Samstag, 31. Januar 2015

Ebola in Steglitz

"Äindschie kann auch sehr gut Spitzen schneiden" wird mir verkündet, als ich heute beim Friseur ankomme. Sonst zuppelt immer Tina an meinen Haaren herum, nicht weil ich in Tina eine Herzens- und Seelenverwandte gefunden habe (beim Friseur schweige ich still), sondern weil sie bei der Haarwäsche eine Kopfmassage hinlegt, die mich jedes Mal mit den Untiefen der letzten Wochen versöhnt.

Tina ist nicht vor Ort. Gut, also Äindschie. Sie holt mich ab und ich erschrecke. Das Mädchen ist verquollen, fiebrig, hustet und röchelt. Die Frage ist also: wie lange werde ich durchhalten? Schon gestern abend waren drei von fünf wüst erkältet. 

Während sie an mir herumfuhrwerkt, dreht sie sich im 30 Sekunden Rythmus um und niest. Ohne die Hand vor den Mund zu nehmen, sie schnoddert in die Gegend rechts hinter uns und ich sehe förmlich die Tröpchen ihren Weg finden, zurück zu mir. 

"Mensch, Sie sind ja richtig krank, warum sind Sie denn nicht zuhause geblieben?" - "Geht nicht, alle anderen sind auch schon krank, dann wär hier ja bald keiner mehr", antwortet sie, in einer Tour die Nase hochziehend. "Ja, und eure Kunden eliminiert ihr gleich mit und jetzt hol dir verdammt noch mal ein Tempo" denke ich. 

Wenn mir was eklig ist, nehme ich immer die Brille ab, dann seh ich nichts mehr, wenn mir zum Beispiel jemand gegenüber sitzt, bei dem sich Spucke in den Mundwinkeln sammelt beim reden, könnt ich im Strahl kotzen, aber dann ist meine Kurzsichtigkeit echt mal zu was Nutze - aber gegen Geräusche ist kein Kraut gewachsen.

Es brodelt und schleimt und atmet rasselnd ganz dicht an meinem Kopf und ich nehme mir vor, eine neue Bewegung ins Leben zu rufen: MDESMSZBDSNA = Menschen, die erkältet sind, müssen sofort zuhause bleiben, damit sie niemanden anstecken. 

Der Volkswirtschaft wäre auch gedient, wenn immer nur einer zuhause bliebe, der erste, den es erwischt hat, sofort in Quarantäne und der Rest könnte sich weiterhin sicher fühlen im öffentlichen Raum. So, wie es Massage-Tina ganz richtig gemacht hat.

Ein bißchen schäm ich mich für mein Gezeter, denn Äindschie ist zweifellos ein tapferes Mädchen, das muss hier mal gesagt werden, vergrippt den ganzen Tag stehen, färben, schneiden föhnen, für den Mindestlohn, ein hartes Brot.

Donnerstag, 29. Januar 2015

Vegan? Och nöö.


Hier war ich heute essen. Mal ein Experiment: vegan

Wie ich da so anmutig, sittsam und mit geschlossenen Knien saß (ich könnte jetzt kerzengerade wie Kronprinzessin Victoria stundenlang die Nobelpreisverleihung über mich ergehen lassen, oder eine Adelshochzeit in der ersten Reihe; eine ganz neue Körperbeherrschung ist das, nur lädt mich kein Schwein ein), wie ich da also saß, die Karte studierte und den Kellner fragte, was "Mock Duck" ist und mir angewidert anhörte, dass es sich um irgendwas Klebriges aus Weizen handelt, das so ähnlich schmeckt wie Ente, schimpfte ich mich "Überwinde deine eingeschränkte Landpomeranzen-Herkunft, zimper nich rum und bestell es in Gottes Namen, immerhin ist Kartoffelpürree dabei." 

Als Alternative gab es gebratenes Tofu mit Rotkohl oder Rote Beete Gnocchi. Ich erwartete gespannt mein Essen, denn ich bin eine kosmopolitische Landpomeranze. 

Tja, eine Veganerin wird nicht aus mir. Ein Haps vom Kartoffelpürree ließ mich vermuten, dass Kartoffeln nur in homöopathischen Dosen verarbeitet wurden, aber man hätte mit ihm tapezieren können. Der erste, einzige und letzte Bissen von der klebrigen Ente aus Weizen beendete mein Experiment. 

Ich ließ das Essen umgehend zurückgehen, sowas Ekliges hatte ich noch nie, ich wollte es nicht mal mehr ansehen. Ich kaute auf Gummi, aber nicht auf niedlichen Gummibärchen, sondern auf... ich finde keine Worte... einer Mischung aus Abflusspömpel und Gartenschuhen, die in Blumenwasser gelegen haben. Womit ich nur die Konsistenz zu beschreiben versuche, nicht den Geschmack, denn es schmeckte nach gar nichts. 

Der Kellner war erschrocken, aber ich beruhigte ihn mit Trennungsmodalitäten: "Es liegt nicht an dir, es liegt an mir." Zu seinem und meinem Trost (ich war echt ausgehungert) bestellte ich mir das Dessert, einen Schokoladenkuchen, da kann man nichts falsch machen. Was auch immer sie da reingemischt haben, ich war versöhnt.

P.S. Fälschlicherweise vermutet man evtl. eine Restaurantkritik, ist es aber nicht, bzw. füge ich an: den anderen hat's geschmeckt, der Kellner war unglaublich freundlich, das gesamte Setting war unaufgeregt und angenehm ruhig. 

P.P.S  Und ja, ich habe schon lang darauf gewartet, endlich mal "das Setting" unterzubringen.

Dienstag, 27. Januar 2015

Sitzen ist für Weichlinge

Ein ABC-Pflaster sorgt erheblich für Ablenkungsschmerz. Zuerst fand ich das gut. Jetzt bin ich einigermaßen zerrüttet. Nach vier Tagen mit demolierten Rücken habe ich heute einen kleinen Einbruch, dahingehend, dass ich endlich wieder sitzen will, die Beine übereinanderschlagen, mich anlehnen möchte. Ich sitze stockgerade, wenn ich nicht gerade gehe (gestern 7984 Schritte), schön ist das alles nicht.

