Donnerstag, 6. April 2017

Allet Scheiße, deine Elli

Wieder werde ich wach, mein Herz hämmert. Dieses merkwürdige rasen, als würde jemand in mir mit dem Vorschlaghammer zuwerke sein, dabei bin ich äußerlich ganz ruhig, ich muss nicht mal schneller atmen. Ich denk halt nur, ich muss sterben. Kann ja nicht gesund sein, was da passiert.

Ich mache das Fenster weit auf. Sitze auf dem Bett, halte mich an mir selbst fest und schaue in die Nacht, mit dem Handy in der Hand, falls ich doch Hilfe holen muss. Nach fünf Minuten ist der Spuk vorbei. Mir ist inzwischen eisig kalt.

Alpträume lassen mich jede Nacht hochschrecken. Ich fühle alles, was ich tagsüber erfolgreich verdränge. Aber alles hoch zehn. Ich neige ja immer zu Übertreibungen, im Traum erst recht. Ich werde ermordet, verfolgt, verlacht.

Erzähle ich das, wird wissend geschaut, Wechseljahre. Kennt man. Solange mir nicht schwindelig dabei ist, oder der Schweiß ausbricht, ist alles okay.

Alles okay. Nichts ist okay. Ich warte die fünf Minuten ab, das Herz wird wieder langsamer, ich bin erschöpft und verängstigt. 

Das bin ich tagsüber allerdings auch. Die Dolchstoße der brandneu eingestellten Kolleginnen lässt der neue Chef ungeahndet, sie scheinen ihm in den Kram zu passen.

Unversehens bin ich ein zu vernachlässigendes Auslaufmodell, das man möglichst schnell dazu bringen will, sich woanders hin zu retten. Ich bin ja nicht blöd, ich erkenne die Zeichen. Bei uns geht es einem sehr gut geht, wenn es einem gut geht, aber wenn sich die Vorzeichen ändern, hat man die Hölle auf Erden. 

Meine alten Elfenbeinturm-Kollegen sind ebenfalls am schwimmen, heimlich treffen wir uns Abends und überschütten uns gegenseitig mit Mitgefühl und Durchhalteparolen. Wir waren mal wer; das ist vorbei. Wir sind verzichtbar. Alles, was wir je auf die Beine gestellt haben, ist nur noch Müll. Gestrig. Und wir sind unflexible Gestalten, ein Schatten unserer selbst. Wir wissen jetzt alle aus eigener Erfahrung, wie sich eine narzisstische Kränkung anfühlt.

Vielleicht wären andere stärker. Hätten mehr Kampfgeist, würden zurückschlagen. Würden sich aufbäumen. Ich jedoch denke, die Messen sind längst gelesen und egal, was ich tue oder lasse, es wird mir alles zum Nachteil gereichen. Das ist die Ordnung der Dinge.

Also Rückzug. Ohne mir allzuviel anmerken zu lassen. Ich schweige in allen Meetings, in denen wir tagein, tagaus sitzen. Fällt mir gar nicht mehr schwer. Hab mich fast dran gewöhnt. Bin stumm. Aber das rächt sich. Nachts.

30 Kommentare:

  1. Lebe seit Jahren mit einem Blutdruckmessgerät ;)
    + wehe, die Zahlen stimmen nicht -> HORROR ;(
    Bin seit Jahren in der ErwerbsminderungsRENTE... die Kacke, ist mir über den Kopf gewachsen/gekippt worden, wer böses denken will ;)))

    Alles Kacke,
    Deine Annette *mitseufz*

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    1. Das tut mir leid für dich.

      Es ist nicht die Arbeit, die mir über den Kopf wächst. Sondern die Art und Weise, wie mit uns umgegangen wird. Kaltlächelnd.

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  2. Ich erinnere mich an einen Satz aus dem Studium. Controlling. War die erste Vorlesung.

    Wenn die Anpassungsgeschwindigkeit langsamer als die Veränderunggeschwindigkeit, fällt man hinten runter.

    Brutal. Aber Realität.

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    1. Das Erkenntnis daraus ist, für mich, dass es bei zunehmender Veränderungsgeschwindigkeit immer nur eine Frage der Zeit ist. Nicht die Frage ob man herunter fällt, sondern nur wann.

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    2. Absolut richtig, Herr MiM, absolut richtig.

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    3. Ein äußerst passender Satz und höchstwahrscheinlich meine Zukunft. *plumps*

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    4. So ergeht es uns Allen irgendwann.
      Wenn man von sich sagen kann, dass man eher später als früher dran war, kann man noch von Glück sprechen, es sei denn, es war SO früh, dass es noch rechtzeitig war für die Gesundheit und so früh, dass noch ein Neustart nicht nach "erzwungen" aussieht.

