ihm nur, dass er der Chef meiner Oma war und meine Mutter demzufolge ein "Kind der Liebe" ist, was zwei Scheidungen nach sich zog. Er wollte meine Oma dann heiraten, sie stattdessen lieber einen anderen Mann, von dem sie sich dann auch wieder scheiden ließ und fortan mit ihrem Liebhaber, Onkel Heinz, zusammenlebte, der ein Faible für Laubsägearbeiten hatte. 

Ein Kennenlernen von Vater und Tochter fand erst statt, als meine Mutter schon über dreißg war. Wenige Jahre später starb er auch schon, er war sehr viel älter als das Luder die femme fatale meine Oma. Aus meiner Sicht hatte sie so gar nichts von einer männermordenden Circe, ehrlich gesagt, hatte sie eine starke Ähnlichkeit mit Hans-Dietrich Genscher. Sie ließ sich von uns Kindern geduldig die Haare 'frisieren', bis sie kreisrunden Haarausfall bekam und flößte uns Eierlikör ein, wenn wir bei ihr schliefen. Bis heute das einzige Gesöff, zu dem ich mich ab und zu hinreißen lasse. Ich schulde ihr noch 10 Mark, die hatte sie mir geliehen und winkte mir hinterher, eine Woche später war sie tot, plötzlich und unerwartet.

Zurück zum Thema: Schon auf der Rückfahrt ins Kaff bekam ich mehrere Wasserstandsmeldungen meiner Mutter und seitdem weitere 30 Mails. Ich denke, sie hat sich schon angefreundet und wird sich jetzt in die düstere Vergangenheit der Republik in Bezug auf meine Herkunftsfamilie vertiefen. Bin gespannt, was sie herausfindet.

Montag, 7. Dezember 2015

Ich hab Knie

Aus dem Nichts. Es wird täglich schlimmer. Na ja, seit vorgestern. Im Prinzip kann ich nicht mal mehr bloggen. Weil ich das nicht im liegen mache, sondern am Schreibtisch. Dazu muss man die Knie beugen. Aua. Wenn ich aufstehe, humpel ich wie eine hüftkranke Omma.

Im Knie geht die Post ab. Da sind Sachen drin, die dort nicht hingehören. Ich stelle mir einen körnigen Salzsee vor. Mir empfiehlt jemand, Quark auf das Knie zu schmieren, aber das geht nicht, ich hab nur Kräuterquark.

Da ich mich als Hypochonderin und Hobbypsychologin wohler damit fühle, in meinen Zipperlein den Ausdruck meiner geschundenen Seele zu vermuten, frage ich mich für gewöhnlich: was steckt dahinter? Man muss immer das Große und Ganze sehen.

Das geht ganz einfach. Ich stelle mir drei Fragen.
  1. Wie fühlt sich das Symptom an? (Tut weh, komm nicht vorwärts, werde ausgebremst)
  2. Habe ich einen Benefit? (Mit etwas Glück muss ich nicht zur Weihnachtsfeier)
  3. Wer verschafft mir im wahren Leben so ein Leid? (Liegt auf der Hand)
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen wäre ich jetzt sofort geheilt, wenn ich zu dem ginge, der mir so schlechte Laune macht und ihm auf's Maul haue oder ihn wenigstens sofort verlasse. Im Wirklichkeit bin ich beherrscht und neige zur Selbstverleugnung, wenn es sein muss jahrelang.

Außnahmsweise lasse ich das psychologisieren sein und begebe mich - für meine Verhältnisse - umgehend zum Arzt.

Ich hab was am Meniskus. Therapie? Nix. Nix tun. Keinen Quark. Nützt auch nichts. Ab auf's Sofa und Beine hoch. Woher kommt's? Am Schreibtisch sitze ich immer auf meinem linken Bein. Der Meniskus fühlt sich nach all den Jahren gewürgt und überbelastet. Krankheit als Weg. Mein Knie will das alles nicht mehr. Es ist schlauer als ich und zieht mich ein paar Tage aus dem Verkehr. 

Mein Sofa somatisiert auch. 

Brandneu und schon bricht ein Fuß ab. Es soll so sein, ein Zeichen, habe ich beschlossen. Gestern nutzte ich gleich den verkaufsoffenen Sonntag und fuhr in den Möbelladen. Machte denen einen Vorschlag: holt das Ding ab (bin sowieso nie warm damit geworden), ich kauf das andere, das, was ich eigentlich im Mai kaufen wollte. Das viel teurere und viel größere. Eigentlich zu groß, mir doch egal. Morgen kommt der Gutachter (!), den werde ich nach allen Regeln der Kunst bezircen, soweit die Humpelei das zulässt.