Als a-typische Hypochonderin meide ich Arztbesuche wie die Pest. Mir reichen die Diagnosen von Frau Thüringen "Wenn du nicht sitzen kannst, ist es ein Vorfall. Ein paar Tage aus dem Verkehr ziehen, viel liegen und in vier Wochen hast du es überstanden." 

Da verschaffe ich mir doch lieber weiteren Ablenkungsschmerz, zugefügt durch Cheffe, der ein ausführliches Paper von mir unter seinem Namen ins firmeninterne Netzwerk eingestellt hat. Da werde ich so sauer, dass ich meinen Rücken kaum noch spüre. Immer noch besser, als eine Spritze, die mich womöglich zum kollabieren bringt oder diese Muskelrelaxanz-Tabletten, die mich lallend und hilflos ans Sofa fesseln, bei geistiger Klarheit, versteht sich, das ist ja das Gruselige. 

Außerdem ersaufe ich in Arbeit, die termingerecht erledigt werden muss, sonst kann ich es gleich bleiben lassen. Aber heute bin ich mal um 16 Uhr aus dem Büro verschwunden, weil sich diverse Ablenkungsschmerzen nicht mehr lokal begrenzen lassen, sondern sich umfassend breit machen. Wenn ich's nicht besser wüsste, vermutete ich eine Grippe im Anflug oder eine Herzinsuffizienz. Mir ist so matt, aber immerhin bemerkte ich freudig, dass es um 17 Uhr noch hell ist. Es geht voran. 

Aus Maine erreicht mich ein selbstgedrehtes Filmchen über die Vorboten des Blizzards.  

 

Ich reiß mir jetzt den Flammenwerfer vom Rücken und verschwinde in meinem Alkoven. 

Sonntag, 25. Januar 2015

Der Pate von Friedenau


Ich laufe los, weil sitzen weh tut. Irgendwann steige ich in einen Bus ein (das ist das Schöne ohne Auto, wo man geht und steht, kann man einsteigen und aussteigen, eine ganz neue Freiheit ist das).

Ich lasse mich treiben.

Dann fällt mir ein, es ist verkaufsoffener Sonntag, eine gute Gelegenheit, mir einen Schrittzähler zu kaufen. Aber vorher was essen.

Ich setze mich ins Chacaron, direkt gegenüber vom Forum Steglitz, von außen vermutet man eine Geldwäscher-Bude, drinnen bedienen blutjunge, freundliche Kinder Menschen und verkaufen Flammkuchen und selbstgebackenen Kuchen. Ich lebe gerade in der Flammkuchen-Dekade. Trinke wie immer schwarzen Tee dazu. Egal, was ich esse, dazu schwarzen Tee. 

Ein liebgewonnene Tradition aus meiner Zeit mit dem geschwollenen Gewerkschafter mit den geschwollenen Augen: bei ihm zuhause, also bei seinen Eltern, aß ich zum Abendbrot immer ein Leberwurstschnittchen mit schwarzem Tee und natürlich schmeckte es ungleich besser, als bei meinen Eltern. Seine Eltern waren ja auch viel toller als meine Eltern. Seine Mutter fand mich anmutig, jawohl, während meine Mutter nichts dergleichen an mir feststellte.

Ein Platz ist nur direkt an der Tür frei. Ein distinguierter alter Herr fragt, ob er sich an meinen Tisch setzen darf, ich nicke (ich sitze auf einem Barhocker an einem Thekentisch, tut fast nicht weh). Es wird wegen der Tür kalt im Rücken, drum suche ich mir einen anderen Platz. Etwas später stehe auf, geh durch den Laden und hole mir den Spiegel. Der Herr kommt zu meinem Platz "Sie haben sich den Spiegel geholt?" Ich schau ihn verwundert an, "Ja?" - "Kann ich mir dann die Gala nehmen?" - "Aber ja." - "Darf ich mich bedanken?" - "Nicht dafür." Er verbeugt sich leicht und setzt sich wieder still an seinen Platz.

Die Tür geht auf und ein Hüne von Mann, ca. 30, unbestimmter Herkunft, schlägt ihm zur Begrüßung auf die Schulter, sieht sich dabei -Verfolgungswahn im Blick - suchend im Lokal um, fragt ihn hektisch "Hat dich wer dumm angemacht?" Aha, wir sind also in Absurdistan.

Ich frag mich, wer diesen feinen Herrn dumm anmachen sollte? Und weshalb? Und warum vor allem hier? Ist das doch ein Geldwäscheladen? Und der Herr in Wirklichkeit Der-große-Kaiser-Maximus-von-Steglitz-Mitte? Der Typ sein Personenschützer? Es scheint fast so, denn der Alte blättert weiter in der Gala, während der andere stumm neben ihm sitzen bleibt. Ein merkwürdiges Paar.

Als ich gehe, spricht er mich noch mal an "Darf ich Ihnen einen schönen Sonntag wünschen?" Die Fragerei geht mir langsam auf die Nerven. Der bullige Typ mustert mich misstrauisch. Ich seh zu, dass ich vom Acker komme. Nicht, dass ich da in was reingerate und am Ende eine neue Identität an einem sicheren Ort brauche.

Rasch kaufe ich mir noch den Schrittzähler, laufe 3108 Schritte und verbrauche 63 Kalorien. Als Invalidin. Ich glaube, mir ist niemand gefolgt
.

Samstag, 24. Januar 2015

Mein erstes Mal



Damals in Niedersachsen war es unter Frauen en vogue, einen Hexenschuss zu erleiden. Ich weiß nicht, wie oft ich meine Mutter, Tanten und Nachbarinnen klagen hörte, dass sie die Hexe geschossen hat. Meine kindliche Phantasie ging mit mir durch (ebenso wie bei dem Satz „Es ist etwas Kleines auf die Welt gekommen“ – weil „die Welt“ für mich auf dem Vordach zum Treppenhaus verortet war, aber niemals ein Baby dort abgelegt wurde); ich sah mich des Öfteren um, ob eine Hexe in der Nähe ist, um mich zu exekutieren. Ich blieb unversehrt.