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    5. Ich bin gleichermassen beruhigt wie erschüttert, dass es so vielen geht wie mir. Leider macht das nicht besser. Ist eine ungeheuer belastende Situation.

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  3. In den Phasen, in denen mein Herz nachts ohne mich davongaloppiert ist, habe ich mir angewöhnt, Koffein drastisch runterzufahren. Hat geholfen. Nun kann ich nachts knallwach im Bett sitzen, ohne einen Besuch beim Kardiologen in Erwägung zu ziehen und stattdessen eine Klageschrift an das Sandmännchen verfassen.

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    1. Du kennst das? Beruhigend.
      Kaffee trinke ich sowieso nicht, daran liegt's wohl nicht.

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  4. Ohne jetzt medizinisches Halbwissen in den Raum zu werfen, aber aus Erfahrung weiß ich, das ganze klingt nach Panikattacken und veritablem Burn out.
    Ich hatte jahrelang eine ähnliche Situation auf der Arbeit und bin schließlich komplett zusammengebrochen, mit Selbstmordversuch und allem. Nach der REHA wollte ich auf keinen Fall mehr in diese Firma zurück, da ich wusste, dass ich früher oder später am Strick enden würde.

    Verschwinden Sie aus Ihrer, so schnell Sie nur können! Duldungsstarre macht das Ganze nur noch schlimmer. Jetzt haben Sie noch die Kraft, ihr (Berufs-)leben zu ändern!

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    1. Duldungsstarre - auch sehr passend.
      Momentan fehlt mir die Kraft zu allem.

      Bisher sind es noch keine Jahre, die wir das ertragen, sondern drei Monate. Und als Hypochonder werde ich nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt sein, mich zu entleiben, vielleicht ein Vorteil der Hypochondrie :)

      Aber Scherz beiseite, auch hier mein Mitgefühl dafür, dass es soweit gekommen ist.

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  5. Ich leide mental mit, wenn ich das lese. Hier ist zwar auch ein Sauhaufen, aber ohne neue Führungsliga, die glaubt das Rad neu zu erfinden. Hier wird ausgeharrt und sich am besten nicht bewegt. Zur Zeit wagt bei uns der BR einen Vorstoß in RIchtung gerechte Bezahlung sprich BV Entlohnungsgrundsätze. Und gleichzeitig stöhnen alle mir bekannten Gutverdiener auf, dass das das Ende ist.....des Betriebes. Denn dann werden wir sicher geschlossen, wenn auch der Rest gerecht bezahlt wird. Die Krönung der letzten Betriebsversammlung: eine unserer Ärztinnen (im übrigen die mit am besten verdienende Dame des Hauses) fürchtet Altersarmut...und Arbeitslosigkeit...ich wäre fast vom Stuhl gekippt.
    Was ich eigentlich sagen wollte: ich könnte mir - nach einiger Zeit wohlgemerkt- selbst in den Arsch treten, dass ich nicht weiter Ausschau nach einem anderen Arbeitsplatz gehalten habe. Immer wieder gehen Kollegen hier, die frohlocken, weil ihnen eigentlich überall mehr gezahlt wird als hier. Ich habe es jahrelang versäumt beständig und beharrlich Gehaltserhöhungen zu fordern. Ich glaube, ich komme bei 20 Jahren, die ich jetzt hier bin auf 3 insgesamt. Wir bewegen uns da in der Regel bei 50 Euro pro Erhöhung. Meine Tochter (24) verdient jetzt schon soviel wie ich nach 30 jahren Berufserfahrung. Ich Tölpel ich. Und immer denkt Frau: wer nimmt mich jetzt schon noch (das dachte ich schon mit 40 im übrigen...) und wer weiß ob die neue FIrma nicht gleich pleite geht..und so bleibt man, weil eigentlich das KLima nett, die Kollegen im großen und ganzen nett...und dann kommt am Ende der Satz der Großverdienerin: Sie habe angst vor Altersarmut und der BR möge doch bitte die Verhandlungen lassen....
    Ich könnte kotzen. Geh, wenn du kannst. Weit weg, schnell und schau dich nicht um!

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    1. Ja, das ist gruselig, wenn die gutbezahlten High Potentials von Altersarmut schwärmen. Wo sind die Baseballschläger, wenn man sie braucht?

      Eigentlich sollte ja schon die gesamte deutsche Wirtschaft zusammenbrechen, als dieser lächerlich niedrige Mindestlohn eingeführt wurde. Schweine im Weltall!

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  6. Gibt es irgendwelche Anzeichen, dass es wieder besser werden könnte? Pass bitte auf dich auf.

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    1. Es gibt nur Anzeichen, dass es noch schlimmer wird. Leider.
      Ich geb mein Bestes, auf mich aufzupassen.