Sonntag, 6. Dezember 2015

Wenn aus Nichten Mütter werden

Ich sehe meine Nichte an, die schläfrig auf dem Sofa sitzt, mit ihrem Baby auf dem Arm. Mir fallen selbst beinah die Augen zu, denn seit 10 Uhr tummeln sich vier Generationen in meiner Wohnung.

Schnappe mir den Winzling und beschließe, wir halten mal ein Nickerchen. Ich bin selig. Endlich ist es still um uns herum und ich habe meine halbe Stunde ganz allein mit diesem kleinen Wunder. Ich unterhalte mich per Gedankenübertragung. 

Hallo, sage ich, ich bin's. Hab ganz schön lange auf dich gewartet. Drei Wochen bist du schon da. Und erst heute... Schwamm drüber. Jetzt bist du ja hier. Huch! Atmest du noch? Mach keinen Scheiß, mein Augenstern. Doch, du atmest. Puuuh. Gott, bist du klein. Wie kann ein Mensch nur so klein sein?

Es liegt ganz still auf mir, manchmal macht es fiep und manchmal streckt es sich. Jeder Laut, jede Bewegung, alles, was es macht oder lässt, rührt mich. Ich schau es an und könnte für den Rest meines Lebens nichts anderes mehr machen. Oder wenigstens bis zum Abitur. 

Ich erinnere mich, als meine Nichte 13 war: sie hatte Kummer und setzte sich auf meinen Schoß. Ich weiß nicht, ob sie schon damals größer war als ich, aber viel gefehlt hat nicht mehr. Jedenfalls dachte ich damals: Genieß das, es ist das letzte Mal. Und das war es auch. Unmittelbar im Anschluss bekam sie Pubertät und war auf Jahre ungenießbar.

Und jetzt? Legt sie mir ihr Kind auf den Bauch, deckt uns zu und schließt leise die Tür.

Freitag, 4. Dezember 2015

Schwache Chefs - Geißel der Menschheit

Wenn ich schlau wäre, also richtig schlau, dann würde ich jetzt ins Bett gehen und in den Schlaf der Gerechten fallen oder zumindest "ruhen", falls ich nicht schlafen kann, was anzunehmen ist, denn ich platze vor Wut, seit Stunden schon und selbst manisches kochen und backen hat mir nicht geholfen, meine Balance wiederzuerlangen - außer einer komplett eingesauten Küche ist nichts passiert, was mich auch nur in die Nähe von Seelenfrieden gebracht hätte.

Jedes Jahr nehme ich mir vor, kalt an mir ablaufen zu lassen, was Cheffe im Beurteilungsgespräch zu meiner Person zu sagen hat. Jedes Mal möchte ich eine Packung Beta-Blocker fressen, um Gleichmut zu verströmen. Jedes Mal möchte ich nach längstens 10 Minuten einen Baseballschläger in seiner Hackfresse zertrümmern schreiend rauslaufen und nie wieder zurück kommen. 

Seit letztem Jahr versucht er mir einzureden, dass es schlecht ist, dass "du so gut organisiert bist, weil dich das unflexibel macht" - kann mir einer diese Scheiße mal übersetzen? Dieses Jahr ist es sogar noch schlechter, einfach schlimm, meine Ablaufpläne - "da könnte mal ein bißchen Phantasie rein". 

Nun unterliegen Veranstaltungen sehr strengen Abläufen - man nennt mir ein Datum und dann summe ich los wie ein Bienchen, spule ab, was nötig ist, aber schockschwere Not: "Du könntest doch mal alles auf buntem Papier ausdrucken oder statt einer Tabelle in Word eine in Excel machen." Was freilich ausgedruckt keinen Unterschied macht, aber ja, natürlich könnte ich den Ablaufplan auch tanzen oder in kisuaheli schreiben, wenn es denn irgendwas am Plan ändern würde.

Es ist auch nicht gut, dass ich immer frühzeitig alles in Sack und Tüten habe, weil - und jetzt kommt's - "das die Fehlerquote erhöht". In meiner Welt erhöht es die Fehlerquote, wenn ich unter Hochdruck auf den letzten Drücker arbeite. 

Aber am allerschlimmsten ist, dass ich einfach nicht kapiere, dass mir die Zukunft "ganz neue Chancen" bringt. Weshalb ich nur so "starr" daran festhalten würde, die Veranstaltungen unter meiner Ägide zu behalten? Ich könnte doch mal was ganz Neues machen. Oder "dich einfach darauf konzentrieren, meine Assistenz zu sein". Ich bin einfach zu engstirnig, das muss er - klar - in seine Benotung einfließen lassen.