Bis heute. Ich bückte mich harmlos und mir schoss ein Schmerz in den Rücken, von dem mir kotzübel wurde. Aus der gebückten Haltung kam ich nicht mehr hoch. „Verdammt!“, dachte ich, „man kommt ja wirklich nicht mehr hoch.“ Ich blieb eine Weile so stehen und hechelte den Schmerz weg. Wenn ich mich zufällig über einen schönen Blumenstrauß gebeugt hätte, wäre das eine schöne Gelegenheit zur inneren Einkehr gewesen, aber ich hing über dem Mülleimer. Mir brach der Schweiß aus.



Ich trippelte zum Küchentisch, stützte mich erleichtert ab und beglückwünschte mich zu diesem gelungenen Wochenende, an dessen Ende ich stehend und mumifiziert aufgefunden sein würde, vielleicht auch erst am Dienstag. Nach endlosen Minuten richtete ich mich langsam wieder auf.



Ein paar Stunden sind seitdem vergangen und ich weiß nun die Vorzüge der Somatisierung  zu schätzen: vor dem Knacks war mir so’n bissel oll zumute, denn ich habe heute, am heiligen Samstag, keine Verabredung und da bin ich noch ganz Mädchen geblieben, am Samstag keine Verabredung, dem bin ich nicht gewachsen und werde es nie sein; da hilft auch nicht, dass ich  mich gestern, an meinem ebenso geheiligten Freitag (Freitags geh ich nie weg) auf einer epochalen Party bis tief in die Nacht herumgedrückt habe, der Samstag muss für eine geglückte Lebensplanung aushäusig verbracht werden.



Aber seitdem ich mich vor Schmerzen krümme, bin ich versöhnt mit diesem Tag, denn nun habe ich ein Motiv, ein Alibi, ich könnte gar nicht vor die Tür, selbst wenn ich wollte. Ist das nicht schön?



Diclofenac intus, Wärmflasche im unteren Lendenwirbelbereich, bewege ich mich in Schonhaltung durch meine vier Wände, gekleidet in Flausch und Wolle, zufrieden mit mir und der Welt. Bis auf die fiesen Schmerzen halt und dem Unvermögen mich aus einem Sessel zu erheben, weil diese Vorwärtsbewegung viehisch weh tut.



Es wird Zeit für einen Notknopf, den ich um den Hals trage.

Mittwoch, 21. Januar 2015

Omma parkt ein

In meiner Straße ist es totenstill. Die einzigen Krawallschachteln hier sind Amseln. Und Omma von nebenan. Omma ist 93 und fährt noch Auto. Einen uralten Golf Diesel. Tief gebeugt vom Morbus Bechterew tapert sie tagein, tagaus zum Auto, fährt weg, kommt wieder; sie hat Termine. 

Sie "behandelt privat", die Rente reicht nicht. Sie ist Physiotherapeutin. Ich stell mir vor, dass die Privatpatienten eigentlich kaum was von der "Massage" spüren können, denn sie wirkt so kraftlos mit ihren zarten 27 Kilo Lebendgewicht; vielleicht sind die Patienten aber auch schon 87 Jahre alt, haben Glasknochen und so sucht sich die Wunde die passende Wunde. 

Anyway: wir haben schon manch lustige Stunden auf Balkon und im Garten verbracht, wenn sie einparkt. Das sind zu Herzen gehende, halbstündige Versuche, sämtlich zum Scheitern verurteilt. Dabei haben wir keine Parkplatzprobleme. Wenn wir mal 30 Meter zur Haustür laufen müssen, sind wir schon beleidigt.

Sie kommt an, wir stöhnen auf. Sie findet einen Platz, fährt hin und zurück, zurück und hin, der Motor jault auf, noch mal hin, noch mal zurück. Sie steigt aus, geht in Zeitlupe ums Auto und stellt fest, dass sie einen Meter vom Bordstein entfernt steht. Mühsam fummelt sie den Schlüssel wieder ins Schloss, steigt ein, schnallt sich an, vor und zurück, der Motor qualmt. Erste Vergiftungserscheinungen machen uns benommen, die Bäume kommen nicht hinterher mit der Photosynthese, ich drück sicherheitshalber die Zigarette aus. 

Nebel umwabert uns, der Motor kreischt, die Vögel suchen das Weite, der Himmel wird dunkel, sie fährt vor und zurück, steigt aus, tapert ums Auto, 20 cm näher an der Kante, immer noch nicht optimal, also wieder rin inne Kiste. Anschnallen nicht vergessen, man weiß nie, die meisten Unfälle entwickeln sich aus Bagatellen.

Sie kurvt und kurvt, fährt noch mal los, dreht eine Runde um den Block, nimmt einen neuen Anlauf, mit Schwung, in der Hoffnung, dass sie das rechte Augenmaß beweist, steigt aus, es bleibt bei einem Meter Abstand. 

Es liegt sicher daran, dass sie nur nach unten gucken kann, sie sieht das große Ganze nicht mehr, nicht den Kontext, kann keine Kausalkette herleiten, es ist ein Jammer, sie steigt wieder ein - wir hören mit dem kichern auf, kommen nicht in den Himmel, wenn wir uns weiter amüsieren, soviel ist klar.

Irgendwann gibt sie auf, der Wagen steht immer einen Meter entfernt, egal wie oft sie es versucht. Macht aber nix, fährt man halt drumrum. Die Feinstaubwerte sind unter die Decke geknallt, es stinkt wie auf dem Nürburgring. Aber dass sie keine Lust hat Bus zu fahren, kann ich gut verstehen. 

Dienstag, 20. Januar 2015

Und morgen bring ich ihn um

Heute war ich soweit, mich an den Füßen kopfüber aufzuhängen und mir mit dem Hammer auf den Kopf schlagen zu lassen, um auf andere Gedanken zu kommen. 

Ein Kollege hat sich etwas gewünscht: einen Klausurtag. Damit wir mal drüber reden, wohin die Reise mit uns geht. Welche Ziele wir haben. Welche Ziele wir uns setzen sollten. Wie wir sie umsetzen können. Dieser elende Streber! 

Cheffe stutzte und überlegte angestrengt (wie George Bush damals im Kindergarten), ob er den Kollegen informieren soll, dass aufgrund einer höheren Weltordnung und kraft Amt und Wassersuppe nur er selbst innovative Ideen zu entwickeln in der Lage ist, entschied aber in Sekundenschnelle - seine Gesichtszüge lösten sich - dass ihm hier mal wieder auf dem Tablett serviert wurde, womit er an anderer Stelle reüssieren kann: "Ja, Herr Oberchef, und dann habe ich mir gedacht, wir machen mal einen Klausurtag und stecken unsere Ziele ab. Wird höchste Zeit, dass ich meiner Mannschaft mal zeige, wo es lang geht."