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  7. Liebe Annika, ich lese das und kriege Beklemmungen und frage mich ob und was Du tun kannst. Ist standhalten die Lösung oder gehen?
    Ich drück Dich.

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    1. Vielen Dank.
      Derzeit habe ich keinen Schimmer, was besser ist. Gehen oder bleiben. Ich fürchte, woanders ist es auch nicht besser. Ich höre von Umstrukturierungen, die noch weitaus grausamer ablaufen als bei uns. Da wird gefeuert, dass die Schwarte kracht. Mobile Arbeitsplätze oder gleich Großraum mit über 50 Leuten in irgendeiner Fabriketage. Älteren Mitarbeitern werden "Aushilfen" an die Seite gestellt, die 25 Jahre sind, erstklassig ausgebildet und natürlich den Job auf kurze Sicht übernehmen sollen. Aberwitzige Büroumgestaltungen, Tische, auf denen keine Tasse stehen darf und bei dem geringsten Widerwort fehlende Motivation unterstellt und daher der Tipp für eine zügige Umorientierung gegeben wird. BEM Gespräche, in denen Mitarbeitern nicht die Wiedereingliederung leicht gemacht wird, sondern mit Kündigung gedroht wird. Und, und, und...

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  8. Ich weiß zwar, dass man diese Frage einer Dame niemals stellt, aber wie alt bist du denn jetzt? Wenn da noch etliche Jahre im Beruf lauern, solltest du sehen, dass du Land gewinnst, bevor du umfällst.

    Ansonsten ist bei mir ähnlich: Schon zum dritten Male in meiner "Karriere" wird mir der Stuhl unter dem Hintern angezündet Via "Übernahme", die natürlich "Synergien" bringen soll. Im Dienstleistungsbereich heißt das natürlich nichts anderes als Leute entlassen. Jetzt gehen die Kämpfe wieder los und ich bin soooooo müde. Ich weiß nicht, wie ich dass schaffen soll, aber ich muss. Ich bin der Hauptverdiener und finde jenseits der 50 garantiert keinen vergleichbaren Job mehr. Wenigstens fünf Jahre muss es noch weitergehen, denn dann ist das Häuschen bezahlt und die Kinder wenigstens aus der Schule raus.

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    1. Es warten noch etliche Jahre...

      Ja, der Stuhl unter mir wird auch gerade angezündet. No reason, just for fun. Cheffe macht sehr deutlich, dass er von älteren Arbeitnehmern nichts hält. Mir wurden ein paar jüngere Kollegen an die Seite gestellt, die haben eisenharte Ellenbogen und ich bin von Hause aus eine Sozialromatikerin. Da habe ich schon verloren, auch wenn ich selbst sehr ungemütlich werden kann, wenn es nötig ist. Nützt alles nix, wenn vom Chef geduldet wird, dass die Neuen ihr Mütchen an mir kühlen.

      Insgesamt ein Gefühl von Ohnmacht und Schutzlosigkeit. Nicht schön.

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    2. Oh je! Überall der gleiche Bullshit. Glücklicherweise dürfen wir ja Dank der Asozialromantiker von der SPD (und den Grünen) zwei Jahre länger (nicht) arbeiten. Aber wer braucht schon eine auskömmliche Rente?

      Aber noch einmal: Hau' ab da. Die Warnsignale deines Körpers sind mehr als deutlich. Ist leichter gesagt als getan, aber es bleibt dir wohl nichts anderes übrig, fürchte ich.

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  9. Lese gerade :"Die Masken der Niedertracht", Untertitel "Seelische Gewalt und wie man sich wehren kann" von Marie-France Hirigoyen, dtv Verlag.Alles gut beschrieben, so wie du es schilderst, findest du es auch in dem Buch. Ich hoffe es kann dir weiterhelfen....

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  10. Erst der akute Rückenschmerz, jetzt das nächtliche Herzrasen.....die Signale des Körpers an das Grosshirn sind m.E. mehr als deutlich :-(....gehen, nicht bleiben.....

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  11. Ach, und ich dachte, ich wäre allein.

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  12. Ich leide mit dir und hoffe, du hast die Kraft, dich aktiv umzuschauen und zu bewerben was das Zeug hält. Noch hast du den Vorteil, es als dich "aus eigenem Antrieb verändern wollen" zu deklarieren. Nach dem *Plumps* ist es ungleich belastender diese Schreiben aufsetzen zu müssen.
    Jetzt bist du noch (Aus)Suchende, dann Bittsteller. :(

    Und nein, nicht aushalten, bis der Leidensdruck dich final in die Knie zwingt, sondern denen aktiv und bewusst den Rücken kehren. Ich drück die Daumen - und dich.

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