Ich habe noch längst nicht in aller Konsequenz zuende gedacht, für wie blöde er mich hält. Der "Zukunft" hat er nichts weiter entgegen zu setzen, als möglichst zu verhindern, dass die Visibility, die damit einhergeht, weiterhin mit meiner Person verknüpft wird; vor allem dann nicht, wenn sie ihn in irgendein Kellerloch gesteckt haben werden und sich kein Lichtstrahl mehr zu ihm verirrt. Und ich begrüße oben irgendeinen Landesfürsten, mit einem anderen Chef an meiner Seite, soweit kommt's noch.

Und deshalb muss er mir einreden, dass das ganz großer Mist ist, dass bei mir alles wie am Schnürchen klappt. Es ist ü-ber-haupt nicht gut. In meiner Paradedisziplin, der Orga, hat er mir deshalb auch eine unterdurchschnittliche Benotung gegeben, weil... ja weil... (da musste er lange nachdenken)... weil das "ewig gute Gelingen dich blind macht". Für was? "Dass du Dinge auch mal anders regeln könntest." Wie anders? "Na einfach mal ganz anders." 

Gute Idee, das nächste Mal versuche ich es ohne Einladungsversand, dann holen wir uns die Leute einfach von der Straße. Oder ich bestelle nichts zu essen, die Leute werden sowieso zu fett. Raumbuchung - total überschätzt. Irgendein Eckchen wird sich schon finden. VIP-Listen? So'n Quatsch. Oberboss kann auch mal neben Hans und Franz sitzen. Und wer braucht schon Mikrofone? Und Garderobendamen? Die Presse muss weiß Gott auch nicht immer dabei sein. Ich hab ja soviel Möglichkeiten.

Aber wenn ich ab jetzt abwechselnd grünes oder gelbes Papier für Handouts nehme, das ändert alles; dann bin ich TMFMOU (The Most Flexible Master of Universe).

Montag, 30. November 2015

Der Kiezneurotiker in 3 D


Am Sonntag war ich mit der Auftragsmörderin auf dem Tempelhofer Feld, im strömenden Regen, ihren Hund ausführen. 

Sidekick: Ich bin dem Hund sehr ans Herz gewachsen, weil ich oft in der Villa war, als er ein Welpe war. Das hat zur Folge, dass mich heutzutage 20 Kilo anspringen, und da ich seine Reaktion auf mich vermenschliche - ich kann einfach nicht anders - bilde ich mir ein, dass er mich sympathisch findet. Er übertreibt zuweilen, wenn er mit seiner "besseren Dosenöffnerin" zu mir nach Hause kommt, dann begrüße ich ihn vor der Tür, weil er mir sonst in den Flur pinkelt, so groß ist die Freude. Wenn ich ehrlich bin, will ich jetzt auch einen Hund. Am besten ihn. Wir sind schon aneinander gewöhnt und die Auftragsmörderin hat ihn sehr gut erzogen. Aus dem Gröbsten ist er raus. Leider geht das nicht, sie will  ihn selbst behalten und eigentlich habe ich es ja auch nicht so mit Tieren. Das muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen. Ich könnte ihn mal am Wochenende haben, wenn sie verreist. Aber sie verreist einfach nicht.

Jedenfalls, wie wir so über das Feld stapfen, uns gegen Wind und Regen stemmen, einige nervlich überlastete Flüchtlinge sich derweilen eine Massenschlägerei im Hangar liefern (was ich nicht weiter verwunderlich finde, denn wenn ich monatelang auf der Flucht gewesen und dann endlich angekommen wäre und nicht gleich ein abschließbares, warmes Zimmer mit einer Badewanne und ein Bett mit einer dicken Daunendecke bekommen würde, unter der ich mich zwei Wochen lang ausschlafen könnte, dann würde ich jeden Tag eine Massenschlägerei anzetteln - ich hab's im Hangar mal einen Tag lang anlässlich einer Messe aushalten müssen und da bin ich schon gefährlich weit aus meiner Komfortzone gedriftet) und unfassbar viele Polizeiautos angerast kommen, die Situation also immer unwirtlicher und unwirklicher wird, bekommt sie einen Anruf einer Freundin, ob wir nicht zum Tee vorbei kommen wollen. 

Dankbar nehmen wir an. Sind kaum da, gesellt sich noch ein Freund dazu, den ich zum ersten Mal sehe.

Irgendwann erzählt er, dass er in Prenzlauer Berg wohnt und beginnt eine Hasstirade vom allerfeinsten auf die Radfahrer, auf diese Scheiß-Anwälte, die im Anzug und mit Hosenklammer jedem „Du blöde Fotze“ hinterherbrüllen, der auf dem Fußgängerweg nicht schnell genug Platz macht. Wie er seine Tochter schützen muss, damit sie nicht von denen umgenietet wird. Und dass die miteinander auf engstem Raum Rennen fahren – wohlgemerkt auf dem Bürgersteig und dass sich neulich zwei auf die Fresse gelegt haben, weil sie sich ineinander verhakt haben, und der eine auf die Straße gefallen ist und das Auto gerade noch so bremsen konnte und dass er das schade fand. Eine Menge Hass kam aus ihm raus, er redete sich in einen Rausch.