Ich blieb stumm. Schwafeltage brauche ich nicht. Ich hab genug Ziele. Nach der Veranstaltung ist vor der Veranstaltung. 

Eine Mail flatterte auf den Bildschirm. Cheffe schrieb, dass er eine Hausaufgabe für uns hat. So so, eine Hausaufgabe. Da fühl ich mich gleich viel jünger. "Für unseren Klausurtag nennt drei Dinge, die verbesserungswürdig sind und liefert die Lösung. Jeder hat fünf Minuten Zeit, das zu performen." 

Hach, wie ich das Wort "performen" liebe. Ich arbeite am Puls der Zeit, das wird mir dann immer klar. "Diversity Management", "Sustainable Development", "Availability" - ich weiß Bescheid. 

Meine Hausaufgabe habe ich gleich gemacht. Problem erkannt, Gefahr gebannt. 

Problem 1: Ich verdiene einfach viel zu wenig. 
Lösung: Verkürzung der Arbeitszeit auf 20 Stunden bei gleichem Gehalt.

Problem 2: Meine Schultern sind so verspannt.
Lösung: Engagement eines Physiotherapeuten mit langen Haaren.

Problem 3: Es gibt keinen Raucherraum.
Lösung: Die Rauchmelder werden abmontiert.

Ich werde das vortanzen. Meine Performance wird praktisch unter die Decke knallen, wenn ich erstmal qualmend in meinem Büro sitze (aber nur noch vier Stunden am Tag) und mir währenddessen der Nacken massiert wird. Das Leben kann so schön sein.

Sonntag, 18. Januar 2015

Gloomy Sunday



Sonntage mach ich nicht madig, ich mag die sogar sehr gerne. Wenn nichts erledigt werden muss, wird mir ganz lauschig zumute. Nur rumgammeln und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.

Gegen 14 Uhr habe ich genug gegammelt. Denke, bei dem schönen Wetter muss ich doch rausgehen, sonst versündige ich mich. Überlege hin und her, was könnt ich tun, wo könnt ich hin, am liebsten aufs Tempelhofer Feld, aber dreimal umsteigen, bäääh, das sind drei Pflichten zuviel, also lass ich das.

Schlendere ins Starbucks, Sessel direkt am Fenster, was will ich mehr. Versinke in den Polstern und hab beim lesen und rausgucken meine Ruhe, trotz des Hintergrundrauschens aus Musik und Stimmen. Ich kann abschalten bei so etwas. Eine Gabe.

Aber nicht lange. Über den Klangbrei, der aus den Lautsprechern wabert, setzt sich andere Musik drüber, laut und quäkend. Bin irritiert, schau mich um, versuche den Krach zu orten.

Sitzt mir ein Knallkopf schräg gegenüber, der angefangen hat, über sein Handy laut Musik zu hören. Gibt’s denn sowas, der starrt auf sein Handy und hört bis zum Anschlag beschissene Lieder. Bryan Adams, The Summer of 65, ist der bekloppt, hat der keine Kopfhörer? Kann der nicht still in sein Handy glotzen, wie alle anderen auch?

Ich guck ihn böse an, böse böse böse, aber er ist hirnbefreit und unbeirrbar, jetzt geht’s weiter mit Queen, im Hintergrund wabert Café del Mar. Ich beuge meinen Kopf, massiere mir entnervt die Stirn, mein inneres Axtmörder-Kind wird wach. 

Jetzt fängt es an zu pfeifen, ich denk, ich hör nicht recht, Folter ist verboten, das weiß ich ganz genau, „Wind of Change“, warum hilft mir denn keiner? Aber es kommt noch schlimmer. „Aaaatemloooos durch die Nacht“ – ist hier irgendwo ein Arzt? Den wird er gleich brauchen.

Ich geh ihm nicht an die Gurgel, weil alle anderen gleichmütig bleiben. Die haben nämlich samt und sonders Kopfhörer auf. Stimmengewirr ist nur, weil die per Face Time mit Übersee konferieren. Die reine Autisten-Bude ist das hier, dank W-Lan for free. Wenn ich den jetzt abmurkse, halten die mich für bekloppt, so sieht’s aus. Niemand würde mich verteidigen. „Herr Wachtmeister, Herr Wachtmeister, plötzlich sprang die auf…Einfach so, aus dem Nichts. Schlimme Sache.“ Adieu, mildernde Umstände.

Man soll sich nicht an der falschen Stelle verkämpfen. Er hat gewonnen. Ich gehe. Ich atme das weg.

Sonntage, pffhhh..

Donnerstag, 15. Januar 2015

7 Fakten für den Kiezneurotiker

The Gorgeous Kiezneurotiker hat mir ein Stöckchen zugeworfen, 7 Fakten über mich soll ich mir aus den Fingern saugen. Your wish is my command :)


1.    Mein erstes Auto war ein NSU Prinz, was ich damals nicht geschätzt habe. Ich fand meinen Vater doof, weil er mir keinen Käfer gekauft hatte. Er zwang mich auch, den Motorradführerschein zu machen, weil er so gerne Motorrad fuhr. Dann musste ich sein Motorrad fahren, das gleiche hatte auch mein Freund, eine 750er Yamaha. Beim absteigen ist es mir umgefallen und ich klingelte heulend bei wildfremden Leuten, damit sie es mir wieder aufheben. Eine leidige Sache.

2.    Meine erste Jeans war von C & A, Palomino, mit so einem Glöckchen dran. Ich wollte ins Internat, weil ich keine Levi's bekam.

3.    Mit 11 Jahren bekam ich ein Tagebuch geschenkt, auf die erste Seite schrieb ich „Wer das liest, ist eine saublöde Kuh“. Dafür fing ich mir eine Ohrfeige meiner Mutter ein, dabei hatte ich sie namentlich gar nicht erwähnt.

4.    Meine erstes Trauma zog ich mir beim fernsehen zu „Der Tiger von Eschnapur“. Posttraumatische Belastungsstörungen waren damals noch nicht bekannt, deshalb blieb ich unbehandelt.

