Donnerstag, 21. Februar 2019

Alltag ist die Abwesenheit von Weihnachten, großer Liebe und Krieg (Max Goldt)

Herr Ackerbau ist mir noch ein Pony schuldig gewesen und daran hat er sich erinnert und deshalb bekam ich - gerade als ich im Bus saß auf dem Weg zum Brandenburger Tor, wo ich das erste Mal bei "One Billion Rising" dabei sein wollte - eine Mail von ihm. Er habe zwei Karten für Max Goldt,  wegen Krankheit abzugeben, noch am selben Abend, in Neukölln trete der auf, ob ich die haben will?

Das war ja noch besser als ein Pony! Gleichwohl hatte ich jetzt eine logistische Meisterleistung zu vollbringen. 


  • 15:45 Uhr Mail an Freunde, wer kommt mit? 
  • 15:50 Uhr G. kommt mit. Treffpunkt 19.30 Neukölln.
  • 16:00 Uhr Ankunft Brandenburger Tor. Schreck lass nach, getanzt wird erst ab 17.30 Uhr. Warum sagt mir das keiner? 
  • 16:30 Uhr Üben der Choreographie, die unermüdliche und alterslose Jocelyn B. Smith singt dazu. Ich fotografiere lieber das Gehopse meiner Mitstreiterinnen, anstatt mich zum Klops zu machen.
  • 16.45 Uhr Eine dramatisch geschminkte gute Bekannte wird pausenlos von den anwesenden Sendern gefilmt, wofür ich großes Verständnis habe, was mich jedoch stets in die Flucht treibt, da sie große Schilder ihrer Firma mit sich herumträgt. Meine Chefs würden sich freuen, mich in der Abendschau zu erblicken, als Nummerngirl neben dem Transparent "Wir gegen Gewalt" unserer Konkurrenzfirma. Soweit sind sie noch nicht, dass sie die globale Botschaft in den Vordergrund stellen.
  • 17:00 Uhr Langsam wird mir kalt, denn es waren zwar 13 Grad und Sonne angesagt, was mich zu luftigerer Übergangsbekleidung verführte, aber gegen Sonnenuntergang hin wird es empfindlich schattig, vor allem die Füße sind schon zu Eis geklumpt. 
  • 17:10 Uhr Die Choreographie wird fleißig weiter geübt und auf der Bühne tanzen junge Menschen die dollsten Sachen, alles gegen Gewalt, auch junge Männer sind dabei, was mich durchaus rührt, aber vielleicht wollen die nur entdeckt werden für Let's Dance oder so etwas.  
  • 17:20 Uhr Ich überlege, wie lange ich mit den Öffentlichen zurück ins Büro brauche, dort ins Auto steige, um dann nach Neukölln zu fahren und ob ich wohl vorher noch was essen gehen kann, denn zu meinen klumpig-eisigen Füßen gesellen sich erste Hungerödeme dazu. So kann ich Max Goldt kaum genießen.
  • 17:25 Uhr Fünf Minuten, bevor der weltweite Tanz gegen Gewalt losgeht, begebe ich mich in Richtung Bushaltestelle. Ich muss in die Wärme und brauche was zwischen die Kiemen. Ich habe noch Großes vor. Das erste Mal im Leben werde ich Max Goldt vorlesen hören. Halbgott meiner Anfangsjahre in Berlin, ganz nah beeinander in Moabit wohnten wir. Freilich traf ich ihn nie, aber ich kaufte jedes seiner Bücher und verschlang es. Das konnte ich mir damals mit links leisten, denn wenn man Buchhändlerin ist, bekommt man Bücher praktisch hinterhergeschmissen. 
  • 18:00 - 19:00 Uhr Futteraufnahme bei meinem Lieblings-Vietnamesen
  • 19:30 Uhr Ankunft in Neukölln, gutes Parkplatzkarma wirksam wie eh und je.
  • 20:00 Uhr Auftritt Max Goldt. Er ist genau so, wie ich es mir gedacht habe. Wer so schreiben kann, muss auch gut vorlesen können und er liest noch weitaus besser als Harry Rowohlt, dessen Lesungen ja immer als legendär wegen Länge und zunehmender Trunkenheit des Autoren, bzw. Übersetzers galten, die ich aber nach einer gewissen Zeit eher ermüdend fand. Ganz das Gegenteil nun Max Goldt, dem ich die ganze Nacht hätte zuhören wollen und können, wenn es nach mir gegangen wäre, aber ich hab ja nichts mitzureden und so blieb es bei zweieinhalb Stunden, aber die haben mich überaus beglückt.

Dafür werde ich Herrn Ackerbau immer zu Dank verpflichtet sein, einen Wunsch nun hat er bei mir frei - denn allein durch meine Schusseligkeit ist es mir in all den Jahren nie gelungen, rechtzeitig von einer Goldt-Lesung in Berlin Kenntnis zu erlangen. Und obwohl ich nun schon solange mit einem seiner guten Freunde befreundet bin, habe ich nie wieder die verpasste Gelegenheit ("Komm doch zu Klaus Bittermanns Party, ich hol dich an der Tür ab, Max Goldt ist auch da" - was mich damals in eine verschreckte Paralyse versetzte, die es mir unmöglich machte, auf dieser Party zu erscheinen, mein Gott, wie blöde von mir!) transfomieren können in eine genutzte Gelegenheit. Ich wurde schlicht nie wieder gefragt *schluchz*

Was für ein heiterer Abend! Einziges Manko: schräg links vor uns saß ein Typ mit einer meckernden, keckernden Lache und er lachte wirklich ununterbrochen, er lachte aus Prinzip und schon bevor der Satz zuende gebracht wurde, womit er wohl seine Kennerschaft ausdrücken wollte, damit aber nur Mordgelüste der direkt Umsitzenden hinaufbeschwor, aber dafür konnte Max Goldt ja nix.


6 Kommentare:

  1. Ich habe ihn nur einmal gehört, damals war er ein brillianter, aber höchst ungnädiger Vorleser. Ich bin dann auch daran gescheitert, ihm verständlich mitzuteilen, für wen die Widmung im Buch sein soll.

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    1. Er soll grundsätzlich ungnädig mit seinen Lesern sein.

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  2. Eine Milliarde hopsende Frauen am Brandenburger Tor? Hat diese Stadt nicht schon genug gelitten?

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    1. Mindestens ein Drittel Männer dort. Nur für die Akten...;)

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  3. Solche Typen liebe ich. So einer hat mir mal das komplette Konzert einer meiner Lieblingsbands versaut, auf das ich mich sehr gefreut hatte. Stand schräg hinter mir, war stockbesoffen und grölte sämtliche Texte einen knappen halben Ton zu tief auswendig mit.

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  4. Wo sind Gletscherspalten, wenn man sie mal braucht?

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