Ich sah ihn fasziniert an und dachte: Dass ich Herrn Stevenson jetzt doch mal persönlich kennenlerne. Dolle Sache. Kein Mensch kann so sprechen, wie er schreibt, wenn er es nicht selber ist. Ich muss dazu sagen, dass ich seine Schilderungen bezüglich der Radfahrer immer für übertrieben hielt (weil man ja beim bloggen zwecks besserer Lesbarkeit immer übertreibt – jedenfalls mache ich das so), aber Dinah und ich sahen uns an und lachten "Er hört sich doch an wie der Kiezneurotiker, dann hat der gar nicht übertrieben. Vor uns sitzt der lebende Beweis".

Er wollte wissen, wer der Kiezneurotiker ist und ich meinte: "Würde ich auch mal gerne wissen, das gehört zu den großen Geheimnissen der Menschheit, aber er bloggt unermüdlich für den Weltfrieden über Radfahrer und andere schlimme Sachen in Prenzlauer Berg."

Er erzählte weiter, dass er seinen Mitarbeitern wegen seines Hasses auch den Wunsch nach Dienstfahrrädern abgeschlagen hat, es hackt wohl, hat er ihnen gesagt, die können zu Fuß gehen, oder Taxi fahren "Seht zu, wie ihr von A nach B kommt, aber mit dem Rad nur über meine Leiche."

Ich frage, wo er denn arbeitet.
Er nennt einen Fernsehsender. 
"Ach", sage ich, "und da bist du der Fahrradbeauftragte oder wie?" 
„Nee, der Geschäftsführer." 

Der Kiezneurotiker steht kurz vor dem Weltruhm, denn sein Bruder im Geiste hat seit heute seine Blogadresse. Falls er es am Ende nicht doch selber war.

Samstag, 28. November 2015

Früher war mehr Lametta. Nicht.

Als ich klein war, betete ich jeden Abend inbrünstig, dass ich zu Weihnachten ein goldenes Kleid bekomme. Und goldene Schuhe. Ich stellte mir vor, das Päckchen von Opa Berlin zu öffnen und endlich das ersehnte Glimmern zu entdecken. Damals war rosa noch nicht modern, eher gelb und kackbraun oder höchstens rot und blau. Kein Gold nirgends.

Außer im Schuhgeschäft. Meiner Mutter schleppte ich alle goldenen Schuhe an, die ich finden konnte. Sie machte mir nie den Gefallen, sie anzuprobieren, geschweige denn zu kaufen. Vielmehr ergriff sie Maßnahmen: zum einkaufen durfte ich nicht mehr mit. Vermutlich dachte sie, dass man ihr im Krankenhaus eine kleine Adelige untergeschoben hatte. Ich zumindest dachte das. Mit meinem Goldfimmel war ich eine Außernseiterin in der Familie und ich hatte niemandem, mit dem ich darüber reden konnte.

Mehr als zwei(!) Toiletten hatte meine Familie nicht zu bieten an Luxus in unserem schachtelkleinen Reihenhaus. Wir hatten nicht mal goldene Tapeten. Mir blieben nur die allabendlichen Gebete.

Später wurde das Dach ausgebaut und ich durfte mir die Farben für mein neues Zimmer aussuchen. Ich entschied mich für blau, die Fokussierung auf Gold war in Vergessenheit geraten. Von da an hatten wir "Das blaue Zimmer" - wie in Downton Abbey. Bis heute schlägt sich bei Heimatbesuchen alles darum, in diesem zu schlafen. Es wurde fast unverändert gelassen, es hat seinen Charme. 

Mein beruflichen Pläne waren im Alter von 11 klar umrissen; ich strebte nach ganz oben, weg aus Niedersachsen: als uns der Deutschlehrer fragte, was wir mal werden wollen, sagte ich: "Fernsehansagerin oder Eiskunstläuferin". Er sah mich an und brach in Gelächter aus. Er hatte seine Mühe, sich wieder zu beruhigen. Ich dachte, ich muss wohl sehr hässlich sein, wenn er so lacht. 

Ähnliche Ausbrüche von Heiterkeit hatte ich nur mal in Geschichte erlebt, als ich die Drei- Stände-Gemeinschaft der alten Germanen erklären sollte. Ich überlegte hin und her und sagte dann "Vater, Mutter, Kind". Die Lehrerin kriegte sich nicht mehr ein. 

Warum schreib ich das alles? Ach ja. Ich war einkaufen. Und da sah ich das hier:


in Größe 158

Zu spät, alles zu spät. In Gr. 158 passe ich nicht mehr rein.