5.    Meinen ersten Knochenbruch zog ich mir im hohen Alter von 34 zu, als ich dachte, Schlittschuhlaufen verlernt man nicht. Beinah musste mir der Arm amputiert worden, weil ich panisch die Narkose verweigerte, um die Hand zu reponieren. Erst eine herbeigeeilte Freundin schüchterte mich dermaßen ein, dass ich nachgab.

6.    Die größte Aufregung in unserer beschaulichen, niedersächsischen Einliegerstraße war, als Frau Zarnetzki es schaffte, sich mit ihrem Golf zu überschlagen und auf dem Dach zum liegen kam. Es konnte nie geklärt werden, wie ihr das gelungen ist. Alle überlebten unverletzt.

7.    Meine Theaterkarriere verlief früh im Sande. Über den „dritten Baum von links“ kam ich nicht hinaus. Doch einmal, da spielte ich den Vorhang. „Ich bin der Vorhang, aaaaauuuuuuuuuffff!“


 Ich nominiere erst in drei Jahren, ich bin erst zwei Wochen hier.

Mittwoch, 14. Januar 2015

Wie ich beinah mal geheiratet hätte

Als ich 15 Jahre alt war und meine Freundschaften noch dramatische Tiefe hatten und daher unauflösbar für alle Ewigkeit schienen, beschlossen Michael S. und ich, in 10 Jahren zu heiraten, auf den Tag genau in 10 Jahren wollten wir uns treffen und EGAL mit wem wir zusammen sein werden, wieviel Kinder wir haben, wir würden alles stehen und liegen lassen, um uns zu heiraten. Wir hielten das für ein gewagtes, interessantes Unterfangen, bei dem wir beide nur gewinnen konnten. 

Wir waren Harry und Sally aus Klein-Posemuckel. Meinen damaligen Freund Uwe unterrichtete ich sicherheitshalber nicht über unsere unausweichliche Trennung. Michael war mein Extra-Mensch. Ein Junge mit Tiefe. Einer, der auch die innere Schönheit einer 16 jährigen wahrnahm, jawohl.

Meine ewige Konkurrentin Petra, die eifersüchtig auf jeden Jungen war, mit dem ich zu tun hatte, verstieg sich in nebulöse Andeutungen, dass sie etwas über Michael wisse, was mir den Atem rauben würde und meine Pläne zerplatzen ließe, wenn ich erst mal die ganze Wahrheit wüsste. 

Wochenlang schwadronierte sie herum, um mir eines Tages bedeutungsschwer mitzuteilen:
"Michael... Michael ist das Subjekt seiner Umgebung." 
"Das ist ja furchtbar!" 
Ich versuchte, den Anschein zu erwecken, die ganze Tragweite dieser Neuigkeit zu erfassen, aber natürlich verstand ich nur Bahnhof.


Anyway, wie ging es weiter mit Michael, dem Mann mit Tiefe? Als ich ihn ca. fünf Jahre später zufällig in einer Tanzbude traf, meinte er "Also, dass ich mit dir nie gepennt habe, bereue ich heute noch." Wie bitte? Da war gar keine Seelenverwandschaft? Und mit dem hatte ich mal Pläne.

Weitere 10 Jahre später traf ich ihn auf einem Klassentreffen wieder. Inzwischen trug er einen albernen Oberlippenbart, hatte aber wieder zu alter Tiefe zurückgefunden: er zog in ehelicher Gemeinschaft die zwei Kinder seiner 12 Jahre älteren Gattin auf. Das hätte niemand von ihm erwartet, mit einer über 40jährigen, whow, denn er war immer der sexiest man alive (von Posemuckel). Aus unserern Plänen wurde nichts.

Dienstag, 13. Januar 2015

Einmal reicht

Nachdem ich heute Nacht zweimal aus meinem ganz persönlichen Splattermovie aufgewacht und mich beim dritten Mal gezwungen habe, aufzustehen, Licht und Glotze anzumachen, um aus den Klauen einer unerquicklichen REM-Phase zu gelangen, hätte ich mich beim Verlassen der Wohnung immer noch nicht gewundert, wenn ein abgeschnittener Pferdekopf vor der Tür gelegen hätte. Und das mir, die nicht mal Shining gesehen hat, weil schon die Erfahrungsberichte anderer mein Blut gefrieren ließen. Alpträume, zu was sind die eigentlich gut? 

Um meine Nerven zu schonen, lebe ich in einem beschaulichen Teil Berlins. Freundliche Kinder und Jugendliche aller Nationen, selten nervige Erwachsene, von den Busfahrern mal abgesehen, ein hübscher Wald, eine Freundin nennt das Ganze in Ermangelung einer Kindheit im Westen "Bollerbü".

Im Bus bekam die Matrix einen Riss. Ein psychopathisch angehauchter Jugendlicher der dritten Generation auf Tilidin rastete aus, weil er sich angeglotzt fühlte. Binnen Sekunden eskalierte die Situation und er schlug um sich. Der Bus hielt auf freier Strecke an, eine Frau fragte gleichermaßen scharf und ruhig, ob er jetzt aussteigen möchte. Sie wiederholte das mehrmals mit fester Stimme. "Warum soll isch aussteigen, Fotze?" - "Weil hier Kinder sind." Offenbar erreichte sie eine funktionierende Gehirnzelle; rempelnd stieg er aus und trat von außen gegen den Bus. Der Bus fuhr weiter, keiner verlor mehr ein Wort, zivilisierte Leute. Es gibt auch nicht motzende Berliner, die sich würdevoll ihren Teil denken.

"Wie gut", dachte ich, "dass ich heute abend zum Feldenkrais gehe, das wird mich beruhigen." Hab mich spontan mit einer Freundin angemeldet, die mich am Sonntag fragte, ob ich das kenne. 

Und ob ich das kenne. Vor zig Jahren machte ich mal eine Schnupperstunde und werde mir nie erklären können, weshalb mich eine Stunde auf dem Rücken liegen, das linke Bein aufgestellt, den rechten Knöchel auf dem anderen Knie abgelegt und ganz leichtes hin und her Geschaukel in hypnotische Tiefenentspannung versetzte, die noch Stunden anhielt. Ich war nicht mal in der Lage, Piep zu sagen. Was mich nicht gehindert hat, nie wieder dorthin zu gehen. 

Aber heute ab in die VHS. Der Trainer hatte nur einen Arm, bzw. anderthalb und fuchtelte selbstbewusst mit ihm herum, was ich ja gut finde. Kann man sowieso nicht verstecken, warum also den Versuch machen? Ansonsten scheint er viel zu rauchen und zu trinken, oder hat es früher mal getan und zu spät damit aufgehört, als die allgemeine Ramponierung nicht mehr rückgängig zu machen war. Er berlinerte und lispelte stark. Eine ungewöhnliche Besetzung. Sonst machen das ja immer so blutleere Geschöpfe.

Legt euch mal anderthalb Stunden auf den Rücken und rollt das Becken leicht nach oben und wieder nach unten und zwar so leicht, dass man es von außen gar nicht sieht. Meine Bedürfnisse wechselten zwischen "Ich kack dem jetzt auf die Yogamatte" zu "Gleich entbinde ich." und "Würde mir bitte jemand ein Kind machen?" Irgendwann war ich des bescheuerten Rollens müde und schlief ein. Das hatte er zu Beginn der Stunde ausdrücklich erlaubt.

Ich wachte auf, verweigerte meiner Freundin jedes Gespräch und lief energisch nach Hause. Ich glaub, das reicht erst mal wieder für fünf Jahre.



Samstag, 10. Januar 2015

Muss ja


Das Universum oder sonstwer will, dass ich entschleunige und schlägt mir Schnippchen.

Mein 12 Jahre alter Laptop braucht 25 Minuten, bis er hochgefahren ist; geschenkt, schalte ich ihn halt Dienstag ein, damit ich Freitag schreiben kann und hab zwischendrin zu tun. Aber das Universum ist ja nicht doof. Egal, wie lange das Ding hochgefahren ist und still der Dinge harrt, die da kommen: sobald ich meine Tastatur anrühre, werden Sicherheitsupdates hochgeladen. Das braucht wieder Stunden. Egal, tapeziere ich mein Wohnzimmer in der Zwischenzeit. Starte ich einen neuen Versuch, hat das Sicherheitsupdate einen Virus gefunden. Gut, klicke ich auf "entfernen". Tage vergehen. Ich bringe meanwhile meinen Sohn zur Welt. Nach überstandener Wochenbettdpression denke ich, schreib doch drüber. Ich linse in mein Büro, vorsichtig, setze mich an den Rechner, berühre die Tastatur, erwischt, ein neues Sicherheitsupdate ist fällig. Ein klein wenig Ungeduld macht sich breit.

Ich überlege zu investieren. Mir ist einiges geschrottet in den letzten Wochen. Der Geschirrspüler, die elektrische Zahnbürste, mein Auto-Gott-hab-es-selig ist in der Hand von Albanern, ich beschäftige mich in meiner Freizeit mit Dingen wie warten, umsteigen, abwaschen. Ich hab jetzt nicht nur den Wochenendeinkauf, sondern auch den Wochenendabwasch. Ich sollte das Essen einstellen, dann spare ich Geschirr.

Es ist aber auch abenteuerlich, so ein Leben. Aufmerksam verfolge ich die katwarn-Meldungen. Heute ist es verboten, in den Wald zu gehen, wegen der losen Bäume. Aber ich muss raus, aufs Rad, den Gezeiten und Stürmen trotzen, sogar meine Frisur ist mir egal, als Lord Helmchen stemme ich mich den Orkanböen entgegen und wenn ich mich dann von Leben verarscht fühle, lese ich ein bisschen in "Ich bleib so Scheiße, wie ich bin", dann weiß ich wieder, dass das Leben nun mal so ist und ich keine Schuld daran trage.

Und dass es vollkommen sinnlos ist, sich an Kleinigkeiten zu erfreuen, ich zitiere:

"Oder haben Sie sich jemals vorgenommen, sich mehr an Kleinigkeiten zu freuen? Es ist ganz einfach. Bleiben Sie zu diesem Zweck bei einem Ihrer nächsten Spaziergänge oder auf dem Weg zum Supermarkt vor einem Blumenbeet stehen. Betrachten Sie eine der Blumen so aufmerksam wie möglich. Nehmen Sie alles ganz bewusst wahr: Die zarten Blütenblätter, die intensive Farbe, den betörenden Duft. Freuen Sie sich an jedem Detail - bis Sie nach ein paar Minuten die ersten Anzeichen einer schweren, depressiven Verstimmung spüren."

Selbstliebe steigern, zwecklos:

"Probieren Sie, Ihre Selbstliebe zu steigern. Stellen Sie sich vor den Spiegel und sagen Sie laut zu sich selbst: 'Ich bin schön, ich liebe mich, so wie ich bin, ich habe alles Gute auf dieser Welt verdient.' Wundern Sie sich nicht, wenn es Ihnen die Tränen in die Augen treibt und Sie schluchzend in Ihrem Badezimmer zusammenbrechen."

Endlich mal die Wahrheit.

Montag, 5. Januar 2015

My office is my castle


Der erste Tag im eigenen Büro. Eine Wonne. Am letzten Tag vor dem Urlaub wurde mir mitgeteilt, dass meinem Mähen und Krähen Rechnung getragen wird und ich endlich meine eigene Butze bekomme. Mich hat es am Wochenende gejuckt, schon mal hinzufahren, um alles einzuräumen, aber ich riss mich zusammen. Man sollte nur gegen Bezahlung räumen.

Das Büro ist klein, hat aber sogar einen Besprechungstisch und zwei Besucherstühle. Nie wieder geparkte Praktikanten oder Auszubildende. Man kann sagen, ich hab's geschafft. Mehr ist nicht drin. Meine eigene kleine Zelle. Eine Tür und die bleibt zu. Stille. Herrlich.

Ich war so beschäftigt mit einräumen und dem Chaos nach 14 Tagen Urlaub, dass ich nicht mal mein Handy aus der Tasche holte, geschweige denn hier oder anderswo linste, ob sich was tut. Eine Arbeitnehmerin, wie sie im Buche steht. Ein beglücktes, hochkonzentriertes Rädchen im Getriebe. 10 Stunden durchgearbeitet, ganz unangestrengt. Gebt Mitarbeitern, was sie sich wünschen und sie arbeiten sich freiwillig tot.

Kenne Leute, die wären kreuzunglücklich, wenn sie alleine sitzen müssten. Versteh ich nicht.

Eine Freundin von mir leidet entsetzlich, weil sie mit einem Kollegen in einem Zimmer sitzt, der außer "Guten Morgen" und "Tschüss" kein Wort mit ihr spricht. Schweigen halte ich für Königsklasse, aber ich sehe ein, dass es ein angenehmes Schweigen sein sollte, von beiden gewollt, damit man sich wohl fühlt. Ich nehme an, dass sein Schweigen sehr beredt ist. "Schwall mich nicht zu, mich interessiert nix von dem, was du erzählen willst." Das will niemand hören, nonverbal schon gar nicht. Sie hatte die Wahl: ein eigenes Büro oder mit ihm. Freudig begab sie sich an seine Seite. Von da an ging's bergab.


Es ist fabelhaft, dass ich keine Tür mehr im Rücken habe, keine links von mir und keine vor mir. Das ist besser als ein Stressless-Sessel. Wird man gemütskrank von, wenn sich jederzeit eine Horde Kollegen von allen Seiten in den Raum ergießt, weil es als das "Zimmer der Begegnung" auserkoren wurde. Jetzt sitze ich in einer beschaulichen kleinen Sackgasse, in der niemand in meinem Rücken herumkreucht.

Aber ich fange an, mich zu wiederholen. Es dürfte wohl auch dem Letzten klar geworden sein, dass ich neben geselligen und geschwätzigen Persönlichkeitsanteilen auch autis... Quatsch, fang ich mal nicht an zu pathologisieren.

Zum Schluss ein Buchtipp gegen den grassierenden Selbstoptimierungswahn:
Rebecca Niazi-Shahabi "Ich bleib so scheiße wie ich bin"
Wunderbar klug geschrieben. Kein dämlicher Ratgeber. Einfach nur gut.

Sonntag, 4. Januar 2015

Haben Blogger Sex?

Ich erlaube mir, den verehrten Kiezneurotiker zu zitieren: "...wenn ein Mann irgendwann eine Anzahl x an möglichen Brüsten (groß/klein/symmetrisch/asymmetrisch) gesehen hat, dann ist irgendwann gut und er wendet sich anderen Dingen zu. Landschaften. Essen. Modelleisenbahnen. Playstation. Dem eigenen Schwanz in der Hand unter der Bettdecke, wenn es sein muss. Oder bloggen."

Habe schon des öfteren darüber sinniert, ob Blogger eher
  • Singles
  • in glücklichen Beziehungen
  • in unglücklichen Beziehungen

sind. Und ob ich selbst soviel schreiben würde, jetzt, in diesem Moment, um halb zwei in der Nacht, wenn nebenan ein Mann zugegen wäre, der gesetzlich verpflichtet wäre, mir bei Grippe ein Süppchen zu kochen, sich mit mir unterm Tannenbaum zu streiten und wieder zu vertragen und nebenbei ein begabter Liebhaber wäre?

Es gibt Blogger, die den Anschein erwecken, sie leben in äußerst geglückten Beziehungen. Aber das sind Ausnahmen. Viele schreiben über missglückte Versuche, oft sehr lustig und bieten viel Anlass zur Identifikation. Andere lassen derlei private Themen gänzlich aus. Manche kopieren seitenweise Whatsapp Protokolle ihrer gescheiterten Beziehungsanbahnungsversuche, um den Probanden zu diskreditieren, was immer in die Hose geht. Sie machen sich selbst zum Obst, merken es aber glücklicherweise nicht.

Andere schildern klug und melancholisch bis zur völligen Selbstentäußerung ihren Kummer mit den immer wiederkehrenden drei Problemen: zu allein, zu alt, zu fett. Dabei gibt es natürlich auch junge und schlanke Menschen, die allein sind und die sich deshalb ebenso zu fett und zu alt fühlen. Manchmal wandern Blogger ab in den 7. Himmel und bloggen nicht mehr. Bis die Beziehung scheitert. Manche teilen sporadisch ihr Glück und werden ekstatisch beglückwünscht.

Ich bin auch eine ekstatische Beglückwünscherin. Ich gönne jedem, dass er raus aus dem Geschäft ist. Ich wäre auch gerne raus aus dem Geschäft, aber dazu ein andermal mehr.

Fakt ist: nachdem ich heute Nacht nach Hause kam (Singles sind ja viel unterwegs), bequatsche ich den Tag nicht mit dem begabten Liebhaber, sondern ich blogge noch ein bißchen.

Was war sonst noch los? Etwas merkwürdiges: als ich im Bad stand und mein Extra Face auflegte, brummte plötzlich meine elektrische Zahnbürste los. Von ganz allein. Ich schaute sie an und fragte, ob sie mir was zu sagen hat. Sie brummte weiter. Ich drückte den Aus-Knopf. Sie brummte, als ob es kein Morgen gäbe. Ich drückte und drückte, sie brummte. Ich ließ sie fallen, um sie zu erschrecken, sie brummte. Ich musste los und befürchtete einen Wohnungsbrand, wenn sie so weiter brummt. Trug sie auf den Balkon, steckte sie in ein Glas und als ich die Wohnung verließ, hörte ich sie auf der Straße immer noch brummen. Als ich zurück kam, hatte sie sich ausgebrummt. Ich glaube, sie hat Schluss gemacht.

Freitag, 2. Januar 2015

Gewaltbereite Omma

Vielleicht mache ich einen geschwächten Eindruck, weil ich mit fiebrig-glasigen Augen, hustend und schniefend an der Supermarktkasse stehe, um mir Nachschub an Tempos und Salbeibonbons zu besorgen. Vielleicht drückt meine jämmerliche Gestalt aus, dass ich derzeit nicht zur Gegenwehr fähig bin. So bin ich das Opfer einer delinquenten Greisin geworden.

Ich hab ja nun schon lang und breit erklärt, dass ich es hasse, wenn mir im öffentlichen Raum Leute zu sehr auf die Pelle rücken. Damit bin ich nicht allein, den meisten Menschen in Mitteleuropa geht das so. Ich steh also an der fast leeren Kasse, nur eine Person vor mir. Da rückt mir von hinten eine Omma auf den Pelz, schmiegt sich an meinen Rücken und pustet mir lauthals "Ääääh. Äääääh" ins Ohr, so als würde sie einen Achttausender besteigen.

Ich dreh mich um, tödlich genervt. Die personifizierte Hexe. Klein, dürr, Hakennase, verschmierter Lippenstift. You can call me Joker. Sie guckt mich auffordernd an, bleibt ganz dicht vor mir stehen und pustet unbeirrt weiter, jetzt direkt in mein Gesicht.

  • "Würden Sie das bitte lassen? Es geht nicht schneller, wenn Sie sich auf meinen Schoß setzen."
  • "Was denn, was denn? Wir können gerne die Plätze tauschen. Haben Sie mal meine Schmerzen!"
  • "Was hat das eine mit dem anderen zu tun?"
Die Brotspinne bleibt mir unbeirrt auf den Fersen und ich suche mein Heil in der Flucht nach vorn. Ich stelle mich vor meinen Einkaufswagen, um genügend Abstand zwischen uns zu bringen. Fängt sie an, von hinten zu schubsen.

  • "Sagen Sie mal, noch alles frisch im Oberstübchen? Hörn'se uff, zu schubsen."
  • "Hörn Sie auf zu schubsen!"
  • "Ich kann auch zurückschubsen." Ich bin erkennbar nicht auf der Höhe und retardiere zum Kleinkind.
Sie schiebt mir mit Schmackes den Wagen erneut in die Hacken, jetzt will sie's wissen. Ich dreh mich wieder um, sie wartet nur drauf und geht zum vertraulichen Du über:

  • "Glotz nich so blöd, fahr endlich nach vorne. Hältst den ganzen Verkehr auf."
Ich bin dem mental nicht gewachsen, nicht in diesem Zustand. Ich will den Konflikt mit körperlicher Gewalt beenden, aber im Gegensatz zu ihr habe ich keine Impulskontrollstörung. Bedauerlich, eigentlich. Ich hab nur Grippe. Grippe und Gewaltphantasien.

Donnerstag, 1. Januar 2015

Draußen vor der Tür

Feuerbachstraße, Samstag, früher Abend.
Ein Paar und eine Frau in den Sechzigern setzen sich schräg gegenüber. Die Frau schmal, drahtig, jungenhaft,
 hält einen enervierenden Vortrag über ihre Badminton-Sporthalle, das blendende Licht, die Schwierigkeit den Federball zu erkennen, demzufoge von ihm getroffen zu werden, anstatt ihn zu retournieren, die Lösung, ihn mit Textmarker anzumalen, geht über zu ihren Kollegen, die sich in der Mittagspause in ihre Smartphones vertiefen, "Das werde ich nie verstehen", empört "Was machen die da nur? Dass man einmal guckt, versteh ich ja, aber die ganze Zeit und ich sitz dann da wie blöde." Hochgradiger Sprechdurchfall. Wenn ich mit der Frau Pause machen müsste, würde ich mir zur Veranschaulichung meines mittäglichen Schweigegelübdes Mixed Pickles in die Ohren dekorieren und eine Schlafbrille aufsetzen.

Schöneberg, Samstag Nacht
Ein Mann stürzt in letzter Sekunde in die S-Bahn. Schwankt, Bierpulle in der Hand. Gut gekleidet, Gesicht nicht gezeichnet. Gepflegt. Setzt sich, randaliert nicht, nur hackedicht, auf stille Art. Steigt Rathaus Steglitz wieder aus und entschwindet mit Korsakow-Syndrom in die Nacht.

Rathaus Steglitz, Sonntag Nachmittag

Derselbe Mann steigt ein, wieder Bierpulle in der Hand. Nüchterner als gestern Nacht. Steigt Schöneberg wieder aus. Keine nennenswerte Gangstörung. Sein Radius scheint begrenzt, deckt sich aber mit meinen Terminen. Die Welt ist klein.

Südkreuz, Sonntag Nachmittag
Mann steht am Gebüsch, kaum 50 Meter entfernt von wartenden Passanten vor dem Bahnhofseingang. Fummelt sich umständlich an der Hose und pinkelt gemächlich in die Botanik. Nicht versteckt, nicht nach Privatspähre suchend, leicht gebeugt. Fummelt alles wieder rein, bleibt vornüber gebeugt stehen, sinnierend, fummelt alles wieder raus, weiter geht's im Takt. Die Prostata? Frage mich, was passieren würde, wenn Frauen mit Blasenentzündung keine Lust hätten, die 50 Meter zum Bahnhofsklo zu laufen. TaTüTaTa...

Tempelhof, Sonntag früher Abend
Ein Paar steigt ein, Mitte Zwanzig. Sie bleiben stehen. Sie spricht, sucht seinen Blick, er schaut über ihren Kopf hinweg, antwortet nicht. Sie lehnt sich an ihn, schließt ihre Arme um seinen Rücken, legt ihren Kopf an seine Brust. Er nimmt seine Arme hoch, als wolle er ausgiebig gähnen, streckt sich, es sieht aus, als wolle er sie abschütteln. Es klappt, sie gibt auf und rückt traurig ab.


Taxistand
Ich steig ein, nenne das Ziel, Fahrer erkennbar sauer, stöhnt auf. "Ist Ihnen die Strecke zu kurz?" - "Nee, isch hab Ärger mit Kolläge. Darf ich nicht Du sagen. Kommen alle von Horwad. Oder wie heißt amerikannische Uni?" - "Harvard?" - "Korrekt. Horwad. Hab isch ihm gesaggt, komm her und kannst mich berührren, wirst du sähn, was passiert, berühr mich nicht, wir können Freunde sein. Sagt der, Fresse halten. Sag ich, pass auf, was du sagen, Kolläge." Tonfall wird bedrohlicher, Stimmung unbehaglich. Ein Taxifahrer ist letzten Endes auch nur ein fremder Mann, zu dem ich Nachts ins Auto steige. Dann fängt er sich, meint leutselig "Aber isch würde niemals Ärger zeigen zu meine Kundänn, oder böses Gesicht, isch schwöre." Beim Abschied: "Ha ha, wir kommän alle von Horwad, hä?"